20101214

Werner Otto Sirch: Kehrt um!

12.12.2010 - 3. Advent

Predigt Lk 3,1-14

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Judäa politisch

bedrückende politische Verhältnisse herrschten damals vor 2000 Jahren in Judäa, als Tiberius Kaiser in Rom war und Pontius Pilatus Stadthalter in Judäa. Das Volk Israel, das auserwählte Volk Gottes, war der Gewalt des verhassten Landesfürsten Herodes und der Sklaverei der Römerherrschaft ausgeliefert.

Israel wollte Befreiung und Erlösung aus dieser gottlosen Knechtung, sehnte sich danach, dass Gott endlich eingreifen und den Messias senden würde. Der Messias sollte die Römer aus dem Land jagen und dem Volk wieder seine Freiheit geben. Das war eine mächtige immer stärker um sich greifende politische Hoffnung, von der viele im Volk ergriffen waren und die sich auch in vielen Liedern niederschlug. Das wohl berühmteste Messiaslied, das diesem Schrei nach Befreiung Luft machte, finden wir im 17. Psalm Salomonis, der dem ehemaligen König Salomo in den Mund gelegt wurde. Ein Vers aus diesem Psalm, aus dem eine gewaltige Messiashoffnung herausklingt, lautet so: „Herr, sieh darein und erwecke einen König, den Sohn Davids - o Gott, dass er über Israel herrsche. Gürte ihn mit Stärke, dass er die Ungerechten, die gottlosen, verfluchten Machthaber zerschmettere. Reinige Israel von den Hunden (Heiden), die es wüste zertreten. ... Rette uns von der Besudelung durch die unreinen (schmutzigen) Feinde! ..."

Judäa religiös

Die religiösen Verhältnisse waren in Israel nicht besser, als die bedrückende und bedrohliche politische Lage. Der Arzt und Evangelist Lukas berichtet von zwei Hohenpriestern, Hannas und Kaiphas, und deutet damit auch die Zerrüttung des geistlichen Regimentes an, denn nach dem Gesetz durfte immer nur ein Hoherpriester im Amt sein.

Schon unter der Regierung des Herodes des Großen und noch mehr unter der Herrschaft der Römer hatte die rechtmäßige Nachfolgeschaft im Hohenpriestertum aufgehört. Der Vorgänger des Pilatus, Valerius Gratus, hatte im Jahre 15 n. Chr. den Hohenpriester Hannas abgesetzt und im Laufe einiger Jahre nacheinander mehrere Hohepriester neu erwählt und wieder davongejagt, bis er endlich in Kaiphas, dem Schwiegersohn des Hannas, ein hinlänglich dienstbeflissenes Werkzeug für seine Ziele gefunden hatte. Dieser verwaltete das Amt vom Jahre 18-36 n. Chr. Trotz alledem blieb Hannas in den Augen des Volkes und auf Grund des Gesetzes der wahre Hohepriester.

Liebe Gemeindeglieder, der Zerfall Israels, die Gottlosigkeit und der Sittenzerfall, Trost- und Hoffnungslosigkeit in politischer und religiöser Beziehung waren unübersehbar. Auf diesem religiösen und politischen Hintergrund geschieht das, wovon unser heutiger Predigttext berichtet. Wir hören, was Lukas im 3. Kapitel aufgeschrieben hat:
1 Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, 2 als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste. 3 Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden,
4 wie geschrieben steht im Buch der Reden des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben! 5 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden. 6 Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.« 7 Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? 8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. 9 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. 10 Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir denn tun? 11 Er antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. 12 Es kamen auch die Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? 13 Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! 14 Da fragten ihn auch die Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!


Johannes und seine Eltern (meine Kindheitsbilder)

Beim Lesen des Textes fällt mir ein, was mich schon als Kind sehr bewegt hatte, als ich die Geschichten über Johannes und seine Eltern gehört hatte. Vor allem, als der Engel Gabriel dem Tempelpriester Zacharias vor dem Gottesdienst erschien und dem alten Mann die Geburt seines Sohnes Johannes ankündigte. Zacharias konnte das nicht glauben, denn auch seine Frau war alt und längst über die Zeit hinaus in der man Kinder bekommen konnte. Als Zeichen nahm der Engel ihm die Sprache weg. Und so stand er sprachlos vor der Gemeinde und konnte den Gottesdienst nicht halten. Noch aufregender fand ich die Geschichte, als das Kind geboren wurde und in der Verwandtschaft darüber diskutiert wurde welchen Namen das Kind bekommen soll. Viele meinten, dass der Bub wie sein Vater Zacharias heißen soll. Da ließ sich Zacharias eine Tafel bringen auf die der noch immer sprachlose Vater schrieb, wie es ihm der Engel aufgetragen hatte: „Er soll Johannes heißen“. Da kam seine Sprache wieder. Wunderbar diese Geschichte.

Und dieser Johannes lebte nun in der Einsamkeit der Wüste. Kühlende Höhlen waren seine Wohnung. Er ernährte sich von Heuschrecken und dem Honig wilder Bienen. Noch heute werden Heuschrecken gelegentlich gegessen. Man trocknet sie und mahlt sie zu Pulver. Weil dieses Heuschreckenpulver bitter schmeckte, aß man Honig dazu, und zwar den Honig der wilden Bienenschwärme.

Das Auftreten des Johannes, seine Gestalt wirkten als Kind auf mich distanziert und merkwürdig Angst einflößend und erschreckend. Ich stellte mir den Johannes als wunderlichen Gesellen mit finsterem Gesicht und drohender Geste vor und einem vernichtendem Urteil über jeden, der ihm zu nahe kam. Johannes, der Prophet, der eine Atmosphäre schaffte die alles und jeden harsch Infrage stellte. Ich verlasse meine Kindheits-Bilder von Johannes dem Propheten und Täufer.

