20100126

Ute Lehnes-de Fallois: Die Hoffnung stirbt nicht

24.1.2010 - Letzter Sonntag nach Epiphanias


2. Korinther 4, 6-10
6 Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
7 Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
8 Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
9 Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
10 Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.


Liebe Gemeinde!

Die Hoffnung stirbt zuletzt und hoffentlich stirbt sie nie.
Denn wenn sie stirbt, so sterben auch wir.
Denn selbst wenn unser Körper am Leben bliebe,
so würden wir ohne Hoffnung doch nur noch eine vergängliche Hülle sein, die ihre Frist auf Erden hier irgendwie verbringt.

Über die Hoffnung oder wie Paulus es sagt:
den Lichtschein Jesu Christi in unseren Herzen ist heute zu reden
und welch großes Geschenk uns der Heilige Geist
mit unserem Glauben, unserer Liebe und unserer Hoffnung gemacht hat.

Denn es ist die Hoffnung, die uns am Leben hält.
Die Hoffnung, dass Gott die Zukunft für uns weiß.
Auf sie hoffen wir, auch wenn sie jetzt noch für uns im Verborgenen liegt. Und es ist diese Hoffnung, die uns Kraft schenkt.


Ich erinnere mich an ein Gespräch mit zwei Damen aus dem Altenheim – inzwischen beide hoch betagt –
und an das, was sie erzählt haben über eine Zeit, die schon lange vorbei ist.

„1939, bei der Eroberung Danzigs,“ so erinnert sich eine von beiden,
„da trieben die Toten oben auf der Weichsel. Und wir mussten sie rausfischen. Die Seuchengefahr wäre sonst zu groß gewesen.
Uns blieb gar nichts anderes übrig. Es war grauenhaft, weil ich einige der Toten ja auch kannte.“
„Ja,“ sagt die andere: „So war das damals.
Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen.
Als ich 1944 die Nachricht vom Tod meines Bruders erhielt, da konnte ich nicht einmal mehr weinen. So leer war ich nach den Jahren des Krieges. Keine einzige Träne konnte ich mehr vergießen,
obwohl ich meinen Bruder immer so sehr geliebt habe.
Heute frage ich mich: wie haben wir das damals alles nur so ausgehalten? Was gab uns die Kraft, immer wieder weiter zu machen und uns und unsere Kinder nicht aufzugeben? Es muss wohl die Hoffnung gewesen sein, dieses letzte Fünkchen in uns, das uns glauben ließ, irgendwie werden wir das schon überstehen und irgendwann muss dieser schreckliche Krieg ja auch vorbei sein.
Durchhalten hieß unsere Parole.“

Die beiden Damen seufzen.
Paulus schreibt:
Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
Als ich das las,
da kamen mir die beiden alten Damen wieder in den Sinn.
Es war die Hoffnung, die sie die Zeit damals überstehen ließ.
Die Hoffnung auf Zukunft.

Paulus schreibt weiter:
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen.
Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.

Ich möchte noch einmal in dieser längst vergangenen Zeit bleiben.

Dietrich Boenhoeffer, dessen Lied
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag,
viele von uns kennen und gerne singen,
hat die Zeit des Nationalsozialismus nicht überlebt.
Dietrich Bonhoeffer leistete Widerstand und wurde am 5.April 1943 verhaftet und in das Militärgefängnis nach Berlin-Tegel gebracht.
Von dort aus schrieb er regelmäßig an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. So auch zu Weihnachten 1944.
Und ich möchte Ihnen nun gerne aus dem Brief an seine Braut vom 19.Dezember 1944 einige Zeilen vorlesen:
Meine liebste Maria, so beginnt er,
ich bin so froh, dass ich dir zu Weihnachten schreiben kann, und durch dich auch die Eltern und Geschwister grüßen und euch danken kann. Es werden sehr stille Tage in unseren Häusern sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt.
Es sind nun fast zwei Jahre, dass wir aufeinander warten, liebste Maria. Werde nicht mutlos! Ich bin froh, dass du bei den Eltern bist. Grüße deine Mutter und das ganze Haus sehr von mir. Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Sie sind der Weihnachtsgruß für dich und die Eltern und die Geschwister:

1. Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

2. Noch will das alte unsere Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last,
ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern,
des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

7. Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Maria von Wedemeyer und Dietrich Bonhoeffer haben sich danach niemals mehr gesehen. Am 8.April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg erhängt.
Am Galgen noch soll er gesagt haben:
Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens!

Bei Paulus heißt es:
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen.
Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.

Dietrich Bonhoeffer kam um.
Doch seine Hoffnung nicht, auch nicht im eigenen Tod.

Und ich glaube, das ist es, was auch Paulus mit seinen Worten meint:
Bedrängnis, Unterdrückung, Leiden gehören zu unserem Leben mit dazu. Es ist nicht so, dass wir als Christen, dieser Welt schon entrückt oder gar verklärt wären und uns die finsteren Mächte dieser Welt nichts mehr anhaben könnten.
So ist es nicht.
Wir stehen mittendrin im Leben - mit all seinen Schönheiten,
aber eben auch mit all seinen Abgründen.
Und doch hat uns Gott einen hellen Schein in unser Herz gegeben,
dass wir uns nicht ängstigen, nicht verzagen und nicht umkommen.
Die Hoffnung, eine Hoffnung,
die im Glauben an Christus über dieses Leben noch weit hinaus geht.

Und so kann Dietrich Bonhoeffer im Angesicht des Todes noch dichten:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Worte, die von großer Hoffnung und großem Vertrauen sprechen.


Denn es braucht Stärke und Hoffnung,
ein positives Bild von Zukunft,
um dieses Leben zu gestalten und um es in der Anfechtung überhaupt ertragen und aushalten zu können.

Manchmal, da ist dieses Leben doch auch zum Fürchten,
da frisst sich die Angst in die Seele,
da verzagt das Herz und weiß sich keinen Rat mehr.
Manchmal da fließen die Tränen,
solange bis der letzte Wasservorrat aufgebraucht ist und dann nicht mal mehr das Weinen geht.
Da verfolgen einen die Ungewissheit und die schlimmen Träume,
die Zukunftsangst und alles scheint so ausweglos zu sein.
Und die Hoffnung, diese kleine zarte Pflänzchen, geht ein.

Da hat eine Familie innerhalb eines Jahres gleich mehrere Todesfälle zu verschmerzen,
da kommt eine Ehe ans Ende,
eine schlimme Krankheit wird diagnostiziert,
da verlieren Menschen ihren Arbeitsplatz,
ein Kind kommt auf die schiefe Bahn,
da muss ein Angehöriger gepflegt werden,
oder die Schulden sind so hoch, dass sie einen nur noch ersaufen lassen.

Der Prophet Elia, dem Petrus auf dem Berg der Verklärung am liebsten neben Mose und Jesus eine Hütte gebaut hätte,
wir haben es im Evangelium gehört,
ausgerechnet dieser heilige Elia, auch er,
kommt an das Ende seiner Kräfte.
Er hat gekämpft für den rechten Glauben,
er hat Anfechtungen erduldet, und am Ende ist er alleine.
Verzagt, verzweifelt und voller Angst.
Und er setzt sich in der Wüste unter einen Wacholderstrauch und sagt zu Gott: Es ist genug. So nimm nun Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
Elia wünscht sich den Tod.
Er kann nicht mehr.
Er keine Kraft mehr, keine Energie und keine Hoffnung.
Da geht gar nichts mehr. Ein Mensch am Ende.
Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder.

