20100723

Werner Otto Sirch: Der neue Mensch

11.7.2010 - 6. Sonntag nach Trinitatis

Predigt Römer 6,2-11

Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? 4 So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. 5 Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleichgeworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. 6 Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. 7 Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. 8 Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, 9 und wissen, dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod kann hinfort über ihn nicht herrschen. 10 Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben ein für allemal; was er aber lebt, das lebt er Gott. 11 So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Die Taufe ist das Thema unseres Predigttextes. Gerade älteren Gottesdienstbesuchern, die in ihrer Konfirmandenzeit noch den Kleinen Katechismus von Martin Luther auswendig lernen mussten, ist es noch im Ohr, was Luther zu diesem Thema schreibt. Im vierten Artikel nimmt er Bezug auf unseren heutigen Predigttext. Es heißt dort:
Was bedeutet denn solch Wassertaufen?
Es bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe.
Wo steht das geschrieben?
Der Apostel Paulus spricht zu den Römern im sechsten Kapitel: Wir sind mit Christus begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.

Wir erleben immer wieder, dass der alte Adam, der alte Mensch, der nach Luther „durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden“, schwimmen kann. Das heißt, er macht uns oft ziemliche Not. Wie das so gehen kann, habe ich in einer kleinen, humorvollen Geschichte gefunden, die Helmut Siegel aufgeschrieben hat:

Der Pfarrer war auf einer Fortbildung gewesen, es ging um Süchte und Abhängigkeiten. Er hatte etwas gelernt. Mit dem Pfeiferauchen sollte nun Schluss sein. Er nahm seine drei Pfeifen, packte sie in ein Kästchen und ging in den großen Pfarrgarten. Unter einem Baum grub er ein Loch und legte das Kästchen mit den Pfeifen hinein, dann schaufelte er es zu, machte einen kleinen Grabhügel, und im Hochgefühl des Triumphs über seine Schwachheit nagelte er ein Schild an den Baum, auf das er schrieb: "Hier ruht der alte Adam!"

Die Pfarramtsgeschäfte häuften sich, zu dem Konfirmandenunterricht kam eine außerordentliche Sitzung des Kirchenvorstandes, dazu zwei Beerdigungen, und als die Arbeit an der Sonntagspredigt überhaupt nicht zum Erfolg führen wollte, ging er in den Garten und grub das Kästchen mit den Pfeifen wieder aus. Er stopfte eine Pfeife, zündete sie an, nahm ein paar Züge und siehe da, auf einmal war er da, der Einfall für die Predigt. Glücklich vor sich hin paffend ging er wieder an den Schreibtisch, keine zwei Stunden später schrieb er das Amen unter die Predigt Er legte die aufgerauchte Pfeife weg, stopfte sich als Belohnung eine neue und ging in den Garten. Da sah er, wie seine Frau das Loch betrachtete, in dem die Pfeifen begraben waren, dann zu dem Schild ging, las, was er geschrieben hatte, sich bückte und mit einem dicken Stift etwas auf das Schild schrieb. Neugierig ging er zu dem Baum, an dem noch seine Frau stand und ihn stirnrunzelnd ansah. Dann las er, was sie geschrieben hatte zu seinem "Hier ruht der alte Adam!" Da stand: "Nach drei Tagen wieder auferstanden!"


So richtig aus dem Leben gegriffen scheint diese Geschichte. Sie zeigt uns, wie es Dinge, Gewohnheiten, Fehlverhalten gibt, die uns richtig hartnäckig im Griff haben. Auch wenn wir das ablehnen und uns über uns selbst ärgern, immer wieder machen wir den gleichen Mist. Wir kommen nicht davon los, können nicht sein lassen was wir eigentlich gar nicht möchten. Der alte Adam, der alte Mensch kann schwimmen. Wir können uns über uns ärgern, können ihn täglich ersäufen, der alte Mensch in uns macht uns schwer zu schaffen.

Paulus sagt, dass dieser alte Mensch in uns, der mit „den Sünden und bösen Lüsten“, sterben muss, damit etwas neues wachsen kann. Ich kann auch ein anderes Bild verwenden: Unser Herzenshaus muss gereinigt, ausgefegt werden. Als entscheidendes Ereignis, dass dieser „alte Mensch“ in uns stirbt, sieht Paulus in unserer Taufe. Er schreibt den Christen in Rom, dass die Taufe auf Jesus Christus ihr altes heidnisches oder jüdisches Leben beendete. So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod. Das ist wie wenn zwei Menschen heiraten. Mit ihrer Heirat gehen sie eine unlösbare Verbindung ein. Es ist ein neuer Stand in dem sie sich dann befinden. Ihre Heirat bestimmt ihr weiteres Leben. Es ist ein anderes, ein neues Leben.

