20111031

Martin Adel: Die Gefahr des Reichtums

23.10.2011 - 18. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext Markus 10,17-27

»Der reiche Jüngling«
17 Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? 18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. 19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«
20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. 21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! 22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! 24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! 25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.
26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? 27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.


Liebe Gemeinde,
ist Jesus maßlos?
Da ist einer, der sich redlich bemüht ein aufrichtiger und gottesfürchtiger Mensch zu sein. Und Jesus vergrault ihn.
„unmutig und traurig geht er weg“
Griech: stügnatzo – sich entsetzen, trübe werden
Jünger: tambeo - erschrecken
Sollte Jesus nicht lieber froh sein, dass sich da überhaupt einer mit Gott und seinen Geboten abgibt?
Dass sich dieser eine da müht und ja auch ganz tapfer mit macht und sich an Gottes Regeln hält?
Und wir dürfen es dem jungen Mann glauben, dass es so stimmt, wie er es sagt: Meister, ich habe mich an deine Gebote gehalten und ich habe nicht getötet und nicht die Ehe gebrochen und nicht gestohlen und nicht gelogen und niemanden beraubt und Vater und Mutter geehrt.
Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.
Und nun ist er in Sorge, ob das reicht. Was muss ich noch tun, um das ewige Leben zu erreichen?
Sicherlich, er mag etwas stolz und eingebildet auf sich sein und sicherlich klingt auch etwas Arroganz durch: Das habe ich alles gehalten von Jugend an!
Aber mal ehrlich: Ist Jesus da nicht etwas kleinlich und penibel und maßlos wenn er sagt: Eines fehlt dir noch!

Und wir erinnern uns ja noch daran, wie einen damit schon die Eltern genervt haben, wenn man sagt: ich hab meine Hausaufgaben gemacht oder mein Zimmer aufgeräumt … und dann wird´s begutachtet und prompt kommt die Antwort: Aber da hätte ….

Eines fehlt noch!

Auf der anderen Seite erinnere ich mich auch an so manche Programminstallation auf dem Computer; da heißt es: alles ist ganz einfach "CD einlegen …". Und es funktioniert, der Fortschrittsbalken zeigt an: 25%, 50% - Mensch, das dauert - 75%, 90% ah, bald geschafft und dann 98% - Gott sei dank … und dann hängt sich das System auf.
Da haben 98% geklappt und nur noch 2% fehlen, aber ohne die 2% ist eben alles nichts und alles umsonst gewesen. Dann funktioniert gar nichts. Beim Computer begreifen wir das. Aber sollte das bei Gott auch so sein. Will er Mindestens 100% oder am liebsten 200%?

Wenn wir diese Erzählung hören, schleicht sich ja bei uns oft schon das gleiche Entsetzen ein, das auch den jungen Mann befallen hatte. Und noch bevor wir fragen, gehen wir schon traurig weg mit dem Gefühl: Das schaff ich doch eh nie.
Wir haben Angst, dass dieses Wort auch uns trifft und wir feststellen, dass wir die Reichen sind und viele Güter haben.
Denn plötzlich wird uns bewusst, wie reich wir in aller Armut sind – nicht nur an materiellen Gütern, sondern auch an gesellschaftlichen - und dass wir nicht zu den Armen der Welt gehören. Alle. Und dann treffen uns diese Worte Jesu noch umso mehr:
Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!

Und mit den Jünger stehen wir bis heute da und erschrecken. Das ist ja nie zu schaffen.
Wie heißt: 24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte.
Denn das hatten sie auch nicht geschafft. Alles aufgeben.
Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!
Nachgefolgt, das sind sie. Aber alles aufgeben? Das haben auch sie nicht gemacht.
Und damit es nicht genug ist, redet Jesus weiter …
und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen!
Und dann kommt dieses so einprägsame Bild vom Kamel:
25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.

Bildblatt: Butterworf/Inkpen haben es wunderschön in Szene gesetzt.

Und den Jüngern fällt der Kinnladen nun völlig runter:
26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden?

Und da sind wir im Kern angekommen.
Wer kann dann selig werden?
Und wir spüren: An dieser Stelle ist Gott maßlos!
Denn hier lässt er sich nicht mehr mit Almosen abspeisen.
Hier will er alles.
Nämlich mich. Und das ganz.
Da gilt nicht mehr: Da ein bisschen spenden, hier ein bisschen gut sein – aber dann soll er mich auch schon in Ruhe lassen, damit ich mein Leben so weiter führen kann wie ich möchte.
Nein, da ist Gott maßlos, denn er will mich ganz! Und das ist gut so. Denn auch wir können nicht zwei Göttern dienen.

Aber was heißt das denn?
An der Taufe der Sophie haben wir es doch gesehen: Mama und Papa sind wir nicht nur ein bisschen, sondern ganz. Und die Sophie ist nicht nur ein bisschen ihre Tochter, sondern ganz. Sicherlich: Das mit dem Einschlafen gefällt einem nicht und auch manch anderes wird einen noch erheblich nerven, aber sie bleibt immer die Tochter – und zwar ganz. Und wir versuchen, für sie das Beste zu geben, das, was wir meinen und das, was ihr entspricht. Fordern, erziehen und dabei hören und entdecken und akzeptieren, wer der andere ist.

Und wenn das sogar wir können, warum sollte das dann Gott nicht noch viel mehr für uns bereit haben.
Aber dafür müssen wir auch ganz Sohn und Tochter, Kinder Gottes sein wollen.
Unser Problem ist doch, dass wir Angst haben, dass wir unser ganzes Leben ändern müssten, wenn wir uns so von Gott ansprechen lassen würden und ihm alles gäben. Und ich frage mich: Haben wir so ein schlechtes Gewissen? Leben wir so falsch? Weiß Gott etwa nicht, was wir können? Meinen wir, er will, dass wir alle Mönche oder Nonnen werden, Asketen, Mutter Theresas oder Friedensnobelpreisträger. Für wie beschränkt halten wir eigentlich Gott? Aber eines, das will er zu 100% von uns, dass wir ihn immer wieder fragen: Was willst du von mir?
Und wenn wir ihm alles übergeben haben, dann werden wir es verwandelt zurück bekommen.
An den Kranken sehen wir das manchmal, wenn einem nur noch das nackte Leben bleibt, wie sich die Werte und Einstellungen wandeln und das, was wichtig ist und was nicht.

Wogegen sich Jesus wehrt ist diese Sparbuchmentalität, bei der wir anfangen, mit Gott Geschäfte zu machen und zu feilschen anfangen: Schau an, das und das hab ich alles schon Gutes getan, jetzt musst du aber auch … Und dann gleich unseren nächsten Deal drauf zu setzen, wie bei einer Insolvenzverhandlung: Jetzt sei doch mit 20% zufrieden, bevor du gar nichts bekommst.
Wir zwängen ihm unser Gesetz auf, anstatt dass wir uns von seinem Gebot befreien lassen.

An dieser Stelle wird Gott allerdings maßlos und sagt: Alles oder nichts. Umsonst habt ihr empfange – umsonst gebt es auch.
Hüten wir uns, Gott zu beschämen in seiner Hoheit!

Kein Wunder, dass uns dann die Angst treibt, ob wir genügen, wenn wir´s uns verdienen wollen. Aber das sind nicht Gottes Ängste. Er sagt nur: Ich will dich.
Und wie das dann aussieht, das wird er für jeden einzelnen von uns schon von alleine wissen.
Gott, was willst du von mir! Schau her, das kann ich. Was soll ich tun. Wo willst du mich haben.
Und dann machen wir uns auf den Weg. Jeder an seinem Platz.
Und der eine wird darüber Lehrer und die andere eine Bäckereifachverkäuferin und ein anderer geht redlich in die Arbeit und die Oma schaut, wo sie gebraucht wird und wo sie sich noch nützlich machen kann.
Aber eines ist ihnen allen gemeinsam. Sie fragen immer wieder Gott: Was ist mein Auftrag. Wo und wie kann ich mein Können und Vermögen der Gesellschaft und dem Leben zur Verfügung stellen. Ohne Arroganz und ohne Urteil über den anderen und ohne dabei ein Geschäft mit Gott machen zu wollen.

Was doch manchmal so ein Erschrecken hilfreich sein kann.

Und darüber wird Gott groß werden und seine Liebe leuchtet auf und wir entdecken den liebenden Blick Gottes auf uns, so wie Jesus den Jüngling lieb gewinnt. Denn auch für uns gilt:
Wer kann dann selig werden?
Und die Antwort lautet:
Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

Amen.

20110921

Werner Otto Sirch: Drinnen und draußen

18.09.2011 - 13. Sonntag nach Trinitatis
Predigt Markus 3,31-35
Abschiedspredigt


31 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen.
32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir.
33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder?
34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!
35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Gäste und Freunde,
liebe Verwandte,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

die einen sind drinnen und die anderen sind draußen. So ist das oft, nicht nur in unserer Geschichte. Einige Verse vor unserem Text erzählt die Bibel, dass Jesus mit seinen Jüngern in ein Haus ging, um mit ihnen zu essen. Das Volk aber, begierig ihn zu hören, drängt auch in das Haus. Sie wollen mehr mit ihm erleben, hören was er zu sagen hat. Es war sensationell, geradezu aufregend, was in den letzten Tagen geschehen war, wovon sie Zeugen geworden waren: Die Heilung eines Gelähmten, der Streit mit Schriftgelehrten um die Frage, ob Jesus ein Gotteslästerer ist, weil er sich anmaßt Sünden zu vergeben. „Sünden vergeben kann nur Gott allein“, sagen die Schriftgelehrten. Immer deutlicher wurde die Frage: Wer ist er, dieser Jesus? Maßt er sich etwas Göttliches an oder wer ist er ...? Er, der mit Zöllnern und Sündern isst. Menschen am Sabbat, dem von Gott geheiligten Tag, heilt. In den Augen der geistlichen Autoritäten war das nicht nur skandalös, sondern geradezu gotteslästerlich.

Es hat sich rumgesprochen. Man will es sehen, miterleben, neue Hoffnung haben. Auch aus der Umgebung kommen viele, die Jesus sehen und von ihm geheilt werden wollen. Aus ist es mit stiller Beschaulichkeit. Es geht drunter und drüber. Und Jesus heilt, die von Krankheiten geplagt sind, aber auch die, die über ihn herfallen, um ihn zu berühren. Ungewöhnliches passiert, für manchen ist vielleicht auch erschreckend: Wenn unreine Geister Jesus sehen, fallen sie mit Geschrei vor ihm nieder: „Du bist Gottes Sohn!“ Es war richtig was los, aufregend, mit diesem Wanderprediger aus Galiläa. Und immer wieder die Frage: Wer ist er? Ist er der, auf den sie schon so lange sehnsüchtig gewartet haben? Der Befreier Israels, ist er der Messias, oder einer der obersten Teufel, wie die Schriftgelehrten und Pharisäer es behaupteten?

Maria, der Mutter Jesu und seinen Brüdern war das, was über Jesus berichtet wurde, mehr als unangenehm. Es bereitet ihnen Sorgen. Er musste wohl seinen Verstand verloren haben. Sofort wollten sie zu ihm, ihn nach Hause holen, auf ihn aufpassen, ihn vor sich selbst schützen.

Das Volk war nicht aufzuhalten und drängte weiter in das Haus, in dem Jesus mit seinen Jüngern essen wollte. Das Gedränge war so groß, dass kein Platz war um zu essen. Die Menschen wollten dort sein, wo Jesus war. Zu seinen Füßen sitzen, im Kreis um ihn herum auf dem Fußboden, um von ihm die gute Nachricht zu hören. Sie wollten hören, ihn, der gekommen ist, um allen Menschen Heil zu verkündigen, das Ende der Entfremdung von Gott. Sie wollen ihn hören, von ihm angerührt werden, suchten Heilung ihres Lebens.

Wo gehen wir hin, um angerührt zu werden, um Heilung unseres Lebens zu finden? Welche Wege schlagen wir ein, wo suchen wir?

Es sind aber auch einige drinnen, die rausgehen, angewidert und wütend: Schriftgelehrte und Pharisäer. Für sie ist Jesus mit dem Teufel im Bund.

