20100819

Werner Otto Sirch: Gott ist Liebe

12. Sonntag nach Trinitatis - 21.8.2010

Predigt 1. Johannes 4,7-12
7 Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.
8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.
9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.
10 Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.
12 Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.



Liebe Gemeinde,
liebe Schwestern und Brüder,

1. Gott ist Liebe

Gott ist Liebe! Höre ich Widerspruch? Höre ich Zweifel, dass das so stimmt? Nein? Dann kann ich ja meine Predigt beenden, wir können unser Predigtlied singen, denn es ist ja alles klar. Nicht ganz, denn wir müssten uns noch darüber unterhalten, ob es für unser Leben Folgen hat wenn es heißt: Gott ist Liebe!

Oft höre ich ganz andere Aussagen über Gott. Er wird als göttliche Macht, als Schicksal umschrieben. Gerechtigkeit, Treue, Weisheit, Zorn werden ihm nachgesagt. Keiner der Propheten, keiner der Boten Gottes hat zu sagen gewagt „Gott ist Gerechtigkeit“ oder gar „Gott ist Zorn“. Aber das wissen wir alle: Gott liebt Gerechtigkeit, Gott zeigt auch Zorn, Gott offenbart seine Macht. Gott ist aber nicht Gerechtigkeit, Gott ist nicht Zorn und auch nicht Macht. Für mich wäre es schrecklich solch einen Gott zu haben: Einen Gott der Gerechtigkeit. Wie sehr haben wir nicht schon unter der Gerechtigkeit der anderen gelitten. Wenn etwas schief gelaufen ist und ein anderer voll inbrünstiger Gerechtigkeit seine Hand in unsere Wunden gelegt hat, ohne Erbarmen, ohne Gnade, ohne Vergebung. Ich habe Schwierigkeiten mit Gerechtigkeitsfanatikern und gehe ihnen lieber aus dem Weg. Vor solch einem Gott der das zum Prinzip macht hätte ich Angst – große Angst.

Einen Gott der Zorn ist, vor dem wäre meine Angst noch viel größer. Es ist schon schlimm genug, wenn Kinder Eltern haben die sehr schnell zum Zorn sind – vielleicht auch jähzornig. Zorn, der jederzeit über sie hereinbrechen kann, schon beim geringsten Fehler. Ein Zorn ohne Gnade, Unbarmherzig, voller Wut. Wenn sich so Gott zeigen würde – schreckliche Welt.

Gott ist Macht, das würde wohl den Umkehrschluss erlauben: Macht ist Gott und damit wäre das Schwache, das Machtlose verdammungswürdig. Ich weiß, dass wir in dieser Welt oft die Macht anbeten, Macht haben wollen, vor Menschen, die sich die Macht genommen haben kuschen und ihnen möglichst zu Diensten sind, damit sie uns wohlgesonnen sind. Wir haben Erfahrungen damit gemacht, wie leicht Macht missbraucht wird zum eigenen Wohl der Mächtigen.

Gott ist Liebe, das sagt uns der Schreiber des 1. Johannesbriefes. Gott ist Liebe, das ist das Wesen Gottes. Das ist sein innerstes Wesen: Gott ist Liebe. Von diesem Wesen wird Gottes Handeln bestimmt – trotz der Rückseite Gottes, die auch Zorn sein kann. Trotzdem, Gottes Wesen ist Liebe. Und ich frage mich, weshalb wir so viel Angst vor diesem Gott haben. Nicht Ehrfurcht, sondern Angst, Misstrauen, Auflehnung.

Gottes Wesen, seine Liebe, hat uns zu seinem Ebenbild geschaffen und es erzürnt Gott, dass wir uns selbst verderben, indem wir an der satanischen Auflehnung gegen ihn teilnehmen. Gott ist Liebe! Diese Aussage findet sich in keiner Philosophie oder Religion der Welt. „Gott ist Liebe“ hat kein Prophet zu sagen gewagt. Gott ist Liebe! Welch eine Aussage.

