20091214

Werner Otto Sirch: Richtet nicht!

13.12.2009 - 3.Advent

Predigt 1. Korinther 4, 1-5

Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Richtet nicht! Paulus spricht eine deutliche Mahnung und Warnung aus. Richtet nicht! Ich denke nicht, dass Paulus diese Mahnung zu Menschen spricht, die von Berufs wegen zu Richtern bestellt oder in Berufen sind, in denen sie eine beurteilende Funktion haben. Eine Gesellschaft kann nicht funktionieren ohne Richter, die in Streitfällen Recht sprechen. Ob das dann immer gerechte Urteile sind, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Ihre Aufgabe ist es jedenfalls, Recht zu sprechen. Examensprüfer, Theater- und Konzertkritiker, Lehrer auch sie richten, wenn man so will. Man nennt es dann beurteilen. Sie beurteilen eine Leistung und sprechen ihr Urteil dazu: bestanden oder durchgefallen – hervorragende Leistung oder mäßige. Nicht immer ist eine solche Aufgabe einfach.

Richtet nicht! Paulus meint wohl etwas ganz anderes, wenn er davon spricht, dass wir nicht richten sollen. Wir versuchen uns anzunähern, zu verstehen, was Paulus meint.

Dass wir unsere Eindrücke und Meinungen über das Verhalten anderer und uns selbst haben, das lässt sich nicht vermeiden. Auch Paulus denkt schließlich über seinen Dienst nach. Aber unser urteilen und beurteilen kann letztlich nur vorläufig sein. Es ist eine Momentaufnahme, ein Eindruck, den ich habe, weil meine Vorgeschichte und meine Lebenserfahrung mich so geprägt haben und zu diesem Urteil kommen lassen. Das endgültige Urteil wird nicht jetzt und nicht von mir gesprochen. Es wird auch nicht von Menschen gesprochen, die uns wohlgesonnen oder ablehnend gegenüber stehen. Paulus ist es egal, ihn kümmert das Urteil der anderen nicht, es macht auf ihn keinen Eindruck. Das mag ihm zwar den Vorwurf übermäßigen Geltungsbedürfnisses einbringen, aber es ist ihm trotzdem egal. Ihm ist wichtig, als Diener Christi erkannt zu werden, als Verwalter der Geheimnisse Gottes. Dem fühlt er sich verpflichtet. Das endgültige Urteil spricht der Herr bei seinem Kommen. Christus richtet lebende und tote. Dann wenn alles ans Licht kommt. Das gibt Paulus die Freiheit vom Urteil anderer Menschen nicht abhängig zu sein.

Es mag uns erschrecken, dass es einen Gerichtstag geben wird, bei dem alles ans Licht kommt, auch das was wir gut getarnt und versteckt haben: Die ganze Wahrheit über uns und unser Leben. Was wir heute sehen, worüber wir uns die Mäuler zerreißen und schwere Gedanken machen, das alles sind nur kleine Mosaike, Bruchteile, die erst im Ganzen ein Bild ergeben.

Wie können wir damit umgehen, mit all dem Versagen, mit unserer Schuld, mit dem was wir nicht erreicht haben, mit dem worüber wir uns schämen und anderen nicht mehr ins Gesicht sehen können? Wir sind ratlos, die einen fangen an sich selbst zu verurteilen und zu hassen, ziehen sich zurück. Die anderen ertränken die Wahrheit im Alkohol oder verletzen sich selbst, lassen ihre Wut und Verzweiflung an Menschen aus, die sie eigentlich lieben möchten. Wir spüren die Last auf uns, versuchen zu verdrängen und nicht an das Geschehene zu denken, sehnen uns nach Vergebung und Heilung unserer Schuld.

Und dann sehen wir uns in den Treppenhäusern zusammenstehen oder draußen auf der Straße und nichts besseres tun als über den, den wir gar nicht richtig kennen, von dem wir eigentlich nichts wissen, zu quatschen und zu urteilen. Suchen Entlastung darin, dass da einer ist, der schlimmer ist als ich. Dass gerade in den Gemeinden oft so viel über andere, vor allem die, die nicht anwesend sind, getratscht wird – unter frommem Deckmantel natürlich – finde ich besonders bedauerlich. Aber auch am Arbeitsplatz, in den Wartezimmern der Arztpraxen – überall, wo Menschen zusammenkommen wird über andere geredet.