Die einen sind drinnen und die anderen sind draußen. Die drinnen sind sitzen bei Jesus, hören ihm zu, sind in seiner Nähe, lassen sich berühren, anrühren – von Jesus, dem Gottessohn. Sie sind da, sind auf dem Weg der Heilung ihres Lebens. Es ist heute nicht anders. Wer da ist, im Gottesdienst, dort wo Gottes Lob erklingt, wo gebetet und Gottes Wort gehört wird, der geht verändert weg. Er wird berührt, angerührt, ist auf dem Weg der Heilung seines Lebens.

Nichts verlangt Jesus von denen, die im Kreis um ihn sitzen. Sie müssen nichts tun, keine frommen Leistungen erbringen. Sie sind da! Einfach nur da! Sitzen zu seinen Füßen! Jesus sieht sie an, zeigt auf sie: „Das sind meine Brüder und Schwestern“. - Da sein! Drinnen sein – im Kreis bei Jesus.

Manchmal hätte ich mir gewünscht, dass mehr da sind, um sich berühren, anrühren zu lassen. Gut, ich bin nicht Jesus. Aber ich habe seine gute Nachricht, die verändert und unser Leben heilt. Unsere Kirche hat 600 Plätze. Wenn jeder Zehnte aus unserer Gemeinde zum Gottesdienst kommt, rücken wir ein bisschen zusammen und alle haben Platz. Mich dauert es, dass oft so wenige drinnen sind und so viele draußen.

Und da sind die, die draußen sind und gar nicht reinwollen: Jesu Mutter und seine Brüder. Sie wollen Jesus in ihren Kreis zurückholen. Sie wünschen sich, dass Jesus wieder ganz einer der Ihren wird: der Sohn Marias und der Bruder seiner Geschwister. Das, was Jesus, den Menschen „drinnen“ zum Gesandten und Heilsbringer, zum Sohn Gottes macht, erscheint den „draußen“ stehenden Angehörigen als „von Sinnen“. In ihren Augen ist er verrückt geworden.

Maria und den Brüdern Jesu fällt es schwer zu glauben, dass Jesus wirklich seit seiner Taufe Gottes Sohn ist: Jesus der wahre Mensch, dessen Mutter jeder kennt und Gottes Sohn, durch Gottes Geist berufen. Seine Familie kann es nicht akzeptieren, dass er als Glied ihrer Familie zugleich Gottes Sohn ist. Sie möchten ihn auf den historischen Jesus reduzieren, auf einen sittlich beispielhaften Menschen, als Vorbild tugendhaften und religiösen Lebens.

Die draußen sind, sehen in unserer Zeit in Jesus auch oft nur den reduzierten, historischen Jesus und nicht den Gottessohn. Für sie ist Jesus der soziale und politische Revolutionär, Helfer der Armen und Unterdrückten, der Jesus der Bergpredigt. Jesus, der zugleich Mensch und Gottes Sohn ist, das entspricht vielfach nicht neuzeitlicher Wunschvorstellungen von ihm. Wir sind ernstlich in der Gefahr, unser Christentum zu einer wundervollen Philosophie, zu einer starken Soziallehre zu machen - zu nichts weiter sonst. Jesus will aber der Heiland, unser Retter sein, der uns aus unserer Gottverlorenheit erlöst und den Riss zwischen Gott und den Menschen heilt.

Es ist eine „verrückte“ Botschaft, die Jesus hat. Eine Botschaft die weggerückt ist von dem, was Menschen der Welt denken und glauben. Damals und heute. Es ist eine Botschaft, die eine andere Perspektive hat, einen anderen Blick auf die Menschen und auf ihr Leben. Eine Perspektive, die Dinge für möglich hält, die der Welt unmöglich erscheinen. Es ist die Nachricht der bedingungslosen Liebe Gottes zu den Menschen, die ihn am Ende ans Kreuz bringt. Eine verrückte Perspektive, dass der, der die Macht im Himmel und auf Erden hat, für andere am Kreuz stirbt. Sich opfert für die, die ihn anspucken und misshandeln, die taube Ohren haben für sein Wort der Rettung. Der Welt ist es eine Torheit, uns aber ist es eine Gotteskraft.

Es war meine Aufgabe und es bleibt meine Lebensaufgabe, den Blick auf diese verrückte Perspektive anderen zu öffnen und zu zeigen. Dafür einzustehen, den Samen zu legen und zu bezeugen, dass wir geliebt sind – von Gott geliebt sind, unverbrüchlich, unverdient – aus Gnade.

Die einen sind drinnen, und die anderen sind draußen. Ich bin mir da nicht immer sicher, wer drinnen und wer draußen ist. Das wird Gott am Ende der Tage selbst entscheiden.

Für mich hat drinnen sein und draußen sein, in den Tagen des Abschieds auch noch eine etwas andere Bedeutung.

Viele Jahre war ich drinnen. Begonnen hat es, nach meiner Konfirmation vor 50 Jahren, als ich von meinem Konfirmator behutsam, aber bestimmt, auf die Orgelbank geschoben wurde. Von da an hieß es für mich: Drinnen sein, dort wo die Entscheidungen fallen, wo überlegt und geplant wird. Dort, wo die Nöte und die Freuden einer Gemeinde zusammentreffen. Dort, wo die Gedanken geboren werden, wie es mit einer Gemeinde weitergehen soll, welche Entscheidungen für ihre Zukunft nötig sind.

In ein paar Tagen, wenn ich mein Büro geräumt habe, gebe ich meinen Hauptschlüssel ab, dann bin ich draußen – wie alle anderen. Dann komme ich nirgendwo mehr selbst hinein. – Ein komisches Gefühl, an das ich mich erst gewöhnen muss. Und doch, es bleibt meine Gemeinde - und ich bin drinnen. Es bleibt mein Glaube, der mich ganz nah zu Jesu Füßen sitzen lässt, mich zum Zuhörer macht – und ich bin drinnen. Zuhören auf das, was er zu sagen hat: Im Gebet und in der täglichen stillen Zeit – bei ihm drinnen zu seinen Füßen sitzen. Meine Berufung in den hauptamtlichen Dienst endet, nicht aber meine Berufung in die Nachfolge Jesu. Ich bleibe Diakon auf Lebenszeit – ich bleibe drinnen.

Noch ein paar persönliche Worte.
1967 habe ich das Haus meiner Familie verlassen, um dem deutlichen Ruf Gottes zu folgen und mich zurüsten zu lassen für den hauptamtlichen Dienst im Reich Gottes. Es war von Anfang an ein klarer Weg, hin zu den Menschen, zu Kindern, die nicht mehr in ihren Familien leben konnten, zu Kranken, die gewaschen und gebadet werden mussten, die Pflege und liebevolle Zuwendung brauchten. Hin in verschiedene Gemeinden, zum Lob Gottes, hin alten Menschen, zu Trauernden und Sterbenden, zu Konfirmanden und Religionsunterricht, zu Paaren, die heiraten wollten.

Ich durfte in all den Jahren und in den verschiedensten Aufgaben viel dazulernen, oft unter Tränen an mir arbeiten, weil ich nicht so war, wie ich sein wollte – weil ich versagt hatte. Manches ist gelungen, manches habe ich versäumt. Von Herzen schmerzt mich, wo ich an anderen schuldig geworden bin und das lösende Wort nicht gesucht oder gefunden habe. Ich lege es vor Gott und dieser Gemeinde hin und bitte um Vergebung. Aber ich bin dankbar für den Weg, den Gott mich geführt hat. Ich bin dankbar für die guten und schweren Zeiten. Am meisten hat mich der Verlust meiner Gisela getroffen, die mir, trotz ihrer eigenen Bedürftigkeit, große Stütze und Halt war, weil ich sie immer mit ihren Gebeten hinter mir wusste.

Ich bin Gott dankbar für Cristin, die mit viel Glauben und großer Liebe den Weg mit mir weitergeht. Dankbar bin ich für die Gemeinde hier, die mich vom ersten Tage angenommen und in den dunklen Stunden durchgetragen hat. Dankbar bin ich für meine Kollegen, ganz besonders für Ute, die mit mir gemeinsam vor acht Jahren in den Dienst bei St. Paul eingeführt wurde. Dankbar bin ich für Martin, für seine Ermutigungen und so manches erquickende Gespräch über unseren Glauben und den Weg unserer Gemeinde. Dankbar bin ich für Siegfried, dem stillen Diener, hier, in der Kirche, und drüben im Gemeindehaus, der mir, zusammen mit seiner Familie, immer ein guter Freund und Begleiter war. Ich kann mit großer Dankbarkeit auf St. Paul zurückblicken und das, was mich mit Zorn erfüllt, das soll bei Gott, in seiner Vergebung Frieden finden.

Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. So endet der heutige Predigttext und so endet auch meine Predigt. In diesem Sinne habe ich viele Brüder und Schwestern hier, in dieser Gemeinde, aber auch an den andern Orten in Bayern gefunden. Wir werden uns wieder im Gottesdienst sehen und irgendwo sonst über den Weg laufen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

20110728

Werner Otto Sirch: Ihr seid ...

31.7.2011 - 6.Sonntag nach Trinitatis

Predigt 5. Mose 7,6-12

6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. 7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -, 8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. 9 So sollst du nun wissen, daß der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, 10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen. 11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, daß du danach tust. 12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat.

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,


Botschaften

in diesen Tagen bekomme ich nicht aus dem Kopf, was an dem schwarzen Freitag vor einer Woche in Oslo geschehen ist. Anders Breivik, ein rechtsradikaler, religiöser Fundamentalist, der zuerst im Osloer Regierungsviertel bombt und dabei sieben Menschen tötet, anschließend auf der Ferieninsel Utøya gnadenlos ein Blutbad anrichtet und dabei 69 Menschen, meist Jugendliche, mit sichtbarer Freude erschießt. Sein zynischer Kommentar dazu: „brutal aber es musste sein“. „Brutal, aber es musste sein“, das ist die Botschaft eines Mannes, der sich keiner Schuld bewusst scheint, der nach eigenen Angaben, angeblich nichts anderes wollte als sein Volk und Europa gegen den Islam zu verteidigen.

Ganz anders heute die Botschaft unseres Gottes an uns: „Du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR , dein Gott erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ Welch ein Kontrast!

Du bist eine heiliges Volk, so spricht Gott zu seinem Volk. Das ist die Sprache Gottes: Israel, sein Volk, ein heiliges Volk. Heilig ist was Gott gehört. Israel gehört Gott. Und wir, die Christen, wem gehören wir? Wie spricht Gott über uns?

Erwählt

Vorhin haben wir im Glaubensbekenntnis bekannt: Ich glaube an die heilige, christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen ... Wer sind die Heiligen, an die wir glauben? Wer sind diese besonderen Menschen, von denen wir bekennen, dass sie Heilige sind?

Heilig ist, was Gott gehört. Israel gehört Gott, es ist sein Volk, von ihm erwählt und damit ein heiliges Volk.

Liebe Gemeinde, Gott hat auch uns erwählt. Er hat durch Christus seinen Gnadenbund mit uns aufgerichtet. In der Taufe hat er mit uns einen Bund geschlossen, den Taufbund, den Gnaden-bund. Durch die Taufe auf den dreieinigen Gott gehören wir zum Volk Gottes, zur Gemeinschaft der Heiligen. Wenn ich von der Kanzel nach unten sehe, dann sehe ich Heilige sitzen, alles Menschen die zu Gott gehören. Hier sitzen Menschen, die durch ihre Taufe Gottes Kind geworden sind, ihm gehören, denen Gott zum Vater geworden ist.

Gottes Volk ist ein heiliges Volk, das Volk, das er erwählt hat. Durch Christus hat Gott auch uns zu seinem Volk erwählt. Wir haben uns das nicht verdient. Es ist Gott, der uns dazu berufen hat Teil seines heiligen Volkes zu sein.

Leid an Israel

Israel, das als Volk zum Eigentum Gottes berufen ist, wurde durch Christen, die sich als Erben des Volk Gottes verstehen, viel Leid angetan. Denn diese „Erben“ meinen, aus ihrer Gotteskind-schaft das Recht ableiten zu können, als die wahren Erben des Reiches Gottes, Israel zu verfolgen und ihm böses zu tun. Der Holocaust ist das schrecklichste Beispiel solch christlicher Vermessenheit. Israel ist und bleibt das erwählte Volk Gottes. Wir Christen sind ein eingepfropfter Ast im Stamm des Volkes Gottes und gehören deshalb dazu. Es ist Irrtum zu meinen, dass Israel durch die Ablehnung des Christus seine Erwählung verloren hat, welche dadurch auf das Volk der Christen übergegangen ist. Wie gesagt ein schlimmer Irrtum, der Israel schon viel Leid zugefügt hat.