Und nun nimmt die Geschichte ihre Wendung:
Denn ein Engel des Herrn rührte ihn an und sprach zu ihm:
Steh auf und iss!
Und als Elia gegessen hatte, da schlief er wieder ein.
Und dann kommt der Engel wieder und bringt ihm wieder zu essen,
bis Elia schließlich aufsteht und zurückkehrt.

Die Geschichte des Propheten Elia ist eine Geschichte, die von der Hoffnung erzählt und woher sie kommt, wenn ein Mensch sie verloren hat.
Die Hoffnung kommt durch Gott und durch seine Boten oder Engel, die er schickt zur rechten Zeit.
Es gibt Hoffnung, immer.
Hoffnung in und für dieses Leben
und Hoffnung, die weit über dieses Leben hinausreicht.


Es gibt Menschen, die werden anderen zu Engeln und Heiligen.
Und es gibt sie auch in unserer Gemeinde.
Da haben sich Frauen zusammen getan und vor zwei Wochen in unserem Gemeindehaus eine Kleiderkammer eröffnet.
Da engagieren sich Menschen bei der Fürther Tafel,
und stellen sich jeden Mittwoch ins Gemeindehaus, um in der Suppenküche zu kochen und um Lebensmittel auszugeben,
an die, die darauf angewiesen sind.
Da gibt es Menschen, die engagieren sich in einem Hospizverein,
begleiten Sterbende und trösten die Angehörigen,
nehmen sie in den Arm und sind einfach nur da.
Da gibt es Menschen, die überweisen eine Spende an die Erdbebenopfer in Haiti oder legen etwas ein im Advent für „Brot für die Welt.“
Es gibt Menschen, die nicht nur auf sich selber schauen,
sondern die die Hoffnungslosigkeit vieler anderer auch sehen.

Und sie helfen, weil sie sich geborgen wissen in ihrem Glauben an Jesus Christus. Weil sie wissen, dass ihnen der Morgenstern leuchtet und der helle Schein des Sterns von Bethlehem für viele reicht.

Bei Paulus heißt es:
Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.

Liebe Gemeinde, es ist in den letzten Monaten immer wieder viel von den Leistungsträgern unserer Gesellschaft zu hören. Viel wichtiger scheint mir allerdings die Erkenntnis zu sein, dass wir als Christen und Christinnen nicht in erster Linie Leistungsträger sind, sondern Licht – und Hoffnungsträger unseres Glaubens. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

20100111

Martin Adel: Das Wichtigste im Leben

31.12.2009 - Altjahresabend
Röm 8,31b-39

Liebe Gemeinde,
1. Was ist das Wichtigste im Leben?
Was ist das Wichtigste im Leben?
Dass jemand zu mir hält!
Nicht, dass der alles gut heißt, was ich mache. Ja im Gegenteil: Manchmal ist der, der zu mir hält, mein größter Kritiker. Aber nicht, weil er mich nieder ringen möchte um sich selbst dabei groß zu machen, sondern weil er sieht, wie ich mich verrenne und verkämpfe. Und er spricht mich an, nicht aus Eigensucht, sondern aus Liebe. Und darum fragt er mich, hinterfragt mich und ich antworte ihm, aus Liebe.

Was ist das Wichtigste im Leben? Dass jemand zu mir hält!
Denn das macht stark. Unbändig stark. Und es macht mutig – nicht hochmütig. Mutig macht es, dass ich mich zeigen kann mit all meinen Fähigkeiten, meinen Ideen und meinen Fehlern.
Wenn ich weiß, dass jemand zu mir hält, kann ich es aufnehmen mit den Herausforderungen des Lebens.
Und ich lerne mich im Licht des anderen zunehmend mehr zu erkennen. Die hellen und die dunklen Seiten. Die Seiten, die mir gefallen und die, die ich gerne verstecken würde. Doch im sich zeigen verliert auch das Dunkle seine Schrecken und gemeinsam kann man ihm die Stacheln ziehen.

Das sind die Erfahrungen von politisch Gefangenen genau so wie von kranken Menschen, die gemeinsam mit ihren Angehörigen dem Tod entgegen sehen oder Familien, die vor Herausforderungen stehen wie z.B. Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder alles aufgeben und der Arbeit hinterher ziehen müssen. Dass jemand zu mir hält und auf mich wartet, mich besucht, an mich denkt, um mich weiß – das ist das Wichtigste im Leben.

2. Menschliche Stärkung zum Leben
In der Regel reden wir so von Menschen.
Frisch verliebt, kann man plötzlich Bäume ausreißen. Der, der sich vorher noch wie ein hässliches Entlein fühlte, Pickel im Gesicht, Übergewicht auf den Hüften – sieht sich anders im Spiegel: begehrt, gewollt und das macht stark.
Dem Sterbenden ins Ohr geflüstert: Wir brauchen dich doch noch! Dringt dieses Wort manchmal sogar durch bis ins letzte Koma und mobilisiert alle Kräfte und er kommt noch einmal zurück.
Der Pendler bricht ungern, aber mit einer Perspektive auf zu seinem Arbeitsplatz in der Ferne und manche sind lange weg, aber sie halten es aus – alle zusammen - über Jahre, weil darüber in großen Lettern steht: Ich brauche dich. Ich halte zu dir. Ich warte auf dich. Hier wie dort.
Und das ist bei weitem nicht immer Romantik pur, sondern konfrontiert mit der harten Realität, mit all den Fragen und Mühen und Schwächen und Anstrengungen und Einbrüchen.

Auf Vertrauen beruhen all diese Gefühle und Empfindungen. Auf der freimütigen Hingabe und Liebe.
Keine Sicherheit – die ja auch kein Trauschein bieten kann oder die Blutsbande, sondern eine Gewissheit im frei geschenkten Vertrauen.
Umso schlimmer wiegen deshalb die Verletzungen, die wir gerade an diesen Stellen auch erleben. Und vieles an verängstigtem und abweisendem und zurückgezogenem Leben kommt aus den Verletzungen, die wir erlebt haben, wenn keiner zu mir hält. Aufgrund der Enttäuschungen verschließen wir uns. und schneiden uns dadurch von dem ab, was wir so dringend zum Leben brauchen: diese Erfahrung, dass jemand zu mir hält! Und der Kreislauf in die Einsamkeit beginnt.