Gerade ernste und redliche Menschen lehnen sich gegen diesen Satz auf: Gott ist Liebe. Sie können berichten von der Unheimlichkeit und Grausamkeit der Natur, sie wissen um die Not und Qual die viele Menschen leiden müssen. Wenn wir nur an die 10 Millionen Menschen denken, die in Pakistan alles verloren haben, die einen schier aussichtslosen Kampf gegen die Wassermassen erdulden müssen, um wenigstens ihr Leben zu retten. Wasser, Wasser, überall nur Wasser, nichts zu essen, nichts zu trinken, kein Dach über dem Kopf, keine Hilfe in sicht. Gott ist Liebe! Hat er diese Menschen vergessen? Lässt er so an ihnen seinen Zorn aus?
Wenn ich an Massenvernichtung und an namenloses Leiden Unschuldiger denke, kann ich schon zu der Frage kommen: Wer ist dieser Gott? Ist das Geschick dieser Welt wirklich in Gottes Hand? Ist das Geschick dieser Welt in der Hand eines liebenden Gottes?

2. Wer nicht liebt kennt Gott nicht

Gottes Liebe ist nicht überall leicht zu sehen. Um Gott sehen zu können, muss erst bei mir etwas passiert sein. Wer nicht liebt, kennt Gott nicht. Der große Theologe Adolf Schlatter schreibt hierzu: „Was wir über Gott sagen und denken, nimmt notwendig unsere eigene Farbe an, und das ist eine falsche Farbe, die ihn entstellt und unsere Gedanken über ihn unwahr macht, ehe wir zur Liebe bewogen und aus der Einsperrung in unser hohles, eigenes ich befreit worden sind. Wer in seiner leeren, nichtigen Selbstsucht eingeschlossen ist, denkt sich auch die Welt hohl als eine leere Blase, die aus sich selbst entstanden sei; oder wenn er Gott neben die Welt hinstellt, so macht er ihn so geistlos, zwecklos, tot, leer und hart wie sich selbst. Er macht sich eine Welt und einen Gott, wie sie seine Selbstsucht nicht stören, sondern ihr dienlich sind, und ist darum auch gegen alle Zeugnisse, durch die Gottes Gnade zu uns redet und unter uns wirkt, blind.“

„Ehe wir zur Liebe bewogen und aus der Einsperrung in unser Hohles, eigenes Ich befreit worden sind,“ schreibt Schlatter. Aber wie gerade geschieht diese Befreiung? Und wenn der Satz „Gott ist Liebe“ unserer natürlichen Erfahrung zu widersprechen scheint, wo und wie erkennen wir dann diese Liebe?

3. Wie erkennen wir Gottes Liebe?

Johannes gibt uns eine klare Antwort. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.
Gott schenkt uns. Gott gibt uns. Nicht irgendwohin, sondern ganz konkret in unsere Menschheitsgeschichte, in eine geschichtliche Zeit hinein. Durch die Geburt seines Sohnes hat er seine Liebe zu uns sichtbar gemacht. Gottes Liebe wird zur Tat.

Liebe ist tun. Im heutigen Evangelium (Lk 10, 25-37), das wir vor dem Glaubensbekenntnis gehört haben, geht es konkret zur Sache. Der unter die Räuber gefallene, halbtot am Straßenrand liegend, erfährt Gottes Liebe nicht durch die, die zum Tempel eilen, um Gott in Reinheit im Tempel zu dienen. Sie lassen ihn liegen um nicht kultisch unrein zu werden. Der unter die Räuber gefallen war erlebt die Liebe Gottes durch den, der sich um ihn kümmert, ihn versorgt und pflegen lässt. Liebe ist Tun: „Tu dergleichen!“ ist die Antwort Jesu.

Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht. Ich könnte es auch anders sagen.: Wer nicht liebt, dessen Gotteslehre ist falsch. Es ist ganz im Sinne des Alten Testamentes, dass wir Gott lieben und uns entsprechend verhalten. Häufig können wir im Alten Testament lesen: „Die Gott lieben und seine Gebote halten“ oder „die Gott lieben und ihm dienen“. Ganz konkret heißt das, dass unsere Liebe zu Gott auf die Geschwister achtet und nicht von ihnen wegsieht – wie wir das vorhin in der Geschichte vom barmherzigen Samariter gehört haben. Daran, an unserem Hinsehen, können wir Gottes Liebe erkennen. Gott ist Liebe in Aktion.

4. Gott ist Liebe in Aktion

Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.

Gottes Liebe erkennt man am Geben. Gott schenkt uns das Beste und Liebste – seinen Sohn – den einzigen. Er hat seinen Sohn, der mit ihm schon vor der Schöpfung dieser Welt war, in unsere Welt entsandt. In diese Menschenwelt, welche die Welt der Feindschaft gegen Gott ist und darum die Welt der Sünde und des Todes. Er weiß was wir mit seinem Sohn tun werden, sah vor sich das Ende des Geliebten am Kreuz. Gott ist Liebe! Und in dieser Liebe sendet er seinen Sohn trotzdem, legt ihm dieses Ende auf zu unserer Errettung, die auf keine andere Weise gewirkt werden konnte. Er macht den Sündlosen zur Sünde und den Heiligen zum Fluch, um uns vom Fluch zu befreien.

Warum tut Gott das? Er tut es nicht, weil er damit etwas für sich gewinnen will. Er tut es, damit wir das Leben gewinnen, wir, seine Feinde und Verächter, wir, die in seinem gerechten Gericht Verurteilten und Verlorenen. Gott tut es aus Liebe zu uns.

Worin besteht nun die Liebe Gottes? Die Liebe besteht darin, dass er uns geliebt hat, bevor wir ihn geliebt haben und seinen Sohn zu uns als Sühnemittel für unsere Sünden gesandt hat. Nicht wir haben Gott geliebt, nicht wir haben das große Gebot der Liebe zu Gott erfüllt. Unser Wesen lebt in Eigensucht und Lieblosigkeit die uns von Gott trennen, weil sein Wesen Liebe ist. Aber weil Gott Liebe ist, tut er das Unerhörte, dass er uns Lieblose liebt.

5. Schuldig einander zu lieben

Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Wer sich von Gott geliebt weiß, der kann nicht anders, als andere zu lieben. Er hat die Liebe Gottes in seinem leben erfahren dürfen, seine tragende, vergebende und zurechthelfende Liebe. Darum ist es keine besondere Leistung, wenn wir auch so lieben. Dafür verdienen wir kein besonderes Lob. Wir schulden dem anderen diese tragende, vergebende und zurechthelfende Liebe. Ich weiß, wie oft wir daran scheitern. Wir können Gott aber um diese Liebe bitten, dass er unser Herz damit voll macht.

Gott ist Liebe. Wie könnten wir, die wir solch einen Gott haben etwas anderes sein wollen, als liebende Menschen zu sein? Lasst uns auf die Liebe Gottes antworten, indem wir ihm und unseren Nächsten all unsere Liebe schenken. Amen.

