20131228

Martin Adel: Christvesper 2013

Predigt Christvesper 2013

Wochenspruch: (Joh 1,14a)

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit

Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

Liebe Gemeinde.
Weihnachten fällt aus! Wäre das besser? Wenn wir auf die letzten Wochen zurück sehen, die Überstunden im Handel, die abgehetzten Paketboten, das Schnell, schnell – alles noch schnell vor Weihnachten.
Weihnachten fällt aus! Wäre das dann besser?
Eine Kollegin meiner Frau im Krankenhaus, eine Internistin, die schimpfte die Tage: Plötzlich sind alle gesund und wollen unbedingt noch vor Weihnachten nach Hause entlassen werden. Egal, wie krank sie sind. Und dann kommen sie wieder, noch vor Silvester, und sind noch schlimmer beieinander als davor. Und das alle Jahre wieder.
Weihnachten fällt aus! Wäre das besser?
Mir sagte die Tage jemand: Weihnachten ist doch nicht an ein Datum gebunden. Dieser kollektive Hype produziert doch eh nur Streit in der Familie. Wir hatten letzthin schon unser Weihnachten. Da saßen wir alle ganz unverkrampft beieinander und es war ein richtiger Friede zu spüren.
Kann also Weihnachten ausfallen? Dieses Jahr zumindest ausfallen, weil es schon war?
Als wir letzthin zusammen saßen, erzählte eine: Wir haben früher als Kinder immer an Weihnachten gezählt, wie viele Katastrophen und Kriege in den Nachrichten gezeigt werden. Und es wollte sich kein rechter Friede einstellen. Es waren irgendwie genauso viele Schreckensmeldungen wie immer; eher noch mehr.
Wozu dann noch Weihnachten, wenn nicht mal das gelingt?
Soll Weihnachten ausfallen?

Liebe Gemeinde,
natürlich könnten wir Weihnachten ausfallen lassen. Äußerlich. Doch eines wäre auch klar. Nichts wäre dadurch besser. Die Katastrophen und Kriege wären dennoch da. Und der Streit in den Familie auch. Und der Stress ebenso. Er hieße dann anders: Sonderangebot oder XXL Superschnäppchen oder was sich halt die Welt so einfallen ließe.

Machen wir doch uns nichts vor. Diese Dinge geschehen nicht wegen Weihnachten, sondern sie geschehen so oder so.
Aber weil Weihnachten ist, werden wir besonders darauf aufmerksam.
Und das zu Recht. Denn hier sind wir im Zentrum des Geschehens. Äußerlich können wir Weihnachten vielleicht ausfallen lassen, aber innerlich nicht. Denn Gott hat sich festgelegt, dort in der Krippe in Bethlehem im Stall.
Da kommt der, der den Unfrieden in der Welt sichtbar macht, weil er vom Frieden weiß. Vom umfassenden Frieden.
Deshalb wird uns an Weihnachten ganz besonders bewusst, wo Unfriede in der Welt ist und Unfriede in unseren Familien.
Weil dort der Versöhner der Welt liegt, wird uns schmerhaft bewusst, wieviel Unversöhnliches oft zwischen uns Menschen und zwischen den Ländern und Nationen ist.
Weil sich Gott festgelegt hat mit seiner Gerechtigkeit, wird für uns sichtbar und benennbar, wo Ungerechtigkeit herrscht – und keiner kann daran vorbei.
Und manchmal halten wir es kaum mehr aus, wie erbärmlich unsere Welt beieinander ist. Doch dieses Kind in der Krippe wird später an seiner Person zeigen, von welcher Qualität die Liebe Gottes zu uns Menschen ist und wo für uns der Weg zu wahrer Menschlichkeit führt – wohl wissen, dass es schon damals schwer war diese Wahrheit auszuhalten und man den wahren Menschen vernichten musste, um ungestört seinen eigenen Vorstellungen frönen zu können.


Wir können Weihnachten vielleicht verkitschen oder ihm aus dem Weg gehen, aber innerlich kommen wir nicht daran vorbei. Denn hier liegt das, was wir brauchen und wonach wir uns sehnen: Wärme, Geborgenheit und Liebe. Ein Stück Unschuld und Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Kurz: die Menschlichkeit. Gott selbst. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.

Gott sei Dank hat sich Gott entschieden und sich festgelegt. Ob wir´s wollen oder nicht.
Wer hat´s erfunden?
Nicht der Mensch!
Gott hat sich auf den Weg gemacht und er konfrontiert uns mit seinem Wort, auf dass ans Licht kommt, was Dunkel ist oder sich im Dunkeln versteckt halten möchte. Und wir kommen nicht mehr daran vorbei – die ganze Welt nicht mehr.
Deshalb schmerzt uns doch der Unfriede und das Gescheiterte und das Verletzte an Weihnachten ganz besonders, weil es uns in diesem Licht wieder bewusst wird, was nicht stimmt, was schon vorher nicht stimmte.
Und deshalb ist diese Worte der Engel so wichtig, dieses: „Fürchtet euch nicht. Siehe, euch ist heute der Heiland geboren.“ Damit wir nicht über dieser Wahrheit des Elends, des eigenen oder des fremden zerbrechen, sondern uns selbst auf den Weg machen, hin zum Stall und zur Krippe, um uns aus seinem Licht immer wieder Kraft und Orientierung zu holen für den eigenen Weg zum Reich Gottes.

Gott stellt sich uns in den Weg und das ist gut so. Denn damit ist es nicht mehr beliebig oder auf unsere eigene Stimmungslage angewiesen, ob wir hinschauen oder wegschauen wollen. Gott kommt auf die Erde, kommt, dass Friede werde.
Natürlich kann sich dieses Weihnachtserleben auch unterm Jahr einstellen. Und hoffentlich ist das auch so. Aber gefeiert, weltweit gefeiert wird es nicht nach dem eigenen Gutdünken, sondern wenn es gesetzt ist. Und das ist gut so. Denn in unserer weltweit vernetzten Welt gibt es nicht mehr viele Tage, an dem die Familie gemeinsam frei hat und sich alle auf den Weg machen können, um etwas von dem zu Erhaschen, was die Menschen an Christus erlebt haben.

Liebe Gemeinde,
wenn Gott kommt, ist nichts beliebig. Gott wurde konkret. So konkret, dass man nun an ihm beurteilen konnte, wo sich Gottes Reich auf Erden einfindet: Was ihr einem, dieser meiner geringsten … Und er lässt sich nicht abschütteln, damit wir begreifen, an ihm begreifen, wo Veränderung notwendig ist.
An seiner Barmherzigkeit entdecken wir die Unbarmherzigkeit.
An seiner Sanftmut entdecken wir die Härte.
An seiner Geduld entdecken wir den Zorn.
Und wir können es benennen, weil Gott sich in ihm festlegt, was gilt. Was schon hier gilt und was zum Schluss gilt.

Es ist eben kein süßes Geschichtlein – das wissen wir alle. Keine heilige Situation, aber eine heilende Situation.
Deshalb bis heute die Tränen in den Augen, weil wir gerührt und berührt werden, an diesem Abend, wo stehe ich, wo stehen wir, wo sind wir hingekommen und wo wollen wir hinkommen und dann Gott bitten: du Gott hier bei mir – offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, dort wo wir gerne die Weisheit nur durch Fakten ersetzen wollen. Gepredigt den Heiden – also uns, durch die Jahrhundert, ob vielen oder wenigen, ob gefragt oder ungefragt, ob geglaubt oder bezweifelt.
Denn es gilt:
Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

Sollen wir Weihnachten ausfallen lassen?
Immer wieder fragen wir uns das auch, wenn wir die Vorbereitungen zum Krippenspiel treffen. Sollen wir nicht lieber aus Barmherzigkeit das Krippenspiel ausfallen lassen, weil doch eh schon alle erschöpft sind von den Weihnachtsfeiern und Krippenspielen davor, vom Weihnachtsmann und X-Mass-Day und Süßem und Glühwein und Dschingelbells.
Doch dann treibt sie uns immer wieder aufs Neue an, die Botschaft für uns: Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute nicht der Weihnachtsmann, sondern der Heiland geboren.
Die Botschaft gilt für uns, für die Kinder im Kinderheim oder die in den Flüchtlingslagern der Welt. Gott sei Dank. Und sie versichert uns, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Sondern sie markiert das Ziel und den Weg und gibt uns die Kraft, nicht aufzugeben, wider allem Augenschein.

Denn an der Krippe sind keine Traumtänzerein entstanden, sondern hier verbürgt sich Gott, dass er die Idee von seiner Schöpfung durchsetzen wird, gegen alle Widerstände zum Trotz – die Menschwerdung des Menschen.
Ob wir´s glauben wollen oder nicht. Daran vorbei kommt keiner. Der Anfang ist gemacht. Immer wieder. Alle Jahre wieder. Auch für uns. Gott sei Dank.
Amen

Werner Sirch: Wach auf!

Predigt am 4. Advent 2013
22.12.2013

Jesaja 52,7-10

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!
8 Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.
9 Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.
10 Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

1. Vorwort – Wach auf

1 Wach auf, wach auf, Zion, zieh an deine Stärke! Schmücke dich herrlich, Jerusalem, du heilige Stadt! Mit diesem Weckruf beginnt das 52. Kapitel des Buches Jesaja, dem unser heutiger Predigttext entnommen ist. Ein Weckruf, die Mutlosigkeit abzuschütteln wie den Schlaf. Das Festgewand anzulegen, sich selbst und der eigenen Stärke wieder etwas zuzutrauen. Zu suchen was mich stark macht.

Die Worte dieses Weckrufs sind nicht Teil unseres heutigen Predigttextes. Trotzdem möchte ich ihn in die Predigt einbeziehen, weil ich viel Mutlosigkeit, geistliche Mutlosigkeit, in unserem Volk und in vielen Gemeinden sehe. Wir brauchen es, dass uns immer wieder Mut und Kraft zugesprochen werden, damit wir weitergehen können und uns nicht kraft- und mutlos einem traurigen Schicksal ergeben und ratlos zusehen, wie die Glaubenslosigkeit in unserm Volk weiter zunimmt.

Ratlos und traurig, so wie damals das Volk Israel, als es in babylonischer Gefangenschaft war. Alles war zerbrochen, der Staat Juda existierte nicht mehr, Jerusalem ist nur noch ein Trümmerhaufen. Dass es so gekommen ist, war nicht nur eine Frage der damaligen politischen Machtverhältnisse, sondern auch Gottes Gericht über sein abtrünniges Volk.

2. Diagnose

Manchmal überlege ich, wie ich den geistlichen Zustand unseres Volkes und unserer St. Paulsgemeinde beschreiben kann, ob er nicht auch so eine Antwort Gottes ist. Vieles scheint ein Trümmerhaufen zu sein – hier eine Gemeinde, die schwer in Bewegung zu bringen ist - dort ein Volk, das sich zunehmend von seinen geistlichen Wurzeln abwendet. Eine Gemeinde, die auf Distanz ist, die mutlos geworden ist und so manchen Mitarbeiter auch mutlos gemacht hat. Ein Volk, das sein Heil bei allen möglichen Göttern sucht. Am meisten schmerzt mich, dass unter uns so wenig Hunger nach Gottes Wort ist, dass wir nicht mehr hören wollen was uns Gott zu sagen hat. Die Folgen sind deutlich zu sehen. Im sozialen Miteinander und im Besuch der Gottesdienste, beide nehmen stetig ab. Die soziale Krise unseres Volkes, die sich in einer Ellenbogengesellschaft zeigt, hinterlässt schlimme Spuren im Engagement und der Verantwortung für andere, die sich den Nöten derer annimmt, denen es schlechter geht als mir. Es hat sich Gleichgültigkeit und nachlassende Opferbereitschaft breit gemacht. Es macht mich nachdenklich, dass 2007 bei der Frühjahrssammlung der Diakonie noch 429 Euro gegeben wurden, das sind 7 Cent pro Gemeindeglied, 2011 waren es gerade noch 87 Euro, (1 ½ Cent pro Gemeindeglied) 2012 und 2013 nichts mehr. Bei der Herbstsammlung waren es 2007 noch 135 Euro und 2013 gerade noch 30 Euro. Eine kranke, mutlose Gemeinde, die, in der Fürsorge und dem Engagement für andere, ihr müdes Gesicht zeigt. Natürlich, ich weiß, dass Sie, liebe Gemeindeglieder, sich hier und dort engagieren und ihr Scherflein an anderer Stelle geben. Warum nicht Ihrer Gemeinde, damit sie anderen beistehen kann, wie wir es von einer christlichen Gemeinde erwarten?

3. Die Boten

Und jetzt sind die Boten unterwegs. Auch die, die nach dem Gottesdienst mit dem Licht aus Bethlehem in die Häuser unterwegs sind. Die Boten sind unterwegs als Zeichen, dass doch noch nicht alles verloren ist. Sie haben eine Nachricht gegen alle Mutlosigkeit, gegen den Schlaf, den so mancher in unserer Südstadt schläft und damit überhört, dass auch für ihn die Nachricht gilt: „Wach auf, wach auf! Wir sind doch kein armseliger Haufen, der nichts mehr zuwege bringt. In uns ist Stärke und Kraft.“ Wir können etwas bewegen, das uns allen gut tut, das neue Hoffnung für die Zukunft schenkt und unseren Blick weglenkt von unseren Befindlichkeiten, dem Neid, der Missgunst, dem sofort beleidigt sein und dem ewig um sich selbst drehen.