Erwählung als Verpflichtung

Dass Gott uns als seine Kinder erwählt hat, ist Gottes Liebestat. Gott zeigt uns damit seine Liebe und seine Zuwendung. Diese Erwählung ist aber zugleich auch Verpflichtung. Gott ver-pflichtet sich seinen Bund mit uns unverbrüchlich zu halten. Sein Vaterherz ist nicht so wankelmütig wie unser Herz. Seine Liebe zu uns gilt für alle Zeit. Diese Verpflichtung, die Gott aus Liebe zu uns eingeht, verlangt Antwort. Unsere Antwort auf diese Liebestat Gottes kann wiederum nur Liebe sein. Liebe zu ihm, zu Gott, und Liebe zu den Menschen. Aber auch unsere Verpflichtung zum Halten der Gebote und die Verpflichtung, sich um unsere Beziehung zu Gott zu kümmern. Den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, seinen eigenen Weg gehen und seine Gebote zu ignorieren, ist nicht der Weg, der Gottes Erwählung und die daraus erwachsende Verpflichtung ernst nimmt.

Und noch was: Erwählung kann nicht Anlass zur Überheblichkeit sein. Wir brauchen nicht meinen, dass wir, als die Erwählten und Heiligen Gottes, etwas besseres sind. Gott hat das erwählt was arm und elend ist, nicht sie Stolzen und Hochmütigen. Es ist nicht unsere Aufgabe anderen den rechten und richtigen Glauben abzusprechen. So wie es auch kein Weg ist, im religiösen Fanatismus andere umzubringen, weil wir meinen eine Beleidigung Gottes rächen zu müssen, oder wie in Oslo geschehen, unser Land gegen Andersgläubige mit dem Schießeisen und einem Massenmord verteidigen zu wollen.

Unsere Verpflichtung als Gottes Kinder weist uns auf das, was arm und elend ist. Unsere Liebe zu ihnen ist der Zeigefinger, der auf unseren Gott hinweist. Liebe und Barmherzigkeit ist das erste und letzte Wort unseres Gottes.

Das haben die Menschen in Oslo und in ganz Norwegen begriffen: Das Zusammenstehen der Menschen, die Nähe zu einander, die oft genug in ein gemeinsames Gebet mündet, das ist die heilende Kraft, in solch schrecklicher Stunde und den darauffolgenden Tagen und Wochen der Trauer. 100.000 Menschen sind mit Rosen in Händen zusammengekommen um gemeinsam zu weinen und zu trauern um ihre Lieben. Sie haben sich Nähe und die Gemeinschaft der Trauernden geschenkt. Durch diese Gemeinschaft wissen sich die Menschen verbunden in ihrem Volk, im Streben nach Freiheit und Demokratie und gegen Hass und Rache.

Gottes Volk hat die Kraft in solch unverständlichen und nicht begreifbaren Ereignissen anders reagieren als mit Hass und Rache. Der Hass vergiftet die Seele und Rache schafft nur neue Tränen, die nie enden, weil Rache nach Rache ruft.

Gottes Berufung

Gott hat uns nicht nur zu seinem heiligen Volk berufen, sondern auch dazu, dass wir unseren Feind lieben. Die Rache dürfen wir IHM überlassen. Das oft falsch verstandene "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ist keine Aufforderung, die Dinge in die Hand zu nehmen und dem Täter das Gleiche zu tun. Es ist eine Begrenzung, die uns Jesus mit deutlichen Worten auslegt: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist (2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen« damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“

Noch ist in Norwegen nicht die Zeit des Vergebens. Jetzt ist die Zeit des Trauerns, Zeit der Wut auf den „Verrückten“ und auf Gott, der so etwas zugelassen hat. Es ist die Zeit um zu versuchen zu verstehen, was nicht verstanden werden kann.

Die Zeit zur Vergebung wird kommen. Es wird ein harter Weg sein, ein Weg mit vielen Tränen. Der Glaube, dass Gott seinen Weg auch mit christlichen Fundamentalisten, Rechtsradikalen und Massenmördern geht, wird stark machen. Das Wissen, dass er auch mit solchen Menschen zum Ziel kommt, kann ihm die Rache überlassen.

Wenn Anders Breivik aufwacht

Ich mache mir Gedanken was sein wird, wenn Anders Breivik aus seinem Wahn aufwacht und zu begreifen beginnt, was er an jenem für Norwegen so schwarzen Freitag angerichtet hat. Was wird sein, wenn er sich seiner Schuld bewusst wird? Wenn ihm bewusst wird, dass er das nicht mehr wiedergutmachen kann. Dann wird er Menschen brauchen, die ihm zur Seite sind, damit ihn das nicht umbringt, was er so vielen anderen angetan hat. Er wird die Liebe Gottes brauchen, um wie Kain weiterleben zu können.

Liebe und Barmherzigkeit ist das erste und das letzte Wort Gottes. Amen.

20110712

Martin Adel: Verharrungen durchbrechen als Öffnung zum Leben

03.07.2011 - 2. Sonntag nach Trinitatis
Predigt Matthäus 22,1-14

Wochenspruch Mt 11,28
Christus spricht: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.


Liebe Gemeinde,
der Predigttext für diesen Sonntag steht im Matthäus-Evangelium im 22. Kapitel. Eine Einladung und gleichzeitig eine große Herausforderung.

1. Der Predigttext – Eine Zumutung

Die königliche Hochzeit
22 1 Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach: 2 Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete.
3 Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen. 4 Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! 5 Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. 6 Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie.
7 Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.
8 Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. 9 Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. 10 Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.
11 Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, 12 und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte.
13 Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. 14 Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.


2. Erschreckende Brutalitäten
Ein Hochzeitsfest und im Umfeld dazu soviel Ablehnung und Blut. Man kann es kaum ertragen. Da ist die begeisterte Einladung zum Hochzeitsfest – und dann hagelt es lauter Absagen?
Jeder von uns hat dazu seine eigene Erinnerungen von Einladungen und Absagen und den Enttäuschungen und Kränkungen, die, die man selber erlitten hat und die, die man anderen zugefügt hat. Gründe gibt es immer, um nicht zu kommen.
Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft.
Und dann die Brutalität, die folgt:
6 Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. 7 Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.
Ein Hochzeitsfest soll es sein und schon bevor es beginnt ist es getränkt in lauter Blutvergießen. Wer will denn da noch feiern?

Und Jesus lässt uns in seiner Gleichnisrede damit noch nicht in Ruhe. Auf die zweite, erfolgreiche Einladung folgt nicht die Freude über den vollen Hochzeitssaal, sondern er richtet unseren Blick auf den einen Gast, der falsch gekleidet ist und hinaus geworfen wird. Und es ist ja nicht irgendein Rauswurf, sondern wie heißt es: 13 Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein.

3. Historische Verkürzung
Nan fragt sich, was bewegt Jesus, dass er in seinem Gleichnis ein Hochzeitsfest in einen derartigen Gewalt beladenen Rahmen stellt?
Machen wir uns auf den Weg, um zu verstehen, was gemeint sein könnte.
Wir könnten uns in die geschichtliche Betrachtung flüchten und sagen: Historisch ist es ja genau so passiert.
Gott schickt seinen Sohn Jesus Christus zu seinem Volk Israel, doch die erkennen den Messias nicht an, sie lehnen ihn ab, sie bleiben weg und zum Schluss lassen ihn einige noch von den Römern ans Kreuz schlagen. Aber die Rache folgt auf den Fuß – im Jahre 70 n. Chr. wird Jerusalem zerstört und nach weiteren 70 Jahren (137 n. Chr.) wird der Staat Israel vollständig von der Landkarte verschwunden sein. Das Hochzeitsfest hat trotzdem statt gefunden. Nur war dieses Mal die ganze Welt eingeladen und sie sind gekommen, die Bösen und die Guten, ein paar von den Juden und viele Griechen, Römer und Heiden.

4. Wider das Beharrungsvermögen – von der Brutalität des Lebens
Aber die Reduzierung auf ein historisches Ereignis ist zu kurz gegriffen. Wenn Jesus vom Reich Gottes erzählt, geht es immer um Grundsätzliches, um Grund-Menschliches. Um das Heil für uns. Und darum lohnt es sich, noch einmal genauer hinzusehen. Was könnte gemeint sein? Und ich entdecke Grundsätzliches.
Doch dann ist die Brutalität in der Erzählung nicht mehr die Brutalität Gottes, sondern die Gewalt des Menschen, gegen andere und gegen sich selbst. Wie er sich sträubt, sich mit Händen und Füßen sträubt, eingeschlagene Wege und Pfade zu verlassen, um zu Verharren in seiner Welt.
Jesus beschreibt damit die oft auch Tot bringende Beharrung, mit der wir keinen Millimeter abweichen. Jede Einladung zu einer Veränderung und Durchbrechung meines Alltags wird dabei auf die Seite geschoben: Passt nicht. Später mal. Danke, aber …
Und wenn die Einladung noch einmal ausgesprochen wird, dann werden wir schon mal auch ein bisschen deutlicher: Lass mich jetzt in Ruh. Ich will das nicht hören. Ich bleib, wie ich bin.
Jede unsere Süchte, alle unsere Abhängigkeiten, dort wo sich unser Lebensstil auf kurz oder lang gegen uns selbst verkehrt und jede Entscheidungsfreiheit zum Teufel geht, dort ist Gefahr in Verzug. Und jeder, der hinterfragt, jede, die einlädt zur Veränderung bekommt es bald mit unserem geballten Zorn zu tun.
Doch es rächt sich. Im Kleinen, im Privaten und auch im Großen.
Ganz Deutschland lag in Schutt und Asche und Europa überzogen mit Leid und Elend, bis wir endlich begriffen haben, wie ein Miteinander der Völker aussehen muss.
Oder nehmen wir das Energiemärchen Atomkraft. Alles war bereits eingespurt und dann der Rückfall in alte Zeiten. Danach fliegen uns die Kernkraftwerke um die Ohren, in Baden Württemberg wird ein Grüner Ministerpräsident gewählt und man rudert zurück und alles kostet wieder Milliarden.
Wir verharren – das ist die eigene Lebensbrutalität, da braucht es gar nicht erst Gott dazu, sondern er ist es, der einlädt zum Hochzeitsfest, doch der Mensch verharrt im System.
Libyen, Syrien, Griechenland – immer wieder andere Verhältnisse und Situationen, doch das Prinzip bleibt das Gleiche. Wir Verharren.

5. Nähe und Veränderung
Und deshalb lädt Gott ein ins Reich Gottes, weil es im Himmelreich ums Leben, ums Überleben – nicht nur für ein paar Wenige, sondern für alle geht.
3 Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden;
Und weil die Ersten nicht kommen, schickt er noch einmal aus:
Geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. 10 Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.

Gott will, dass wir kommen, Wir sollen kommen, denn in der Berührung mit seinem Reich besteht unsere Chance zur Veränderung, zu Umkehr und Heilung.
Darum ist es ja so wichtig, dass wir uns auf den Weg machen.
Böse und Gute sind eingeladen – denn es geht nicht um die Gästeliste, sondern es geht um mich, um das Kommen zu Gott. Hier passiert die Veränderung. Im Kontakt mit ihm kann das Lebenszerstörende in uns zurück gedrängt werden, wie bei einer Chemotherapie oder einer Strahlentherapie. Das Kranke und Krank-Machende muss weichen. Zachäus, Levi, Maria von Magdala, Paulus und all die anderen, die haben das erlebt.
Im Kontakt mit dem Reich Gottes beginnt in uns die Verwandlung, so wie mit dem Urlaub oft erst wieder die Entspannung kommt und in uns Seiten zum Klingen kommen, die im Alltag verkümmern sind. Deshalb spricht Christus ja auch: Kommt her, zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Das ist auch die Einladung zu einem Moment Urlaub von all unseren Belastungen.