Als Rummelsberger bewegt mich sehr, was zur Zeit in diesem großen diakonischen Unternehmen vorgeht. Entsetzt lese ich was die Presse über uns schreibt und der Ton mancher Leserbriefe lässt mich aufs tiefste erschrecken. Ich heiße es nicht für gut, was bei uns geschehen ist. Es ist fatal, dass die höchste Rummelsberger Instanz, der Rektor, entlassen und vom Gericht wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt werden musste. Und ich bin entsetzt wie er und der ebenfalls entlassene Verwaltungsdirektor sich an anvertrautem Geld bedient haben. Ich kann das Erschrecken der Spender verstehen, die eine gute Sache treu und regelmäßig unterstützt haben. Den Ton so mancher Zeitungsartikel und Leserbriefe kann ich aber gar nicht verstehen, vor allem wenn da vom Saustall und vom eisernen Besen, mit dem man auskehren muss, geredet wird. Rummelsberg ist kein Saustall. Hier haben Menschen versagt, so wie sie überall auf der Welt und auch unter uns versagen.

Die Arbeit der Rummelsberger verdient höchstes Ansehen. Keiner der Mitarbeiter, die in Rummelsberg beschäftigt sind, hat mit dieser Sache zu tun. In Treue verrichten sie ihren so dringend nötigen Dienst an Kranken, Behinderten und Gefährdeten. Man sieht die Rummelsberger in unseren Gemeinde, in der Arbeit an Kinder und Jugendlichen und hier auf der Kanzel.

Für mich ist schwer zu ertragen was in Rummelsberg geschehen ist, wie unsere Unternehmensethik von den gleichen Leuten ruiniert wurde, die sich dann selbst bedient haben und es ist für mich schwer zu ertragen, wie über uns Rummelsberger öffentlich zu Gericht gesessen wird.

Richtet nicht! Das Urteil wird ein anderer sprechen. Es wird ein endgültiges Urteil sein. Von ihm wird unser Leben bewertet werden.

Es ist viel Angst vor diesem Tag des Gerichts. Wer will schon bloßgestellt, verurteilt werden, mit dem konfrontiert werden was er verbockt hat und in seinem Leben nicht in Ordnung war? Wer will, dass das was er vor anderen versteckt hat, wo er sich selbst nicht hinzuschauen getraut, für das er sich schämt und für ihn unerträglich ist; wer will, dass das öffentlich wird, bekannt wird, aufgedeckt wird?

Und doch gibt es Menschen, auch unter uns, die sich nach diesem Tag des Gerichts sehnen, weil sie Gerechtigkeit für ihr Leben erwarten, weil sie hoffen, dass ihnen endlich Gerechtigkeit zuteil wird.

Bei diesem Gericht wird Jesus in unsere Herzen schauen. Er wird sich nicht täuschen lassen, denn er kann das Verborgene sehen, kann unsere eigentlichen Absichten erkennen, das wonach unser Herz getrachtet und sich gesehnt hat. Er wird nicht so Recht sprechen, wie unsere irdischen Gerichte, damit Recht gesprochen und der Rechtsfrieden hergestellt ist. Recht, das oft nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat. Jesus wird gerecht richten und Gerechtigkeit herstellen. Darum sind alle unsere menschlichen und irdischen Urteile nur vorläufig, weil auch sie dem Gericht Jesu unterliegen.

Wir aber werden für unser vorzeitiges Richten Verantwortung tragen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Jesus an uns die Warnung ausspricht: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“

Es ist eine große Befreiung wenn wir verstanden haben, dass wir nicht richten müssen. Wenn wir begriffen haben, dass wir nicht richten können und es nicht zu tun brauchen, dann können wir unser Urteil über andere wirklich unserem Herrn überlassen.