Ein alter Schulfreund hat mir aus seinem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik folgendes Zitat von Richard Beauvais geschickt:
„Wir sind hier, weil es letztlich kein Entrinnen vor uns selbst gibt. Solange der Mensch sich nicht selbst in den Augen und Herzen seiner Mitmenschen begegnet, ist er auf der Flucht. Solange er nicht zulässt, dass seine Mitmenschen an seinem Innersten teilhaben, gibt es für ihn keine Geborgenheit. Solange er sich fürchtet, durchschaut zu werden, kann er weder sich noch andere erkennen – er wird allein sein. … Hier in der Gemeinschaft kann ein Mensch erst richtig klar über sich werden und sich nicht mehr als den Riesen seiner Träume oder den Zwerg seiner Ängste sehen, sondern als Mensch, der – Teil eines Ganzen – zu ihrem Wohl seinen Beitrag leistet. In solchem Boden können wir Wurzeln schlagen und wachsen; nicht mehr allein – wie im Tod – sondern lebendig als Mensch unter Menschen.“

3. Göttliche Stärkung zum Leben
Was wir in der Regel in der Gemeinschaft unter Menschen erleben, in der Partnerschaft, in der Familie, in der Freundschaft, das erlebt Paulus in noch viel größeren Maße im Glauben.
Und diese Erfahrung ist so umfassend, dass sie sogar über alle Erfahrungen und Enttäuschungen im realen Leben hinausträgt und ihn teilhaben lässt an einer göttlichen Gewissheit, die hält und es ihn deshalb mit der ganzen Welt aufnehmen lässt und ihn mutig macht zum Bekenntnis der Liebe Gottes zu uns Menschen, vor der ganzen Welt – bis hin zu seinem eigenen Tod.
Im Römerbrief hat er es aufgeschrieben und dieses Wort ist uns zu Gottes Wort geworden, wenn es dort im 8. Kapitel heißt:
31 Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.
34 Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.
35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?
36 Wie geschrieben steht (Psalm 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«
37 Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.
38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.


Was für ein Wort am Ende dieses Jahres, wo wir noch einmal an die Realität des Terrors erinnert werden, an die Gewalt in der Welt und die Sorgen und Nöte der Menschen hier unter uns und neben uns und dort, wo sie sogar oft mit dem eigenen Leben und dem Leben der Kinder bezahlt werden.
Wie oft machen uns die Schrecken der Welt und die eigenen Enttäuschungen mundtot und wir ziehen uns zurück ins Private, anstatt dem Wort Gottes zu Glauben und Kraft daraus zu schöpfen
35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? 36 Wie geschrieben steht (Psalm 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«
37 Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.


4. Ermutigende Gewissheit
Natürlich ist das ein großes Wort und wer von uns schafft es schon, so einen Glauben zu haben. Doch das sollte uns nicht abbringen, dem immer wieder hinterher zu glauben und neu zu beginnen mit dem Vertrauen. Nicht aus der Sicherheit, die uns vielleicht eine Lebensversicherung zu garantieren vermag, dass meine Angehörigen dann eine Zeit lang finanziell abgesichert sind, sondern aus der Gewissheit, dass sich ein Weg finden wird, für mich, für den anderen, für uns, um in diesem Leben zu bestehen und nicht unter zu gehen, weil wir uns von Gott leiten lassen und auf ihn trauen, je länger desto mehr, bis es uns zur alles überwindenden Gewissheit wird und wir darüber mutiger werden und freier und unser Leben verantwortlich gestalten, gestärkt aus diesem Glauben, so wie es hier steht:
38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Amen

Ute Lehnes-de Fallois: Ein Mensch im Angesicht Gottes

27.12.2009 - 1. Sonntag nach Weihnachten

Liebe Gemeinde!

1. Der Anfang des Briefes

Hier schreibt jemand nicht klar strukturiert,
sondern es klingt ein wenig unsortiert, aufgeregt, atemlos.
So als könne er es gar nicht erwarten, das zu sagen, was er sagen will.
Da überschlagen sich die Gedanken,
und manches schreibt er gleich mehrmals,
so wichtig und so dringend scheint es ihm zu sein.

Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben – vom Wort des Lebens –. Und das Leben ist erschienen und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist, das verkündigen wir euch, damit ihr mit uns Gemeinschaft habt. Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.

Jetzt ist es heraus !
Wie ein Kind, das am Heiligen Abend ein ebenso unvermutetes wie überwältigendes Geschenk in Händen hält, und Papa und Mama am Ärmel zerrt. Damit auch sie endlich dieses Wunderwerk anschauen.
Damit auch sie sehen, wie herrlich es ist,
wie wunderbar.
Wie aufregend.
Wie umwerfend.

Überwältigt, so klingt der Anfang dieses Briefes, den unser Predigttext darstellt.

2. Der Grund des Briefes

Schauen wir etwas nüchterner hin, so erkennen wir:
Der Grund all dieser Aufregung ist die Freude
Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei!

Ich kenne dieses Gefühl -
wenn ich jetzt nicht sofort jemanden anrufe,
ihm eine sms schicke, es beschreiben darf
und es wieder und wieder erzähle, dann platze ich.
Das ist so bei großem Glück, so wie hier,
aber auch in großer Angst.
Auch großer Ärger muss sich so mitteilen.
Die großen Gefühle wollen heraus.
Sie brauchen ihren Ausdruck.
Ich rede mit Händen und Füßen und all den Worten, die mir zur Verfügung stehen.
Und ich brauche ein paar Ohren und ein Herz,
dem ich es anvertrauen kann.

Wenn sich etwas so stark mitteilen will,
dann ist es nichts Banales.
Nein, dann ist es etwas, was unser Herz zutiefst bewegt,
so sehr bewegt, dass sich diese Bewegung Raum schaffen muss.

Es ist das Leben selbst, das sich ausdrücken will,
um das es geht,
das Leben in den Freuden, wie in den Leiden,
das sich hier im ersten Brief des Johannes mitteilen will.

3. In den Freuden

Was von Anfang an war,
was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen,
was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben –
vom Wort des Lebens !

Das ist Weihnachten mit allen Sinnen.

Das ist Weihnachten, an dem es etwas zu hören, zu sehen, zu betrachten und zu spüren gibt.

3.1. Hören: die Weihnachtsgeschichte

Was wir gehört haben, das ist die Weihnachtsgeschichte.
Alle Jahre wieder.
Alle Jahre immer wieder Lukasevangelium Kapitel 2 mit seinem Beginn: „Es begab sich aber zu der Zeit....“
Und es ist gut,- sehr gut sogar-,
dass wir alle Jahre wieder zum Fest diese eine Geschichte von dieser wunderbaren Geburt Jesu in Niedrigkeit hören. Damit wir hören, wie Gott Mensch wird, wahrer Mensch und wirklicher Mensch und uns wahr und wirklich zur Seite steht in allem, was einen Menschen betrifft.
Geboren als kleines Baby mitten hinein in die Abgründe dieser Welt.
Gekommen für alle, die am Abgrund stehen, um sie vor dem Sturz in Nichts zu bewahren.

Dazu haben wir heute im Evangelium gehört, dass Jesus im Tempel „dargestellt“ wurde. Dass seine Eltern für ihren erstgeborenen Sohn Gott im Tempelkult ein kleines Opfer darbringen, so wie es das Gesetz des Mose vorschreibt. Jesus ist ein jüdischer Junge, dessen Eltern, sich an die Riten und religiösen Vorschriften halten, die der Tempel so hat.

Was wir gehört haben.
Es ist gut, jedes Jahr aufs Neue die Botschaft der Engel zu hören: „Fürchtet euch nicht, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren., welcher ist Christus, der HERR in der Stadt Davids.“

Dessen Geschichte ist es, die den Schreiber unseres Briefes so begeistert.
Konkret die Menschlichkeit unseres Heilandes,
die zugleich auch den himmlischen und göttlichen Frieden ausstrahlt und diesen Frieden bis heute zu uns bringt.
Das ist es, was sein Herz so bewegt, dass es einfach raus muss, dass es sich mitteilen will, dass es verkündigt und weitererzählt werden muss, sonst ist die Freude nicht vollkommen.