Und so hart das klingen mag, aber genau aus diesem Grund fliegt dann auch der wieder raus, der sich nicht passend gekleidet hat. Denn es geht nicht darum, dass dessen Hose vielleicht ein gestopftes Loch hat oder sein Hemd ein Gebrauchtes aus der Kleiderkammer ist. Alle sind eingeladen. Doch es geht um seine innere Haltung. Da kann man auch Klunker umhängen haben oder nicht. Die schützen dann auch nicht. Wer sich von diesem Fest nicht berühren lassen möchte, sondern nur zum Fressen und Saufen gekommen ist, der nimmt nur einem anderen den Platz weg.
Das ist wie mit dem Schüler, der im Unterricht einen Walk-Man auf hat; der kann auch nichts hören, geschweige denn verstehen und dann kann er auch gleich zu Hause bleiben.
Eingeladen war er trotzdem.
Gott lädt uns ein in seine Nähe, uns alle, nicht nur die Auserwählten, sondern Böse und Gute, damit wir uns anrühren lassen von seinem Glanz, um erleichtert und angerührt von seinem Fest nach Hause zu gehen und mutig am nächsten Puzzelstein meines Lebens zu bauen. Amen

20110615

Martin Adel: Machbarkeitswahn

13.06.2011 Pfingstmontag
Ökumenischer Gottesdienst St. Paul/St. Heinrich
am Felsenkeller, Burgfarrnbach
Gen 11,1-9 - Machbarkeitswahn

Liebe Gemeinde,

die Kinder haben uns hier mitten im Wald so schön vorgespielt, wie so ein Baum wächst und was er alles zum Wachsen eines Baumes braucht. Doch ich frage sie:
Nehmen wir die Natur um uns herum noch so wahr, als sinnvoll gestaltete Ordnung um uns herum? Die Bienen, die die Bäume bestäuben und nicht nur die Angst vor dem nächsten anaphylaktischen Schock? Die Pollen, die sich übers Land verteilen und Neues pflanzen und nicht das Heuschnupfen-Gespräch und welches Medikament nimmst du und was hilft bei dir? Der Wald: das Ergebnis der Alt-Vorderen, die gepflanzt haben und wir dürfen ernten, im Schatten sitzen?

Nehmen wir die Kreisläufe noch wahr, das fein ausgetüftelte Geflecht – wir nennen es heute Ökosystem - von Sonne, Wind, Regen, Bienen, Vögel … Sommer und Winter, Tag und Nacht, Rhythmen, denen wir schon längst nicht mehr unterworfen sind und dann die Nächte zu Tagen machen, unterstützt durch jede Menge Aufputschmittel und benötigen dann Beruhigungsmittel, um wieder runter zu fahren und schlafen zu können.

Natürlich genießen wir die Errungenschaften der Moderne die Produkte der weltweiten Vernetzung und Kooperation. Fast jeder von uns hat ein Auto – aus Japan, aus Amerika, aus Tschechien, aus …, die Fahrräder werden immer besser, laufen leichter, der Nabendynamo – ein Traum; und manch einer von uns ist vielleicht unterwegs mit einer künstlichen Hüfte, einem neuen Knie, einem Herzschrittmacher …

Wir haben uns befreit aus den Zwängen der Natur – seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Und weil der Mensch so verletzlich und gleichzeitig so kreativ ist, kann er am Nordcap leben, wie auch am Äquator. Er kann sich auf der Erde, im Wasser und in der Luft bewegen. Sogar im luftleeren Raum, im Weltall, kann er noch überleben.

Können wir das zumindest bewundern und schätzen, welche Talente, welche Fähigkeiten wir von Gott anvertraut bekommen haben, wenn wir schon nicht mehr die Bäume, die Vögel, die Bienen um uns herum wahrnehmen, weil wir gar nicht mehr mit Bäumen, Vögeln und Bienen zusammen den Lebensraum teilen, sondern in Häuserschluchten wohnen und uns meistens in künstlichen, synthetischen Welten bewegen.

Die Schatzsucher-Kinder wussten sofort, was sie heute draußen in der Natur spielen würden, doch als ich am Freitag endlich dazu kam, mir den Predigttext für heute anzuschauen, da zuckte ich erst etwas zusammen. Doch dann entwickelte sich ein Bild in mir.

Die Liebe zur Geschöpflichkeit, die elementaren Fragen zum Leben, zum Wachsen, zum Werden und Vergehen, die die Kinder formuliert haben, die sind das eine. Doch unser Erwachsenenleben ist viel komplizierter, viel komplexer. In unserem Inneren, da sehnen wir uns vielleicht noch danach und in der Werbung werden wir permanent darauf angesprochen: die Kuh, die von Hand gemolken wird und die Bäuerin, die das Brot noch selbst in den Holzofen schiebt und die Kaffeebohnen, die jede einzelne liebevoll geröstet werden – Sehnsuchtslügen in einer hochtechnisierten Welt. Wir hätten es vielleicht gerne so, doch die Realität ist eine andere – und deshalb schärft uns der heutige Predigttext den Blick für das, was wir tun und wie wir es tun und wo wir vielleicht etwas verändern sollten. Im ersten Buch Mose im 11 Kapitel lesen wir unter der Überschrift: Der Turmbau zu Babel.

Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte. 2 Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. 3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel. 4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.
5 Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. 6 Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. 7 Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. 8 Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. 9 Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.

Wir könnten nun viele interessante Fragen zu dieser sehr alten, biblischen Erzählung stellen, doch ich will mich auf einen Aspekt beschränken.

Am Anfang ist die gemeinsame Sprache – und wie weit man es mit einer gemeinsamen Verkehrssprache bringen kann, das wissen wir aus eigener Erfahrung. Weltweit forschen und planen Menschen zusammen, teilen sich die Arbeiten und schaffen Gewaltiges. Der Tunnel unter dem Ärmelkanal hindurch nach England, die gemeinsame Raumstation im Weltall …

Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte. … 3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.
Aber das ist nur der Anfang. Denn im Tun und in der Freude daran und im Ehrgeiz verliert der Mensch plötzlich das Maß. Es muss noch höher, noch weiter, noch toller werden:
4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel
Im selber Machen geht der Blick fürs Ganze verloren. Es geht nicht mehr um Sinn und Zweck und Notwendigkeit und Nutzen, sondern es geht plötzlich nur noch um sie selbst:
und machen wir uns damit einen Namen, damit ICH einen Namen habe und sich die Nachwelt noch an mich erinnert – egal ob als good boy oder als bad man.

Wer hat das höchste Hochhaus stehen? Wer traut sich einen Flughafen mitten im Meer zu planen? Wer baut die gigantischte Stadt mitten in der Wüste? Und wir bemerken die Maßlosigkeiten oft erst, wenn wir den Bogen überspannt haben.

Wie sah das Ruhrgebiet noch in den 60iger Jahren aus. Kein Fisch mehr im Rhein und eine Säuglingssterblichkeit, die trauen wir uns heute gar nicht mehr zu erwähnen.
Es geht um Macht, um Prestige, um Einfluss und Geld – koste es, was es wolle. Die Ehrfurcht vor dem Leben, vor dem Sein, vor der Geschöpflichkeit gerät dabei sehr schnell aus dem Blick. Doch gleichzeitig wird uns in unserer hochkomplexen Welt immer wieder ganz deutlich bewusst, wie verletzlich wird sind: Die Suche nach dem EHEC-Erreger ist da nur ein Beispiel.

Im modernen Machbarkeitswahn wird der Mensch bei aller Freiheit und Unabhängigkeit immer wieder tief verunsichert. Und lebt er herausgelöst aus sozialen Netzwerken und ohne Glauben, verliert er sehr schnell den emotionalen Halt und das seelisch Gleichgewicht. Dann können wir sogar die gleiche Sprache sprechen, doch wir verstehen einander nicht, weil es eben nicht nur um bloße Worte geht, sondern um ein Verstehen im Herzen, ein Mitfühlen – auch ohne Worte - in Liebe und um eine Gemeinschaft, die nicht vom Besitz und Stand abhängt, sondern vom Vertrauen lebt.

Und hier sind wir wieder am Anfang.
Beim Turmbau zu Babel entgrenzt sich der Mensch und erhöht sich über alles, sogar über Gott und will bis in den Himmel bauen, damit er sich selbst einen Namen macht. Doch dieses Streben fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus und es tritt ein, was der Mensch befürchtet hat – Sprachverwirrung, die Zerstreuung über die Erde und daraus wiederum der Kampf zwischen den Völkern.
Mit dem Pfingstereignis durchbricht Gott diese Realität. Als der Heilige Geist ausgegossen wird, verstehen sich die, die es hören können, über alle Sprachbarrieren hinweg, weil es eben ein Verstehen gibt, das mehr als die Sprache braucht, sondern ein Hören mit dem Herzen, geprägt vom Verstehen wollen und befreit von dem Verlangen, dem anderen überlegen sein zu wollen.

Versöhnt in Christus, in dem Gott gleichsam einen neuen Turm vom Himmel auf die Erde baut, bekommen wir die Chance, uns neu miteinander zu verbinden und dabei wird der andere mir zu Bruder und Schwester und die Natur wieder zu einer guten Gabe Gottes, uns anvertraut zur Lebensgrundlage für alle Geschöpfe der Erde. Was für ein Wunder.
Amen

20110522

Werner Otto Sirch: Die Wüste weint

21.5.2011 - Ansprache beim Beichtgottesdienst zur Konfirmation

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
liebe Eltern und Angehörigen unserer Konfirmandinnen und Konfirmanden
liebe Gäste,
liebe Gemeinde,

eine alte Geschichte aus Nordafrika erzählt von einem Beduinen, der sich immer wieder der Länge nach auf den Boden legt und sein Ohr in den Wüstensand drückt. Stundenlang horcht er in die Erde hinein. Verwundert fragt ihn ein Missionar: „Was machst du da eigentlich auf der Erde?” Der Beduine erhebt sich und antwortet: „Freund, ich horche, wie die Wüste weint, sie möchte so gerne ein Garten sein!”

Wenn wir, wie der Beduine, stille werden, unsere Ohren auftun, nach innen richten, dann können auch wir die Wüste weinen hören. Die Wüste in uns, weil wir ein blühender Garten sein möchten. Die Wüste der Einsamkeit in uns weint, weil wir so gerne ein Garten der Begegnung sein möchten. Die Wüste der Ungeduld weint, weil sie so gerne ein Ort der Ruhe und der Langmut sein möchte. Die Wüste aus Verzweiflung weint, sie möchte so gerne ein Garten der Hoffnung sein. Die Wüste der Schuld weint, sie möchte so gerne ein Garten der Vergebung sein. Die Wüste des Sterbens weint, sie möchte so gerne ein Garten des neuen Lebens sein.

Wenn wir mutig sind, uns trauen hinzuschauen und hinzuhören, dann können wir viel Wüste in uns entdecken. Zeiten, wo wir kein blühender Garten sind, oft nur mit uns selbst beschäftigt. Zeiten, in denen uns nur wenig zu gelingen scheint. Zeiten in denen wir uns innerlich ausgetrocknet fühlen. Diese Wüstenzeiten ängstigen und blockieren uns. Wir leiden, spüren das Trostlose, das Unfruchtbare in uns. Eigentlich möchten wir doch ganz anders sein: Ein bunter blühender Garten, an dem wir und andere sich erfreuen können. Ein fruchtbarer Garten, so wie ihn sein Schöpfer gedacht und wunderbar gemacht hat. Er hat ihn mit so vielen Gaben und Begabungen ausgestattet.

Liebe Konfirmandinnen und liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, liebe Gäste und Gemeindeglieder, ihr seid solch ein wunderbarer, von Gott erdachter Garten. Nein, bestimmt keine Wüste. Ihr habt Begabungen und Fähigkeiten mitbekommen, mit denen ihr wuchern dürft. Und ich denke, dass in euch noch viel mehr an Wunderbarem schlummert, verborgen, unerkannt, jetzt noch gar nicht zu sehen. Vieles, das sich in den nächsten Jahren noch entwickeln wird. Wunderbar seid ihr, von Gott erdacht und gemacht.

Da ist aber auch Wüste in uns, das, was Leben in Gefahr bringt, das, was unser Leben oft so fruchtlos und freudlos macht. Wüste, die uns innerlich verbrennt und vertrocknen lässt und vom Leben wegbringt. Wir fühlen das, es macht uns unruhig und unglücklich, denn eigentlich sehnen wir uns danach ein blühender Garten zu sein, in dem es wächst und gedeiht. Ein blühender Garten, der uns Freude schenkt, der uns die Erfahrung machen lässt, geliebt und angenommen zu sein.