Es ist erstaunlich, wie positiv Paulus über dieses Urteil denkt. Er schreibt nicht davon, dass dann von Gott her ein beschämendes Urteil über uns hereinbrechen wird. Er freut sich auf darauf. „Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden“. Gott lobt uns! Ich denke, dass wir darüber nachdenken müssen, denn eigentlich können wir das nicht verstehen. Eigentlich erwarten wir Gottes Nein und Gottes Zorn gegen „jede Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen“. Dann zeigt es sich aber, dass wir einen Gott haben, der „keinen Gefallen hat am Tode des Gottlosen.“ Das steht auch in unserer Bibel.

Jesus ist Richter und Retter in einer Person. Es fällt uns oft schwer, das so anzunehmen. Wir möchten gerne Bedingungen daran verknüpfen, irgend etwas was nötig ist, etwas, das einen Menschen vor Gott gerecht spricht – sei es unsere Treue im Glauben oder unser gerechtes Leben; unser Engagement in der Kirche oder unsere guten Taten für andere. Wie leicht vergessen wir: Unsere Gerechtigkeit vor Gott ist immer Geschenk, das uns Gott macht. Jesus hat für uns am Kreuz von Golgatha bezahlt, unsere Schuld vergeben und ausgelöscht – womit könnten wir das jemals uns verdienen? Unser Gutsein, unsere Gerechtigkeit, unsere guten Werke können immer nur Antwort darauf sein, was ER für uns getan hat.

Zum Schluss noch eine Beobachtung am Rande: Das was wir am Anderen am meisten verurteilen ist das, in dem wir uns im anderen erkennen. Oder anders gesagt: Wenn wir im anderen unser Spiegelbild erkennen, richten wir ihn – ohne dass wir merken, wen wir da erkannt haben.
Amen.

20091202

Martin Adel: Und machten sich auf die Suche

29.11.2009 - 1.Advent

Liebe Gemeinde,
beim Anspiel der Hortkinder waren die letzten Worte des Erzähler: „Und die drei Weisen packten noch am selben Tag alle notwendigen Sachen zusammen. Mutig brachen sie auf. Voller Erwartung – wie der König des Friedens wohl aussehen würde. Und sie machten sich auf die Suche.

Das ist ganz wichtig in der Adventszeit – wenn wir jetzt wieder unsere Stuben schmücken, die Sterne, die Kerzen, den Zimmerschmuck hervorholen - dass wir nicht nur an den Äußerlichkeiten, dem Gewohnten und Vertrautem hängen bleiben, sondern uns selbst auf die Suche machen.

Eine Suche, die in dem Wort Sehnsucht mit gemeint ist und die in dem Wort Sucht eine falsche Antwort gefunden hat.

Gerade die dunkle Jahreszeit lädt uns dazu ein, innezuhalten, eine Kerze anzuzünden und innerlich herunter zu fahren. Sich nicht immer nur verrückt machen zu lassen von all den Krise und Katastrophen und der Gewalt.

Sich ausklinken und zur Ruhe kommen. Ganz bewusst. Nicht getrieben, sondern gewollt. Selbst bestimmt und aushalten, wenn dann auch die Fragen wieder hoch kommen, vor denen wir schon zu lange weglaufen.

Dabei könnte es ja vielleicht auch ganz anders sein. Dass wir im Innehalten plötzlich wieder sehen, wie reich wir beschenkt sind, welchen Schatz wir in unseren Kindern haben, welchen Reichtum durch unsere Familie, was doch auch geworden ist aus meinem Leben, durch meiner Hände Arbeit und was geworden ist aus dem Leben derer, die mir lieb sind.

Das Anspiel der Kinder, die liebevoll schmückenden Hände, die selbstgemachte Musik - ein Geschenk an uns! Und wir sehen es oft nicht mehr. Nehmen es als selbstverständlich hin in einer überfüllten und überfütterten Umwelt, die das Nörgeln aus dem „ff“ kann und vergessen hat, was Zurückhaltung ist oder wie das Loben geht.

Erschöpfte Gesichter, die sich die Sehn-Sucht verboten haben. Keine Suche mehr – sondern eher ein: Ach, lasst mich doch in Frieden.
Und ich frage mich: Was ist passiert?

Schauen wir uns die Weisen aus dem Morgenland an. Sie waren auf der Suche. Und sie haben es sich nicht verbieten lassen. Erwachsene Männer. Kluge Männer.
Und sie sind dabei geblieben: Es muss doch noch mehr geben, als nur diese eine, raue Wirklichkeit.