Es ist eine freudige Nachricht, die uns die Boten verkündigen. Sie eilen, sie rennen um diese Nachricht in kürzester Zeit in alle Häuser zu bringen. Und diese Nachricht heißt: Gott kehrt zurück nach Jerusalem und das Volk kehrt mit ihm zurück in die Heimat, in die Stadt Gottes nach Jerusalem.

4. Gott kehrt zurück

Für uns, in der Südstadt, heißt diese freudige Nachricht: „Gott kehrt zurück“. Zu jedem von uns. In unseren Herzen und Häusern wird Friede sein. Was in uns, in unserer Gemeinde und in unseren Familien zerschlagen und krank ist, wird heil werden. Gott bekennt sich mit seiner Liebe zu uns. – Und diese Liebe zeigt sich auch durch die Hände derer, die an den liebenden Gott glauben und in seinem Namen zupacken.

Die freudige Nachricht heißt: „Gott kehrt zurück“. Gott wird an der ersten Stelle unseres Lebens stehen. Er ist der, der unser Leben bestimmt, an dem wir uns orientieren und nach seinem Willen unsere Entscheidungen treffen. Gott ist mein König.

„Gott kehrt zurück“, in unsere Gemeinde, schenkt ihr neues Leben. Es wird sichtbar werden, dass Gottes Liebe in ihr wohnt, die all ihr Tun und alles Engagement für andere bestimmt.
Wenn ich nur ein Prophet wäre, wie Jesaja, und das, dieser Gemeinde zusprechen könnte!

5. Fragen

So aber bleiben Fragen:
Unsere Gemeinde, ist sie hoffnungsfroh, dass Gott kommt und auch von ihr Besitz nimmt? Die Müdigkeit und Resignation heilt? Können wir das glauben? Wollen wir das? Höre ich Jubel und Freude weil Gott kommt?

Was höre ich? Nichts? Will ich es glauben oder fehlt mir der Glaube, dass Gott den Trümmerhaufen der Mutlosigkeit und Resignation unserer Gemeinde heilen kann?

Ich überlege, wie das Evangelium heißt das Gott unserer Gemeinde zusprechen müsste, das Evangelium, das mich elektrisiert und in Bewegung bringt? Wie heißt die frohe Nachricht, die unsere Gemeinde braucht, damit sie das Exil verlassen kann und wieder dahin kommt, wo Gottes Wort gepredigt wird und ihre triste Mutlosigkeit in Freude verwandelt wird?

6. Die Freudenboten


Was verkündigen die Freudenboten, die Prediger unserer Gemeinde, im Auftrag Gottes? Haben sie eine schlechte Botschaft, weil sie von einer großen Mehrheit dieser Gemeinde eher gemieden werden? Sind wir eine Gemeine, deren Mehrheit sich nicht sammeln will? Oder ist es eine langweilige Botschaft, eine Nachricht, die an der Realität unseres Lebens vorbeigeht, eine Botschaft die mich nicht betrifft? Warum will ich es nicht hören, wenn Gott mir sagt, dass er mich liebt, geliebt hat, noch bevor ich im Leib meiner Mutter war? Warum will ich es nicht hören, dass sich bei mir ändern darf, was mir die Ruhe und den Frieden da drinnen in meinem Herzen raubt.

Kehr um! Kehr um aus dem Exil, komm zurück aus der Gefangenschaft, damit Gott die Trümmer deines Lebens heilen kann. Das ist die Nachricht der Freudenboten. Komm zurück in die Gemeinschaft dieser Gemeinde, sie braucht dich. Gott will dich und die Trümmer dieser Gemeinde heilen.

Ich würde mir das so sehr wünschen, dass wir die traurige Distanz innerhalb verschiedener Gruppen unserer Gemeinde aufgeben könnten und uns gegenseitig zujubeln, dass wir diesen wunderbaren Gott haben, den König aller Könige, der uns durch Jesus zu seinen Kindern gemacht hat. Es schmerz mich, dass wir zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten Gottesdienst feiern und nicht in der Lage sind gemeinsam zu feiern. Unsere Befindlichkeiten, unsere Vorbehalte sind groß, größer als unsere Sehnsucht nach Gemeinschaft mit denen, die auch zur selben Gemeinde gehören.

Dabei ist es eine dreifache gute Nachricht, die die Freudenboten dem Volk Gottes bringen und die uns allen gilt: Gott ist dein König! - Du bist mein Volk! - Tröstet, tröstet mein Volk!

7. Die gute Nachricht


Das sind heute unsere guten Nachrichten für unsere Gemeinde und für unser Volk:
Gott kommt! Gott kommt in die Trümmerhaufen unseres Lebens, so wie es damals der Prophet verkündet hat, dass Gott in die Trümmerhaufen des zerstörten Jerusalems kommt. Gott kommt! Das ist eine mächtige Botschaft gegen die Finsternis der noch existierende Mächte und Kräfte.

Die Wächter jubeln, sie dürfen die Zeugen der Ankunft Gottes sein. Noch sieht man die Ankunft Gottes nicht, aber man hört die Freudenrufe der Wächter. Die Freudenboten sind’s die es laut hinausschreien und Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, der Gemeinde sagen: Gott ist dein König! Und es wird der Tag kommen, wo wir ihn sehen werden, den wiederkommenden Jesus. Dann werden wir auf die Knie fallen und ihn, unseren Retter, anbeten – und es wird alles gut werden.

Lasst uns die Ohren aufmachen, damit wir die gute Nachricht hören und in unser Herz einlassen. Lasst uns bereit sein für sein Kommen. Lasst uns neugierig und hungrig nach Gott werden und nicht mehr am Sonntagmorgen zur Gottesdienstzeit im waren Bett liegenbleiben wollen, sondern hören was uns unser König zu sagen hat. Lasst uns Gemeinschaft haben mit ihm, der aus Liebe zu uns Mensch geworden ist, und mit denen, denen auch seine Liebe gilt.
Unsere Welt ist immer noch von Trümmerhaufen gezeichnet. Das Kommen Gottes ist unvollendet. Noch sind die Trümmerhaufen in unserem Leben vorhanden. Noch steht unsere vollkommene Heilung aus. Das wird erst am Ende der Zeiten sein, wenn Gott alles Neu macht, dann wenn das Böse überwunden ist und die Sünde keinen Raum mehr hat.

Es ist Gottes Erbarmen mit seinem Volk, das uns schon jetzt hineinnimmt in die Gotteskindschaft, auch wenn wir noch auf der Wanderschaft sind ihm entgegen. Gott ist mit uns auf dem Weg. Und wir dürfen anfangen, mit seiner Hilfe unsere Trümmerhaufen aufzuräumen. Er ist mit uns auf dem Weg dorthin, wo wir dann als Geheilte ihn schauen werden von Angesicht zu Angesicht. Amen.

20131015

Martin Adel: Debora - Recht und Gerechtigkeit

13.10.2013 - 20. Sonntag nach Trinitatis
Gottesdienst mit Musikbeispielen aus dem "Oratorium Debora" von Dorothea Hofmann und Michael Herrschel

Predigt Teil 1
1. Gerichtstag

Gerichtstag ist. Die Leute strömen. Sie kommen zur Debora-Palme, wie es bei uns manchmal noch im Land „Richter-Linden“ oder „Richter-Eichen“ gibt.
Sie kommen zu Debora – einer Frau aus dem Alten Testament, aus der Zeit, als Israel noch kein fester Staat ist und keinen eigenen König hat. Wir nennen es die vorstaatliche Zeit – es ist die Zeit der Richter und die 12 Stämme Israels wohnen zwischen den anderen Völkern.
Und wie ganz selbstverständlich, wird in dieser männerbestimmten Zeit, eine Frau genannt, eine Frau, die das höchste öffentliche Amt innehat. Debora. Und diese Debora, verheiratet mit dem Lappidot, sie ist nicht nur Richterin, sondern gleichzeitig auch Prophetin, ein Mensch also, dem ein ganz besonderer Kontakt zu Gott zugeschrieben wird.

Wie haben wir es gehört im Rezitativ:
Stimme: Auf, macht euch auf!
Stimme: Den steinigen Pfad entlang, hinauf in den glühend heißen Tag, den Tag des Gerichts.
Stimme: Stark ist sie, wie ein Fels! Dwora! Hilf uns du! Deine Worte sind Leben. Dwora!
Stimme: Da sitzt sie unter einem Palmenbaum: Debora, die Richterin des Volkes Israel. Und alle Leute strömen herbei, alle bringen sie ihre Klagen vor sie. Wild reden sie durcheinander. Alle wollen sie nur eines: Gerechtigkeit!

Es ist ein öffentliches Geschehen, dieses zu Gericht sitzen unter der Palme, weil das Unrecht sichtbar werden muss und der Sieg der Gerechtigkeit darüber stehen soll. Öffentlich sichtbar und hörbar.

Vgl. Limburger Bischof – im Verborgenen wurden die Gelder für den Prunk ausgegeben und jetzt wird es offenbar, kommt ans Licht, damit es bewertet werden kann. Und der Schaden ist groß.

Das ist Transparenz. Worauf kann ich mich verlassen! Die Gerechtigkeit ist ein hohes Gut! Gemunkle und krumme Geschäfte passieren im Verborgenen.
Und die Frage ist, wissen wir das auch heute noch zu schätzen in unserem Land. Diese Öffentlichkeit im Rechtsstaat. Und auch, wenn wir manchmal murren und bezweifeln, ob das Strafmaß immer passt und ob z.B. die Steuer-Schlupflöcher nicht zu groß sind und sich die Bestverdiener sich zu leicht aus der sozialen Verantwortung ziehen können, trotz manchem Murren ist es ein Segen, dass wir ein Rechtsstaat sind und der Staat seine Bürger schützt, auch vor sich selbst.
Es herrscht eben keine Selbstjustiz, die meistens Lynchjustiz wird. Keine ideologische Justiz, wie im Faschismus oder in der DDR, die Unrecht zum Recht erklärt und dann Eigentum stiehlt und Zwangsumsiedlungen rechtfertigt.

Gerichtstag ist, um der Gerechtigkeit willen. Was für eine Freude. Deine Worte sind Leben.
Und weil die Gerechtigkeit unter uns Menschen oftmals nur Stückwerk bleibt, parteilich eben, weil uns selbst ja die Jacke näher ist als die Hose, deshalb bitten wir Gott um seine Gerechtigkeit, um danach zu handeln.

Predigt Teil 2
Nun hören wir einen Ausschnitt aus dem zweiten Teil des Debora-Oratoriums.
Die Stämme Israels leben unterdrückt. Sie stehen unter der Knute des König Jabin von Kanaan. Und sein Feldherr Sisera wacht mit eiserner Hand, damit das auch so bleibt.

Zwanzig Jahre lang dauert diese Unterdrückung an, bis Debora den Auftrag bekommt, den Israeliten Barak zu beauftragen, sich ein Heer zu sammeln und gegen Sisera in den Krieg zu ziehen und die Unterdrückung zu beenden.

Bei dieser Beauftragung setzt unser Oratoriumsauszug ein. Doch Michael Herrschel, der die Texte komponierte, verändert die Blickrichtung. Der anscheinend notwendige, der gerechte Krieg wird hinterfragt. Den selbstgefälligen Kriegstreibern – auch unserer Tage - wird der Spiegel vorgehalten, weil Krieg immer auch Krieg gebiert und sehr schnell das Recht und die Gerechtigkeit missachtet werden für die gute Sache.
Das ist das Dilemma des Krieges, wir bekommen es bis heute täglich vor Augen geführt – ob in Afghanistan oder in Syrien, ob im Irak und in vielen Ländern Afrikas.

Lied-Vortrag
2. Teil: Debora + Barak – (Orgel+Gesang/Rezitation)
Orgel: II. Bild, Nr. 1 (Fanfare 2), Takt 1
Stimme: Barak, der Feldherr.
Orgel: II. Bild, Nr. 1, Takt 2
Stimme: Er steht vor Debora.
Orgel: II. Bild, Nr. 1, Takt 5
Stimme: Er fordert den Krieg.
Orgel: II. Bild, Nr. 1, Takt 6
Stimme: Den Krieg gegen Kanaan.
Orgel: II. Bild, Nr. 1, Takt 7-9
Stimme: Debora sagt: Aber wir sind versammelt für das Gericht.
Barak sagt: Wir sind versammelt für den Krieg!
Debora sagt: Ich wahre das Recht.
Barak sagt: Dein Volk will den Krieg.
Debora sagt: Das Recht ist von Gott!
Barak sagt: Der Krieg ist von Gott!
Debora spürt einen Schmerz in ihrer Brust. Sie sieht ihr hungerndes Volk, das nach den Waffen greift.
Barak reitet voraus und ruft laut: Wir ziehen den Feinden entgegen!
Debora ruft ihm nach: Gib acht, Barak. An der Spitze der Feinde reitet Sisera. Erkennst du sein Gesicht?
Da erschrickt Barak, denn in dem fremden Gesicht, im Gesicht des Feindes erkennt er sich selbst.
Orgel: II. Bild, Nr. 4 (Das Heer), Takt 29-95 (incl. Streichertriller)
Stimme (gesungen = Barak): Mein Spiegelbild! Wer ist das? Ich reite auf mich selber zu.
Stimme (gesprochen): Debora fragt: Bist du noch Barak? Und Barak antwortet:
Stimme (gesungen = Barak): Nein – Sisra bin ich, der Feldherr von Kanaan, und reite gegen Israel.
Stimme (gesprochen): Bist du noch Barak? Gott schuf alle gleich.
Stimme (gesungen = Barak): Nein! – Barak bin ich. Nein – Sisra bin ich.
Stimme (gesprochen): Gott schuf alle gleich. Ihr seid seine Kinder.
Stimme (gesungen = Barak): Nein! Nein!