Und so sind wir auf der Suche. Oft ganz unbewusst. Wir suchen, den blühenden Garten: die Ruhe, den Frieden, die Freude, die Anerkennung, das Angenommensein. Kurz gesagt: Das, was meinem Leben Halt und Glück schenkt. Aber wo sollen wir suchen? Es gibt so viele Angebote, die uns locken, die ihre Hände nach uns ausstrecken. - Viele geben auf, weil sie nicht finden, leben so weiter – unglücklich, mit der großer Sehnsucht im Herzen nach dem, den wir Vater nennen dürfen – den Gott mit den vielen Namen. Den Gott, den wir im Konfirmandenunterricht immer wieder miteinander gesucht haben: den Gott der Barmherzigkeit, den liebenden, geduldigen, vergebenden Gott. Den Gott der uns bei unserem Namen gerufen hat und dessen Kind wir durch die Taufe geworden sind. Es ist der Gott, der unsere Lebens-Wüste mit neuem Leben erfüllen kann. Er, der Liebhaber des Lebens, der uns dazu verhelfen will, dass wir leben, richtig leben. Der Gott, der nicht will, dass sich die Wüste in uns ausbreitet und bestimmend wird.

Dieser barmherzige, liebende, geduldige und vergebende Gott lädt uns heute zu sich ein: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Bei ihm dürfen wir die Wüste in uns lassen, damit Fruchtbares wachsen kann.

Wenn es in der Wüste regnet, dann wird daraus ein grünender und blühender Garten. Und so will das, was wir nachher in der Beichte und im Abendmahl mit einander tun, eine Einladung Gottes sein – ein warmer Regenguss in der Wüste. Wasser für eine verdurstende Seele. „Ich will heute bei dir einkehren“, sagt Jesus zum Zöllner Zachäus. Er macht ihm keine Vorwürfe, lehnt ihn nicht ab, trotz allem was er in seinem Leben falsch gemacht und verbrochen hat. Jesus lädt sich bei ihm ein, kommt ihm, dem Sünder, nahe.

Heute lädt sich Jesus auch bei uns ein. In der Beichte und im Heiligen Abendmahl will er bei uns einkehren, damit wir Vergebung erfahren. Wir dürfen das loslassen was uns belastet und quält. Wir dürfen neu anfangen – mit ihm.

„Freund, ich horche, wie die Wüste weint, sie möchte so gerne ein Garten sein!” das war die Antwort des Beduinen. Hören wir doch die Tränen der Wüste in uns – sie möchte so gerne ein Garten sein. Amen.

20110502

Werner Otto Sirch: Kommt, haltet das Mahl

Sonntag Quasimodogeniti - 1. Mai 2011

Johannes 21, 1-14

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

1. In dieser Nacht fingen sie nichts

„In dieser Nacht fingen sie nichts!“ Petrus und einige der Jünger waren nicht in Jerusalem geblieben wie die anderen Jünger, sondern zurück in ihre Heimat gegangen, an den See Tiberias. Dort gingen sie wieder ihrem Beruf als Fischer nach, nachdem die Geschichte mit Jesus vorüber war. Jesus gekreuzigt, gestorben, begraben. Petrus erinnert sich immer wieder daran, wie ihn die Frauen erschreckten. Sie hatten eigenartige Geschichten erzählt, dass das Grab leer sei und ihnen Jesus begegnet war. Schnell war er zum Grab gelaufen und welch ein Schreck: Es war leer. Warum, weshalb, wie konnte das sein – Jesus war doch tot, richtig tot. Die Gedanken drehten sich in seinem Kopf – er konnte nicht verstehen.

Aber Fische fangen, das konnte er noch, das war doch sein Beruf. Und dann das: Die ganze Nacht war er mit den anderen draußen auf dem See und sie hatten keinen einzigen Fisch gefangen. Es erinnerte ihn an damals, als ihm Jesus zum ersten Mal begegnet war. Da war er auch die ganze Nacht auf dem See und hatte nichts gefangen. Die Erinnerung daran schmerzte Petrus. Wenn Jesus jetzt hier wäre, dann könnte es wieder so sein wie damals, als sie, weil ER es gesagt hatte, am helllichten Tag nochmal hinausfuhren, obwohl jeder Fischer weiß: kein Fisch geht da ins Netz. Aber sie fingen so viele Fische, dass die Netze zerrissen. Ja, Jesus müsste da sein. Aber das ist vorbei. Endgültig vorbei – Jesus ist tot und sein Leichnam geklaut oder sonst was.

Hören wir die Geschichte, die unser Predigttext erzählt. Er steht bei Johannes im 21. Kapitel:

2. Text

Jesus offenbarte sich abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. 7 Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.
13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. 14 Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.


2. Habt ihr nichts zu essen?

„Habt ihr nichts zu essen?“ Seltsame Frage des Fremden, der am Ufer steht und sieht, dass sie nichts gefangen haben. Beiläufig und einsilbig ist ihre Antwort, ohne ihn weiter zu beachten: „Nein!“ Sie sind ohne einen einzigen Fisch zurückgekommen. Aber der Fremde lässt sich nicht beirren: „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden.“ Und es wiederholt sich, was Petrus schon einmal erlebt hat – damals: „Da warfen sie das Netz aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische“. Johannes, der Lieblingsjünger Jesu, begreift als erster was hier geschieht und wer der ist, den sie kaum beachtet hatten: „Es ist der Herr!“

3. Es ist der Herr

Liebe Schwestern und Brüder, auch heute ist uns Jesus oft ganz nahe und wir erkennen ihn nicht. Vielleicht sind wir auch zu beiläufig und in gewisser Weise einsilbig. Verwundert und erstaunt denken wir vielleicht an unseren Schutzengel, meinen „Glück gehabt“, können uns nicht erklären was geschehen ist und sprechen vom Zufall. Aber ER war da, er, der Herr!

Und er ist uns nahe in unserem Nächsten, der allein nicht mehr weiterkommt; Menschen an seiner Seite braucht, die sich seiner annehmen. „Es ist der Herr“, der sich erbarmt und nicht nur zuschaut. „Es ist der Herr“, der unsere Hände braucht als seine Hände, der unsere Liebe und unser Erbarmen braucht, als seine Liebe und sein Erbarmen. „Es ist der Herr“, der uns nahe kommt in einem Menschen, an dem wir nichts mehr menschliches und menschenwürdiges erkennen können. Menschen, vor denen wir uns ekeln, Menschen, die voller Bosheit und Gewalt sind, Menschen, betrunken, voller Gier, getrieben von Sucht, gefangen in ihrem Elend. „Es ist der Herr“, der uns in ihnen begegnet.

4. Das Netz reißt nicht, es hält

Als Petrus klar wird, dass es der Herr ist, den er verleugnet hat, ja geschworen hat, ihn nicht zu kennen, da hält ihn nichts mehr zurück. Er muss hin zu ihm – und zwar so schnell als möglich. Es brennt in seinem Herzen. Er zieht sein faltiges Obergewand an, das umgelegt und mit einem Gürtel zusammengehalten wurde, denn er wollte nicht mit nacktem Oberkörper vor seinen Herrn treten. Dann springt er ins Wasser, obwohl das Schiff schon fast das Land erreicht hatte und watet so schnell es geht ans Ufer zu Jesus. Dort, bei ihm, ist der Ort für sein schlechtes Gewissen, die Not seiner Seele.

Inzwischen ist auch das Boot mit den anderen Jüngern und dem Netz voller großer Fische an Land. Es waren 153. Sie hatten einen reichen Fang gemacht. Welch ein Überfluss, vielleicht aber auch Zeichen, dass noch viele Menschen zum Mahl erwartet werden. Johannes erzählt: „Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht“.

Es sind viele, die den von Jesus in die Welt hinausgesandten Jüngern glauben, durch ihr Wort, durch ihr Zeugnis, zum Glauben an Jesus kommen. Viele in aller Welt. Und diese Vielen zerren ganz schön am Netz des Glaubens, aber das Netz reißt nicht, es hält.

Manchmal machen wir uns Sorgen, ob das Netz des Glaubens an den Auferstandenen auch bei uns hier in Deutschland hält. Nicht einmal ein Drittel der bei uns lebenden Menschen nehmen den Auferstehungsglauben noch für sich in Anspruch. Er ist für viele bedeutungslos geworden und doch ist er das Zentrum unseres Glaubens: „Der Herr ist auferstanden! – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Das Netz reißt nicht, es hält.

Wir machen Erfahrungen von Ermüdung, schwindender Hoffnung, ausbleibenden Missionserfolgen, Streit über Konzepte und Kompetenzen, Entscheidungen für eine bestimmte Seite gegen eine andere u.ä. gehören ebenso zum gegenwärtigen Gemeindealltag, wie Erfahrungen unerwarteter Hilfe, mutmachender Herausforderungen, glaubensstärkender Vielfalt und ökumenischer Einigkeit.

Trotzdem, das Netz reißt nicht, es hält.

5. Kommt, haltet das Mahl – sie wussten, dass es der Herr war.

„Sie wussten, dass es der Herr war!“ „Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot.“ Jesus hatte das Mahl bereitet und aß mit ihnen Brot und Fische. Niemand hatte etwas dazugetan und geholfen. Sie wussten, dass es der Herr war, obwohl ihn niemand gefragt hatte. Die von den Jüngern gefangenen Fische waren nur die Zugabe.

Wie oft meinen wir, dass wir es schaffen müssen Gemeinde zu bauen. Ich weiß nicht, ob wir dabei nicht manchmal unserem Herrn kräftig ins Handwerk pfuschen, weil wir ihn nicht machen lassen. Weil wir vergessen haben, dass er es ist, der Gemeinde baut. „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ , hatte Jesus sehr ernst seinen Jüngern gesagt. Was wir können und tun ist nur Zugabe. Wir dürfen ihn machen lassen und hoffen und glauben, dass er es tut. Glaube wächst, weil Gott durch sein Wort zu uns spricht, weil er zu unserem Herzen und in unser Gewissen hineinspricht. Unsere Aufgabe ist: „Kommt, haltet das Mahl!“ Wir müssen nicht kochen. Jesus hat das Mahl zubereitet – er hat die Menschen zubereitet, dass sie glauben können. „Kommt haltet das Mahl!“ Dort ist zu finden, was der Mensch braucht: Vergebung seiner Schuld, Heilung seiner Gottesferne, Gottes Nähe und Freundlichkeit.

„Kommt haltet das Mahl!“ Wir tun das im Heiligen Abendmahl, das Jesus für uns bereitet hat. Wir tun das aber auch immer wieder, indem wir von Jesus erzählen und andere mit seinem lebendigen Wort stärken und seinem Glauben Nahrung geben, damit dieser wachsen kann und in Jesus festen Halt und Tiefe findet. Amen.

20110421

Werner Otto Sirch: Hilf dir selbst!

Karfreitag 22.4.2011 - Predigt Lk 23, 33-49

33 Als sie an die Stätte kamen, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!
38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.



Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

1. Hilf dir selbst

„Hilf dir selbst!“ Dreimal hören wir dies in der Erzählung des Arztes Lukas, der dabei ist und zusieht, wie ein Mensch einen schrecklichen Tod am Kreuz stirbt. Dreimal: „Hilf dir selbst!“ Menschen die sich schlecht benehmen, die Spott treiben mit einem der Todesqualen leidet und in wenigen Stunden den Tod durch Ersticken erleidet. „Und das Volk stand da und sah zu.“ Steht da und schaut betroffen zu - erbarmungslos, ohne Erbarmen.

2. Zuschauen

Zuschauen! Wir kennen das. Gaffer, die sich nicht sattsehen können an einem Unglück. Gaffer, die sich nicht sattsehen können am Grauen, am Undenkbaren. Gaffer, die alles ganz genau sehen müssen - die Not anderer. Gaffer, die behindern, statt zu helfen.
Zuschauen! Da ist einer gefallen, hat etwas getan, was man besser nicht tut, hat anderen geschadet. Nun ist er dran – jetzt wird ihm geschadet – gründlich – und da gibt es keinen „Notausgang“ mehr, damit er seine Würde bewahren kann. Zuschauen und laut oder leise denken: „Das kommt davon! Es geschieht ihm recht!“
Zuschauen! Da wird einer angepöbelt, kurz darauf niedergeschlagen und mit den Schuhen getreten, überall hin – auch ins Gesicht, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit. Zuschauen und denken: Nichts wie weg!
Zuschauen! Schweigen, wenn eine Kollegin oder ein Kollege gemobbt wird. Leise denken: „Es gibt Leute, die verdienen so was“ – oder: „Bin ich froh, dass ich in Ruhe gelassen werde.“
Zuschauen! Wenn sich Kinder schlecht benehmen und keine Grenzen kennen.
Zuschauen, nur nicht einmischen. Was geht’s mich an?