So ist es auch mit der Taufe. Die Entscheidung sich taufen zu lassen, ist die Entscheidung zum Taufbund, zur „Übereignung an Christus“. Es ist ein anderes, ein neues Leben. Sich taufen zu lassen war schon damals, zur Zeit des Paulus, und ist auch heute noch eine öffentliche Entscheidung. Die Getauften werden an Jesus übereignet. Ein Buchhalter würde sagen: Der Getaufte wird auf das Konto von Jesus gebucht. Er wird dem Konto von Jesus gutgeschrieben, ein Haben bei Jesus.

Sich taufen zu lassen ist eine der grundlegenden Entscheidungen, die ein Menschen für sein Leben trifft. Und so drängt sich uns die Frage auf, ob wir dann Kinder taufen können, die diese Entscheidung für sich noch nicht treffen können. Denn eine Taufe als magisches Geschehen, in dem eine Formel über einem Menschen gesprochen wird ist sinnlos, denn hinter der Taufe will die Entscheidung stehen, dass mein Leben an Jesus Christus übereignet wird, dass es ihm gehört. Es ist die Entscheidung, dass der „alte Mensch“ durch die Taufe mit Jesus Christus gekreuzigt, getötet und begraben wird. Die Taufe wird so zum Todesurteil für den „alten Menschen“ in uns. Er erfährt durch die Taufe seine Hinrichtung und Begräbnis.

Wie können wir auf dem Hintergrund dieser paulinischen Theologie Kinder taufen? Hier vorne in unserer Kirche sitzen unsere Konfirmanden, was bedeutet das für ihre Taufe?

Auf der offiziellen Webseite der Evangelischen Kirche in Deutschland können wir zum Thema Taufe folgendes lesen: Die Geburt eines Kindes ist ein Geschenk Gottes. Eltern antworten darauf, indem sie ihr Kind taufen lassen. Gott spricht in der Taufe den kleinen Kindern seine Liebe zu, unabhängig davon, wie sie sich verhalten.
Eltern und Paten haben dann die Aufgabe, stellvertretend für die Kinder den Glauben zu bezeugen und den Kindern von ihrem christlichen Glauben, aber auch von ihren Zweifeln zu erzählen. Später in der Konfirmation bekräftigen die Jugendlichen selbst ihr Ja zum Glauben an Jesus Christus.

Es ist schade, nein, aus der Sicht des Glaubens unverantwortlich, dass heute nicht mehr alle als kleine Kinder Getauften zur Konfirmation gehen, um dort ihr ganz persönliches Ja zu ihrer Taufe zu sprechen. Das ist so, als hätten sie eine wunderbare Freifahrkarte bekommen und diese in eine Tasche oder Schublade gesteckt, ordentlich aufgehoben aber nicht benutzt. Ihr lieben Konfirmanden, eure Konfirmandenzeit ist eine wunderbare Gelegenheit zu dem ganz persönlichen Ja zu Jesus Christus zu kommen, das euch fest mit ihm verbindet und ihn zum Herrn und Heiland eures Lebens macht.

Liebe Gemeinde,
wir sollen uns hüten zu meinen der alte Adam, der alte Mensch, könnte verbessert (gebessert) werden. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum wenn wir meinten der neue, mit Christus auferstandene Mensch, wäre jetzt eine veredelte, eine gereinigte und verbesserte Form unseres alten Wesens. Der alte Mensch muss sterben, sagt Paulus, ihm gebührt nur der Tod. Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Weil Jesus uns Anteil an seinem Auferstehungsleben schenkt, können wir in diesem von aller Schuld befreiten neuen Leben wandeln. Es reicht nicht, wenn wir uns von der Vorstellung leiten lassen, dass ich als Christ hier auf Erden mein Leben allein zu führen habe und oben über den Sternen ist irgendwie Jesus, der mich freundlich anblickt und mir auch hier und da seine Hilfe zuteil werden lässt.
So würden wir nie zu dem Wandel kommen, von dem Paulus schreibt: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. So würde unser Leben nie mit Christus verwachsen. Wir würden weiterhin Sklaven der Sünde bleiben. All unsere Versuche, den alten Menschen selbst zu kreuzigen und die Sünde zu unterdrücken, müssen scheitern. Wer kann sich selbst kreuzigen? Durch Christus, seinen Tod und seine Auferstehung und indem wir ihm unseren alten Menschen übergeben und ihn Herr sein lassen über unser Leben, wird der Leib der Sünde zwar nicht vernichtet, aber abgetan und außer Kraft gesetzt, unwirksam gemacht.