Predigt – Teil 3
Wenn der Mensch sich gegen den Menschen stellt ist der Weg zur Brutalität der Vergeltung nicht mehr weit.
Immer wieder erleben wir es, dass durch die Abwertung des Anderen das Feld bereitet wird, um sich an ihm zu vergreifen. Der Afrikaner war der dumme Neger, den man nach eigener Willkür ausbeuten konnte. Der Indianer der Wilde – um ihm das Land zu rauben. Der Jude wird zum Untermenschen erklärt – um sich schamlos an ihm zu bereichern und ihn zu vernichten. Der Italiener war der Spaghetti-Fresser, den man zum Arbeiten gut gebrauchen konnte, aber man wollte ihn nicht zum Leben als Nachbarn.
Immer wieder das gleiche Schema:
Die Abwertung des anderen, um sich an ihm zu vergreifen. Der Untermensch, der minderwertige Mensch, um selbst der Übermensch, der bessere Mensch zu sein.

Doch Christus spricht nicht vom Anderen. Er spricht vom Nächsten!
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Er lebt und predigt die Versöhnung, während die anderen seine Kreuzigung vorbereiten.
Sein Gebot ist die Liebe, um den Hass zu überwinden.
Er integriert, während die anderen spalten.
Selig sind die geistlich Armen; denn ihnen gehört das Reich Gottes.
Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Reich der Himmel.

Jesus provoziert mit seinen Worten: Überwindet das Böse mit Gutem. Nicht mehr Auge um Auge gilt oder Zahn um Zahn. Das Rad der Vergeltung ist zerbrochen.
Das Alte Testament weiß von der Gerechtigkeit – ein hohes Gut. Doch Christus überhöht und verbindet es mit der Barmherzigkeit, wenn er z.B. von der Feindesliebe spricht:
43 Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, 45 damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
46 Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? 47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? 48 Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Das ist und bleibt der Auftrag seiner Kirche in der Welt.
Nach den schrecklichen Verlusten des zweiten Weltkriegs ist es uns Europäern erstmals gelungen, die gegenseitigen Verletzungen und Ungerechtigkeiten nicht mit Vergeltung zu beantworten, sondern in einen Prozess der Versöhnung und des Friedens zu treten.
Gott sei Dank.
Und die friedliche Wiedervereinigung – bei allen Verletzungen und Ungerechtigkeiten, die im Vereinigungsprozess auch entstanden sind – bleibt ein großartiges Geschenk.
Und wir Deutschen werden NOCH auf der Welt dafür geachtet, dass wir dem Verhandeln mehr zutrauen als dem Draufhauen.

Gott schuf alle gleich. Ihr seid seine Kinder.

Im Buch der Richter zieht Barak in den Krieg und siegt. Der Feldherr der Kanaanäer wird auf der Flucht von einer Frau erschlagen.
Mit dem Deboralied – einem der ältesten poetischen Stücke im Alten Testament - endet dann der Bericht über die Richterin und Prophetin Debora mit den Worten:
Debora-Lied: Ri 5,31 So sollen umkommen, HERR, alle deine Feinde! Die ihn aber lieb haben sollen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Pracht! Und das Land hatte Ruhe vierzig Jahre.

In unserem Oratorium kommt dann aber noch einmal die andere Sichtweise zum Tragen, gehalten von dem Auftrag Christi, der Welt im Nächsten zu begegnen, wenn es heißt:
Stimme Juble, Barak!
Stimme Jauchze, Dwora!
Stimme Wir sind frei! Frei! Kehre heim, Barak, in dein Land. Im Abendschein stehen die Berge, die dir nicht gehören. Gott hat deinen Stolz besiegt. Preise ihn in Demut.
Ja, im Schweigen der Waffen preisen wir Gott. So lange wir leben, soll kein Krieg mehr sein. Jubelt und jauchzt! Es kommen die Jahre der Stille.
Es kommt ein Frieden, den wir ersehnen und den wir nicht ertragen.
Fremd sind wir einander. Es leben die Fremden unter uns. Wir leben unter ihnen.
Ihr Land ist unser Land, und unser Land das ihre. Es leuchtet wie der Himmel über uns.
Amen

20130924

Martin Adel: Leben im fluss

22.09.2013
17. Sonntag nach Trinitatis - Kirchweihsonntag - Jubelkonfirmation
Wochenspruch: 1. Joh 5,4 Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Predigt zu Joh 9,35-41

Liebe Gemeinde,
um den Predigttext verstehen zu können, müssen wir kurz die ganze Szenerie vor Augen halten, in der unser Predigtwort zur Sprache kommt.
Da ist einer blind geboren. Der Blindgeborene wird von Jesus angerührt und geheilt. Doch die Frommen und Pharisäer glauben dieses Wunder nicht. Sie befragen die Eltern, ob es wirklich ihr Sohn ist und ob er wirklich blind geboren war. Und zum Schluss, weil sie nichts finden, ereifern sie sich daran, dass Jesus am Sabbat geheilt hat.
Und weil sich der Geheilte trotz eindringlicher Befragung zu Jesus bekennt, wird er als bornierter Sünder ausgestoßen. An dieser Stelle setzt unser heutiger Predigttext ein:
35 Es kam vor Jesus, dass sie ihn (den Blindgeborenen) ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn?
36 Er antwortete und sprach: Herr, wer ist's?, dass ich an ihn glaube.
37 Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist's. 38 Er aber sprach: Herr, ich glaube, und betete ihn an.
39 Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. 40 Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn auch blind? 41 Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde.


Und dieses Wort zur Jubelkonfirmation. Als ob die Kirche nach 25, 50, 60, 70 Jahren immer noch nichts anderes zu verkünden hat.

Tja, liebe Jubelkonfirmanden: Wie ist das denn mit der Altersweisheit?
Gott sei Dank sortieren sich im Alter manche Dinge. Manche werden ruhiger. Ich bin impulsiver geworden. Aber manches ist mir auch klarer geworden.
Im Rückblick merkt man so manches: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Da habe ich Ideen, Hoffnungen und Träume umgeworfen oder aufgegeben. Dort sind neue dazu gekommen.
Im Innehalten merke ich: So geht es nicht mehr weiter. Da muss sich, da muss ich etwas verändern.
Viele scheuen sich vor so einer Zeit, einer Zeit der notwendigen Veränderungen. Wir drücken uns vor der Realität. Das geht schon noch. Das war schon immer so. Das passt schon … Das muss so bleiben.

Doch unser biblisches Ereignis spricht eine andere Sprache. Veränderung ist angesagt: Der Blinde wird sehend. UND! Die, die immer alles schon besser wissen und alles schon kennen, die stöbert Jesus auf. Sie meinen zu sehen, aber sie sehen nur das, was sie sehen wollen. Das ist so und das bleibt so. Nichts darf sich verändern. Und was dabei herauskommt ist Unbarmherzigkeit. Der Geheilte wird ausgestoßen. Doch Jesus spricht zu den bewährten Traditionshütern:
41 Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde.
…. Weil ihr es wissentlich tut – heißt das. Mit Absicht. Sie könnten es besser wissen, aber sie sind stur. DAS verurteilt Jesus an diesen Menschen, die sich doch so redlich um ein frommes und gottwohlgefälliges Leben mühen? Er verurteilt ihre Borniertheit und ihre Unbarmherzigkeit. Denn genau mit dieser Hartherzigkeit werden sie später Christus verurteilen, weil das Unmögliche nicht möglich sein darf.
Ein Mensch kann nicht Gottes Sohn sein und Tote können nicht auferstehen. Blind ist blind. ODER es steckt irgendwie ein Packt mit dem Teufel dahinter.
Keine Veränderung! Denn Veränderung bringt Unsicherheit. Veränderung ist unbequem. Veränderung ist ungerecht. Veränderung macht Angst.

Viele Silberkonfirmanden finden den Weg in die Kirche am Tag ihrer Jubelkonfirmation nicht nur aus Zeitgründen, sondern aus Enttäuschung oder aus Scham, weil sich ihr Leben ganz anders entwickelt hat, als sie sich vielleicht gewünscht oder erhofft hatten. Träume sind zerplatzt und das Leben wird als hart und ungerecht erlebt oder die Kirche als rückständig und veraltet.
„Wir wissen, wie das Leben tickt. Ihr habt ja keine Ahnung!“
Doch das haben die Pharisäer auch gesagt. Sie hatten ein klares Bild, das keinen Platz lies für das Wunder des Sehens.
Und nun kommt dieser Mensch aus Nazareth. Und über seinem Handeln klingt der alter Ruf des Täufers Johannes bis zu uns herüber: Tut Buße und kehrt um und glaubt an das Evangelium.
Denn das Evangelium macht wahrhaftig und öffnet das Herz zur Vergebung und zur Liebe. Und unser Leben bleibt im Fluss.

Der einzige, der in unserem Predigttext die Veränderung zulässt ist der Blindgeborene. Er wird sehend und dafür von den anderen ausgestoßen.
Und so ist das oft, wenn sich bei uns Veränderungen anbahnen. Unverständnis macht sich breit oder Vorwürfe:
Jetzt, auf deine alten Tage brauchst du auch nicht mehr fromm werden. Jetzt brauchst du auch nicht mehr damit ankommen. Die Verletzungen sitzen zu tief und die Angst ist groß, dass uns etwas heimgezahlt werden könnte. Und wir antworten: Ich hab mir nichts vorzuwerfen.
Doch das alles interessiert nicht. Der Blindgeborene wird gefragt von Jesus: Glaubst du an den Menschensohn?
Denn das heißt: Glaubst du, dass sich dein Blick noch verändern kann? Glaubst du, dass du zu einer Weisheit gelangen kannst, in der sich ein tiefer Friede in dir ausbreitet? Ein Blick auf das Leben, ein Blick auf dein Leben, der dich aus mancher Verhärtung befreit und dich versöhnt mit deinem Leben? Glaubst du, dass das noch möglich ist? Und er sagt: Ja.
Deshalb fordert Jesus zu dieser Blickveränderung auf. Weil das Blinde in uns dadurch sehend wird.
Passt schon, ist manchmal einfach zu wenig. Die Väter, die in ihrer vermeintlichen Erziehungshärte keinen neuen Weg zu ihren Söhnen finden. Die Mütter, die das falsche Wort zur falschen Zeit nicht überwinden können und keinen neuen Anfang wagen.
Zerbrochenes verfolgt einen manchmal ein Leben lang.
Auch, wenn man es nicht mehr reparieren kann, kann Friede in uns darüber werden, indem wir uns ansprechen lassen, wie der Blinde. Und wir sagen: Ja.
Wir müssen nicht fromm werden im Alter, aber wir dürfen immer wieder lernen und begreifen, dass das JA GOTTES von damals über meinem Kopf etwas mit dem JA von heute zu tun hat – mit der grünen Aue und dem finsteren Tal, doch DEIN Stecken und Stab trösten mich.
So brüchig mein JA auch sein mag, mit diesem JA kommen wir weiter, weil wir dann neu erkunden können, welche Bedeutung mein Leben hat und welche Aufgabe ich habe und was ich noch verändern kann. Was für ein Geschenk. Bis auf den heutigen Tag.
Zurückdrehen kann man nichts. Aber man kann sich vergeben lassen und dann neu beginnen. Immer.
Gott ist so umfassend groß, dass wir gerade auch dort, wo nur noch die Lebensversicherung auf uns wartet und die Erben die Hand aufhalten, dass dort Gott zu uns sagen will: Herzlich willkommen. Und WIR leben. Was für Vorgeschmack bereits auf das ewige Leben. Amen

20130805

Martin Adel: Welche Beziehung haben wir zum Judentum

04.04.2013 - 10. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext: 4,19-26


Wochenspruch: Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat.

Liebe Gemeinde,
mit dem heutigen Predigttext in Verbindung mit den Worten aus dem Römerbrief wollen wir uns einem Thema nähern, das für uns Christen und noch dazu als Deutsche kein leichtes ist.
Die Frage: Welche Beziehung haben wir zum Judentum.

1. Vorwort
Dass wir Deutschen eine gestörte Beziehung zum Judentum haben, das muss ich nicht näher erwähnen. Nach dem Holocaust mit seiner widermenschlichen Ausrottungssystematik fällt eine normale Begegnung schwer. Das bunte jüdische Leben ist aus unserem Alltag fast komplett verschwunden und die Öffentlichkeit wird dann plötzlich über die scheinheilige Beschneidungsfrage in zwei Lager gespalten unter der Frage: Ob das Judentum und der Islam nicht doch grausam und kinderfeindlich sind. Dass in unserem Land jährlich über 100.000 Kinder abgetrieben werden und ungeborenen behinderten Kinder fast systematisch das nicht Lebensrecht verweigert wird – betrachten wir als Akt der Freiheit und der Selbstbestimmung.
Aber das ist ein anderes Thema.
Mit dem Judentum haben wir so gut wie keine Berührungspunkte. Wir kennen vielleicht noch ein paar Rabiner- oder Judenwitze, wollen endlich mal die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und leiden vielleicht noch an dem anscheinend unlösbaren Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser im Land Israel, dem Existenzkampf zweier Völker um ihren Ort und ihre Heimat.