3. Gerechtigkeit

Es gibt keine Gerechtigkeit, sagt sie. Ich sitze am Tisch in ihrer Küche. Sie deutet mit dem Kopf auf ein Bild über der Kommode. Er ist im Krieg geblieben. Vier Monate waren sie verheiratet. Eingezogen, Ostfront, noch einmal Urlaub. Dann kein Lebenszeichen mehr. Ihre Tochter, erzählt sie und weint, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Seit Jahrzehnten ist sie allein. Kaltes Wohnzimmer, warme Küche. Angelaufene Fenster. Kartoffeln auf dem Gasherd. Sie wischt sich die Brille mit der Schürze.
Es gibt keine Gerechtigkeit mehr. Heute morgen hat sie erfahren, dass man ihr den gepachteten Garten wegnimmt. Nun wird er Firmengelände. Gut, sie tauschen. Aber das ist zu weit weg für mich, am anderen Ende der Stadt. Und noch einmal neu anfangen, mit 71?

Bitter sieht sie aus. Abgeschaffte Hände, abgeschaffte Seele, abgeschafftes Gesicht. Wer hat, der bekommt mehr. Der eine Geld, der andere Sorgen. Sie sagt es nicht ganz so zurückhaltend. Aber bald ist auch das 'rum. Das 'rum? Na ja, 71, sagt sie. Hätte ich einen Mann gehabt, dann hätten sie nicht so mit mir umspringen können.
Drei Wochen später bekommt sie auf der Straße einen Schlaganfall, fällt ungeschickt, stirbt noch am Unfallort. Verwandte sind keine da. Zur Beerdigung werden wenige ältere Frauen aus der Nachbarschaft kommen. Die Ansprache wird kurz sein. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Keiner, der dem Pfarrer ins Wort und der Organistin in den Arm fällt und sagt: So geht das doch nicht.
Und dann eines von den vielen Gräbern auf dem riesigen Friedhof. Nach Jahren verwildert, wenn sich keine mitleidige Hand findet. Es gibt keine Gerechtigkeit auf der Erde, nicht einmal auf dem Friedhof würde sie sagen.

Die Soldaten nehmen ihre Lanzen, den zerteilten Rock und gehen in die Kaserne. Sie haben ihren "Job getan". Jesus ist tot. Ordentliche Arbeit, tausendfach erprobt an Juden, später an Christen. Scheintod ausgeschlossen. Auch das muss jemand tun. Wer redet von Moral?
Er ist der Zeuge für Gottes Gerechtigkeit. Immer wieder angekündigt: „... wird er, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen“ (Jes 53,11; 11,4f), der Mensch Gottes, der Zeuge der Gerechtigkeit Gottes auf Erden.
Nun hängt er, abgeurteilt nach römischem Recht, gefoltert und gedemütigt am Kreuz zwischen zwei Straftätern. Das ist die Gerechtigkeit, die auf Erden gilt. Wer die Macht hat, setzt das Recht. Der Tod hat das Sagen.

Karfreitag – Tag der Gottverlassenheit des Menschen. Karfreitagswetter, sagte man bei uns zu Hause, wenn es trübe, nasskalt war. Wenn es den ganzen Tag über nie richtig Tag wurde. Karfreitag, der Tag, an dem es nicht Tag wird.

4. Mit Spott prüfen

„Hilf dir selber!“ Da hängt er am Kreuz. Er, der kein Verbrechen begangen hat. Er, der sich um andere sorgt, Müde aufrichtet, Kranke heilt, Tote ins Leben ruft. Er hängt am Kreuz, weil er andere in die Quere kommt, ihre Macht in Frage stellt. Er muss sich mit Spott prüfen lassen: „Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.“ Durch Schmach und Qual wollen die Oberen des Volkes, die Soldaten und zuletzt einer der mit ihm Gekreuzigten, prüfen ob sein Anspruch, Gottes Sohn zu sein, auch berechtigt ist. Wenn ja, wird Gott ihm helfen.

Gott hängt am Kreuz. Von Menschen hingerichtet, gequält und geschlagen. Abgelehnt und gehasst. Von den Oberen denunziert und verspottet. Sie wollen einen anderen Gott. Am liebsten wären sie selbst Gott. Vielleicht ist das der Grund, warum sie so viel Hass und Spott über den Sohn des allmächtigen und lebendigen Gottes ausgießen. Selbst Gott sein wollen. Das ist bis zum heutigen Tage geblieben. Aber Gott möchte, dass wir ihm vertrauen und annehmen was er für uns auf Golgatha getan hat. Annehmen, dass er für unsere Schuld mit seinem Blut bezahlt hat, damit wir frei und losgekauft sind von der Macht des Bösen.

5. Der Schächer am Kreuz

Einer, der mit Jesus gekreuzigt war, hat verstanden wer da neben ihm am Kreuz hing und was das für ihn bedeutet. Er hat hingeschaut auf das eigene Leben, auf die eigene Schuld, weist den anderen, der Jesus prüfen wollte wie die Oberen und Soldaten, zurück: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Jesus, der leidende und sterbende Gottessohn nimmt sich, trotz der eigenen Qual und Pein, des Verbrechers neben ihm an und verheißt ihm den Lohn des Gerechten. Ihm, der sich seiner Schuld gestellt hat, der bereit war hinzusehen auf sein Leben und es vor Jesus zu bekennen, ihm nimmt Jesus die Schuld ab, legt sie bei sich aufs Kreuz und spricht ihn ledig und frei – vor Gott gerecht.

6. Wir am Karfreitag 2011

Ich denke, es ist auch unsere Sehnsucht, heute, am Karfreitag 2011, dass der gekreuzigte und auferstandene Herr und Heiland uns freispricht von all dem was in Gottes Augen keinen Bestand hat. Wir werden nachher Zeit haben, jeder für sich, sein Leben anzuschauen – hinzusehen auf das was uns schmerzt, auf das, was wir besser nicht getan hätten, auf das, was uns von Gott und von anderen Menschen trennt. Hinsehen auf das was Heilung und Vergebung braucht. In der Beichte und dem Heiligen Abendmahl, das wir anschließend feiern, bietet uns Gott die Vergebung unserer Schuld und einen Neuanfang an.

Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

20110411

Martin Adel: Paulus – Zur Freiheit befreit

Judika – 10.04.2011 Themenpredigt: Paulus

Liebe Gemeinde

1. Hinführung

Da ist einer auf dem besten Weg Karriere zu machen. Ein Fleißiger, ein Gescheiter, ein Eifriger, ein Pflichtbewusster. Alles läuft in guten, wohlgeordneten Bahnen. Er hat Erfolg. Er kann sich ausdrücken und er hätte es weit bringen können. Er steht auf der richtigen Seite, gewinnt an Macht und Ansehen und bekommt die Mittel, die anderen, die auf der falschen Seite stehen zu verfolgen, gefangen zu nehmen und mundtot zu machen.

Doch dann passiert ein tiefer Einschnitt in seinem Leben. Christus stellt sich ihm in den Weg und er steht plötzlich auf der anderen Seite.

Statt zu verfolgen, wird er nun zum Verfolgten. Die bürgerliche Sicherheit tauscht er ein in finanzielle und berufliche Ungewissheit. Hunger, Not, Bedrängnis, Verhaftung, Anfeindungen werden sein stetiger Begleiter und am Ende seines Lebens stirbt er den Märtyrertod für seinen Glauben. Und doch ist er jetzt zufriedener und freier als zuvor. Alle Äußerlichkeiten treten in den Hintergrund, weil er in Christus einen ganz neuen Wert gefunden hat, einen, der mehr aufwiegt als alle Sicherheiten davor.

Dort oben steht dieser Mann, dieser Paulus – der Völkerapostel, Jahr und Tag in unserer Kirche, die auch seinen Namen trägt, mit dem Schwert der Verkündigung in der Hand. Und wir hören ihn sagen: (Phil 3) 7 was mir(früher ein) Gewinn war, (worauf ich stolz war) das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet … und ich erachte es für Dreck. Denn: Gal 5,1: Christus hat uns Zur Freiheit befreit.

2. Vita Pauli bis zur Bekehrung

Was ist passiert?
Schauen wir zurück.
Paulus war ein frommer Jude. Er ist streng. Streng mit sich selbst und mit den anderen. Keine Nachlässigkeiten – die tun nicht gut. Er ist gesetzestreu. Da weiß man, was richtig ist. Da gibt es klare Regel. So ist es richtig – so ist es falsch. Und das gilt nicht nur für die Arbeit, sondern auch zu Hause, in der Familie, im Privaten. Das ist eine Lebenshaltung, eine Überzeugung. Denn Gott ist ein gerechter Gott und streng noch dazu. Die Gnade Gottes muss man sich verdienen – wie auf Erden so im Himmel.

Und dann kommen sie auch aus unserem Mund, die Worte: hart, klar und verletzend:
Also so eine gute Frau hat der nicht verdient?
Siehst du, das hat er jetzt davon. Aber er wollte ja nicht hören.
Da brauchst du kein Mitleid haben, die hat ihr Leben selber verpfuscht.
Wer mit dem Feuer spielt … Gilt das auch für Fukuschima?
Wie sagen wir gern: Das Leben ist hart, aber gerecht.

Und dann kommen da welche und sagt: Gott ist Liebe! – das ist zu einfach. Ein Mensch - Gottes Sohn! Der Messias! Der mein Versagen gnädig ansieht! Der mich durch die Verstrickungen und Verwirrungen meines Lebens hindurch ansieht und mir mit geöffneten Armen entgegen eilt und ruft: Mein Sohn – meine Tochter.
Das verwässert alles. Da fehlt die Strenge und die Disziplin und die ausgleichende Gerechtigkeit. Das ist Gotteslästerung.

Und deshalb muss die gute, alte Ordnung wieder hergestellt werden.
Und wenn ein Stephanus nicht bereit ist, zu widerrufen, dann muss er eben die Konsequenzen dafür tragen. Auch wenn man ihn dafür steinigt! Das mag hart klingen, ist aber gerecht. Schließlich hat er es doch selber so gewollt.
In dieser inneren Lebenshaltung zieht Paulus weiter nach Damaskus, um dem ganzen Christen-Spuk ein Ende zu setzen. Doch dann stellt sich ihm Jesus Christus in den Weg und öffnet ihm die Tür zu einem neuen Leben.

Und so heißt es in der Apostelgeschichte:
Die Bekehrung des Saulus (Apg 9)
1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.
3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; 4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. 6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; 9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.

Und was danach folgt ist ein tiefgehender Wandel vom Saulus zum Paulus.

Es braucht einige Jahre, bis Paulus zu dem wird, wie wir ihn heute kennen – der Völkerapostel und der Missionar für die weltweite Christenheit. Doch eines ist dabei immer klar. Diese Begegnung mit Jesus Christus lässt in ihm das heranwachsen und reifen, was er ab sofort auch lebt und verkündet. Die Gesetzlichkeit ist zerbrochen. Und was darauf folgt ist nicht die Beliebigkeit oder die Schlamperei und Nachlässigkeit, sondern liebende Blick auf das Leben. Und Paulus schreibt: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“

3. Neues ist geworden - Paradigmenwechsel

Durch die Begegnung mit Christus und die Beschäftigung mit seinem Leben, seinen Worten, seinen Taten findet in Paulus ein völliger Paradigmenwechsel statt.
Nicht mehr ich, sondern Christus – das ist die Perspektive.
Nicht mehr meine Werke, meine Gerechtigkeit, mein Können, mein Erfolg, mein Ansehen, meine Tollheit, sondern Gottes Liebe und seine Gerechtigkeit sind der Maßstab für mein Leben und für meinen Umgang mit den anderen. In Christus werden wir zu einer neuen Kreatur.

2 Kor 5,17ff
Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. …. Lasst euch versöhnen mit Gott!


Das ist das Evangelium. Die Kraft Gottes, die uns befähigt, ja, die uns nötigt, in die Welt eine anderes Wort hinein zu sprechen als Selbstgerechtigkeit, Ausgrenzung und Verachtung.

Die Hartherzigkeit, die er früher gelebt hat, findet eine grundlegende Verwandlung durch Christus und er kann sagen:

Gal 2,19f
Ich bin mit Christus gekreuzigt. 20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.