3.2. Sehen: das Krippenspiel

Was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen.
Alle Jahre wieder sehen wir es wieder.
Alle Jahre wieder verwandelt sich unser Altarraum am Heiligen Nachmittag in eine Bühne, auf der wir diese Geschichte von der Geburt Jesu nachspielen.
Alle Jahre wieder, Maria und Josef, die Herberge, die Engel, die Hirten, die Krippe und der Stern von Bethlehem. Alle Jahre wieder die Kerzen, der Baumduft und Lichtschein, mystisches Dunkel und Erleuchtung für die Herzen. Alle Jahre wieder spielen wir diese Geschichte für die Kinder unserer Gemeinde nach, damit sie sie hören sehen, riechen, spüren und erleben.
Freilich – wir könnten auch einmal ein modernes Weihnachtsstück spielen, „ein Tannenbaum erzählt“ oder „Hilfe, die Herdmanns kommen“, da gibt es nette Sachen und doch entscheiden wir uns jedes Jahr wieder für eben diese klassische Fassung. Weil es wichtig ist, dass sich diese Geschichte, so wie sie uns Lukas erzählt, den Kindern einprägt.
In diesem Jahr haben dann sogar vier Engel gepredigt.
Drei ehemalige Konfirmandinnen, die Jacqueline, die Vanessa, die Tamara und eines unserer Hortkinder, die Alexandra. Und ich hoffe alle, die bei unserem Krippenspiel mitgemacht haben, werden die Geschichte in ihrem Herzen behalten. Weil es eben etwas Besonderes ist, dieses Krippenspiel nicht nur zu sehen, das auch, sondern in ihm auch eine Rolle zu übernehmen.

3.3. Betrachten: die Krippenausstellung

Was wir gehört, was wir gesehen und was wir mit unseren Augen betrachtet haben.

Über 30 Krippen waren in diesem Jahr am 2.Advent in unserer Kirche zu betrachten, anzuschauen, zu bestaunen. Betrachter kamen miteinander ins Gespräch, Menschen, die sich zuvor gar nicht kannten, die sich vielleicht auch so schnell nicht mehr wieder sehen werden. Doch an diesem Nachmittag hat sie das gemeinsame Betrachten verbunden. Das Betrachten und das Reden über die Krippen, über weihnachtliche Erfahrungen und über manch persönlichen Lebensweg.

Denn im Betrachten der Krippen und ihres weihnachtlichen Szenarios wird schnell auch mein Leben und Szenario sichtbar. Mein persönlicher Lebensweg als Hirte, als König, als Ochs im Stall, als Esel vor dem Jesuskind.
Und so wurde in manchen Gesprächen dann auch der gemeinsame Glaube und der einander verbindende Grund dieses Glaubens offenbar: die Geschichte vom Leben, vom Leiden und vom Auferstehen Jesu Christi.
Das ist unsere gemeinsame christliche Tradition.
Sie verbindet die Jungen mit den Alten, die Katholiken mit den Protestanten, die Christen weltweit. Eine Krippe aus Peru sieht anders aus als eine aus Südtirol, eine aus Afrika anders als eine aus Franken, eine Playmokrippe, die ein Kind gebaut hat sieht anders aus als eine die ganz aus Stoffen und Wolle gewirkt ist. Und doch erzählen sie alle das gleiche, wollen uns alle das gleiche vor Augen stellen und in unser Herz eindringen lassen:

JA – „Gottes Sohn ist Mensch geborn, ist Mensch geborn,
hat versöhnt des Vaters Zorn, des Vaters Zorn.“
Und der liturgische Chor wird jetzt dieses Weihnachtslied, das wir in der Christnacht gesungen haben, für uns anstimmen:

Liturgischer Chor: mit EG 29 (Quempas)

3.4. Betasten : Kann man Gott betasten ?

Was wir gehört haben, was wir gesehen und betrachtet haben und unsere Hände betastet haben ....

Können wir das ?
Gott betasten? Gott anfassen?
Und wenn JA, wie geht das ?

Der alte Simeon, von dem unser Sonntagsevangelium erzählt, hat sich da schon leichter getan. Als er Maria und Josef im Tempel sieht, da nimmt er das Jesuskind auf seinen Arm, lobt Gott und spricht:
„Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben den Heiland gesehen.“
Und mit dem „gesehen“ meint er „berührt“.
Ganz bestimmt und ohne jeden Zweifel nimmt Simeon Jesus auf den Arm. Und er ist sich gewiss: das ist der Heiland, der Retter meines Lebens und nun kann ich in Frieden sterben.

Und wir, die wir nicht Zeitzeugen des irdischen Jesus sind –
können wir Jesus berühren, Gott betasten, ihn auf unserer Haut spüren, ihm nahe sein?

Eine solche Berührung, bei der Gott seinerseits uns nahe kommt und uns berührt, geschieht im Abendmahl.
Da halte ich den Leib Christi in meinen Händen und ich umgreife den Kelch und trinke daraus. Christi Leib, für dich gegeben, Christi Blut für dich vergossen.
Und dieses Berühren, dieses Betasten mit den Händen ist sogar eigentlich die dichteste der beschriebenen Sinneswahrnehmungen.

Wobei ich dazusage und zugebe, dass jeder Mensch die Berührung mit Gott oder auch das Greifen nach Gott anders empfindet und erlebt.
Und darum ist es schwierig, etwas allgemein gültiges darüber zu sagen. Weil es eben jeder Mensch ganz eigen erlebt.

Ein neu geborenes Kind auf dem Arm zu halten, das ist wahrscheinlich für viele Menschen so etwas wie das Betasten Gottes – da ist neues Leben auf die Welt gekommen, ein neues Ebenbild, ein neues Geschöpf. Da schaut mich ein Bild Gottes an und wenn ich Glück habe, dann lächelt es mich sogar noch an.
Der alte Simeon sagt daraufhin: „und nun kann ich in Frieden fahren.“
Vielleicht sind wir nach 2000 Jahren in unserem Betasten Gottes in einem neugeborenen Kind da gar nicht so weit vom alten Simeon weg.

3.5. Riechen

Weihnachten mit allen Sinnen –
Hören, sehen, betrachten, betasten, schmecken mit dabei wie im Abendmahl.
Das Riechen fehlt noch, das womöglich Anrüchige, an das man beim Kind in der Krippe nicht denken mag, aber bei jedem Neugeborenen nicht „überriechen“ kann, wenn die Windel ihren Dienst getan hat.

Wir machen in der Kirche selten deutlich, wie wichtig es ist, sich hier zu riechen und auch riechen zu können.
Gehe ich bei Gelegenheit in eine fremde Kirche, dann rieche ich es.
Und ich habe schnell ein Gespür dafür, ob ich dazu gehören mag oder lieber schnell wieder gehe. Über andere die Nase rümpfen ist wohl der vergleichbare Vorgang, nur als Abgrenzung verstanden.
Wie kommt es, dass man sich in einer Gemeinde und in der Kirche und im Gottesdienst riechen kann und da bleibt?
Und wäre es möglich, noch ein bisschen mehr Wohlgeruch zu verbreiten, der andere atmosphärisch anzieht und einlädt, mit dabei zu sein?