Der Prediger in der Wüste

Die Menschen gingen zu ihm hin in die Wüste. Sie nahmen einen stundenlangen beschwerlichen Fußmarsch auf sich, weil er etwas zu sagen hatte, das sie ansprach und bewegte. Es war eine ganz besondere Vollmacht, mit der Johannes auftrat. Alles an ihm predigte: Das Wort, das er sprach, der Geist und seine Gebärde, sein Herz, das für Gott schlug und die Hand mit der er die Menschen zur Umkehr und zur Vergebung ihrer Sünden taufte. Es ließ in ihrem Herzen die Frage laut werden: „Was soll ich tun?“

Kehrt um!

Kehrt um!, war die Botschaft des Johannes. Kehrt um, sonst nützt euch euer Opfer gar nichts. Kehrt um, sonst wird euch euer Gott verwerfen. „Kehrt um, denn das Königreich Gottes, die Herrschaft Gottes ist nahe, der Messias ist im kommen, der König ist da!“

Zwei Gedanken bewegen mich, wenn ich diese Zeilen lese.
Der erste Gedanke: Wir reden und predigen viel, auch hier auf der Kanzel der St. Paulskirche, oder drüben im Gemeindehaus oder im Altenheim – aber was bewegen wir? Unsere Gemeinde schläft sich weiterhin am Sonntag aus und kommt nicht um zu hören was Gott zu sagen hat. Sie kommen nicht, um Gemeinschaft mit denen zu haben die an Gott glauben. Kehrt um!, möchte ich rufen und es wundert mich, dass diese Leute noch in der Kirche sind, obwohl sie eigentlich nichts von ihr wollen. Krass gesagt: Vielleicht unterliegt mancher der irrigen Meinung, dass man sich mit der Bezahlung der Kirchensteuer den Himmel erkaufen kann? Ich weiß, dass ich das den Falschen sage, denn Sie sind ja hier, liebe Gemeindeglieder.

Der zweite Gedanke der mich bewegt: Kehrt um! Der Messias ist im Kommen! Wir erwarten das Kommen Jesu. Dabei denke ich jetzt nicht an das, was wir an Weihnachten feiern: Jesu Geburt. Ich denke daran, dass wir einen Wiederkommenden Herrn und Heiland haben. Und dieser kommt plötzlich, dann, wenn wir es nicht vermuten. Sind wir bereit? Haben wir uns darauf vorbereitet – auch auf die Stunde unseres Todes, denn dann ist die Stunde da in der wir vor unseren Gott treten? Kehrt um!

Radikal Neues - Frucht

Johannes fordert mit scharfen Worten auf, Gesinnung und sein Herz zu ändern. Er will radikal Neues. Unsere Umkehr soll Frucht bringen. So wie ein guter Baum gute Früchte trägt. Eine echte Bekehrung oder Umkehr zeigt sich in den Früchten des neuen Lebens. Heuchelei und Scheinheiligkeit hat dann keinen Platz mehr.

Die Predigt des Johannes war so gewaltig und mit Vollmacht, dass dieser die augenblickliche Wirkung seiner Predigt zu sehen bekam. Lukas konnte beobachten, dass die Menge des Volkes dem Täufer seine Sünde bekannte, ein jeder die seine. Sie wollten von Johannes wissen was sie tun sollen. Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. Eine klare Botschaft. Johannes nimmt das Volk in die Verantwortung für die, die wenig oder nichts haben, denn Gott hat uns in die Verantwortung für unsere Mitmenschen gestellt. Das Volk wird nicht zur Armut verpflichtet, sondern zum Geben.

Zu uns: Ich halte es für ein fatales Signal, dass die soziale Verantwortung in unserem Volk immer kleiner geschrieben und die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer wird. Da gibt es bei uns die einen gibt, die Unsummen verdienen und die anderen, die kaum wissen wie sie über die Runden kommen sollen, auch wenn sie arbeiten. Das ist ein menschenverachtender Skandal. Genauso unerträglich ist für mich die zunehmende Unsitte Gewinne zu privatisieren (das heißt sie einzustecken) und Verluste zu sozialisieren (dem Steuerzahler aufzubürden).

Johannes schafft es den Menschen ins Gewissen zu reden.
Die Zollbeamten, die wegen ihrer Erpressungen und Betrügereien so berüchtigt waren, dass man ihnen bei jüdischen Behörden nicht gestattete einen Eid zu leisten, fordert Johannes nicht auf ihren Beruf aufzugeben. Sie sollen aber nicht mehr als das Erlaubte oder Vorgeschriebene von den Menschen fordern. Nicht das Geldgeschäft macht den Zöllner schuldig, sondern seine Diebereien.

Den Soldaten redet Johannes ins Gewissen, die Befehle ihrer Vorgesetzten recht auszuführen. Sie sollen ihre Gewalt nicht missbrauchen, Leute nicht misshandeln um von ihnen Geld zu erpressen und schikanieren durch Denunziationen, sondern sich mit ihrem Sold zu begnügen. Ihnen werden nicht die Waffen abgenommen, sondern die geldgierige Erpressung und grausame Gewalttat.

Wo klemmt es bei uns, liebe Gemeinde? Wo müssen wir umkehren?

Umkehr wohin?

Die Umkehr des Sünders besteht darin, dass er zu Jesus kommt. Vergebung empfängt er dadurch, dass Jesus ihm seine Gemeinschaft gewährt. Das ist der Weg für uns.

Johannes weist mit seinem ganzen Leben auf den hin, der nach ihm kommen wird, auf Jesus, den Christus: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Das wünsche ich auch uns, dann wird es in unserem Leben Advent werden. Amen.