20111031

Martin Adel: Die Gefahr des Reichtums

23.10.2011 - 18. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext Markus 10,17-27

»Der reiche Jüngling«
17 Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? 18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. 19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«
20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. 21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! 22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! 24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! 25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.
26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? 27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.


Liebe Gemeinde,
ist Jesus maßlos?
Da ist einer, der sich redlich bemüht ein aufrichtiger und gottesfürchtiger Mensch zu sein. Und Jesus vergrault ihn.
„unmutig und traurig geht er weg“
Griech: stügnatzo – sich entsetzen, trübe werden
Jünger: tambeo - erschrecken
Sollte Jesus nicht lieber froh sein, dass sich da überhaupt einer mit Gott und seinen Geboten abgibt?
Dass sich dieser eine da müht und ja auch ganz tapfer mit macht und sich an Gottes Regeln hält?
Und wir dürfen es dem jungen Mann glauben, dass es so stimmt, wie er es sagt: Meister, ich habe mich an deine Gebote gehalten und ich habe nicht getötet und nicht die Ehe gebrochen und nicht gestohlen und nicht gelogen und niemanden beraubt und Vater und Mutter geehrt.
Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.
Und nun ist er in Sorge, ob das reicht. Was muss ich noch tun, um das ewige Leben zu erreichen?
Sicherlich, er mag etwas stolz und eingebildet auf sich sein und sicherlich klingt auch etwas Arroganz durch: Das habe ich alles gehalten von Jugend an!
Aber mal ehrlich: Ist Jesus da nicht etwas kleinlich und penibel und maßlos wenn er sagt: Eines fehlt dir noch!

Und wir erinnern uns ja noch daran, wie einen damit schon die Eltern genervt haben, wenn man sagt: ich hab meine Hausaufgaben gemacht oder mein Zimmer aufgeräumt … und dann wird´s begutachtet und prompt kommt die Antwort: Aber da hätte ….

Eines fehlt noch!

Auf der anderen Seite erinnere ich mich auch an so manche Programminstallation auf dem Computer; da heißt es: alles ist ganz einfach "CD einlegen …". Und es funktioniert, der Fortschrittsbalken zeigt an: 25%, 50% - Mensch, das dauert - 75%, 90% ah, bald geschafft und dann 98% - Gott sei dank … und dann hängt sich das System auf.
Da haben 98% geklappt und nur noch 2% fehlen, aber ohne die 2% ist eben alles nichts und alles umsonst gewesen. Dann funktioniert gar nichts. Beim Computer begreifen wir das. Aber sollte das bei Gott auch so sein. Will er Mindestens 100% oder am liebsten 200%?

Wenn wir diese Erzählung hören, schleicht sich ja bei uns oft schon das gleiche Entsetzen ein, das auch den jungen Mann befallen hatte. Und noch bevor wir fragen, gehen wir schon traurig weg mit dem Gefühl: Das schaff ich doch eh nie.
Wir haben Angst, dass dieses Wort auch uns trifft und wir feststellen, dass wir die Reichen sind und viele Güter haben.
Denn plötzlich wird uns bewusst, wie reich wir in aller Armut sind – nicht nur an materiellen Gütern, sondern auch an gesellschaftlichen - und dass wir nicht zu den Armen der Welt gehören. Alle. Und dann treffen uns diese Worte Jesu noch umso mehr:
Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!

Und mit den Jünger stehen wir bis heute da und erschrecken. Das ist ja nie zu schaffen.
Wie heißt: 24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte.
Denn das hatten sie auch nicht geschafft. Alles aufgeben.
Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!
Nachgefolgt, das sind sie. Aber alles aufgeben? Das haben auch sie nicht gemacht.
Und damit es nicht genug ist, redet Jesus weiter …
und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen!
Und dann kommt dieses so einprägsame Bild vom Kamel:
25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.

Bildblatt: Butterworf/Inkpen haben es wunderschön in Szene gesetzt.

Und den Jüngern fällt der Kinnladen nun völlig runter:
26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden?

Und da sind wir im Kern angekommen.
Wer kann dann selig werden?
Und wir spüren: An dieser Stelle ist Gott maßlos!
Denn hier lässt er sich nicht mehr mit Almosen abspeisen.
Hier will er alles.
Nämlich mich. Und das ganz.
Da gilt nicht mehr: Da ein bisschen spenden, hier ein bisschen gut sein – aber dann soll er mich auch schon in Ruhe lassen, damit ich mein Leben so weiter führen kann wie ich möchte.
Nein, da ist Gott maßlos, denn er will mich ganz! Und das ist gut so. Denn auch wir können nicht zwei Göttern dienen.