4. In der Angst

Das ist Weihnachten mit allen Sinnen.

Das ist es, was unseren Briefschreiber, nennen wir ihn mit der Tradition Johannes, so begeistert.
Weil Gott uns in Jesus Christus zum Anfassen nahe kommt,
indem Christus unser Bruder geworden ist, ein Bruder zum Umarmen.

Dieses Menschsein Jesu, das ist es, was Johannes so begeistert und darum beginnt er seinen Brief so voller Überschwang und Freude, weil er genau das Weitersagen will an die nächste Generation.
Weil er diese junge christliche Tradition bewahren will.
Weil er dieses Geschenk Gottes im Gesamtpaket behalten möchte,
weil ihm an dieser Geschichte Jesu alles wichtig ist vom Anfang bis zum Ende und dann nach dem Ende am Kreuz der neue Anfang an Ostern:
Vom Wort des Lebens, so nennt er das Evangelium.
Und alles davon sollen wir behalten als verbindenden Ursprung und Grund unserer Kirchen.
Und nicht die Teile entsorgen, die dem Zeitgeist nicht entsprechen.

Johannes hat seinen Brief am Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben und ihn treibt auch die Angst um. Die Angst, dass der Hellenismus siegt und dass Jesus nur noch als eine göttliche Idee betrachtet wird und nicht mehr als Mensch aus Fleisch und Blut,
nicht mehr als unser Bruder,
nicht mehr als einer, der unser Leben gelebt hat, der unseren Tod gestorben ist und der auferstanden als Mensch für uns.

Darum sprudelt es so aus ihm heraus,
weil er bewahren möchte,
was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen und betastet haben mit unseren Händen.
Obwohl Johannes selbst schon einer der nachfolgenden Generationen angehört hat, will er die Bilder, die Worte, die Empfindungen der Tradition, dessen, was von Anfang an war, bewahren.

Weil diese Geschichte eben so wunderbar,
so aufregend, so umwerfend, so überwältigend ist,
so alt und doch auch immer wieder so ganz neu.
Eine Geschichte für alle Sinne.
Wort des Lebens,
Wort des lebendigen Gottes.

Anrede auch an uns, zu hören, zu sehen, zu betrachten, zu schmecken, zu riechen. Und bei alledem unseren Sinn und Geschmack für das Unendliche zu erproben, damit wir spüren, dass an Weihnachten nicht nur Gott Mensch geworden ist, sondern dass auch wir selbst durch Weihnachten immer wieder neu Mensch werden.
Ein Mensch im Angesicht Gottes,
Bruder und Schwester unseres Heilandes.
Amen.

Werner Otto Sirch: Gottes Freundlichkeit und Menschliebe

26.12.2009 - Christfest I Titus 3,4-7

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Freundlichkeit, Menschenliebe Gottes – welch wunderbare Worte. Das geht in mich rein, spricht zu meinem Herzen. Da kommt mir Gott ganz nahe. Nimmt meine Angst. Angst vor Autoritäten, meine Angst am Ende doch nicht genügen zu können.

Ich möchte Ihnen eine Weihnachtsgeschichte vorlesen, die vielleicht irgendwann und irgendwo so passiert ist. Eine Geschichte, ein Märchen vielleicht, die versucht etwas vom Wesen der Freundlichkeit und Liebe Gottes zu zeigen.

Ein kleiner junge ist stolz darauf, einen Großvater zu haben, der Figuren schnitzen kann. Es ist schon faszinierend zuzusehen, wie aus einem Stück Holz langsam „lebendige“ Gestalten entstehen. Der Junge vertieft sich so in die geschnitzten Krippenfiguren, dass sich seine Gedanken mit der Welt der Figuren vermischen: Er geht mit den Hirten und Königen in den Stall und steht plötzlich vor dem Kind in der Krippe. Da bemerkt er: seine Hände sind leer! Alle haben etwas mitgebracht, nur er nicht. Aufgeregt sagt er schnell: „Ich verspreche dir das Schönste, was ich habe! Ich schenke dir mein neues Fahrrad ﷓ nein, meine elektrische Eisenbahn.“

Das Kind in der Krippe schüttelt lächelnd den Kopf und sagt: „Ich möchte aber gar nicht deine elektrische Eisenbahn. Schenke mir deinen ﷓ letzten Aufsatz!“

„Meinen letzten Aufsatz?“, stammelt der Junge ganz erschrocken, „aber da steht doch .... da steht >ungenügend< drunter!“

„Genau deshalb will ich ihn haben“, antwortet das Jesuskind.

„Du sollst mir immer das geben, was >nicht genügend< ist. Dafür bin ich in die Welt gekommen!“

„Und dann möchte ich noch etwas von dir“, fährt das Kind in der Krippe fort, „ich möchte deinen Milchbecher!“ Jetzt wird der kleine Junge traurig: „Meinen Milchbecher? ﷓ Aber der ist mir doch zerbrochen!“

„Eben deshalb will ich ihn haben“, sagt das Jesuskind liebevoll, „du kannst mir alles bringen, was in deinem Leben zerbricht. Ich will es heil machen!“

„Und noch ein Drittes möchte ich von dir“, hört der kleine Junge wieder die Stimme des Kindes in der Krippe, „ich möchte von dir noch die Antwort haben, die du deiner Mutter gegeben hast, als sie dich fragte, wieso denn der Milchbecher zerbrechen konnte.“

Da weinte der Junge. Schluchzend gesteht er: „Aber da habe ich doch gelogen. Ich habe der Mutter gesagt: >Der Milchbecher ist mir ohne Absicht hingefallen.< Aber in Wirklichkeit habe ich ihn ja vor Wut auf die Erde geworfen.“

„Deshalb möchte ich die Antwort haben“, sagt das Jesuskind bestimmt, „bring mir immer alles, was in deinem Leben böse ist, verlogen, trotzig und gemein. Dafür bin ich in die Welt gekommen, um dir zu verzeihen, um dich an die Hand zu nehmen und dir den Weg zu zeigen ...“ Und das Jesuskind lächelt den Jungen wieder an. Und der schaut und hört und staunt...

Freundlichkeit Gottes. Ganz anders als wir uns das vorstellen können. In eindrucksvoller Weise zeigt uns diese Geschichte das freundliche Gesicht des Jesuskindes. Es ist ein Gesicht, das Menschlichkeit ausstrahlt. Ein Gott der uns nicht fertigmacht und verurteilt, sondern versteht und uns annimmt, mit allen unseren Problemen und Problemchen. Ich weiß nicht welches Bild Sie von Gott haben, liebe Gemeinde. Es wird ein sehr unterschiedliches sein.

Viele sehen in Gott einen, vor dem man Angst und Furcht haben muss, von dem man Strafe erwartet und seinem Zorn ausgeliefert ist. Ein unnahbarer Gott, dem man besser nicht in die Quere kommt.