20100804

Werner Otto Sirch: Gerechtigkeit, die dem Glauben zugerechnet wird

1.8.2010 - 9. Sonntag nach Trinitatis

Predigt Philipper 3, 7-14

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

Stephanie, 17 Jahre alt, hat folgende Zeilen geschrieben:
Lieber Gott, ich rede dich mal an, obwohl ich nicht weiß, ob es dich überhaupt gibt. Aber wenn du existierst, müsstest du lieb sein. Denn wie hätte ich mich sonst mein ganzes Leben lang nach dir sehnen können? Meine Eltern haben mir freigestellt, an dich zu glauben, aber sie haben mir nicht dabei geholfen. Ich sollte das einmal selbst entscheiden, wenn ich groß bin, haben sie gesagt. ...
Als ich aufs Gymnasium kam, wurden die anderen alle nach und nach zum Konfirmandenunterricht angemeldet, meine beste Freundin auch. Die machte mir Mut und so ging ich hin. ...
Dass ich nicht getauft war, störte niemanden. Das könne man kurz vor der Konfirmation nachholen, sagte der Pastor. Es war ganz nett im Konfirmandenunterricht, aber längst nicht so aufregend, wie ich mir das vorher ausgemalt hatte. Von Gott war nicht die Rede, dafür aber von Drogen, Asyl und verschiedenen Evangelienschriften, die sich widersprechen. Dann kam das Thema Konfirmation dran. Der Pastor erklärte uns, als Konfirmierte seien wir dann für unseren Glauben an Gott selbst verantwortlich. Ich traute mich nicht zu fragen, wie ich das "Glauben an Gott" lernen könnte. Ich blieb einfach weg, wurde nicht getauft und nicht konfirmiert. ... Doch meine Sehnsucht blieb, ich weiß nur nicht genau, wonach ich mich eigentlich sehne. Manchmal stelle ich mir vor, es müsste einen großen Knall geben, und dann bist du da, lieber Gott.


Es rührt mich an, die Glaubensgeschichte, der Stephanie. Ihre Sehnsucht nach Gott. Den Glauben an Gott lernen wollen. Und da ist niemand, der sie an die Hand nimmt: Die Eltern nicht und der Pfarrer im Konfirmandenunterricht auch nicht. Dann der Ausstieg, die Sehnsucht die bleibt, das Warten auf den großen Knall.

Paulus hat den großen Knall erlebt. Damals auf dem Weg nach Damaskus, als er voller Überzeugung unterwegs war Gott einen Dienst, einen Gefallen zu tun, wenn er Ordnung schafft. Darum schleppte er die Sektierer, die Christen, vor den Hohen Rat in Jerusalem und ließ sie anklagen. Dann aber das Licht, der Sturz vom Pferd, die Stimme: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich!“ Nichts war mehr so wie es vorher war.

Später schreibt Paulus rückblickend im Brief an die Philipper im 3. Kapitel:
7 Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. 8 Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwenglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. 10 Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden, 11 damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.
12 Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin. 13 Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich's ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, 14 und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.


1. Bilanzierung
Paulus zieht Bilanz. Er macht eine Gewinn- und Verlustrechnung auf. Soll und haben wird aufgeschlüsselt und das Saldo daraus gezogen. Jeder Geschäftsmann, jeder selbständiger Kaufmann oder Handwerker wird so eine Bilanzierung durchführen, um sein Geschäft erfolgreich führen zu können. Bilanzierung ist Teil seiner ökonomischen Existenz. Der Scanner, der den Strichcode an der Ware abliest, erlaubt computergesteuert, die tägliche Überprüfung des Saldos. Er gibt den Gewinn aus und zeigt unrentable – und damit Verlust signalisierende – Ladenhüter an.

Auch in unserem persönlichen Leben kennen wir solche Bilanzen. Das Nachdenken über unsere Beziehungen und unsere Lebensentwürfe – Gewinn und Verlust.

Bilanz in den Beziehungen und oft genug das Ergebnis: „Alles ist eingefahren. Ich weiß schon im voraus wie der andere reagiert. Ich kenne ihn durch und durch. Ich will aber mehr vom Leben.“

Bilanz in den Lebensentwürfen: Wir kennen sie vor allem in der Midlife-crisis und das kann sich dann so anhören: „Was ich wollte habe ich erreicht. Finanziell bin ich gesichert. Die Kinder sind groß, selbständig. Das Haus schuldenfrei. Ich bin im Beruf erfolgreich. Soll das jetzt alles sein? Der Gedanke, ich habe alles erreicht ist mir unerträglich. Was nach außen wie Erfolg aussieht, lässt mich innerlich kalt. Langweilt mich. Ich will wirklich leben.“