Das ist Grund zur Freude, dass wir nun nicht mehr Sklaven der Sünde sind. Die Sünde ist zwar noch da, durch unser Ja zu dem was in unserer Taufe geschieht, dass unser „alter Mensch“ in den Tod hineingetauft wird, sind wir freigesprochen von jedem Rechtsanspruch den die Sünde an uns hat.

In den größten Anfechtungen hat Martin Luther an die Wand seiner Zelle geschrieben: Ich bin getauft … . Darum ist es wichtig, dass wir uns immer wieder an unsere Taufe erinnern und in Stunden, in welchen uns der „alte Mensch“ plagt auf unsere Taufe berufen und sie gegen Welt, Sünde und Hölle bekennen: Ich bin getauft auf Jesu Namen. Amen.

20100701

Martin Adel: Beispielhaft leben

27.6.2010 - 4. Sonntag nach Trinitatis
Röm 14,10-13


Liebe Gemeinde,
in einem Fastenkalender standen auf einem Kalenderblatt nur diese zwei Sätze:

Nehmen wir an, es kämen welche und wollten sie verhaften, weil sie ein Christ sind. Fänden sie genug Beweise, um sie zu überführen?

Und eigentlich können wir uns nur wünschen: Hoffentlich finden sie genug Beweise dafür, dass wir Christen sind. Denn eines ist uns ja allen klar, dass es nicht beliebig ist, wie wir als Christen leben. Es muss spürbar und sichtbar sein, äußerlich und innerlich, was uns trägt und hält und was unser Handeln und Denken beeinflusst.

1. Die Kirche als moralische Instanz
Bei Taufgesprächen sagen viele Eltern, wir wollen unser Kind taufen lassen, weil wir die Ziele und die Moral der Kirche gut finden – eine gute Lebensbasis auch für unsere Kinder.
Mir ist das immer ein bisschen zu wenig, weil es ja eher umgekehrt ist. Der Glaube macht uns zu moralischen Menschen und nicht die Moral zu Glaubenden. Aber das ist ein anderes Thema.
Eines ist jedenfalls klar: auch diese Eltern wollen, dass an der Kirche und an den Menschen in ihr sichtbar wird, dass sie Christen sind – und sie wollen sich dazu halten.
Wir müssen nicht perfekt sein, aber für uns muss die Wahrheit wahr bleiben und die Lüge eine Lüge und das Dunkle muss ans Licht kommen und darf nicht vertuscht werden – publicity hin oder her.

Die Zehn Gebote, die Nächstenliebe, die Feindesliebe, die Chance zu Umkehr und Vergebung, die Anforderung moralisch zu handeln – all das will man von uns sehen oder zumindest, dass wir uns darum bemühen und dass sie für uns gelten.

Und deshalb brauchen wir für unser Leben Leitlinien und eine Urteilskraft: Was tue ich? Was lasse ich? Was ist gut? Was ist falsch?
Prüfet alles und das Gute bewahret heißt es 1 Thess 5,21

2. Achtung: Urteilen – nicht aburteilen
Wir brauchen ein Urteil und eine Orientierung. Gerade unsere Jugend muss lernen zu unterscheiden, was ihrem Leben nützt und was ihm schadet. Die Versuchungen sind groß – schon immer gewesen.
Da hilft nicht das Angst machen, sondern das Stärken der Urteilskraft und des Selbstbewusstseins, um auch „Nein“ sagen zu können. Aber mit unserem Urteilen geht leider oft gleichzeitig ein Verurteilen einher und deshalb schreibt Paulus, beeinflusst von den Worten Jesu:
10 Warum verurteilst du dann deinen Bruder oder deine Schwester? Und du, warum verachtest du sie?
Und in der Evangeliumslesung haben wir gehört:
37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. … 41 Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?