Aber was heißt das denn?
An der Taufe der Sophie haben wir es doch gesehen: Mama und Papa sind wir nicht nur ein bisschen, sondern ganz. Und die Sophie ist nicht nur ein bisschen ihre Tochter, sondern ganz. Sicherlich: Das mit dem Einschlafen gefällt einem nicht und auch manch anderes wird einen noch erheblich nerven, aber sie bleibt immer die Tochter – und zwar ganz. Und wir versuchen, für sie das Beste zu geben, das, was wir meinen und das, was ihr entspricht. Fordern, erziehen und dabei hören und entdecken und akzeptieren, wer der andere ist.

Und wenn das sogar wir können, warum sollte das dann Gott nicht noch viel mehr für uns bereit haben.
Aber dafür müssen wir auch ganz Sohn und Tochter, Kinder Gottes sein wollen.
Unser Problem ist doch, dass wir Angst haben, dass wir unser ganzes Leben ändern müssten, wenn wir uns so von Gott ansprechen lassen würden und ihm alles gäben. Und ich frage mich: Haben wir so ein schlechtes Gewissen? Leben wir so falsch? Weiß Gott etwa nicht, was wir können? Meinen wir, er will, dass wir alle Mönche oder Nonnen werden, Asketen, Mutter Theresas oder Friedensnobelpreisträger. Für wie beschränkt halten wir eigentlich Gott? Aber eines, das will er zu 100% von uns, dass wir ihn immer wieder fragen: Was willst du von mir?
Und wenn wir ihm alles übergeben haben, dann werden wir es verwandelt zurück bekommen.
An den Kranken sehen wir das manchmal, wenn einem nur noch das nackte Leben bleibt, wie sich die Werte und Einstellungen wandeln und das, was wichtig ist und was nicht.

Wogegen sich Jesus wehrt ist diese Sparbuchmentalität, bei der wir anfangen, mit Gott Geschäfte zu machen und zu feilschen anfangen: Schau an, das und das hab ich alles schon Gutes getan, jetzt musst du aber auch … Und dann gleich unseren nächsten Deal drauf zu setzen, wie bei einer Insolvenzverhandlung: Jetzt sei doch mit 20% zufrieden, bevor du gar nichts bekommst.
Wir zwängen ihm unser Gesetz auf, anstatt dass wir uns von seinem Gebot befreien lassen.

An dieser Stelle wird Gott allerdings maßlos und sagt: Alles oder nichts. Umsonst habt ihr empfange – umsonst gebt es auch.
Hüten wir uns, Gott zu beschämen in seiner Hoheit!

Kein Wunder, dass uns dann die Angst treibt, ob wir genügen, wenn wir´s uns verdienen wollen. Aber das sind nicht Gottes Ängste. Er sagt nur: Ich will dich.
Und wie das dann aussieht, das wird er für jeden einzelnen von uns schon von alleine wissen.
Gott, was willst du von mir! Schau her, das kann ich. Was soll ich tun. Wo willst du mich haben.
Und dann machen wir uns auf den Weg. Jeder an seinem Platz.
Und der eine wird darüber Lehrer und die andere eine Bäckereifachverkäuferin und ein anderer geht redlich in die Arbeit und die Oma schaut, wo sie gebraucht wird und wo sie sich noch nützlich machen kann.
Aber eines ist ihnen allen gemeinsam. Sie fragen immer wieder Gott: Was ist mein Auftrag. Wo und wie kann ich mein Können und Vermögen der Gesellschaft und dem Leben zur Verfügung stellen. Ohne Arroganz und ohne Urteil über den anderen und ohne dabei ein Geschäft mit Gott machen zu wollen.

Was doch manchmal so ein Erschrecken hilfreich sein kann.

Und darüber wird Gott groß werden und seine Liebe leuchtet auf und wir entdecken den liebenden Blick Gottes auf uns, so wie Jesus den Jüngling lieb gewinnt. Denn auch für uns gilt:
Wer kann dann selig werden?
Und die Antwort lautet:
Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

Amen.