Andere erleben ihre persönliche Bilanz als Selbstverurteilung, als gnadenlose Gewinn- und Verlust-Rechnung, mit etwa folgendem Inhalt: „In meinen Beziehungen scheitere ich immer wieder. Meine Ehe ging in die Brüche, die anderen Beziehungen geben mir nicht was ich brauche. Mir misslingt alles. Im Beruf bin ich nicht weitergekommen. Dauernd Geldsorgen. Ich gehöre zu den Verlierern. Was will ich noch vom Leben?“

Mancher hat nach einer solch ganz persönlichen Bilanzierung Konkurs angemeldet, vor sich und vor Gott. Er hat erschrocken festgestellt, dass sein Leben so nicht weitergehen kann.

Bilanzen brauchen Wertmaßstäbe, die für alle verbindlich sind. Wir haben sie in unserer Gesellschaft weitgehend verloren. Es gibt unter uns keine allgemein gültige Norm mehr, auf die man sich so ohne weiteres verständigen könnte. Am ehesten können wir uns im Streben nach möglichst hohem Gewinn in allen Gebieten unseres Lebens treffen. Negative Folge: Je weiter unsere „Gewinn“-Erwartung und die Realität auseinanderklaffen, desto negativer erscheint die Bilanz unseres Lebens.

2. Wertesystem
Die Bilanz, die Paulus zieht, führt zu einer radikalen Veränderung seiner Einstellung zum Leben. Er begegnet einem neuen Wertesystem, das er in der Begegnung mit dem auferstandenen Christus kennengelernt hat. Vor dieser Begegnung war er Jude, Pharisäer aus dem Stamm Benjamin, der mit besonderem Eifer für die väterlichen Überlieferungen eintrat. Er führte sein Leben als beschnittener Jude und Eiferer für das Gesetz. Hier finden wir den Grund weshalb er die Christengemeinden heftig verfolgte. Nach den Bestimmungen des Gesetzes war dies untadelig und gerecht.

Die Begegnung mit Jesus veränderte sein Leben grundlegend. Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Alle bisherigen Werte haben sich für ihn als Nachteil, als Schaden erwiesen. Durch die Begegnung mit dem Auferstandenen Christus ist ihm gewiss geworden, dass Gott Gerechtigkeit nicht durch Leistung , sondern durch den Glauben an Christus zuspricht.

3. Erkenntnis Christi
Neben der Begegnung mit dem für ihn neuen Wertesystem ist die „Erkenntnis Christi“ für Paulus das zweite Thema. „Menschen können nicht wirklich zuverlässig miteinander verbunden sein, wenn sie Gott nicht kennen. Ist keine Liebe und Treue da, dann ist ganz gewiss kein Wissen um Gott da“ . So formuliert es Hans W. Wolff in seinem Buch „Die Hochzeit mit der Hure“, wo es um das Leben des Propheten Hosea geht. Gott wird erkannt, wenn der Mensch seine Gebote hält, aber auch in der Geschichte mit seinem Volk Israel und der Menschheit. 8 Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwenglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde. Paulus konnte, wenn man ihm die Gebote vorhielt, mit dem reichen Jüngling sagen: „Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.“ Dass er Jesus erkennen durfte, das ist für ihn das Höchste und Beste das ihm widerfahren konnte. Sein Eifer für das Gesetz hat für ihn keinen Wert mehr, es ist ihm zum Dreck geworden.

4. Gerechtigkeit
Luther hat, ganz anders als Paulus, unter dem Gesetz gelitten. Er hatte Furcht vor Gottes Zorn und Gericht, er hatte Angst verloren zu gehen. Die Frage nach dem gnädigen Gott war dem jungen Luther für seinen Werdegang entscheidend geworden. In den Briefen des Paulus hat Luther den Weg aus seiner Furcht heraus gefunden: Ich habe nicht meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.