Der Film: „Wir weigern uns Feinde zu sein“ ist dabei sehenswert, auch wenn er von einer gewissen Parteilichkeit geprägt ist. Doch er zeigt gute Wege zum Verstehen und zur Versöhnung auf.

Wenn wir im Glauben auf das Judentum sehen, dann sollten wir die Politik außen vorlassen. Und wenn wir uns von Christus ansprechen lassen, dann wird uns das zu einem verstehenden und versöhnlichen Umgang, vielleicht sogar mit zu einem familiären Umgang mit dem Judentum führen in christlicher Freiheit.

2. Das Heil ist von den Juden
Es ist kein Zufall, dass Christus Jude ist. Dem Volk Israel ist die Verheißung für den Messias gegeben. Und deshalb kommt er als Messias für das Volk Israel - Gottes Volk. Und er ist dabei die Verheißung des Heils für die ganze Welt. Und hier wird sie geboren. Diese Verheißung. In Bethlehem. In Jesus von Nazareth, dem Christus. Und deshalb sind wir in tiefer Weise mit dem Judentum verbunden, auch wenn uns das oft schwer fällt. Und im Blick auf die Geschichte haben sich die Christen im Umgang mit den Juden nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Paulus schreibt: Wir sind hineingepfropft auf den Stamm und in die Wurzel, die schon vor uns bestand.
Röm 11,16-24 (Gute Nachricht)
Das Bild vom Ölbaum – eine Warnung an Christen
16 Wenn das erste Brot von der neuen Ernte Gott geweiht worden ist, gilt alles Brot von dieser Ernte als geweiht. Wenn die Wurzeln des Baumes Gott geweiht sind, sind es auch die Zweige. 17 Nun sind einige Zweige an dem edlen Ölbaum ausgebrochen worden, und unter die übrigen wurdet ihr als neue Zweige eingepfropft. Obwohl ihr von einem wilden Ölbaum stammt, habt ihr jetzt Anteil an den guten Säften des edlen Ölbaums. 18 Darum überhebt euch nicht über die Zweige, die ausgebrochen wurden. Ihr habt keinen Grund, euch etwas einzubilden! Nicht ihr tragt die Wurzel, sondern die Wurzel trägt euch.
19 Ihr werdet vielleicht sagen: »Die Zweige sind ausgebrochen worden, um uns Platz zu machen!« 20 Gewiss, aber sie wurden ausgebrochen, weil sie nicht glaubten. Und ihr gehört nur dazu, weil ihr glaubt – und wenn ihr im Glauben beharrt. Seid also nicht überheblich, sondern bedenkt, mit wem ihr es zu tun habt! 21 Wenn Gott schon die Juden nicht verschont hat, obwohl sie die natürlichen Zweige sind, dann wird er euch bestimmt nicht verschonen.
22 Ihr seht hier die Güte und zugleich die Strenge Gottes. Streng ist er zu denen, die sich von ihm abwenden. Gütig ist er zu euch – wenn ihr euch nur bewusst bleibt, dass ihr allein von seiner Güte lebt; sonst werdet ihr auch ausgehauen. 23 Aber auch die Juden werden wieder eingepfropft, wenn sie die Einladung zum Glauben nicht länger abweisen. Gott hat sehr wohl die Macht dazu. 24 Er hat euch als Zweige eines wilden Ölbaums ganz gegen die natürliche Ordnung in den edlen Ölbaum eingepfropft. Dann kann er erst recht die Juden als die natürlichen Zweige wieder in ihren eigenen Baum einpfropfen.


Natürlich deuten wir das Alte Testament anders und Gott ist für uns nur als dreieiniger-Gott vorzustellen. Aber es war Gottes Wille und er hat sich dabei etwas gedacht, sich aus dem Judentum heraus zu zeigen und sich über die Grundlage der Thora verstehbar zu machen. Als Messias für Israel tritt Jesus ins Leben, auch wenn er nur von wenigen Juden erkannt wurde. Doch die Männer und Frauen um ihn waren Menschen jüdischen Glaubens. Und von ihrem jüdischen Glauben her, haben sie Jesus als Messias, als den Christus erkannt und bekannt. Sie verstehen und begreifen, was Gott im Alten Testament verheißen hat und sehen nun die Erfüllung dieser Verheißungen: „Frieden und Gerechtigkeit. Die Besiegung von Krankheit und Tod. Nicht für alle, aber sichtbar, punktuell schon gelebt und erlebt. Aller Gewalt und Vernichtung zum Trotz.“
Die Liebe Gottes spüren sie, die sie aufrichtet und ausrichtet und sie zu Zeugen macht vom bereits angebrochenen Reich Gottes für die kommende Welt. Dass sich daraus ihre Haltungen, ihre Lebensgebräuche, ihre religiösen Traditionen, ihre Gottesdienste verändert haben, ist eigentlich nur konsequent und logisch. So wie sich ja auch unsere Lebenshaltungen und religiösen Traditionen unterscheiden von den Menschen, die einen anderen Glauben pflegen oder keinen Glauben haben.
Doch wir müssen uns fragen lassen, ob das für uns eine Mühsal oder ob es für uns eine Freude ist, dass wir mit dem Judentum gemeinsam eine Wurzel haben und wir uns sogar das Alte Testament oder das 1. Testament miteinander teilen.

In unserem Predigttext von der Frau am Jakobsbrunnen wird es dann heißten: Das Heil ist von den Juden. Und das bedeutet für uns: Wenn wir uns unserer jüdischen Wurzeln beschneiden, vertrocknen wir, denn hier ist bereits angelegt, was Gott dann für uns vollendet. Der Anspruch Gottes im Alten Testament ist bereits global und universal. Die ganze Welt. Der ganze Kosmos. Von Gott geschaffen. Nicht nur für die Juden, sondern für uns alle. Gott, der Herr der Welt.

Und in Jesus Christus befreit er dieses Wort von konkreten Orten und klein kariertem Denken. In Christus führt uns Gott in seine universale Freiheit, wenn wir den Predigttext hören:

Predigttext – Johannes 4, 19-26 (Gute Nachricht)
19 »Herr, ich sehe, du bist ein Prophet«, sagte die Frau.
20 »Unsere Vorfahren verehrten Gott auf diesem Berg. Ihr Juden dagegen behauptet, dass Jerusalem der Ort ist, an dem Gott verehrt werden will.«
21 Jesus sagte zu ihr: »Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, da werdet ihr den Vater weder auf diesem Berg noch in Jerusalem anbeten. 22 Ihr Samariter betet zu Gott, aber ihr kennt ihn nicht; doch wir kennen ihn, denn die Rettung für alle Menschen ist von den Juden. 23-24 Aber die Stunde kommt, ja sie ist schon gekommen, da wird der Heilige Geist, der Gottes Wahrheit enthüllt, Menschen befähigen, den Vater an jedem Ort anzubeten. Gott ist ganz anders als diese Welt, er ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein. Von solchen Menschen will der Vater angebetet werden.«
25 Die Frau sagte zu ihm: »Ich weiß, dass der Messias kommen wird, der versprochene Retter. Wenn er kommt, wird er uns alles sagen.«
26 Jesus antwortete: »Er spricht mit dir; ich bin es.«


Die Messiaserwartung am Ende der Tage ist geklärt.
Ich bin es.
Mit diesen Worten endet unsere Perikope.
Ich bin der Messias.
Und was das bedeutet, können wir bereits an seinem Leben sehen. In seinem Reden und Tun sehen wir, wie das Reich Gottes ist.

a. Er spricht mit einer Frau
Für einen orthdoxen Juden gehört sich das nicht, eine fremde Frau anzusprechen und dann auch noch eine „Ungläubige“ – eine aus Samaria.
In der Mittagshitze hat sie sich an Brunnen gewagt, weil wahrscheinlich in der Dorfgemeinschaft einen ausgegrenzten Status hatte: Fünfmal war sie bereits verheiratet – und nun lebt sie in wilder Ehe mit einem Mann zusammen.

b. Doch Jesus begegnet ihr auf Augenhöhe.
Er bittet sie um Wasser und ihre Fragen nimmt er ernst. Und wir merken schon: Ich werde nicht nach meiner Nase selig werden, sondern geleitet und geführt durch sein Wort und durch seinen Geist kommt uns das Heil entgegen.

c. Und dann stellt sie die Frage:
20 »Unsere Vorfahren verehrten Gott auf diesem Berg. Ihr Juden dagegen behauptet, dass Jerusalem der Ort ist, an dem Gott verehrt werden will.«

Und wieder ist ER es, der unsere Begrenztheiten durchbricht und auflöst:
21 Jesus sagte zu ihr: »Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, da werdet ihr den Vater weder auf diesem Berg noch in Jerusalem anbeten. 22 Ihr Samariter betet zu Gott, aber ihr kennt ihn nicht; doch wir kennen ihn, denn die Rettung für alle Menschen ist von den Juden. 23-24 Aber die Stunde kommt, ja sie ist schon gekommen, da wird der Heilige Geist, der Gottes Wahrheit enthüllt, Menschen befähigen, den Vater an jedem Ort anzubeten. Gott ist ganz anders als diese Welt, er ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein. Von solchen Menschen will der Vater angebetet werden.«

Hier spricht der Messias und er lebt es vor. Der Ort ist nicht das Entscheidende. Orte sind gut und wichtig. Und es ist gut, dass wir unsere Paulskirche haben, in der wir Gottesdienst feiern können. Ein sakraler, heiliger Ort – doch wenn er im Krieg vorübergehend zum Möbellager für ausgebombte Familien wurde, dann ist er damit nicht entweiht, sondern bestätigt nur seine heilsame Aufgabe.
Jesus wendet unseren Blick weg vom Äußeren Hin zum Inneren. Und so befreit er den Gottesdienst von einem zentralen Kultus in Jerusalem und übergibt ihn in die Hände seiner Gemeinde, in die Familien, in die Synagogen, in die Wohnzimmer, in die Gemeindehäuser und Kirchen. Der konkret Ort und unsere Kirchen sind nicht gering zu achten, aber wichtig ist und bleibt dabei die innere Ausrichtung:
23-24 Aber die Stunde kommt, ja sie ist schon gekommen, da wird der Heilige Geist, der Gottes Wahrheit enthüllt, Menschen befähigen, den Vater an jedem Ort anzubeten. Gott ist ganz anders als diese Welt, er ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein. Von solchen Menschen will der Vater angebetet werden.

Und Martin Luther schreibt in seiner Torgauer Schlosspredigt nichts anderes für seine reformatorischen Gemeinden in Not:
(Broschüre S.19) „So uns der Sabbat oder der Sonntag nicht gefällt, mögen wir den Montag oder einen anderen Tag in der Woche nehmen und einen Sonntag daraus machen … Kann es nicht geschehen unterm Dach oder in der Kirche, so geschehe es auf einem Platz, unter dem Himmel oder wo Raum dazu ist.“


Die äußere Form ist bisweilen wichtig, aber sie kann die innere Haltung nicht ersetzen. Und das haben die Menschen in Jesu Nachfolge gesehen. Die, die sich seinem Wort aussetzen kommen zu einer Freiheit der Kinder Gottes, die in einer großen Offenheit und Versöhnung mündet. Und Paulus schreibt deshalb: Hier ist weder Jude noch Grieche, weder Freier von Sklave, denn wir sind alle eins in Christus.

Doch bis heute haben wir damit große Schwierigkeiten. Nicht nur die Juden. Auch wir Christen. Bis heute gibt es ja auch in unseren Gemeinden die großen, zweifelnden Fragen: Ob es den gilt. Und wer uns den beweist, dass dieser Jesus der Christus ist.
Wir trauen dem punktuellen und einzelnen Erleben nicht zu, dass es bereits sichtbar von dem Verkündet, was einst für alle gelten wird. „Blinde sehen, lahme gehen und Armen wird das Evangelium verkündigt.“ Doch die Jünger und die Frauen um Jesus, seine Gemeinde, haben in IHM gesehen, dass es gilt. Schon jetzt. Und sie wollten selbst in der Nachfolge ein Zeichen setzen von der Lebensveränderung, die sie in der Begegnung mit dem Messias erlebt haben. Sie wurden von Wartenden zu Empfangenden. Und während die Frau zu ihm sagt:
»Ich weiß, dass der Messias kommen wird, der versprochene Retter. Wenn er kommt, wird er uns alles sagen.« 26 Jesus antwortete: »Er spricht mit dir; ich bin es.«

Der Israelsonntag führt uns zurück in die große innere Nähe, die wir mit dem Judentum haben. In unseren Wurzeln sind wir miteinander verbunden. Wir können den erwarteten Messias nur vom Alten Testament her verstehen. Und erkennen in dem gekommenen Christus, dass Gott sein Wort erfüllt hat.