Und Gott schickt ihnen einen Stern. Mitten am leuchtenden Nachthimmel. Ein besonderer Stern – und sie nehmen ihn zum Zeichen, zum Antrieb, zur Orientierung. Wie ein himmlisches Navi. Und sie finden den Frieden Gottes.
Ja, liebe Gemeinde, wir meinen immer, wir könnten alles alleine machen, dabei brauchen wir auch in diesen Herzens- und Seelendingen eine Orientierung, um in der Fülle der Angebote nicht irre zu gehen. Wie lange hätten die Könige gesucht, ohne diesen Stern, und sie hätten nichts gefunden?

Doch auf die Suche müssen wir uns schon machen. Auf die Suche, erfüllt von der Sehn-Sucht, dass das noch nicht alles ist und die Welt ihr letztes Wort noch nicht über uns gesprochen hat.

Die Suche nach dem Frieden – nicht nur in Afghanistan oder in so vielen Staaten Afrikas, sondern auch bei uns, in unseren Familien, in unseren Dörfern und Städten, in unserem Land. Die Idee, dass es Verständigung und Gerechtigkeit gibt zwischen Menschen, Völkern, Rassen und Religionen. Die Gewissheit, dass es noch mehr gibt wie Macht und Geld und das Recht des Stärkeren.

Diese Sehn-Suche dürfen wir uns nicht nehmen lassen, enttäuscht und verbittert vom Leben. Sondern wir sollten sie der Welt entgegenhalten und sagen: hier ist es und da war es und dort wird es auch noch kommen – weil es stimmt und immer wieder stimmt: Gott kommt auf die Erde – kommt, dass Friede werde.
Das ist das letzte Wort und dafür stehen wir ein und dafür machen wir uns auf den Weg. Auch heute noch.

Sicherlich – das klingt etwas unbequem und wir werden uns dafür eine Schneise in die Adventszeit schlagen müssen, durch die Kaufhausmusik und die Glühweinbuden hindurch. Die gehören dazu, unbestritten – aber wenn sich die Adventszeit darauf beschränkt, werden wir das Christkind verpassen und nur noch erschöpft an Heilig Abend in unseren Sessel fallen oder die Flucht in die nächste Kneipe antreten. Denn nur durch Lichterketten und Schokoladenlebkuchen wird sich Gott in der Krippe nicht finden lassen. Und unsere Suche bleibt vergeblich. Denn das eine ist unsere Tradition oder der Kitsch, der daraus gemacht wurde und das andere ist die Wahrheit Gottes.
Gott kommt auf die Erde, kommt, dass Friede werde.

Wir werden uns auf die Suche machen müssen – so wie es den Weisen und den Hirten und auch Maria und Josef nicht erspart geblieben ist, sich auf den Weg zu machen. Doch es gibt etwas zu entdecken. Es gibt einen Schatz zu finden, den alles Gold der Welt nicht aufwiegen kann.

Liebe Gemeinde,
wenn die Adventszeit Fastenzeit ist, dann will sie uns eine Hilfe sein, das Alltägliche einmal zu durchbrechen und Auszeiten zu schaffen zum Erholen und zum Kraftschöpfen.

Manche finden Entspannung beim Plätzchen backen, manche beim Spielen und Basteln. Manche beim Lesen, beim Musikhören, beim Anzünden der Adventskerzen. Die winterlichen Monate laden förmlich dazu ein, die lange Ruhe des Abends zu nutzen um Atem zu holen, so wie die Natur im Winter Atem holt.
Machen wir uns auf die Suche. Blicken wir nicht nur auf unseren oft erschöpfenden Alltag, sondern heben wir unseren Blick und richten uns aus, so wie es Lukas sagt: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lk 21,28)
Suchen wir nach unserem Stern, der uns leiten will.

Und keine Sorge: Um zum Kind in der Krippe zu kommen muss man nicht immer so weit gehen wie die drei Weisen aus dem Morgenland. Manchmal müssen wir nur die Tür aufmachen und Christus herein lassen.

Amen