Urteilen. Beurteilen. Verurteilen?
Aber wir müssen doch urteilen, um unser Leben ordentlich zu führen. Wir müssen doch Entscheidungen treffen, dass wir den gefunden Geldbeutel beim Fundbüro abgeben und das vergessene Handy nicht einfach mitnehmen.
Und manchmal fällt uns das schwer, das nicht zu tun und andere machen sich gar kein schlechtes Gewissen oder zerstören ihr Leben und unseres womöglich noch mit.
Da müssen wir doch die Hand erheben …
Natürlich müssen wir urteilen, aber: wir sollen uns hüten auch den anderen danach zu beurteilen oder womöglich noch zu verurteilen.

Ein Beispiel dazu:
Ich machte in meiner früheren Gemeinde einen Geburtstagsbesuch. Leider gab es auch da viele Menschen, die mit dem Alkohol so ihre Probleme hatten. Und dann klingle ich morgens um 10.30 Uhr an der Tür und will zum 75.Geburtstag gratulieren. Nach nochmaligem Läuten öffnet sich die Tür und eine ältere Frau steht schwankend vor mir und spricht verschwommen ihren Dank aus. Ich werde nicht herein gebeten. Sie können sich vorstellen, was ich mir gedacht hatte.
Ein halbes Jahr später treffe ich dieselbe Frau bei meinen Besuchen im Krankenhaus. Ich Gespräch wird mir bewusst, dass sie schon vor zwei Jahren einen schweren Schlaganfall hatte und ihr Mann sich rührend um sie kümmert.
Sie können sich vorstellen, wie es mir nach diesem Besuch ging. Ich habe mich geschämt.

4. Gott sitzt auf dem Richterstuhl
Wir Menschen neigen dazu, sehr schnell die Welt nach unseren Urteilen aufzuteilen und abzurichten.
Und da schiebt Paulus einen Riegel vor.
Du Mensch, du weißt nicht alles und deshalb sitzt auch nicht du auf dem Richterstuhl, sondern Gott.
Gott sei Dank.
Wir erinnern uns vielleicht noch, wie es damals war:
Wie haben wir die Welt beurteilt, als wir noch 20 waren – in Gut und Schlecht und komischer Weise war man selbst sehr oft auf der Seite der Guten. Und dann waren wir 40 und die ersten Lebenskrisen haben den eigenen Blickwinkel verändert und dann sind wir 70 und sind darüber hoffentlich barmherzig geworden. Nicht beliebig, sondern gnädig.
Wie sagte es Jesus (Lk 6,36): 36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.

5. Beispielhaft leben

Und Paulus schreibt deshalb in seinem Brief an die Römer diese Worte, die unser heutiger Predigttext sind:
10 Warum verurteilst du dann deinen Bruder oder deine Schwester? Und du, warum verachtest du sie? Wir werden alle einmal vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden. 11 In den Heiligen Schriften heißt es ja: »So gewiss ich, der Herr, lebe: Alle werden vor mir auf die Knie fallen, alle werden Gott die Ehre geben.« 12 So wird also jeder Einzelne von uns sich für sein eigenes Tun verantworten müssen. 13 Hören wir also auf, uns gegenseitig zu verurteilen! Seid vielmehr kritisch gegen euch selbst, wenn ihr euch im Glauben stark fühlt, und vermeidet alles, was einem Bruder oder einer Schwester Anstoß bereiten oder sie zu Fall bringen kann.

Paulus richtet unseren Blick auf uns zurück. Betrachte nicht die anderen, sondern sieh auf Dich – das ist verheißungsvoller. Zieh deine Kraft zum Handeln nicht daraus, dass du die anderen schlecht machst, um damit selbst besser dazustehen.
Es reicht, wenn du versuchst selbst ein Beispiel zu geben – durch dein Leben. Kein selbstgefälliges, sondern ein wohlgefälliges. Nicht für dich selbst und dein eigenes Gewissen, sondern für den anderen. Kein scheinheiliges Leben, sondern ein geheiligtes – damit wir die Schwachen nicht vor den Kopf stoßen und damit zu Fall bringen.