4. Ihr seid alle Gottes Kinder

Und diese Veränderung geht so weit, dass er sich sogar mit den den Jüngern und Aposteln in Jerusalem anlegt und das Evangelium für uns, für die Welt befreit.
Denn als die anfangen, untereinander Grenzen zu ziehen und Gesetze aufzurichten, wer wie und wie am besten glaubt und nachfolgt, ob z.B. die Griechen, also die Heiden, nicht vor der Taufe noch beschnitten werden müssten oder dass sie zumindest die jüdischen Speisegesetze als religiöses Muss einhalten müssten, da sträubt sich in ihm alles und er schreit:
Nein! Hört endlich auf mit dieser permanenten Unterscheiderei, wer wo her kommt und wer welche Hautfarbe, welche Nationalität, welche Tradition, welchen Stand, welche Sprache, welches Geschlecht hat.

Gal 3,25ff
25 Nachdem aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister (des Gesetzes). 26 Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. 27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. 28 Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.

Und als sie weiter machen zu unterscheiden und sich die Köpfe einzuschlagen, wer denn besser glaubt und wer denn eher den Willen des Herrn erfüllt, wer denn den besseren Gottesdienst täte und wer denn bei Gott mehr ansehen hätte, die, die prophetisch reden, die die im Chor singen, die die nur ruhig in den Gottesdienst gehen oder die, die in Ekstase und Verzückung geraten über dem Wort Gottes.
Da schreibt er an die Gemeinde in Korinth und manchmal habe ich den Eindruck, als hätte er die Worte direkt an uns hier in St. Paul geschrieben: Hört auf euch ständig abzugrenzen in Alte und Junge und wie es sich denn nun richtiger, heiliger, evangelischer verhält.

1 Kor 12
4 Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
5 Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
6 Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.
Christus ist der Leib und wir alle Glieder dieses Leibes.
13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt. …. 26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.


Christus ist und bleibt das Zentrum allen unseres Lebens und Denkens. Und es würde schon ausreichen, wenn wir unsere unterschiedlichen Gaben in den Dienst dieses einen Gottes stellen würden, anstatt herum zu mäkeln, wer was tut und wie er es tut und was er denn alles tun könnte …

5. Zur Freiheit befreit

Gal 5,1ff
1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. …. 14 Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, in dem (3.Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« 15 Wenn ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht einer vom andern aufgefressen werdet.

Die Begegnung mit Christus hat Paulus in seinem innersten tief beschämt und verändert. Ihm, dem Verächter und Verfolger der Gemeinde hat Christus gewissermaßen zum Vorarbeiter in seinem Weinberg berufen. Aus der Enge aller Gesetzlichkeit und Rechthaberei hat Gott ihm Versöhnung zugesprochen und ihn zur Liebe befreit. Und es gibt nichts und niemanden mehr, den Paulus noch fürchten müsste. Über den Tod kann er dann sogar spotten: 1 Kor 15 - Tod, wo ist dein Sieg. Tod, wie ist dein Stachel.
Natürlich hat er genug Angst und Sorge – gerade um die jungen Gemeinden, die noch nach ihrem Weg suchen. Not und Verfolgung muss er erleiden, Bedrängnis, Trübsal, Gefängnis …


Doch in ihm wächst die Gewissheit und die Kraft gegen alle Enttäuschung und Niedergeschlagenheit und Rückschläge, dass sich die Liebe Gottes durchsetzen wird – denn aus ihr hat er sein Leben neu zurück bekommen, ein Herz das atmet – zur Freiheit befreit - und er wird zum Botschafter Christi in der Welt bis heute, wenn er sagt:

Röm 1,16f
16 ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.

Amen

20110325

Werner Otto Sirch: Den Seinen gibts der Herr im Schlaf ...

27.2.2011 - Sonntag Sexagesimae
Predigt Markus 4, 26-29

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Hinführung zum Thema

Wir erleben gegenwärtig eine harte Zeit in der Kirche und in der Gesellschaft. Es herrscht ein rauher Wind. Überall ist das Geld knapp geworden, trotz eines neuen „Wirtschaftswunders“ von dem die Wirtschaft und andere Fachleute sprechen. Es müssen Schuldenberge, die schwindelnde Höhen erreicht haben, zurückgezahlt werden. Einige Staaten in Europa stehen am Rand der Staatspleite. Es herrscht bei vielen Angst, dass der Euro zu wertlosem Papier wird.

Monatelang streitet Regierung und Opposition über die vom Verfassungsgericht angemahnte Neuberechnung des Hartz IV-Gesetzes – dann haben sie sich geeinigt – und nun doch wieder nicht. Der Bürger fragt sich, ob die Regierung noch handlungsfähig ist, wenn sie Verhandlungen regelmäßig ohne Ergebnis vertagt, bzw. das Ergebnis nicht länger als wenige Stunden hält. In den letzten Tagen kann man hören, dass viele Kommunen an der Grenze ihrer Zahlungsfähigkeit angelangt sind, wegen hoher Sozialausgaben.

Unser soziales Miteinander scheint mehr und mehr dem Egoismus Einzelner und den Interessen bestimmter Gruppen gewichen. Die Folge: Reiche werden immer reicher und Arme immer ärmer. Für die Rettung von Banken, die Milliarden verzockt haben, stehen Unsummen bereit, für Kindergärten, Schulen und Universitäten ist das Geld knapp. Und nach dem großen Bankencrash wird munter weitergezockt und so getan als sei nichts gewesen.

Der raue Wind ist auch in der Kirche zu spüren. Missbrauch auch bei uns, in der Nachbarschaft. Die Gemeinden werden immer kleiner. Es werden mehr Menschen beerdigt als getauft. Die Kirchenaustrittszahlen halten unvermindert an. Für viele gehört es zum guten Ton nicht mehr in der Kirche zu sein, obwohl sie sich als gläubige Menschen sehen. Längst lassen sich nicht mehr alle jungen und getauften Christen konfirmieren. Nach der Konfirmation ist für die meisten Pause. Wenige bleiben aktiv dabei. Ich mache mir Sorgen und Gedanken, wie aus diesen jungen Menschen gestandene Christen werden, wenn sie nicht zu Bibellesern werden, in den Gottesdienst und in die Gemeinde kommen, wenn sie leben wie die, die nichts vom liebenden Gott gehört haben.

2. Predigttext

In diese bedrückende Situation hinein hören wir den heutigen Predigttext. Ein Wort Jesu, aus dem hoffnungsvolle Stimmung klingt, auch wenn er in einem heftigen Kontrast zu unserer Lebenswirklichkeit steht. Er steht geschrieben im Evangelium des Markus im 4. Kapitel:

Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft
27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. 28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.


3. Wie von selbst ...

So mancher Landwirt oder Hobbygärtner mag sich über diesen Text ärgern. Samen in die Erde, das war’s. Der Rest geschieht von allein. Jetzt muss man nur noch zusehen, es wächst von allein. Da steht nichts vom Gießen oder vom Düngen, da steht nichts vom Unkraut jäten und beschneiden. Es geschieht von selbst. Aber ist das wirklich so? Wir sehen doch die schwere Arbeit eines Landwirts oder wie der Gärtner den Rücken krumm machen muss, damit er einen guten Ertrag hat. In unserem Gleichnis legt man sich aufs Ohr und lässt es einfach wachsen, lässt den Wachstumskräften freien Lauf – das wird dann schon. Aber geht das wirklich so? Oder fehlt uns dazu nur die nötige Gelassenheit, das Zutrauen, dass es auch ohne uns geht? Was will uns das Gleichnis Jesu sagen, was sollen wir daraus lernen?

4. Wort Gottes – der gute Samen

Ich stelle mir das bildlich vor: Der Prediger auf der Kanzel der St. Paulskirche ist der, der den guten Samen des Wortes Gottes unter die Menschen wirft. Er hat sich vorbereitet, hat Gottes Wort sprechen lassen und jedes Wort gewogen, das er der Gemeinde sagen möchte. Und dann, wie geht es weiter? Was kommt dabei heraus? Wächst der Glaube in den Menschen? Wächst die Gemeinde? Entsteht neuer Hunger nach Gottes Wort? Wird die Gemeinde lebendig und dienstbereit? Steigt das Spendenaufkommen, weil die Hand offener wird für die Nöte anderer und die Aufgaben der Gemeinde?

Was bewirkt der Samen, die Predigt? Solche und ähnliche Gedanken beschleichen mich manchmal, weil ich meine es müsste viel passieren, da wir doch einen so wunderbaren Samen in die Herzen der Menschen legen, weil wir doch eine so großartige frohe Botschaft predigen. Und dann träume ich unsere Kirche voll Menschen, sehne mich nach einem Aufbruch, nach einer neuen Ausgießung des Heiligen Geistes. Träume, dass aus den Wenigen die zum Gottesdienst kommen die Vielen werden, die sich nach Gott auszustrecken und von der Sehnsucht nach Gott und seinem Wort ergriffen werden.

Fehlt mir die Gelassenheit Gott zuzutrauen, dass er auch diese, unsere Gemeinde nie aus dem Blick verliert, sie wachsen lässt und erhält? Fehlt mir die Gelassenheit Gott zuzutrauen, dass er sich um all die Menschen kümmert die in unserem Land leben und für jeden das bereithält was er braucht? Hat nicht Gott für jeden dieser Menschen seinen Weg?

Wir werfen den Samen, das Wort Gottes unter die Leute und Gott lässt es wachsen, so unser heutiger Predigttext. So wie der Gärtner, der Landwirt nicht dem Wachstum nachhelfen kann, indem er an den Pflanzen zieht - er würde die jungen Pflänzchen ja nur ausreißen – so können auch die, die Gottes Wort unter die Leute bringen nicht nachhelfen. Gottes Wort muss in den Herzen der Menschen selbst wachsen und sich einwurzeln. Wir dürfen fest darauf vertrauen, dass Gottes Wort nie leer zurückkommt. Gottes gepredigtes Wort wird Frucht bringen. Wir müssen die Frucht nicht schaffen, und wir müssen auch nicht an den jungen, zarten Glaubenspflänzlein ziehen, damit sie schneller wachsen. Gott schafft die Frucht im Leben derer, die sein Wort hören und in ihrem Herzen bewahren.

5. Im Glauben frei

Dr. Martin Luther schrieb einst an seine Frau: „Liebe Katharina, nach einem langen Tag sitze ich bei einem Maß Bier und denke mir, der liebe Gott wird es schon machen!” Dieses kindliche Vertrauen wünsche ich mir auch manchmal: Gott wird es schon machen.

Wie oft meine ich, dass wir es sind, die es machen müssen. Fange an mir Sorgen zu machen über die Zukunft der Kirche und die Zukunft unseres Volkes, das so leichtsinnig die Werte die aus dem Glauben kommen wegwirft. Was ich dabei vergesse ist, dass Gott immer der Wirkende ist, ob wir nun rackern oder ruhen. Wir dürfen das tun, was in unseren Kräften steht, gern, gleich und ganz! Und wir können vertrauen, dass Gott tut, was in seiner Macht steht.

Der Liederdichter Paul Gerhardt wusste was es heißt zu glauben und nicht zu sorgen ob der Samen wohl aufgehen mag. Voller Vertrauen dichtete er: „Bist du doch nicht Regente, der alles führen soll. Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.“

Dieses Vertrauen macht frei! Es macht nicht lässig, aber gelassen, nicht übermütig, aber mutig, nicht träge, aber tragfähig, nicht ängstlich, aber engagiert. Und so konnte der Beter des 127. Psalms beten: „Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzt und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf!“ „Den seinen gibt’s der Herr im Schlaf.“ Ich liebe dieses Wort. Da steht nämlich nicht: Den Seinen gibt’s der Herr beim Rumrennen und Betrieb machen. Wir müssen nicht eine Aktion nach der anderen starten und möglichst auf allen Hochzeiten tanzen. Das sollen ruhig die anderen machen, die es viel besser können als wir. Unsere Arbeit ist den Samen auszuwerfen. Gott wird dann das Seine dazutun und Wachstum schenken.

Ohne Samen kann nichts wachsen. Darum sind auch Eltern und Großeltern dafür verantwortlich, dass der Same des Wortes Gottes in ihren Kindern eingepflanzt wird. Dass ihre Kinder erfahren und erleben wie christlicher Glaube gelebt wird. Kinder lernen durch das Vorbild ihrer Eltern, nicht durch Druck und Forderungen. Darum dürfen Eltern und Großeltern voll Vertrauen den Kleinen von Jesus erzählen und ihnen den Glauben an den lebendigen und barmherzigen Gott lieb machen, indem sie das leben was sie sagen. Für das Wachstum des Glaubenssamens wird aber Gott sorgen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass er das zum Leben erweckt, was wir im Vertrauen auf ihn in unseren Kindern gesät haben.