Nicht das Leben aus meiner Gerechtigkeit, indem ich penibel das Gesetz und alle Normen beachte, spricht mich vor Gott gerecht. Das Bemühen um die eigene Gerechtigkeit, lässt mich unter dem Zwang der Normen, die wir alle kennen: „das tut man nicht“, oder „wenn du dazugehören willst musst du ...“, oder „wenn du nicht leistungsfähig bist, bist du nicht anerkannt“. „Gerechtigkeit die aus dem Gesetz kommt“, nennt das Paulus, wenn wir unsere Selbstachtung letztlich aus der Erfüllung von Verpflichtungen und anderen Normen beziehen. „Du bist geliebt, geachtet, begehrenswert ..., ohne dass du eine dieser Normen erfüllen musst.“ Darin liegt die Freiheitserfahrung die wir durch das Evangelium erleben können.

5. Ziel
Paulus wünscht sich nichts so sehr als den Auferstandenen Herrn und Heiland immer besser kennen zu lernen. Er wünscht sich frei zu sein von der Gerechtigkeit die aus der Erfüllung von Gesetzlichkeit kommt und an Jesu Auferstehung von den Toten teilzuhaben. Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden, 11 damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.
Durch Gottes Gnade und das Leiden und Sterben Jesu völlig unverdient zur Auferstehung der Toten und das ewige Leben gelangen, das ist die Verheißung unseres Glauben an unseren auferstandenen Herrn und Heiland. Und es erscheint mir geradezu als absurd, dass jemand sich als Christ bezeichnet, der davon spricht, dass es keine Auferstehung der Toten gibt.

6. Kampf um das Ziel
12 Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin. 13 [...] Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, 14 und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.

Es ist Herausforderung, das Ziel zu erreichen: Ewiges Leben in Gottes Herrlichkeit. Mit Gleichgültigkeit und falsch verstandener Freiheit ist der Siegespreis, von dem Paulus spricht, nicht zu erreichen. Wir sind als Gerufene und Berufene auf dem Weg, um bei Christus anzukommen.

7. In Bewegung kommen
Bleibt die Frage, was den Christen in Bewegung bringt, damit er sich auf den Weg macht? Gesetze, Befehle, Drohungen? Wohl kaum. Den Christen bringt in Bewegung, dass er in Christus ist, er hat Christus gewonnen. Es ist nicht unser Griff nach Jesus, sondern Jesu Griff nach uns, das verändert uns und unser Leben. Jesus hat schon am Kreuz nach uns gegriffen, rettend seine Hand nach uns ausgestreckt. Durch unsere Taufe und Bekehrung sind wir zu seinem Eigentum geworden.

Nicht unser Elend, unser Versagen, nicht unser Mangel und unsere Sündhaftigkeit setzt uns in Bewegung – dann wäre unser Leben noch ganz ichbestimmt. In Bewegung bringt uns unsere himmlische Berufung, die Gott aus Gnade schenkt, die sich nicht um menschliche Größe oder Eignung kümmert, sondern gerade das wählt was unedel, verachtet und nichts ist.

Diesen Siegespreis erlangen wir aber nicht, wenn wir am Rande des Stadions sitzen bleiben und über ihn nachdenken oder zutreffende Aussagen über ihn machen. Darum liebe Gemeinde, lassen Sie uns in Bewegung kommen, durch Loben und Danken. Lassen Sie uns in Bewegung kommen, weil wir nicht vergessen, was Christus für uns getan hat. Lassen Sie uns in Bewegung kommen und darauf mit unseren guten Werken und mit unserem Wollen antworten. Lasst uns nicht auf den großen Knall warten wie die 17-jährige Stephanie, sondern getrost unsere Schritte gehen und unserer himmlischen Berufung nachjagen damit wir am Ende den Siegespreis erhalten. Amen.