Auf dieser Grundlage wird uns dann noch einmal der schmerzhafte Verlust jüdischen Lebens in unserer Mitte deutlich und die große Schuld unserer Vergangenheit bewusst.
Doch als mit Gott versöhnte dürfen wir den Neuanfang wagen und das Gespräch suchen. Behutsam wartend, wo uns die Hand gereicht wird und verstehend, wenn das Misstrauen noch überwiegt.
Und hoffentlich sind wir neugierig, was wir, die wir nachträglich auf die gute Wurzel gepfropft wurden, in der Begegnung mit dem Judentum von ihrem Verstehen des Wortes Gottes lernen können.

Amen

Broschüre: Das Heil ist von den Juden – Begegnung von Christen und Juden in Bayern (BCJ.Bayern) u.a. Volker Haarmann und Ursula Rudnick Arbeitshilfe zum Israelsonntag 2013

Martin Adel: Wer ist schuld?

21.07.2013 - 8. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext Johannes 9,1-7


Liebe Gemeinde.
Die Begegnung mit Gottes Wort ist immer Menschenschulung. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass sich Jesus gerade mit denen auseinandersetzt, die mit dem Wort Gottes schon fertig sind und immer schon wissen, was sein kann und was nicht sein darf.
So steht es im Johannesevangelium, im 9. Kapitel. Ich verwende die Übersetzung der guten Nachricht. Joh 9,1-2
1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?
Eine typische Frage: Wer ist schuld? Wer hat hier gesündigt? Ist das nicht furchtbar. Es klingt so selbstverständlich, diese Frage. Da muss doch einer schuld sein. Wer hat gesündigt – er oder seine Eltern?
Wir kennen diese Frage auch umgekehrt: Warum gerade ich? Ich habe doch immer alles befolgt. Warum gerade der, der war doch so ein guter Mensch.
Da geht es auch um Schuld.
Aber was bringt dieses Fragen?
Wären wir ein Stück weiter, wenn Jesus sagen würde: Der Blinde hat gesündigt oder seine Eltern, und darum muss er für immer blind bleiben und sein Brot durch Betteln verdienen. Es geschieht ihm doch Recht. Und ich bin aus der Schuld, ihm zu helfen. Geht es darum?
Welch ein bitterer Zynismus, mit dem wir immer wieder das Leben einteilen und zuteilen wollen. Und hoffentlich geschieht uns nicht einmal Recht und wir werden nach diesem Maßstab gemessen und keiner ist da, der mich als Mensch sieht, sondern nur als Sünder und achtlos an mir vorbeigeht.

Joh 9,3-5
3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. 4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.
Jesus spricht hier nicht vom Glauben und auch nicht von der Schuld, sondern er spricht von Gott. Von Gottes Macht und von den Taten Gottes. Der andere ist kein Ding, irgendetwas, reduziert auf seine Schuld, sondern ein Mensch, ein Geschöpft Gottes und darum kommt er in den Blick. Den Sünder kann ich wegschieben, den Menschen nehme ich war. Und er wird mir zum Auftrag und zur Aufgabe: „Solange es Tag ist, müssen wir die Taten Gottes vollbringen“ heißt es in der guten Nachricht. Christus ist das Licht der Welt, und darum ist es unsere Aufgabe, von diesem Licht zu erzählen, das seinen Platz dort hat, wo der Blinde leidet; und zwar nicht so sehr an seinem Blindsein, sondern an seiner Ausgrenzung und Aburteilung.

Und weiter heißt es hier: Joh 9,6-7
6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden.
7 Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Wir wollen uns nicht länger bei diesem Wunder aufhalten – bei dem manche fromme Geister sogar noch meinen, wenn sie es „nachspielen“, könnte Blinden geholfen werden. Der Blinde kann wieder sehen. Das ist das Entscheidende. Er ist gesund. Er ist geheilt. Gott sei Lob und Dank dafür.
Aber was wir nun weiter hören sind die menschlichen Untiefen, in die uns Johannes hineinführt. Wie mit dem Skalpell trennt er es uns heraus – seht, so ist der Mensch: So bist Du! So bin ich! Und hoffentlich erschrecken wir.

Nun kommen die Nachbarn und die Leute: Joh 9,8-14
8 Die Nachbarn nun und die, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sprachen: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? 9 Einige sprachen: Er ist's; andere: Nein, aber er ist ihm ähnlich. Er selbst aber sprach: Ich bin's. 10 Da fragten sie ihn: Wie sind deine Augen aufgetan worden? 11 Er antwortete: Der Mensch, der Jesus heißt, machte einen Brei und strich ihn auf meine Augen und sprach: Geh zum Teich Siloah und wasche dich! Ich ging hin und wusch mich und wurde sehend. 12 Da fragten sie ihn: Wo ist er? Er antwortete: Ich weiß es nicht.
13 Da führten sie ihn, der vorher blind gewesen war, zu den Pharisäern. 14 Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Brei machte und seine Augen öffnete.
Freut sich hier jemand, dass er wieder sehen kann? Nein! Es wird gezweifelt: Ob man denn seinen Augen trauen darf. Es wird genau erforscht, ob es denn auch mit rechten Dingen zugegangen ist. Da muss doch ein Haar in der Suppe sein. Das ist alles suspekt, das müssen die Fachleute entscheiden.
Und schon geht es weiter. Und sehen wir genau hin – hier spielt sich immer wieder auch unsere Geschichte ab: Joh 9,15-23
15 Da fragten ihn auch die Pharisäer, wie er sehend geworden wäre. Er aber sprach zu ihnen: Einen Brei legte er mir auf die Augen, und ich wusch mich und bin nun sehend.
16 Da sprachen einige der Pharisäer: Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sprachen: Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun? Und es entstand Zwietracht unter ihnen. 17 Da sprachen sie wieder zu dem Blinden: Was sagst du von ihm, dass er deine Augen aufgetan hat? Er aber sprach: Er ist ein Prophet.
18 Nun glaubten die Juden nicht von ihm, dass er blind gewesen und sehend geworden war, bis sie die Eltern dessen riefen, der sehend geworden war, 19 und sie fragten sie und sprachen: Ist das euer Sohn, von dem ihr sagt, er sei blind geboren? Wieso ist er nun sehend? 20 Seine Eltern antworteten ihnen und sprachen: Wir wissen, dass dieser unser Sohn ist und dass er blind geboren ist. 21 Aber wieso er nun sehend ist, wissen wir nicht, und wer ihm seine Augen aufgetan hat, wissen wir auch nicht. Fragt ihn, er ist alt genug; lasst ihn für sich selbst reden.
22 Das sagten seine Eltern, denn sie fürchteten sich vor den Juden. Denn die Juden hatten sich schon geeinigt: wenn jemand ihn als den Christus bekenne, der solle aus der Synagoge ausgestoßen werden. 23 Darum sprachen seine Eltern: Er ist alt genug, fragt ihn selbst.

Und noch einmal: Wird da Gott gelobt?
Mißtrauen, Angst und Unentschiedenheit. Das kann nicht sein. Da muss irgendwo Schuld sein. Das war schon immer so. Wir haben die Bibel studiert. Wir wissen es. Schlimm, wenn Glaube Angst macht und sich der andere nichts mehr sagen traut.
Der einzige, der hier frei herausspricht, ist der Schwächste, der Kranke, der Blinde. Der, der geheilt ist: Joh 9,24-33
24 Da riefen sie noch einmal den Menschen, der blind gewesen war, und sprachen zu ihm: Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist. 25 Er antwortete: Ist er ein Sünder? Das weiß ich nicht; eins aber weiß ich: dass ich blind war und bin nun sehend. 26 Da fragten sie ihn: Was hat er mit dir getan? Wie hat er deine Augen aufgetan? 27 Er antwortete ihnen: Ich habe es euch schon gesagt und ihr habt's nicht gehört! Was wollt ihr's abermals hören? Wollt ihr auch seine Jünger werden? 28 Da schmähten sie ihn und sprachen: Du bist sein Jünger; wir aber sind Moses Jünger. 29 Wir wissen, dass Gott mit Mose geredet hat; woher aber dieser ist, wissen wir nicht.
30 Der Mensch antwortete und sprach zu ihnen: Das ist verwunderlich, dass ihr nicht wisst, woher er ist, und er hat meine Augen aufgetan. 31 Wir wissen, dass Gott die Sünder nicht erhört; sondern den, der gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den erhört er. 32 Von Anbeginn der Welt an hat man nicht gehört, dass jemand einem Blindgeborenen die Augen aufgetan habe. 33 Wäre dieser nicht von Gott, er könnte nichts tun.


Vielleicht haben wir es schon geahnt. Den am Schluss steht das, was eigentlich schon vorher klar war: Joh 9,34
34 Sie antworteten und sprachen zu ihm: Du bist ganz in Sünden geboren und lehrst uns? Und sie stießen ihn hinaus.

Warum ist der Mensch so? Warum neigen wir zu so einem Verhalten? Da geschieht etwas wunderbares, und anstatt Freude entsteht Mißtrauen und Mißgunst und Angst. Und es wird solange herumgezerrt, bis wir das wissen, was wir schon vorher wußten. Joh 9,34 „Du bist ja schon von deiner Geburt her ein ausgemachter Sünder, und dann willst du uns belehren?“ Und sie warfen ihn hinaus.

Sind wir wirklich so blind, dass wir in unserer Verbohrtheit nicht mehr wahrnehmen, wo Gott am Werk ist. Welche fromme Anmaßung, Gott vorzuschreiben, wo und wann und wie er sich zu zeigen hat und wo nicht.
Muss sich Gott an unsere Regeln halten oder haben nicht wir von ihm den eigentlichen Rahmen, nämlich seine Ordnungen gesetzt bekommen?
Wer sitzt da im Regiment?

Und Jesus setzt sich dagegen, wenn hier steht: Joh 9,35-41
35 Es kam vor Jesus, dass sie ihn ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn? 36 Er antwortete und sprach: Herr, wer ist's?, dass ich an ihn glaube. 37 Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist's. 38 Er aber sprach: Herr, ich glaube, und betete ihn an.
39 Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. 40 Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn auch blind? 41 Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde.

Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir uns über die Zuteilungen von Schuld und Sünde die Welt und den anderen und uns selbst zurecht erklären wollen. In Schafe und Böcke teilt Gott auf, nicht wir. Und wo wir einst stehen werden, werden wir dann sehen.
Doch solange es noch nicht soweit ist, haben wir noch eine Chance und einen ganz anderen Auftrag: Auch wir müssen die Taten Gottes vollbringen, solange es Tag ist … und damit Gott loben und preisen.
Und das bedeutet:
Der Blinde wird mir zum Nächsten und mir zur Aufgabe. Die Not des anderen geht mich etwas an. Und ich werde mich mitfreuen, wo ein Mensch gesund wird und ich werde mitleiden, wo ein Mensch leidet, selbst dann, wenn er es selbst verschuldet hat.
Unser Auftrag ist nicht die Rache, denn die macht blind. Unser Auftrag ist die Liebe, weil Gott die Liebe ist und Christus das Licht der Welt. Er ist unser Licht und darum stehen wir in seinem Licht. Und darum kann Paulus an die Gemeinde in Ephesus schreiben: Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Amen.


20130623

Martin Adel: Evangelium gegen die Leistungsreligion

Röm 3,21-28 Reformationsfest 2010
St. Paul Fürth

Wochenspurch: 1 Kor 3,11
Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus

1. Predigttext (Zürcher)

21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, 24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.


Liebe Gemeinde,

wir Theologen verhandeln diesen Text unter der zentralen Botschaft der Rechtfertigungslehre. Der Mensch, gerechtfertigt vor Gott allein aus Gnade. Und Luther hat daraus die Kraft gezogen, um sich gegen die ganze, damalige Kirche zu stellen.
Aber was heißt dieses Wort heute? Was bedeutet es für uns?
Lassen sie mich einen Auslegungsversuch machen.

Wir wissen alle, wie das Leben läuft.
Wer etwas leistet, bekommt auch seinen Lohn. Wer sich anstrengt, der hat auch Erfolg. Und wer Erfolg hat und Lohn, der gehört dazu, denn er kann sich etwas leisten. Und wer sich etwas leisten kann, der hat auch Ansehen. Und wer Anstehen hat, der geht aufgerichteter, aufrechter durchs Leben. Er versteckt sich nicht, sondern hat Selbstbewusstsein. „Ich muss mir nicht alles gefallen lassen, schließlich bin ich auch wer!“

Und wir, wir wissen alle, ein Hauptproblem von Arbeitslosigkeit ist, dass das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen einen Knacks bekommt. Nicht im Sprücheklopfen oder Dumm daher reden, das wird meistens mehr, je mehr jemand unter dem erdrückenden Zustand leidet. Andere verfallen ins Schweigen, weil sie ja eh nichts mehr zu sagen haben.
Das innere, mich stabilisierende Korsett kommt ins Wanken und droht zu zerbrechen. Wer bin ich? Was bin ich dann noch? Was bin ich wert?
Eine Konfirmandin schrieb einmal bei der Konfirmandenanmeldung beim Beruf ihrer Eltern: Arbeitslos. Beide Elternteile hatten einen gelernten Beruf, das wusste ich, doch hier drängte sich in den Vordergrund, was das Leben dieser Familie so gewaltige bestimmte: arbeitslos.
Und Väter verlieren ihr Gesicht vor ihren Frauen, vor ihren Kindern – oder meinen es zumindest.
Und sie können sich vorstellen, wie das Mädchen aufblühte, als der Vater endlich wieder Arbeit gefunden hatte.