Unsere Kritiker und die, die gegen die Kirche ins Feld ziehen werden wir damit nicht überzeugen, aber die, die sich auf den Weg gemacht haben, die Suchenden, weil sie spüren, welchen Reichtum und welch großen Schatz der Glaube birgt, die sollen wir nicht zu Fall bringen.
Auch unsere Konfirmanden brauchen uns als gute Beispiele und Vorbilder, dass sie an uns sehen, was es heißt, mit Christus sein Leben zu meistern. Keine Gemeinde von Saubermänner, sondern aufrechte, redliche Menschen – „die Gemeinde der Sünder“, denen man abspürt, dass sie aus der Barmherzigkeit und der Vergebung Gottes leben. Täglich.
Wenn das gelingt, dann ist schon sehr viel gewonnen.
in einem Fastenkalender standen auf einem Kalenderblatt nur diese zwei Sätze: Nehmen wir an, es kämen welche und wollten sie verhaften, weil sie ein Christ sind. Fänden sie genug Beweise, um sie zu überführen?
Und wir können nur sagen: Hoffentlich.

Amen

Martin Adel: Wir teilen Sünden zu - Gott rettet den Sünder

20.6.2010 - 3. Sonntag nach Trinitatis

1. Hinführung
Liebe Gemeinde,
lassen sie mich zu Beginn einen Zeitungsausschnitt der Frankfurter Rundschau aus dem Jahre 1986 (FR vom 4.3.86) vorlesen. Unter der Überschrift "Muttermörder wurde Pfarrer" – steht da zu lesen: »Mit überwältigender Mehrheit« haben die Mitglieder zweier schottischer Gemeinden den wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten James Nelson zum Gemeindepfarrer gewählt. 283 stimmten dafür, 76 dagegen. 1970 hatte der damals 24jährige nach Familienstreitigkeiten seine Mutter erschlagen. 9 Jahre nach seiner Verurteilung war er auf Bewährung entlassen worden. Während der Haftjahre hatte er sich auf das Theologiestudium vorbereitet, das er danach aufnahm und erfolgreich abschloss. »Die Kirchenbehörden (so heißt's im Artikel) hatten seine erste Bewerbung als Pfarrer abgelehnt, doch war es Nelson schließlich gelungen, sie davon zu überzeugen, dass er sich trotz seiner Vergangenheit zum Geistlichen berufen fühle.«

Wie hätten sie entschieden? „Muttermörder wurde Pfarrer“. Wäre er es bei uns geworden?
Sicherlich ist das ein extremes Beispiel und unser Leben läuft meistens wesentlich undramatischer ab. Aber das Thema für den heutigen 3. Stg. nach Trinitatis ist „das Wort von der Versöhnung“. Und Paulus nimmt es in den Mund, der Paulus, des zwar kein Muttermörder war, aber ein Christenverfolger.
Viele haben damals skeptisch auf ihn gesehen. Mit Argwohn. Kann so einer ….? Ist das echt ….?

2. Predigttext 1 Tim 1,12-17 (Einheitsübersetzung)
Und so lesen wir in unserm heutigen Predigttext im 1 Brief des Timotheus im ersten Kapitel:
12 Ich danke dem, der mir Kraft gegeben hat: Christus Jesus, unserem Herrn. Er hat mich für treu gehalten und in seinen Dienst genommen, 13 obwohl ich ihn früher lästerte, verfolgte und verhöhnte. Aber ich habe Erbarmen gefunden, denn ich wusste in meinem Unglauben nicht, was ich tat. 14 So übergroß war die Gnade unseres Herrn, die mir in Christus Jesus den Glauben und die Liebe schenkte. 15 Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der Erste. 16 Aber ich habe Erbarmen gefunden, damit Christus Jesus an mir als Erstem seine ganze Langmut beweisen konnte, zum Vorbild für alle, die in Zukunft an ihn glauben, um das ewige Leben zu erlangen. 17 Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen.