Unser heutiger Predigttext zeigt aber ein ganz anderes Gottesbild. Der frühere sächsische Landesbischof Werner Krusche hat es so formuliert: „Gott hat mit seiner Menschenliebe eine Gegenbewegung gegen die Unmenschlichkeit in allen ihren Gestalten eingeleitet, so dass wir die Hoffnung auf eine menschliche, brüderliche Welt nicht aufzugeben brauchen und miteinander ein Fest feiern können. Das Fest der Menschlichkeit.“

Wie gut tun uns Menschen, die Menschlichkeit ausstrahlen. Es schafft Vertrauen, man fühlt sich verstanden, angenommen. Und nun erfahren wir im Titusbrief, dass wir so einen menschlichen Gott haben, nicht einen fernen, unnahbaren, dem man nicht trauen kann. An Weihnachten feiern wir diesen menschlichen Gott, der Mensch geworden ist, der seine Macht und Herrlichkeit beiseite gelegt hat und einer von uns geworden ist. Mensch geworden in unwirtlichen Verhältnissen, als uneheliches Kind in einem Stall geboren, nicht im Luxus. Wir feiern ein Fest der Menschlichkeit, wie Krusche es so wohltuend formuliert.

Wie war es denn gestern, am Heiligen Abend und wie ist es heute? War es ein Fest der Menschlichkeit, oder sind wir schon wieder ernüchtert und müssen den Heiligen Abend erst richtig verdauen? Sind wir schon wieder aufgewacht aus einem Traum von Liebe, Freundlichkeit, Nähe, Wärme, Hoffnung, der scheinbar von uns nicht eingelöst werden kann? Wenn Berufsschüler, auf Weihnachten angesprochen, erzählen, dass sie am Heiligen Abend aus ihrer Familie in die Kneipe flüchten und sich betrinken, weil sie das verkrampfte Liebsein und den Streit ihrer Eltern nicht aushalten können, dann habe ich Zweifel ob Gottes Menschlichkeit uns an Weihnachten erreicht.

Auch in der atheistischen alten DDR wurde Weihnachten gefeiert, mit all dem was unserer Weihnachtsfest ausmacht: Tannenbaum, Lichter, Plätzchen, Geschenke, Weihnachtslieder von der Schallplatte, Gansbraten und was zu einem Festessen dazugehört. Ein Fest der Liebe, ein Fest der Familie. Weihnachten, einen Tag verkrampfter Menschlichkeit, ohne Bezug zur Ursache des Festest, der oft genug dann auch gründlich in die Hose ging. An keinem Tag im Jahr wird so viel gestritten, wie ausgerechnet am Heiligen Abend.

Wir erfahren an Weihnachten Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe, so sagt es uns Paulus in seinem Brief an den Bischof Titus. Warum steckt uns das nicht an? Warum müssen wir heute, trotz all der guten Vorsätze, die enttäuschten Erwartungen des Heiligen Abends bewältigen? Wo doch Weihnachten das Fest der Liebe und des Friedens ist und Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe uns auch dann gilt, wenn wir es gar nicht merken.

Wir brauchen dieses Fest – einmal im Jahr – trotz allem. Einmal im Jahr sich Gedanken machen, was dem anderen Freude bereiten könnte. Einmal im Jahr die Überraschung was sich andere für mich ausgedacht haben, einmal im Jahr beschenkt werden, die Lichter, die Lieder, der Gottesdienstbesuch, das Festessen, die feierliche Stimmung – einmal im Jahr – man möchte und kann es nicht missen. Ein Höhepunkt – für manche auch Ort der Trauer, wenn sie an diesem Tag einen geliebten Menschen ganz besonders vermissen.

Wie schnell ist es wieder vorbei, das Fest, auf das wir hingearbeitet hatten, das unsere Gedanken geprägt hat. Wie schnell ist es verrauscht, der Kick vorbei. Auch die festlichen Gottesdienste sind vorbei. Heute erleben wir im Gottesdienst schon fast wieder Alltag. Wenn nicht die Stadtkantorei da wäre, wir würden es fast nicht bemerken, dass wir heute den freudigen und ganz besonderen Tag der Menschlichkeit und der Freundlichkeit Gottes feiern.

Wenn wir Weihnachten nur als das Fest unserer Menschlichkeit feiern, dann sind wir ganz schnell an unserer Grenze angelangt, dann wird dieses Fest der Liebe, der Familie schnell hohl und leer und wie ein schöner Traum verfliegen, der bei manchen einen schalen Geschmack hinterlässt.

Weihnachten ist das Ereignis der Zuwendung Gottes zur Welt. Darin liegt die Kraft und der Sinn von Weihnachten. Gott tut etwas an uns. Gott beschenkt uns, handelt an uns. Etwas das länger anhalten will als nur am 24. Dezember und vielleicht auch noch über die Feiertage hinweg. Gott möchte uns in die Erfahrung einer Erneuerung hineinführen: Es ist etwas anders geworden, Gott ist Mensch geworden. Und die Begegnung mit diesem Mensch gewordenen Gott, die Begegnung mit dem Kind in der Krippe, verändert uns und kann uns erneuern. Wir haben das bei unserer Taufe erlebt: Das Alte wird abgewaschen. Wir werden vor Gott rein, unser bisheriges Leben wird begraben, wir stehen auf zu einem neuen Leben, in dem wir mit Jesus verbunden sind. Jesus das Licht der Welt, das in unsere Herzen scheint.

An diese rettende Erfahrungen erinnert uns Weihnachten. Denn ohne, dass Gott Mensch geworden ist, gäbe es auch nicht die Erlösung, die Jesus für uns am Kreuz vollbracht hat. Rettende Erfahrungen können wir nicht selbst herbeiführen – sie werden geschenkt.
Weihnachten kann solch eine Erfahrung der Erneuerung unseres Lebens sein, weil uns an diesem Tag die Freundlichkeit und Menschlichkeit unseres Gottes trifft und unser Herz bewegt. Wir begegnen einem Gott, der in seiner Liebe zu uns Menschen alles auf sich genommen hat – auch einen schrecklichen Tod am Kreuz.

Darum lasst uns hingehen zur Krippe und sehen was da geschehen ist, was Gott für uns getan hat. Lasst uns hingehen und über Gottes Menschlichkeit und Freundlichkeit staunen. Lasst uns unser Herz öffnen, dass Gottes Menschlichkeit und Freundlichkeit bei uns einziehen kann, so wie Paul Gerhardt das 1653 gedichtet hat:
Eins aber, hoff ich, wirst du mir,
mein Heiland nicht versagen:
dass ich dich möge für und für
in, bei und an mir tragen.
So lass mich doch dein Kripplein sein;
komm, komm und lege bei mir ein
dich und all deine Freuden.
Amen.

Martin Adel: Christmette

24.12.2009 Röm 1,1-7

Liebe Gemeinde,
zu dieser späten Stunde begegnet uns Gott noch einmal. Doch nicht im Stall in der Krippe, so wie wir es vielleicht eben noch zu Hause gefeiert haben unter unserem Christbaum.
Den Ablauf zelebriert wie jedes Jahr und die Krippe war bereits aufgebaut. Und da standen sie: die Hirten und dort drüben die Könige. Sie sind schon unterwegs. Maria und Josef haben auch ihre Plätze eingenommen und Ochs und Esel warten gespannt, was da kommen wird. Doch die Mitte war noch leer.
Und dann ist es endlich so weit: Die Kerzen am Baum werden angezündet. Aus dem Gedächtnis singen wir 2,3 Lieder. Die Kinder, die Enkel sind kaum noch zu halten, doch Warten muss auch gelernt sein. Danach, als Höhepunkt – wenn eigentlich keiner mehr kann, wird das Weihnachtsevangeliums verlesen und mit dem Verklingen der letzten Wort wird das Jesuskind in die Krippe gelegt. Jetzt endlich ist alles vollständig. Denn Weihnachten ohne das Christuskind wäre kein Weihnachten. Es gäbe keinen Grund zu feiern.