Wenn unsere Jugend 30, 40 Bewerbungen schreiben muss und genauso viele Absagen bekommt, dann macht das mich wütend, weil ihnen jeder nur beigebracht hat, du musst fleißig sein und du musst dich bewerben, bewerben und wir haben ihnen oftmals kein Handwerkszeug mitgegeben, wie sie mit den Ablehnungen und Enttäuschungen zu Recht kommen können.

Wir nennen das Leistungsgesellschaft. Eigentlich müsste es heißen: Hochleistungsgesellschaft. Immer volle Konzentration und immer maximale Leistung.
Und unter diesem Alltag, verändert sich unser inneres Ich. Die Bereitschaft zum Nachgeben, zum Verständnis, zur Großzügigkeit, zur Geduld entschwindet uns. Einer wird dem anderen zum Konkurrenten. 3-2-1-meins. Pech gehabt. Glück gehabt. „Bitte nach ihnen“ – kennen wir nicht mehr.

Natürlich bin ich auch ein guter Deutscher. Ich bin auch leistungsorientiert und bringe mein Können voll in meinem Beruf ein. Auch noch bis spät in die Nacht. Und es ist ja auch gut, dass wir fleißig und ordentlich und gewissenhaft arbeiten. Aber müssen wir deshalb schon rücksichtslos, gnadenlos und unbarmherzig werden, in unserem Denken, in unserem Reden, in unserem Tun?
Wenn diese Haltung uns zur alles bestimmenden inneren Überzeugung, ja sogar uns zur Religion wird, dann sind wir auf dem falschen Weg. Weil auf dem Altar der Leistungsgesellschaft und des Leistungsglaubens der Mensch und die Menschlichkeit auf der Strecke bleiben.
„Warum sollte es denen besser gehen, als uns damals“ – sagte mir einmal ein altes Ehepaar Heimatvertriebener. Wir mussten 1945 auch auf Stroh schlafen, da können die Asylbewerber heute auch auf Stroh schlafen.
Im Alten Testament heißt das: Auge um Auge. Zahn um Zahn.
Drei Sätze später erzählten sie mir dann, dass sie sich alle drei Jahre eine neue Couch gönnen – und geben mir am Ende 5 Euro mit für die Armen in der Gemeinde.

Wir spüren gar nicht mehr, wie wir, die wir oft nicht unerheblich unter dem permanenten Leistungsdruck leiden, selbst dann Täter dieser Leistungsreligion geworden sind, verachtend und verletzend gegenüber meinem Nächsten. Und die Abfälligkeiten, mit denen wir über den anderen Urteilen, verkehren sich sehr schnell gegen einen selbst, wenn man einmal nicht mehr zu den Gewinnern, zu den Leistungsträgern, zu den Gesunden und Gebrauchten gehört und selbst geopfert werden auf dem Altar der Hochleistungsreligion.

Doch Gott stellt sich in Jesus Christus gegen dieses gnadenlose und unbarmherzige Verhalten. Im Leistungsglauben wird der Mensch verheizt. Er hat nur noch seinen Wert und seine Würde, wenn er etwas bringt. Wenn er etwas leistet – dann gehört er dazu. Und dagegen spricht Gott sein Nein.
Und deshalb heißt es in unserem Predigttext:
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt – allein - durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.
In einem solchen Glauben bin ich etwas wert, auch wenn mir andere permanent sagen oder mir zeigen, dass ich nicht dazu gehöre – und ich es womöglich selbst schon zu glauben anfange.
In einem solchen Glauben müssen nicht mehr nur wir für die Hartz IV – Empfänger vor der Lorenzkirche stehen, sondern die, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, stehen selber dafür ein, weil sie sich nicht mehr verstecken müssen, ängstlich wartend, dass sie bei der nächsten Bewerbung sofort k.o. zu Boden gehen, wenn es da heißt: Sie waren ja schon einmal im Gefängnis. Mit diesen Zähnen können wir sie nicht gebrauchen. Da ist eine Lücke in ihrem Lebenslauf. Bei ihrem Alter und ihrer gesundheitlichen Vorgeschichte können wir uns nicht erlauben …
In unserem Predigtwort heißt es:
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
In einem solchen Glauben müssen wir nicht mehr mundtot werden, reduziert auf meine Schwächen, auf meine Fehler, auf meine Vorgeschichte, auf mein Alter.
Die 30igste Bewerbung schlägt mir dann zwar immer noch gewaltig auf´s Gemüt, aber ich erlaube der Absage nicht mehr, dass sie meine ganze Person, mein ganzes Denken und Fühlen bestimmt und mich erdrückt.
Die Psychologie ist das eine. Und die Freunde, die Familie, die zu mir Halten, sind ebenfalls unbezahlbar wertvoll.
Aber das ist zu wenig, wenn die Selbstzweifel über mich herein brechen. Dann braucht es ein noch mächtigeres Wort, das alle diese Zweifel niederringt. Dann braucht es den festen Glauben und die Gewissheit, dass dieses Wort gilt, unausweichlich gilt … und werde ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

Dadurch ist noch kein Cent mehr in meinem Geldbeutel und meine Vorgeschichte bleibt meine Vorgeschichte, aber innerlich wächst in mir eine Haltung heran, die mich wieder aufrichtet und ausrichtet und ich muss mich nicht mehr abseits fühlen, sondern ich gehöre vollwertig und gleichwertig dazu – allein aus Glaube.
Das ist das Evangelium, wenn es zum Schluss heißt:
Gott hat Jesus Christus für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht – und aufrichtet - den, der da lebt aus dem Glauben – nicht an sich selbst, sondern - an Jesus.
Amen

20130621

Werner Otto Sirch: Die Ehebrecherin

4. Sonntag nach Trinitatis
23.06.2013

Predigttext Johannes 8,3-11
Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte 4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. 10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

eine bewegende Geschichte, bei der ich innerlich schnell auf der Seite der Frau bin. Es hat wohl mit dem Umgang mit ihr zu tun. Kein Mensch achtet auf ihre Würde. Sie wird herbeigeschleppt, in die Mitte gestellt und als Ehebrecherin bloßgestellt. Sie bekommt keinen Anwalt, keine Verhandlung. Sie ist überführt, das Todesurteil gefällt ohne sie anzuhören. Gefällt von wem auch immer. Vielleicht auch vom Mob auf der Straße. Es riecht verdächtig nach Lynchjustiz. Klar ist nur eines: Sie muss sterben.

Ein solches Verfahren, ein solcher Umgang ist mir zutiefst zuwider und stört mein Rechtsempfinden. So kann nach meinem Empfinden der Rechtsfrieden nicht wieder hergestellt werden.

1. Das Vorurteil

Irgendwie kommt mir aber eine solche Verfahrensweise bekannt vor. Ja, ich bin auch so einer der Urteile über andere fällt, ohne mit ihnen gesprochen zu haben. Wir nennen das abschwächend Vorurteil. Wie schnell habe ich Vorurteile gegenüber anderen Menschen. Vielleicht auch deshalb, weil ich durch sie an etwas erinnert werde. Oder weil jemand mir so ähnlich ist und ich mich in ihm erkenne, ohne dass mir das bewusst ist.

Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass Ich mir das Recht herausnehme über andere zu urteilen, obwohl mich niemand zum Richter über sie bestellt hat. Ich mache mich zum Maßstab, zu einer moralischen Instanz, es muss so gehen wie ich es für richtig halte, so wie ich das Gesetz verstehe und auslege.

2. Wer im Glashaus sitzt

„Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen“, wir kennen das Sprichwort. Und trotzdem sind wir Steinewerfer. Es sind natürlich keine Steine, die wir werfen, aber das was wir werfen tut nicht minder weh. Sie verletzen uns innerlich, die „Steine“, die nach uns geworfen werden. Sie haben Namen, die wir allzu gut kennen: Vorbehalte, Vorurteile, Verurteilungen.

Wir kennen sie seit unserer Kindheit. Sätze, die uns verstören und zerstören. Es sind Sätze wIe: „Das kannst du nicht“ oder „Aus dir wird nie was“ oder „So einem wie dir kann man nichts anvertrauen“. „Du reißt mit dem Hintern ein, was du mit Händen aufgebaut hast“. Ja, wir sind schnell mit Verurteilungen, nehmen uns heraus Urteile auszusprechen über Menschen ohne sie richtig zu kennen.
Wenn dann der erste Stein geflogen ist, dann fangen auch die anderen an Steine zu werfen. Der Kreislauf der Gewalt ist geschlossen. Wenn der erste zu Tuscheln anfängt, dann glaubt sich auch der zweite im Recht seinen Stein zu werfen – möglichst einen größeren als der erste. Niemand prüft, ob es die Wahrheit ist die er weitergibt und wer überlegt schon ob es nötig ist, dass andere das auch wissen müssen. Keiner spricht mit dem, den es betrifft. Der Stein wird geworfen, ohne überhaupt nur zu ahnen was dieser anrichten wird. Wie kann dieser Kreislauf des Steinewerfens, dieser Kreislauf der Gewalt wieder durchbrochen werden?

3. Das Urteil

Schauen wir rein in unsere Geschichte:
Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
Jesus soll der Richter dieser Frau sein. Er soll das Urteil sprechen. Schlau sind sie, die Pharisäer und Schriftgelehrten. Sie wollen Jesus endlich in der Falle haben. Schon länger suchen sie eine Gelegenheit ihn anzuklagen und zum Tod verurteilen zu können. „Er soll sterben“, das ist ihr Urteil, das sie bereits über ihn gesprochen haben. Aber das Volk kommt in Scharen zu Jesus, will seine gute Nachricht hören: „Noch nie hat ein Mensch so gesprochen wie dieser“, können wir wenige Verse vor unserem Predigttext lesen. Das hindert sie kurzen Prozess mit ihm zu machen. Das Volk strömt zu Jesus, will seine Worte hören, will heil werden, gesunden.

4. Wer ohne Sünde ist

Was sagst du? 6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten.
Es geht diesen Männern nicht um die Sünde und ihre Bekämpfung. Dazu hätten sie Jesus gar nicht gebraucht. Es geht ihnen um den Kampf gegen Jesus. Verurteilt er jetzt diese Frau, dann hat er seinen Gegnern recht geben müssen und seinen Ruf als „Freund der Zöllner und Sünder“ verloren. Schützt er aber selbst eine solche Ehebrecherin, dann ist er entlarvt als einer der es kaum ernst meint mit Gottes Geboten. Er ist ein „Diener der Sünde“. Wie Jesus sich auch entscheidet, immer haben ihn seine Gegner in der Hand.

Er wendet sich von den Männern ab, geht auf Distanz, bückt sich, schreibt mit den Fingern in den Sand. Aber diese geben nicht auf. Sie reden auf ihn ein. Daraufhin richtet sich Jesus auf und hält keine flammende Rede gegen einen solch unmenschlichen Umgang mit einer Frau, wie wir es vermuten würden. Sondern gibt Anweisung, wie die Steinigung vorgenommen werden soll: Der erste, der einen Stein wirft, soll der sein, der ohne Sünde ist. - Wer ist das? - Es gibt keinen Sündlosen hier - außer Jesus.

Jesus bückt sich nieder und schreibt wieder in den Sand. Er führt kein Gespräch mit seinen Gegnern. Diskutiert nicht mit den strengen, frommen Männer über das Verständnis von Sünde. Sünde ist Handeln aus Hass! Wie die geplante Steinigung. Und ist damit das genaue Gegenteil des von Gott gewollten Handelns aus Liebe.
Der Älteste fängt an, einer nach dem anderen geht weg. Die Frau bleibt. Sie rennt nicht nach Hause, froh, heil aus dieser Geschichte rausgekommen zu sein.

5. Der neue Weg

10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
Es muss nicht über die vergangene Sünde der Frau spekuliert werden. Sie wird von Jesus in ein neues Leben gesandt. In ein Leben ohne Handeln aus Hass.

Liebe Gemeinde, wie viel Hass gegen uns selbst, gegen die Situation in der wir stecken, Hass gegen Menschen die uns anvertraut sind, Hass gegen Menschen die uns belasten und uns Böses wollen, vergiftet unser Leben und gebiert weiteren Hass und Sünde. Jesus will den Kreislauf von Hass und die daraus entstehende Gewalt in unserem Leben durchbrechen und seine Liebe in unser Herz pflanzen. Auch die Liebe zu dieser Gemeinde mit ihren vielen Problemen.

Gebet: Ja, Jesus, du mein Herr und Heiland, pflanze doch auch in mein Herz deine Liebe ein, damit der Hass mein Leben nicht mehr beherrschen kann. Amen.

20130408

Martin Adel: Die Auferstehung fordert unseren Glauben

07.04.2013 Sonntag Quasimodogniti
Predigttext: Markus 16,9-14

1. Predigttext (Luther)
9 Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria von Magdala, von der er sieben böse Geister ausgetrieben hatte. 10 Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren und Leid trugen und weinten. 11 Und als diese hörten, dass er lebe und sei ihr erschienen, glaubten sie es nicht. 12 Danach offenbarte er sich in anderer Gestalt zweien von ihnen unterwegs, als sie über Land gingen. 13 Und die gingen auch hin und verkündeten es den andern. Aber auch denen glaubten sie nicht. 14 Zuletzt, als die Elf zu Tisch saßen, offenbarte er sich ihnen und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härte, dass sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten als Auferstandenen.