6. Saat auf Vertrauen

Vor 110 Jahren haben die wenigen Menschen, die damals in der Südstadt gewohnt haben mit viel Glauben eine große Kirche, die größte in Fürth, mitten auf den Acker gestellt – unsere St. Paulskirche. Sie haben das im Vertrauen darauf getan, dass Gott segnen wird, was sie begonnen haben. Um die Kirche hat sich im Laufe der Jahre eine große Gemeinde gesammelt. Die größte Gemeinde hier in Fürth. Unzählige Menschen wurden in ihr getauft und konfirmiert, haben an ihrem Altar geheiratet und das heilige Abendmahl gefeiert. Wenn unsere Vorfahren diesen Glauben nicht gehabt hätten, so würde heute vielleicht eine kleine Kirche hier stehen und nicht das schöne, große, helle Gotteshaus.

Und so wollen wir im selben Glauben und Vertrauen in diesem Jahr unser neues Gemeindehaus neben das Pfarrhaus bauen, in der Hoffnung, dass es von Ihnen, liebe Gemeinde, mit Leben erfüllt werden wird. Wir wollen glauben und vertrauen, dass über viele Generation, das Zusammenleben in diesem Stadtteil durch das neue Gemeindehaus Segen empfängt. Wir können planen und bauen, aber das Wachstum und Gedeihen in dem neuen Haus und in unserer Gemeinde kann nur Gott schenken. So kann ich eigentlich nur um zweierlei bitten:
Das erste ist, dass Sie, liebe Gemeinde, alles Nachdenken und Planen mit ihren Gebeten begleiten.
Als zweites, dass Sie ihrer Gemeinde auch die nötigen finanziellen Mittel (ca. 200.000 €) mit vielen, vielen kleinen und größeren Spenden zur Verfügung stellen, damit es ein einladendes neues Haus unserer Gemeinde werden kann.

7. Die Ernte

In meinem Herzen kann ich kaum den Tag der Ernte erwarten. Das ist dann wenn der Landwirt, der Gärtner sagen kann: „Die Mühe hat sich gelohnt, der Herr hat das Wachstum dazu gegeben.“ Auch in unserer St. Pauls-Gemeinde können wir immer wieder Ernte erleben und erfahren, dass Gott zu dem, was wir oft mit zittern und zagen beginnen und tun, seinen Segen gibt. Unsere St. Paulsgemeinde hat mit ihrer wunderbaren Botschaft von der Liebe Gottes zu den Menschen diesem Stadtteil geprägt. Viele, viele Menschen haben erfahren was es heißt in einer Gemeinde Halt und Gebogenheit zu spüren – und was es heißt sich einzubringen für andere, die Nähe, Geborgenheit, Hilfe und die Gewissheit brauchen, dass sie nicht allein sind, egal in welcher Situation sie sich befinden. Das ist Grund genug, um Gott zu danken, dass er es ist der das Wachstum schenkt. Amen.

20110117

Martin Adel: "...und er offenbarte seine Herrlichkeit"

2. Sonntag n. Epiphanias - 16.1.2011

Exodus 33,17b-23

1. Hinführung
Liebe Gemeinde,
da fliegt vor 50 Jahren der russische Kosmonaut Juri Gagarin am 12. April 1961 als erster Mensch im Weltall einmal um die Erde und als er zurück kommt, wird er gefragt, ob er denn Gott gesehen hätte. Und er sagt: Nein.
Und unsere verkopfte Welt betet es tapfer nach: Gott gibt es nicht. Er hat sich bei mir noch nicht persönlich vorgestellt. Ich hab ihn noch nicht gesehen, also gibt es ihn auch nicht. Und wir meinen, wir wären damit modern und die Menschen in der Bibel hinterwäldlerisch, wenn sie mit Gott sprechen und meinen, dass er sie führt.
Anthropomorphes Gottesbild – nennen wir das dann als Theologen. Gott, der so vorgestellt wird wie ein Mensch: Gott formt den Menschen aus Lehm – wie ein Töpfer. Gott spricht zu Adam und Eva im Garten Eden wie ein Mensch. Er spricht mit Mose und der meiselt dann die 10 Gebote in die Steintafeln. Wie kindisch. Wie lächerlich. Wie naiv.
Und während die einen uns belächeln, dass Glaube doch völlig überholt und unzeitgemäß wäre … fangen die anderen an, das alles zu beweisen (Jona im Bauch des Fisches; die Arche auf dem Berg Ararat etc. ) oder wir stöhnen: ach wenn ich doch noch so glauben könnte wie damals, als ich noch ein Kind und heute ist alles so kompliziert.

Ach wenn sich mir Gott doch nur einmal zeigen würde, dann ….
Ja, was dann? Dann könnte ich glauben?
Was würde ich sehen? Was wollte ich sehen? Was müsste ich sehen, dass ich überzeugt bin.

2. Gott sehen wollen
Dass wir Gott sehen wollen, das ist ein alter Menschheitswunsch. Schon immer wollte der Mensch Gott begreifen, betasten, mit Händen und Füßen und allen Sinnen. Wir sind eben Menschen. Und das ist bis heute nicht anders. Das ist bei den Kritikern genauso wie bei den Glaubenden. Und sehen wollen ihn ja alle.
Und die einen sagen dann eben: Ich habe Gott nicht gesehen und deshalb glaube ich nicht.
Und die anderen sagen: Ich habe ihn gesehen und deshalb glaube ich.

Mit dem Gott sehen und dem Sehen wollen befinden wir uns in bester Gesellschaft.
Mose sieht den brennenden Dornbusch und geht hin. Er zieht sich die Schuhe aus und hört, wie Gott zu ihm spricht.
Nur die Antwort ist nicht ganz zufriedenstellend. Denn als er fragt: Wer soll ich sagen, dass mich schickt. Heißt es: Ex 3
14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde.
Wer kann sich denn schon darunter etwas vorstellen?
Ich werde sein, der ich sein werde.

Martin Gutl schreibt in seinem Gedicht: Götterdämmerung
Der konstruierte Gott,
der gedachte Gott,
der eingebildete Gott,
der eingerahmte Gott,
der bürgerliche Gott,
der revolutionäre Gott,
der erträumte Gott,
der Gott, der von Menschen gemacht wird.

Und Gott sprach: „Ich bin, der ich bin.“

Ich bin anders als eure Bilder und eure Gedanken!

Elia sieht Gott nach seinem Kampf mit den Baalspriestern am Karmel, doch Gott ist nicht im Gewaltigen; nicht im mächtigen Sturm, nicht im gewaltigen Erdbeben, nicht im gigantischen Vulkanausbruch – und was das für Mächte sind, haben wir ja letztes Jahr auf Island gesehen. Nein, Gott ist im „Flüstern eines leisen Wehens“. In der„Stimme verschwebenden Schweigens“ nimmt er Gott wahr.
Wollen wir das sehen?

Der Jünger Thomas kann auch nicht glauben, dass Jesus auferstanden ist.
Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. …
Und als Jesus nach 8 Tagen wieder erscheint,
… spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Und wir könnten noch mehr Menschen der Bibel aufführen. Wir sind nicht allein, wenn wir das Bedürfnis haben, Gott sehen zu dürfen. Auch das Volk Israel will Gott sehen und begreifen, ganz real, und als Mose auf dem Berg ist, bauen sie sich das goldene Kalb und tanzen darum herum. Endlich: Begreifen. Sehen. Das ist Gott. Doch Mose bekommt den Auftrag, das goldene Kalb zu zerstören.
Doch dann will er danach nichts anders. Er geht erneut auf den Gottesberg, wird von Gott gelobt und er hat einen Wunsch. Und so heißt es in unserem Predigttext:

3. Predigttext
Der Herr sprach zu Mose: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. 18 Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

4. Was ist das für ein Sehen?
Mose darf Gottes Herrlichkeit sehen. Aber was sieht er denn? Was hat er davon? Kann er damit jetzt prahlen: Ich hab Gott gesehen. Von hinten. Da würden alle nur lachen.
Ist das ein Beweis? Ein Gottesbeweis?
Für wen? Für die Zweifler? Die Kritiker? Die Gegner?
Ich habe Gott von hinten gesehen.

Und wir merken schon, da ist ein ganz anderes Sehen gemeint. Ein Sehen, mit dem wir nichts beweisen können und trotzdem ist es für uns wahr.
Es ist wie bei einem Liebespaar. Da gibt es soviel Männer und Frauen um einen herum. Hübschere, Feschere, Klügere, Reichere …. und doch ist es die eine / der eine und das kann man nicht beweisen, sondern das spürt man, das sieht man – in dem Menschen, hinter dem Menschen. Nichts Objektives, sondern ganz Subjektiv. Du. Mein Mann. Meine Frau.
Und dann bei den Kindern. Da gibt es auch klügere und wohl erzogenere und erfolgreichere … aber es ist: Mein Sohn. Meine Tochter. Das sehen wir. Das fühlen wir. Das brauchen wir.
Mose sieht Gott. „Mein Herr und mein Gott.“
Aber das kann man nicht fotografieren. Die Konfis hätten wahrscheinlich sofort ihr handy gezückt, aber da kann man nichts sehen. Und wäre es zu grell gewesen oder alles schwarz, dann hätten die anderen gesagt: dann war halt dein Handy kaputt. Kauf dir ein neues.
Da geht es nicht um Bilder. Da kann man auch nichts beweisen. Und doch ist es wahr.
Den Mose erlebt hier etwas, das ihn stärkt und hält. Diese intensive Nähe durch die Herrlichkeit Gottes gibt ihm Kraft und Gewissheit für die schwere und große Aufgabe, für die Strapazen, dieses widerspenstige Gottesvolk durch die Wüste zu führen.

Nichts anderes ist an Weihnachten geschehen, wenn Johannes über die Geburt Jesu schreibt:
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. …
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Wie will man das denn beweisen, außer man glaubt es und es wird einem zur Wahrheit, wenn es heißt:
4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.

Wir glauben, dass wir in Jesus diese Herrlichkeit Gottes, die an Mose vorüber gezogen ist, dass wir diese Herrlichkeit in Jesus Christus sehen können – in Fleisch und Blut. Und gleichzeitig ist es eben nicht nur Fleisch und Blut, sondern er ist wahrer Mensch und wahrer Gott.
Das, was man sehen konnte, Fleisch und Blut, das konnten die römischen Soldaten dann ergreifen und foltern und töten. Aber das Unsichtbare, das Dahinter und Darüber, das konnte sie nicht töten. Das konnten sie auch nicht bewachen am Grab. Und das lies sich auch nicht gefangen nehmen in den Stricken des Todes – die Herrlichkeit Gottes voller Gnade und Wahrheit.
So wie sie uns vielleicht die Kirchen besprühen können oder die Kirchen anzünden, wie wir damals die Synagogen der Juden aber das bleibt äußerlich, weil wir innerlich von ganz anderen Bildern und Worten leben, solchen Begegnungen, wie sie Mose hatte.
Wir müssen nicht darüber reden und schon gar nicht damit prahlen. Meistens sind es ja eh ganz leise Bilder, wie ein Schaudern, ein Schluchzen, ein Staunen, sein Still-Werden, ein Ergriffen-Sein.
Mein Herr und mein Gott.
Da steigt ein Juri Gagarin aus dem Raumschiff und auf die Frage „ob er denn Gott gesehen hätte“ antwortet er: Nein.
Und unsere verkopfte Welt betet es tapfer nach: Gott gibt es nicht, weil wir ihn nicht sehen können.
Was für eine arme, oberflächliche Welt.

Letzthin sagte mir eine Frau, die ich besuchte, eine Zigeunerin, die Christin ist> Nach dem plötzlichen Tod meines Mannes mit 31 Jahren musste ich die 8 kleinen Kinder allein großziehen. Ohne Gott hätte ich das nicht geschafft. Die Armut blieb und die Not auch, aber sie hatte darin die Kraft, um diese Aufgabe zu bewältigen.
Das ist die Wahrheit dieses Sehens. Kraftbilder – Kraftquellen. Uns zum Leben und zum Heil.

Amen