Doch so beschaulich, wie in unseren Wohnzimmern geht es in dem Predigttext für die heutige Christnacht nicht zu. Die Worte sind theologischer, akadamischer, abstrakter und dennoch helfen sie uns zu begreifen, was wir eigentlich sehen, wenn wir die Mitte der Krippe betrachten. In dem Kind begegnet uns die Wahrheit Gottes und die beschreibt Paulus wie folgt: (Römer 1,1-7)
1 1 Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert zu predigen das Evangelium Gottes,
2 das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift,
3 von seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch,
4 und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten.
5 Durch ihn haben wir empfangen Gnade und Apostelamt, in seinem Namen den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden,
6 zu denen auch ihr gehört, die ihr berufen seid von Jesus Christus.
7 An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!


Mit diesen Worten beginnt Paulus sein Schreiben an die Gemeinde in Rom. Das Intro, das Vorspiel sozusagen, bevor man zum Eigentlichen kommt.
Doch es wäre nicht Paulus, wenn er nicht schon hier am Anfang das in seinen wesentliche Punkten zusammen fasste, was er danach breiter ausführt.

In Christus sehen wir das neue Wort Gottes – das Evangelium, die gute Nachricht. Nichts anderes. Angekündigt bereits in den Schriften des Alten Testaments erfüllen sich in ihm die alten Verheißungen. Der Gesalbte Gottes, der Messias, der Christus zeigt sich bereits hier. Hinter der äußeren Geschichte von Herbergssuche und Schutzlosigkeit in der Welt zeigt sich die andere Geschichte Gottes, zu der wir auch berufen sind, sie zu verkünden in unseren Wohnungen und in unseren Familien.
Paulus braucht dazu keine Jungfrauengeburt. Nüchtern kann er sagen, was in den Stammbäumen der Evangelien auch nicht anders aufgezählt ist. Dieses Kind ist ein Davidide – d.h. er steht in einer direkten verwandtschaftlichen Linie zu dem großen König David aus vormaligen Zeiten. Jesus Christus, unser Herr, geboren aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch.
Das ist die eine Wirklichkeit. Gott sei Dank. Ganz und gar ein wahrer Mensch aus Fleisch und Blut. So wie ich und du.
Doch zu dem Eintritt Gottes in unsere Wirklichkeit gehört auch der Austrittspunkt. Das Eine nicht ohne das andere. Kein Weihnachten ohne Ostern. Keine Geburt Gottes ohne den Tod und die Auferstehung am Ostermorgen.
Hier in der Krippe beginnt, was erst dort seine ganze Kraft und seine göttliche Dimension entfaltet mit der Auferstehung dieses Kindes von den Toten.

Das Sein zum Tode, wie es so viele Menschen im Heideggerschen Sinne nachsprechen, bekommt hier eine 180 Grad Wende und wird ein Sein zum Leben im Angesicht des Todes.
Viel zu klein machen wir den, den wir da sehen. Viel zu hilflos! Und wir springen IHM bei und meinen selbst alles heil machen zu müssen in dem irrigen Glauben, dass er es bei uns heute besser hätte als damals.

Doch nicht wir sind die Akteure an Weihnachten, sondern Gott ist es. Wir vergessen das nur allzu schnell im Lichterrausch. Noch bevor wir es gedacht haben, hat Gott sich angekündigt und dort, wo wir noch warten ist er bereits angekommen und Paulus kann nur wenige Verse später sagen:
Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist ein Kraft Gottes zum Heil einem jeden, der daran glaubt.

Eine Kraft Gottes zum Heil einem jeden, der daran glaubt – der liegt da. Und dieser Christus kann es aufnehmen mit all unseren Christbaumkugeln und dem Lametta und den hilflosen Versuchen, zumindest an diesen Tagen etwas heile Welt zu schaffen, weil er uns verwandelt, wenn wir nicht immer meinten, selbst handeln zu müssen.
Von ihm berührt, berufen und ausgesandt dürfen wir unsere Welt anschauen und gehalten von dem „Fürchte dich nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren“ dürfen wir in die eigenen Ärmlichkeiten und Heillosigkeiten hinein schauen und darüber erschrecken, welche Kraft doch von diesem Evangelium ausgeht, eine Kraft zur Veränderung und zur Heilung in mir und in meiner Familie.

Wer liegt da in meiner Krippe?
Und die Antwort kann nur lauten: Es ist der Auferstandene!
… geboren … aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, 4 und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten.

Pater Alfred Delp schreibt, angerührt von diesem Kind im Stall, der ihm zum Auferstandenen geworden ist in der Heillosigkeit des 2. Weltkrieges:
„So viel Mut bedarf der Stärkung, so viel Verzweiflung der Tröstung, so viel Härte der milden Hand und der aufhellenden Deutung, so viel Einsamkeit schreit nach dem befreienden Wort, so viel Verlust und Schmerz sucht einen inneren Sinn.“
…. Deshalb „lasst uns hinknien und bitten um die hellen Augen, die fähig sind, Gottes kündende Boten zu sehen, um die wachen Herzen, die kundig sind, die Worte der Verheißung zu vernehmen. Die Welt ist mehr als ihre Last und das Leben mehr als die Summe seiner grauen Tage. Die goldenen Fäden der echten Wirklichkeit schlagen schon überall durch. Lasst uns dies wissen und lasst uns selbst tröstende Boten sein.“

Und so fangen wir noch einmal von vorne an.
… die Mitte ist noch leer. Und dann ist es endlich so weit: Die Kerzen am Baum werden angezündet. Aus dem Gedächtnis singen wir 2,3 Lieder. Die Kinder, die Enkel sind schon zappelig, doch Warten muss auch gelernt sein. Danach, sozusagen als Höhepunkt, wird das Weihnachtsevangeliums verlesen und mit dem letzten Wort wird das Jesuskind in die Krippe gelegt. Und jetzt ist es vollständig. Weihnachten ohne das Christuskind ist kein Weihnachten
Und so schließt sich der Kreis der göttlichen Wirklichkeit, der den Anfang und das Ende umfasst und mich mit hinein nimmt.
Amen

Martin Adel: Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit :

Heiliger Abend 24.12.2009 Christvestper

Predigt - Tit 2,11-14 (Einheitsübersetzung)
11 Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.
12 Sie erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben,
13 während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus.
14 Er hat sich für uns hingegeben, um uns von aller Schuld zu erlösen und sich ein reines Volk zu schaffen, das ihm als sein besonderes Eigentum gehört und voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun.


Liebe Gemeinde
1. Prolegomena
Sie haben es vielleicht auch gelesen, den kleinen Artikel in den Fürther Nachrichten am 3. Adventswochenende. Auf der Titelseite war er eingedruckt mit der provokativen Überschrift: „Weihnachten am besten abschaffen?“ Darunter wird eine Umfrage zitiert mit den Einleitungsworte: „Viele klagen über Stress.“
„Jeder Vierte gibt an, die Feiertage setzten ihn massiv unter Druck“ und „jeder Sechste gibt zu, dass dann zu Hause meist dicke Luft herrscht.“
Gut, man könnte jetzt auch entspannt sagen – dann soll doch die Minderheit von 18,6 Prozent kein Weihnachten feiern und wir, die Mehrheit von 81,4 % könnten uns beruhigt zurück lehnen und sagen:
Passt doch alles.
Doch mal im Ernst, liebe Gemeinde,
wundert es uns, dass die Stimmung in so manchen Familien kippt? Was ist denn aus Weihnachten bei uns geworden? Für viele doch nur noch ein Fest ohne Inhalt. Ein kitschiger Weihnachtsbaum, dschingel bells vom CD-Player und eine Krippe sucht man meistens vergeblich. Ein leeres Fest mit dem krampfhaften Versuch sich über ein Baby zu freuen, mit dem wir gar nichts anfangen können. Wen wundert es da, dass wir dann nur noch erschöpft sind, orientierungslos umherirrend zwischen unseren Gefühls- und Sehnsuchtsfetzen aus Kindertagen.
Wer Weihnachten ohne Christus in der Krippe feiern will, der kann nur erschöpfen. Denn wer liegt denn da im Stall? Ein süßes Eideidei, gutzi, gutzi, gutzi oder ist es der Herr der Welt. Können wir sie noch sehen, die Wirklichkeit damals und die Wirklichkeit heute: sorgenvolle Eltern, abgerissene Hirten, verfolgte Könige und im Hintergrund das Waffengeklirr der kindermordenden Soldaten des Herodes und mitten darin Gott mit uns.
Wenn das Zentrum unseres Glaubens in den Glühweinschwaden und im Lebkuchendunst untergeht, dann muss es uns nicht wundern, dass Weihnachten immer mehr zum Stressfest wird.
Aber was hindert uns, das zu ändern!

Unser diesjähriger Predigttext nötigt uns förmlich, das Weihnachtsfest von dieser anderen Seite zu betrachten – dem Kern unseres Glaubens her.
Kein Wort für Hochglanzbroschüren und Kaufhausgeklimper und vielleicht gerade deshalb das rechte Wort gegen allen Weihnachtsstress. Damit wir nicht den Weihnachtszirkus unserer Tage verwechseln mit dem Weihnachten, das Gott uns schenkt. Und so heißt es im Neuen Testament, im Titusbrief, im 2. Kapitel, die Verse 11 – 14.

2. Die Gnade Gottes ist allen erschienen zur Rettung
11 Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.
Das ist der Anfang. Und so ein Wort tut gut. Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Auch mich und dich. So grundsätzlich und einmalig. Vorbehaltlos. Nicht den Juden nach Geburt oder den Deutschen nach dem Pass, die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Auch mich und dich. Gott sei Dank. Das ist der Anfang!

3. … und erzieht uns
Doch dann geht es weiter. Anders weiter. Kein Zuspruch. Sondern der Aufbruch wird gefordert. Veränderung. Weil eben nicht schon alles heil ist, sondern erst heil werden soll. Und so ruft uns das Wort aus der Krippe zurück und lenkt unseren Blick weg von der Welt und unseren großen Fragen und Anfragen und Problemen und führt uns hin zu uns selbst.
12 Sie (Die Gnade Gottes) erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben,
Kein religiöses Gefühl, sondern ein Erziehungsweg wird beschrieben. Keine romantische Anschaulichkeit, sondern die Rettung besteht darin, dass wir uns erziehen lassen, hin ziehen lassen, uns von Gottlosigkeit und irdischen Begierden loszusagen – und wir wissen von alleine, was damit gemeint ist. Das Leben ohne Gott ist uns ja besser vertraut als mit ihm. Und wenn Fragen aufkommen, dann decken wir sie schnell zu mit unseren Antworten. Und wundern uns dann, wenn wir all diese Selbstberuhiger und Trösterle für unsere gestressten Seelen brauchen.
Dabei gilt sein Wort auch für uns:
11 Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. 12 Sie erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben,

4. … während wir warten
Attraktiv ist daran erst einmal gar nichts, aber heilsam ist es. Und das ganze nicht für einen Gewinn, sondern auf Hoffnung hin. Denn vorweisen können nichts, außer den Worten, die wir nachsprechen und nachglauben und einer Haltung, die von einer anderen Lebenseinstellung Zeugnis ablegt, so wie es hier heißt:
13 während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus.
Die Gemeinde damals wartete, dass sich ihre Hoffnung erfüllt. Und sie wird gestärkt im Warten. Keine Abkürzung, wie bei den vielen anderen Heilsverkündern unserer Tage: Fahr dieses Auto und du fühlst dich frei. Leg dein Geld bei uns an und nächstes Jahr strahlst du vor Glück. Buch diesen Urlaub und du verbringst zwei Wochen im Paradies.

Die Gemeinde wartet „auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus.“
So ein Evangelium lässt sich schlecht verkaufen, in einer Welt, die die sofortige Erfüllung aller Bedürfnisse predigt.
„Warten“ fällt da schwer. Haben und zeigen muss man es und die neue ist die alte Religion: „Haste was, dann biste was.“ „Warten“ kommt da nicht vor. Heute wird gelebt – wer weiß schon, was morgen kommt. Ist das alles, was wir haben?
Und wir stellen erschreckt fest: man kann wirklich nicht gleichzeitig zwei Göttern dienen.

5. … und er hat uns erlöst
Ja, liebe Gemeinde, unsicher sind viele von uns, ob denn die Botschaft noch stimmt, wenn es hier heißt:
14 Er hat sich für uns hingegeben, um uns von aller Schuld zu erlösen und sich ein reines Volk zu schaffen, das ihm als sein besonderes Eigentum gehört und voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun.
Doch sie stimmt, diese Botschaft – es sei denn, wir haben umsonst unsern Baum geschmückt und unsere Krippen umsonst aufgebaut. Die Botschaft gilt - damals wie heute. Aber wir nutzen sie zu wenig. Kritisch distanziert sind wir und merken dabei, wie wir darüber erschöpfen und ermüden.
Denn die Frage will beantwortet sein – auch von mir: Wie stehe ich zu diesem Kind im Stall?
Ist es nur süßer Kitsch, eine liebgewordene Angewohnheit aus Kindertagen oder ist er wahrhaft Gottes Sohn? Gelten die Worte, die er spricht und zeugen sie von einer Wahrheit, die sich als wahr herausstellen wird, auch wenn ich mir oft schwer tue, daran zu glauben? Und gilt es, wenn er zu mir sagt: Dir sind deine Sünden vergeben? Oder gilt es nicht?
Alles Fragen, die meine Antwort wollen. Nicht immer gleich mit dem Brustton der tiefsten Überzeugung, aber doch mit der inneren Gewissheit, dass das, was wir heute feiern etwas mit dem Heiland der Welt zu tun und damit auch mit meinem Heil und der Kraft Gottes, die mir zum Leben hilft.
Nicht wir haben uns das ausgedacht, sondern Gott hat damals einen neuen Anfang gesetzt – dort in Bethlehem im Stall. Und dieser Anfang hat bis heute Gültigkeit. Und wir dürfen daran teil haben, so wie es hier steht:
Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Auch mich.
Und das bedeutet: Auch mich!
Amen