Liebe Gemeinde,
ist die Auferstehung heute eigentlich noch notwendig? Könnten wir sie nicht einfach weglassen? Dann wäre vieles einfacher für uns vernünftigen Menschen. Dann müssten wir nicht an so absurde Dinge glauben, wie z.B. ein leeres Grab und gespensterähnliche Erscheinungen des Auferstandenen, der irgendwie ganz anders aussieht, so dass man ihn zunächst nicht erkennt, der durch Türen geht und zum Schluss zum Himmel auffährt, wo wir doch wissen, dass dort oben nur die verschiedenen Schichten der Atmosphäre sind und dahinter das luftleere Weltall.
Wenn wir die Auferstehung Jesu weglassen würden, dann wäre vieles einfacher. In den Evangelien selbst würde gar nicht so viel fehlen. Es sind ja jeweils nur die letzten Kapitel, die von der Auferstehung erzählen.
Bei Markus ist es nur 16,1-20
Bei Matthäus ist es nur 28,1-20
Bei Lukas ist es nur 24,1-53
Bei Johannes 20,1-23 und 21,1-25
Das würde gar nicht weiter auffallen, wenn wir jeweils die letzten Kapitel weglassen würden und dann hätten wir einen Jesus, der als guter Mensch lebt und für seine Überzeugung stirbt und damit ein gutes Vorbild ist, dem wir begeistert nacheifern könnten. Das würde doch reichen und wir müssten nichts bekennen, das wir eh nicht glauben – „am dritten Tage auferstanden von Toten. Aufgefahren in den Himmel …“.
Außerdem: Für eine bessere Welt brauchen wir keine Auferstehung. Dazu reichen auch Menschen mit einer guten Gesinnung, die 10 Gebote, die Menschenrechte, gerechte Gerichte, ein internationaler Gerichtshof in Den Haag, demokratische Strukturen und eine menschliche Bürgergesellschaft mit dem Willen zur Beteiligung.
Das würde doch reichen! Und vernünftiger wäre es auch.
Denn beweisen, beweisen kann die Auferstehung eh keiner und bringen tut sie auch nichts.

Liebe Gemeinde,
mit einer solchen Haltung sind wir nicht weit weg von dem, was damals an Ostern geschah.
Jesus, das war etwas Reales. Das konnte man handgreiflich miterleben. Die Menschen, die sich um ihn versammelten. Die Wunder, die um ihn herum passierten. Die Begeisterung und die Ablehnung. Das Abendmahl, die Verhaftung, selbst die Kreuzigung und die Grablegung. Das konnte man sehen. Das konnte man miterleben. Das alles war kein Problem. Und wenn man eine Frage hatte, dann konnte man sich an ihn wenden. Ganz real. Und manchmal hat er einen begeistert und manchmal hat man sich an ihm gerieben und an ihm geärgert. Aber man konnte ihn sehen und erleben und zur Not anfassen.

Doch dann kommt Ostern und damit verändern sich die Dimensionen. Hier wird der Glaube belastet und vom greifbaren Vorbild werden wir herausgefordert uns verwandeln zu lassen hin zu einem Glauben, dass das gilt, was Jesus gelebt hat - auch wenn er nicht mehr real lebt. Dass das, was er gelebt hat, verbindlich gilt, über sein Leben hinaus. Ja noch mehr: Dass es Gott selbst ist, den wir hier im Leben und Sterben gesehen haben und wir hier an ihm und in ihm das Heil für uns selbst sehen.
Das ist das Ungeheuerliche an der Auferstehung. Dass wir uns vom Sehen verwandeln lassen müssen hin zum Glauben. Und das ist so ungeheuerlich, dass auch die Jünger schwer damit zu kämpfen haben. Denn hier wird der Glaube gefordert und die innere Gewissheit wird zur lebenstragenden Säule für die Entscheidungen im Leben.

Hören wir den heutigen Predigttext aus Mk 16 – die letzten Verse, die wir auch weglassen könnten:
9 Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria von Magdala, von der er sieben böse Geister ausgetrieben hatte. 10 Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren und Leid trugen und weinten. 11 Und als diese hörten, dass er lebe und sei ihr erschienen, glaubten sie es nicht. 12 Danach offenbarte er sich in anderer Gestalt zweien von ihnen unterwegs, als sie über Land gingen. 13 Und die gingen auch hin und verkündeten es den andern. Aber auch denen glaubten sie nicht. 14 Zuletzt, als die Elf zu Tisch saßen, offenbarte er sich ihnen und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härte, dass sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten als Auferstandenen.

Christus selbst lässt keinen Zweifel daran. Erst mit der Auferstehung wird das ganze Leben Jesu, sein Reden und Handeln ins Recht gesetzt. Gute Menschen, Wundertäter, Heiler, Freiheitskämpfer gab es immer und gibt es immer zu allen Zeiten – Gott sei Dank. Aber dass wir in Jesus das göttliche Gebot und den Maßstab für das Leben und Handeln des Menschen sehen, das wird erst mit der Auferstehung bestätigt. Er wird zum christlichen, zum göttlichen Gebot und Maßstab im Leben und im Sterben, ja selbst im Tod und aus ihm heraus zum neuen Leben.
„… hinabgestiegen in das Reich des Todes. Am dritten Tage auferstanden von den Toten. Aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes des allmächtigen Vaters. Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.“

Hier wird der gute Mensch Jesus zum Christus, zum Gesalbten, zum Heilsbringer und Vollender. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Keiner kommt zum Vater denn durch mich.“
„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“


Ohne die Auferstehung verliert Jesus seine letzte Verbindlichkeit. Doch ein Leben nach Gottes Maßstäben fordert immer wieder Kraft und Mut. Denn es sind Eigenschaften, die uns gar nicht so selbstverständlich von der Hand gehen:
- Uneigennützig, selbstlos, hilfreich und hilfsbereit, fürsorglich
- widerstehend, selbstbewusst, verbindlich, verantwortlich.
Und das Leben bleibt voller Aufbrüche und Einbrüche, Begeisterung und Resignation, falsche und richtige Entscheidungen, obwohl wir uns orientieren an seinem Wort, voller Widerstand und Ergebung.
Doch für solch ein Leben, das nicht mehr allein aus sich selbst lebt, sondern sich an Maßstäben orientiert, die gar nicht so selbstverständlich sind, dazu braucht es Gewissheit und eine Verortung. Eine verlässliche Größe, an die ich mich wenden kann. Eine Kraft, die trägt, selbst da, wo ich zerbreche. Eine Instanz, wo Schuld zu vergebener Schuld werden kann und Umkehr und Veränderung möglich sind.

Liebe Gemeinde,
das leere Grab allein nützt uns gar nichts. Das wussten schon die damals. Selbst ein Fotobeweis würde bis heute alle Kritiker auf den Plan rufen. Das leere Grab allein nützt nichts.
Aber an den Menschen können wir es sehen, was diese Botschaft auslöst. Denn die Begegnung mit dem Auferstanden durchbricht ihren Unglauben und ihre Herzens Härte. Und sie fangen als Erwachsene noch einmal neu an, sich in ihrer Bedürftigkeit Gott anzuvertrauen. (Bsp: Petrus, Paulus)
Das Gute ist, die biblischen Erzählungen von der Auferstehung sind so unterschiedlich, dass sie einen nicht nötigen an Gespenster zu glauben. Doch eines haben sie alle gemeinsam. Die Auferstehung ist der Ort, an dem der Glaube tragen muss, gegen den Augenschein. Hier verlassen wir die Selbstvergewisserung und die Selbsterlösung und wechseln hinüber ins unbeweisbare Vertrauen. Hier wird der Mensch erwachsen in seinem Glauben, in dem er sich mit seinem ganzen Sein Gott anvertraut, in dem Wissen, dass es sich erst am Ende aller Tage erweisen wird, ob es sich als wahr erweist. Doch Gottes Wort ist so stark in mir, dass ich mich bereits heute darauf verlasse und versuche, danach zu leben.

Ist die Auferstehung wichtig?
Die Auferstehung lässt uns zu Empfangenden werden, zu Beschenkten. Etwas, das wir uns nicht verdient haben, sondern das wir uns gesagt sein lassen müssen und damit treten wir hinaus oder hinein in den Wirkkreis Gottes, als letzte Instanz über unser Leben und aller Leben.

Die Auferstehung ist das Größte aller Wunder und deshalb drücken wir uns darum herum. Die Wirklichkeit Gottes verkommt zur Idee und zurück bleibt der Mensch, der wieder sich selbst an seinem Schopf heraus ziehen muss aus allem Kummer und allem Leid und aller Not, ob seelischer, körperlicher oder materieller. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.
Doch am Ostermorgen spricht Gott und der Mensch muss es sich gefallen lassen und gesagt sein lassen, damit sie mächtig wird, die Kraft Gottes, uns zum Heil. Fürchte dich nicht. Und nun tritt heraus ins Leben. Tag für Tag neu. Dort, wo ich dich hinstelle.

Dass uns diese Botschaft zur Gewissheit wird, das können wir nicht machen und auch nicht erzwingen. Darum müssen wir Gott bitten. Aber wir dürfen es uns schon jetzt gesagt sein lassen und darauf vertrauen. Weil es gilt. Sogar mehr gilt, als wir uns vorstellen können.
Amen.

20130327

Martin Adel: Letzte Worte - getröstete Abschiede

Sonntag Palmarum 24.03.2013
Predigttext Johannes 17,1-8

Liebe Gemeinde,
heute muss ich mit dem Sterben beginnen, damit wir zum Leben kommen können.

Wenn wir heutzutage ans Sterben denken, dann sind wir ziemlich alleine. Reduziert auf diese Welt und diese Erde, trauen wir uns kaum mehr darüber nachzudenken oder davon zu sprechen, dass unser Leben in einem viel größeren Zusammenhang – nämlich im Bezug zur Ewigkeit - gelebt wird als in diesen 70, 80, 90 oder noch mehr Jahren, die Gott uns zugeteilt hat.
Dass wir überhaupt im Bezug zu Gott leben, geht uns oft völlig verloren und so müssen wir oft auch ohne Bezug zu Gott sterben.
Traurig ist das. Sehr traurig. Und das gilt sogar auch da, wo wir noch gemeinsam auf dem Friedhof stehen und Abschied nehmen, Gottes Wort von der Auferstehung hören und von der Verwandlung unseres Leibes – aber glauben können wir es nicht und Gottes Wort bleibt fremd und gibt weder Trost, noch Halt, noch Orientierung.
Doch wenn wir ohne Gottesbeziehung leben, werden wir auch ohne Gottesbeziehung sterben und was dann auf uns wartet, das weiß ich nicht.
In dieser Unentschiedenheit leben viele und stricken sich dann selbst ihr Glaubensgewand zusammen mit ein bisschen von hier und ein bisschen von dort und manche lassen es dann gleich ganz sein und sagen: Jeder stirbt für sich allein. Und das ist dann auch so – und meinen vielleicht sogar noch, das wäre ehrlicher.

Was aber auf uns wartet, das könnten wir wissen, wenn wir uns denn Gott anvertrauen würden, im Leben und im Sterben.
So schreibt schon der christliche Schriftsteller Tertullian (gest. 220 nach Christus): "Der Tod des Gottessohnes 'ist glaubhaft, weil er töricht ist', und seine Auferstehung 'ist gewiss, weil sie unmöglich ist.'" (WLP 1/2013 S.26)

Beweise sind das keine. Aber was sind das schon für Beweise, die wir haben könnten für unseren Glauben, dass dieser Jesus aus Nazareth der Messias, der Gesalbte ist, der Menschsohn, der Christus, in dem wir Gott selbst sehen und hören, was er für uns und unser Zusammenleben gedacht und vorgesehen hat.
Und dann zieht er in Jerusalem ein und die Menge jubelt: Hosianna, dem Sohn David … und wenige Tage später rufen sie: Kreuzigt ihn.
In Ungnade ist er gefallen, weil er die Sehnsüchte und Träume der Menschen nach Glück und nach Gesundheit, nach Macht und Selbstbestimmung und Befreiung von den Römern nicht erfüllt hat. Sie fordern Gott heraus für das letzte Wunder: Hilf dir selbst, dann hilf dir Gott. Wenn du Gottes Sohn bist, dann steig herab vom Kreuz …

Der auf dem Esel einzieht wird zur Bedrohung und man gibt ihn der Lächerlichkeit preis und tobt an ihm die eigenen Machtgelüste aus, um seine Ohnmacht zu demonstrieren. In ihren Vorstellungen ist der Tod immer tot und es darf keinen Weg aus dem Grab gaben – das wäre bedrohlich - und man gibt erst Ruhe, wenn man dem anderen alles Lebenstragende vernichtet hat. Für das Sterben darf nur noch gelten: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Das will die Welt hören. Darauf legt sie uns fest.

Aber es gibt auch den anderen Weg – den Weg, weswegen Jesus auch in Jerusalem einzieht. Er fängt mit seinem Wort an: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Und am Ende spricht er: Vater ich befehle meinen Geist in deine Hände. Das Opfer bleibt nicht in der Ohnmacht, sondern hält der Welt entgegen, was sie nicht aushält. Es ist die Liebe und die bedingungslose Hinwendung zu Gott, wo alle Welt Gott verneint.

Bis heute können wir den Weg der Demut und der Hingabe und der Fürsorge für uns nur schwer verstehen, und in unserem jugendlichen Hosianna kommen wir selbst gern ins stolpern über mancher Brutalität des Lebens und schreien vielleicht nicht gleich: Kreuziget ihn. Aber zucken doch zusammen ob der bedrängenden Macht des Faktischen und das Kreuz wird zum Ort des Scheiterns und die Auferstehung zum schwachen Trost, die schön wäre, wenn man sie glauben könnte und bleibt unentschieden, ob es nicht doch nur ein Hirngespinnst der Jünger und der unmündigen Frauen war.
Wenn wir ohne Gottesbeziehung leben, werden wir ohne Gottesbeziehung sterben. Warum sollte das auch anders sein. Und Sein Wort kann uns nicht trösten und halten, dort wo wir keinen Trost mehr haben, weil unser letzter Atem aus uns weicht und tot nur noch tot ist.
Dass man auch anders vom Sterben sprechen kann und dass die Kreuzigung mehr ist als nur der Sieg der Welt über Gott, das lesen wir im Johannesevangelium. Jesus spricht in den Abschiedsworten anders von seinem Tod – und das könnte auch uns tragen, wenn es denn bei uns an der Zeit ist:

17 1 So redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche; 2 denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast. 3 Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. 4 Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.
5 Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. 6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. 7 Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. 8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.


Was glauben wir denn, wer da einzieht in Jersualem? Der Gescheiterte oder der Auferstandene, der in seinem Sterben dem Tod die letzte Macht nimmt, so dass Dietrich Bonhoeffer noch kurz vor seiner Hinrichtung durch die Nazis sagen kann: "Für viele das Ende, für mich der Anfang eines neuen Lebens."

In dem kleinen Büchlein von Johannes Gillhoff mit dem Titel: Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer – erstveröffentlich im Jahre 1917, schreibt der ehemalige Tagelöhnersohn Jünrjakob, der es in Amerika zu einem großen Farmer gebracht hat, vom Sterbebett seiner Mutter, die er im Alter zu sich in die USA geholt hatte. Sie ist mit 72 ½ Jahren gestorben (S. 95f – dtv – 10. Auflage 1990)):
„Ich aber überdachte ihr Leben, als es zu Ende ging, und fand nichts als Mühe und Not. Dann faltete sie die Hände wieder und sah mich still und fest an, und ihre Augen waren groß und tief. Da war schon etwas drin, was sonst nicht drin war. Das kann ich nicht mit Wörtern beschreiben. Da konnte man hineinsehen wie in einen tiefen See. Ich legte meine Hand (...) ganz sacht wieder auf ihre Hände, und wir warteten. Aber nicht mehr lange. Dann sagte sie noch mal was. Sie sagte: Ick wull, dat ick in'n Himmel wer; mi ward die Tied all lang. („Ich will, dass ich im Himmel wäre; mir wird die Zeit zu lang“) - Lieber Freund, das behalte ich mein Leben lang bis an meinen Tod. Das könnte, so wie es ist, ganz gut im Gesangbuch stehen. Dann aber faltete sie die Hände wieder unter meiner Hand. So betete sie ganz leise unser altes Kindergebet: Hilf, Gott, allzeit, mach mich bereit zur ew'gen Freud und Seligkeit. Amen.
Als sie das Amen gesagt hatte, da drehte sie den Kopf so'n bißchen nach links rum, als wenn da wer kommen tat. Und da ist auch einer gekommen; den habe ich nicht mit meinen Augen gesehen und nicht mit meinen Ohren gehört. Der hat sie bei der Hand genommen, und da ist ihre Seele ganz leise mitgegangen, richtig so, als wenn man aus einer Stube in die andre geht. So ist sie nach Hause gegangen, als wenn ein müdes Kind abends nach Hause geht. Und nun ist sie nicht mehr in einem fremden Lande. (…)
Meine Mutter war eine Tagelöhnerfrau. Aber wenn ich an ihr Sterben denke, dann ist immer etwas Feines und Stilles und Schönes in meinem Herzen, das vorher nicht da war. Aufschreiben kann ich das nicht, und sagen lässt sich das auch nicht. Aber draußen auf dem Felde muss ich manchmal mitten im Pflügen stillhalten und in mich hineinhorchen. Dann kann ich das richtig in mir hören, was meine alte Mutter zuletzt gesagt hat. (…) Ick wull, dat ick in'n Himmel wer; mi ward die Tied all lang. (…) Und dann ist mir richtig wie am Feiertag. Dann ist mir, als wenn da der Vorhang zum Heiligtum ein wenig aufgezogen wird, dass man da so'n bisschen durchsehen kann. Wenn ich dann weiterpflüge, muss ich mich darüber immer wieder wundern."

Wir sind erkannt. Und wir sind bei Gott bekannt. Wir sind erlöst, von dem, was uns bindet, weil der Tod nicht mehr das letzte Wort hat. Und dieser Trost Gottes, der beim Einzug in Jerusalem noch bejubelt wird, kann im Hier und Jetzt bereits sein Licht auf uns werfen und uns verwandeln, durch den Karfreitag hindurch hin zum Ostermorgen. Denn das will das Wort Gottes bis heute auch für uns. Wir sollten es nur zulassen und uns auf den Weg mit ihm machen.
Amen.

20130131

Martin Adel: Mit Sündern und Zöllnern am Tisch

27.01.2013 - Septuagesimä
Matthäus 9, 9-13


Schlechter Umgang färbt ab.

Liebe Gemeinde,

Schlechter Umgang färbt ab.
In meiner Jugend hörte ich oft den Song von Manfred Degenhardt: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder. Geh nicht in die Oberstadt, machs wie deine Brüder.
Färbt schlechter Umgang ab?
Bei den Kindern könnte man das ja noch verstehen. Aber gilt das bei uns Erwachsenen auch noch. Sind wir wirklich so labil, dass wir nur noch den Umgang mit Unseresgleichen aushalten?

Ich weiß nicht, ob sie es mitverfolgt haben, aber der Politiker Horst Arnold aus unserer Südstadt wurde letzten Herbst von seiner Partei zunächst nicht mehr nominiert für die Landtagswahl, weil er ein massives Alkoholproblem hatte. Doch die Familie und die Freunde haben sich nicht zurückgezogen und er nahm diesen Warnschuss zum Anlass für eine „therapeutische Behandlung.“ Er hat hart an sich gearbeitet und nun, 4 Monate nach seiner „Alkohol-Beichte“ entschuldigte er sich bei seinen Genossen, wurde wieder nominiert und wird im Herbst als Direktkandidat der Fürther SPD um den Einzug ins Münchner Maximilianeum kämpfen. (FN 21.01.2013)
Die zweite Chance! Hut ab vor dieser mutigen und verantwortungsvollen Entscheidung der Gremien. Und das Risiko ist groß: Die Meute wartet schon auf das Scheitern.
Und selbst, wenn wir wohlgesonnen sind, tauchen die Fragen auch in uns auf: Kann man ihm vertrauen? Kann man sich auf ihn verlassen? Eine letzte Chance! Wie viele Chancen bekommt einer?
Wir sind ja nicht blöd. Wir sind skeptisch. Immer skeptisch. Und Beispiele finden wir auch viele, wo eine Lebensveränderung nicht gelungen ist.

Aber, liebe Gemeinde, aber ist das unser Auftrag?
Misstrauisch sein? Skeptisch sein? ….

Wenn wir den Predigttext für den heutigen Sonntag ansehen, dann zeigt er uns einen anderen Blick.
Und der Blick ist nicht dumm oder blind, sondern er ist getragen von der großen Fürsorge und Barmherzigkeit Gottes und seinem Blick für den gescheiterten Menschen und seine „zweite Chance“.
Und wenn wir ehrlich sind, dann sitzen hier etliche unter uns mit ihrer „zweiten Chance“ – und ich zähle mich mit dazu.

Predigttext

9 Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.
10 Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. 11 Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? 12 Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. 13 Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.


Bei den Sündern und Zöllnern sitzt er, bei denen, die den letzten Cent aus den Leuten herausgeholt haben, gnadenlos. Und der Protest ist groß!
Berechtigt!
Mit solchen Leuten umgibt man sich nicht. Das färbt ab. Die nutzen einen eh nur aus für die eigenen Zwecke. Die führen einen anständigen Menschen doch eh nur vor oder lachen ihn aus mit seinem Idealismus und seiner gutmütigen Art.
Mit Zöllnern und Sündern …
Das gehört sich nicht. Soll er sich lieber mit den Anständigen beschäftigen; da ist auch genug Not und Elend und Hilfe von Nöten. Da sollte er sich mal lieber zeigen.
Und dann kehrt er ausgerechnet bei diesem Zachäus ein, dem größten Halsabschneider in der Stadt.

Warum macht Jesus das?

Ganz einfach. Damit bei denen zumindest ein Anständiger am Tisch sitzt und dafür einsteht, dass es auch noch andere Meinungen und Werte gibt, als die, nach denen sie leben.

Nicht als Moralapostel – die kann keiner ausstehen; auch wir nicht. Aber als Gegen-Zeichen, dass es auch anders geht.
Und uns wurmt es bis heute, dass er nicht bei uns sitzt, den Anständigen, sondern bei denen.
Und so gibt es in unseren Gemeinden auch eher oft ein Vereinsdenken, wo man unter sich ist. Aber in so einem Klima kommt keine Offenheit auf. Und ich glaube, ich sage auch nichts Neues, dass sich in unseren Kirchen eher die Anständigen sammeln, als die Sünder und Zöllner.
Und ich meine jetzt nicht, dass wir doch alle irgendwie Sünder sind, sondern die offensichtlichen Sünder, da, wo man mit dem Finger hinzeigt, entweder direkt oder danach. Die finden bei uns keinen Platz.
Wir sind bürgerliche Gemeinden – das ist ja erst einmal nichts Schlechtes. Aber was passiert, wenn auch noch die Dippelbruder kämen, mit Fahne und ungewaschen und sich in unsere Bank setzen würde, die Betrüger, die Ehebrecher, die Schulabbrecher, die Versager …
Und dann wird gerichtet: Die wollen zum AM gehen? Der soll erst einmal vor seiner eigenen Tür kehren. Also, dass die sich hierher trauen.

Aber wie soll man sich denn verändern, wenn man keine Beispiele um sich hat, für die es sich lohnt, sich zu ändern. Wenn man keinen Platz hat, wo man hingehen kann – vorher und nachher, weil man den Ort als guten Ort erlebt hat.

In erinnerte mich bei der Vorbereitung an einen Konfirmanden, den wir nach allem Mühen von der Konfirmation ausgeschlossen hatten. Und dann sitzt er dann bei der Konfirmation plötzlich hinten in der Bank. Und ich denke noch: Der wird doch keine Randale mache. Doch alles geht gut und zwei Wochen später treffe ich ihn. Und er senkt den Blick, weil er sich etwas geniert, da er sich immer so aufgeführt hatte. Aber es hatte die Freundin von ihm konfirmiert und die wollte er begleiten. Ihm war sein Verhalten von damals peinlich, aber ich hatte mich gefreut, dass er gekommen war. Ich hatte das Gefühl, dass wir ihm im Konfi-Unterricht vermitteln konnten, dass er in der Kirche dennoch gerne willkommen ist.
Und es ist dann nicht immer gleich die Lebensveränderung angesagt, wie bei diesem Zöllner Matthäus oder bei Zachäus, der dann mitgeht und deren Leben sich völlig verändert. Das ist natürlich unsere Hoffnung, aber das sind die großen Ausnahmen, die wir nicht verhindern wollen, doch anbahnen können wir sie nur, wenn wir offen sind für die Begegnung mit dem anderen, ohne immer gleich zu wissen, was daraus werden wird.

Jesus predigt hier keine „Moral", sondern er zeigt uns, wo wir gebraucht werden: bei den Sündern – und das geht quer durch alle Schichten: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
Das ist sein Ansatz.
Und wir gehen auch nur zu dem Arzt, bei dem wir vermuten, dass wir „gerne" gesehen sind, der uns ein Ort der Für-Sorge ist und nicht der Anklage. Ein Arzt des Vertrauens, der uns mit auf den Weg nimmt hin zu einem gesünderen Zustand. Keine Moral, sondern ein Verstehen und eine Hilfe.
Der Sünder weiß – auch wir wissen, wo wir Sünder sind – der Sünder weiß, dass er Sünder ist, doch er braucht keinen Ort der Anklage, sondern einen Ort der Fürsorge, der es ihm ermöglicht, sein Leben zu überdenken und Stückchen für Stückchen zu verändern …. Menschen, für die es sich lohnt, sein Leben noch einmal neu zu bewerten.
Und deshalb sagt Jesus hier:
»Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.

Wir müssen keine Angst haben, dass es abfärbt. In Christus sind wir stark genug. Und wir müssen ja nicht selbst zu Sündern und Zöllner werden, aber wir können mutig hinsehen und hingehen zu den Schwachen, zu denen, die uns brauchen. Und bereit sein, wenn es so weit ist. Und eines ist auch sicher: Wir können oftmals nicht abschätzen, welchen Nutzen es haben wird.

Vielleicht sind wir einmal stolz darauf, dass wir mit den Sündern und Zöllnern an einem Tisch sitzen, weil Christus uns den Sinn geöffnet hat für sein Reich, das Reich Gottes.
Amen