3. Gott rettet den Sünder
Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Das ist das Zentrum unseres Predigttextes. Das ist das Zentrum der Lebensgeschichte, ob von Paulus oder von dem schottischen Pfarrer. Beide, der Muttermörder und Paulus bereuen ihre Taten. Sie leiden unter dem, was passiert ist und flüchtet sich zu Jesus, der nicht sagt: Dich soll diese Tat dein Leben lang wie ein Fluch verfolgen. Sondern: "Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten." Solche Worte bräuchte unser Leben und unsere Welt viel öfter. Ein Wort des Erbarmens. Ein Wort der Versöhnung.
Das Geschehene wird dadurch nicht rückgängig gemacht. Auch der Muttermord wird dadurch nicht bagatellisiert und entschuldigt. Das Verbrechen, die Sünde, bleibt in seiner ganzen Härte bestehen, aber Gott will nicht, dass nun darüber noch eines seiner Geschöpfe über dieser Sünde Willen zugrunde geht – nämlich der Mörder. Gott verurteilt die Sünde, aber er schiebt mit seiner Gnade und seinem Erbarmen der Sünde einen Riegel vor, dass der Fluch der Tat nicht noch mehr Menschenleben fordert, nämlich auch das noch das des Sünders. Die Menschheit kennt es doch nur schon zu lange, die Blutrache oder diesen grausamen Satz: "Das werde ich dir nie verzeihen.“
Gott rettet nicht die Sünde, sondern den Sünder.
Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der erste schreibt Paulus, und er bezeichnet sich selbst als Missgeburt, der es nicht wert ist Apostel genannt zu werden, weil er die Kirche Jesu Christe verfolgt hat. (1 Kor 15,8f). Und genau diesem Paulus schenkt Gott Kraft. An ihm beweist er Gott seine Langmut, sein Erbarmen und seine Gnade. Den Unglauben des Paulus verwandelt Christus in Glauben.
Denn am Anfang steht bei Gott nicht die Schuldzuweisung. Am Anfang steht nicht die Strafe. Am Anfang steht das Erbarmen Gottes: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Und Paulus fragt er: „Warum verfolgst du mich?“
Als der verlorene Sohn umkehrt und zurück kommt zu seinem Vater, tunkt er den Sohn nicht noch tiefer in seinen Morast. Nein. Er, der Herr, der sich sonst nur würdig wie ein Herr fortbewegt, läuft ihm sogar entgegen – mit weit ausgebreiteten Armen!

4. Wir teilen Sünde zu
Wir sind es, die schnell bei der Hand sind Sünden zuzuteilen. Wir sind es, die oft so grausam unbarmherzig miteinander umgehen – wie der ältere Bruder. Unverzeihlich. Ewig nachtragend. Da bleiben Eltern von der Hochzeit ihrer Kinder weg. Da wird die Schwiegertochter jahrelang mit Argwohn behandelt. Da wird in den Familien über Generationen hinweg die Feindschaft weitergegeben. Und in Schulen wird manchmal der Stempel dem Kind aufgedrückt, den sich der Vater oder die Mutter 20 Jahr zuvor geschnitzt haben. „Der ist doch genauso wie ...“
Anstatt wahrzunehmen, woran mein Nächster leidet - und Sünde ist immer etwas, worunter wir Menschen leiden - anstatt zu sehen, dass einer an seiner eigenen Person leidet und ihm zu helfen, wieder h e i l zu werden, kommen wir, und setzen noch einen drauf: Schau ihn dir an: der!
Anstatt einander zu tragen sind wir nachtragend. Und wie viel Energie wird dann oft verbraten, nur um ja keinen Fehler selbst eingestehen zu müssen. Ist das die Welt, die wir wollen?
Christus jedenfalls steht für eine andere Welt, weil er wusste, dass so nie Frieden werden kann.

5. Aus der Vergebung leben
So übergroß war die Gnade unseres Herrn, die mir in Christus Jesus den Glauben und die Liebe schenkte.
Das ist das Wort, das wir ausbreiten sollen. Das ist das Wort, dem wir nachleben sollen. Haben wir das vergessen! Wir leben aus der Vergebung, die uns selbst täglich geschenkt wird. Und dann werde ich frei darüber. Muss nicht mehr selbst vertuschen, wo ich gefehlt habe oder fehlbar bin. Wir sind gerechtfertigte Sünder. Und darin liegt die befreiende und freudige Botschaft des Evangeliums. Ich darf mir eingestehen, dass ich das, was ich eigentlich nicht wollte, doch getan habe und darf darum Gott und meinen Nächsten um Vergebung bitten. Und ich muss nicht die Angst haben dabei mein Gesicht zu verlieren.
Endlich muss ich mir und den anderen nicht mehr vormachen, wie unfehlbar, wie makellos, wie toll, wie gut, wie lebensfreudig, wie nächstenliebend, wie glaubenstreu ... ich bin. Sondern ich darf sein. Gerechtfertigt vor Gott werde ich meine Verfehlungen erkennen und kann sie darum verändern. Gerechtfertigt vor Gott weiß ich um mein eigenes Beschenktsein und kann darum barmherzig werden.
Gerechtfertigt vor Gott, kann ich darum in die Schlussworte des Paulus mit einstimmen:
"Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen."