20140217

Martin Adel: "... und in bösen Tagen"

Sontag Septuagesimae
16.02.2014


Wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.
Daniel 9,18

Vorwort:
Liebe Gemeinde, auch wenn wir heute ganz besonders auf die Beziehung in der Ehe sehen, gelten die Worte weit darüber hinaus. Denn in Beziehung leben wir immer, ob zu unseren Kindern, zu unseren Geschwistern, zu unseren Eltern.
Machen Sie ihr Herz weit und schauen Sie, was Sie mitnehmen können.

Liebe Gemeinde,
das hat man davon. Da hat man eine Idee und denkt an nichts Böses. Gottesdienst zur Ehewoche – Was könnte das Thema sein. "Über die guten Zeiten kann jeder predigen“, denke ich mir, "dann nimm doch mal die 'bösen Zeiten.'"
Gesagt. Getan. Und schon steht es im Programm.
Und dann rückt der Gottesdienst immer näher und man bekommt etwas Bammel. Was kann man denn da sagen. Etwas sagen, das vielleicht auch noch hilfreich ist …
Und am liebsten würde man es wieder ungeschehen machen, weil es einen in eine Zwickmühle bringt und so anstrengend ist ….

Aber vielleicht ist DAS ja schon wegweisend. Denn in der Ehe ist das ja auch oft so.
Es beginnt mit der Idee, mit dem Gefühl, mit den guten Tagen … … und dann … „endet es mit den bösen Tagen?“

NEIN!

Und das ist wichtig, dass wir hier ein NEIN sagen können.
Denn alles andere wäre grausam.

Wenn wir bei der Trauung in der Kirche vor Gottes Altar knien und uns versprechen:
Gott hat euch einander anvertraut. Wollt ihr als Eheleute einander lieben und ehren und die Ehe nach Gottes Gebot und Verheißung führen – in guten und in bösen Tagen. Wollt ihr Freude und Leid miteinander teilen und euch die Treue halten bis dass der Tod euch scheidet so antwortet: Ja, mit Gottes Hilfe.

Wenn wir diese Worte sprechen, ja sogar versprechen, dann ist das doch keine zeitliche Abfolge: Zuerst die guten Tage und wenn wir die dann alle aufgebraucht haben, dann kommen die schlechten Tage.
Und genau hier liegt das Problem. Wenn wir in unserer Beziehung an einen Punkt kommen, an dem wir meinen: „Jetzt bleibt es für immer so“ – dann wird es gefährlich.
In den guten Zeiten wünschen wir uns das ja, dass es immer so bliebe, doch wir merken, wie es sich verändert. Aber in den schlechten Zeiten, da meinen wir oft: Jetzt schreibt es sich fest. Jetzt bleibt es für IMMER so! Kein Licht am Horizont. Keine Perspektive.
Aber wer sagt das?
Und es ist so, als ob die bösen Tage mehr Macht und Kraft hätten als die guten.

Und dann …
Dann fügt man sich entweder in sein Schicksal, sagt halt nichts mehr, lässt es halt so laufen, arrangiert sich – was nicht unbedingt schon schlecht ist – und begnügt sich mit dem wenigen oder mit gar nichts ….
Das hast du jetzt davon.
Spätestens wenn wir da angekommen sind, wird es Zeit, dass wir uns hinsetzen und die Hände falten: Herr, ich weiß nicht mehr weiter. In meiner Wut, in meinem Zorn, in meiner Hilflosigkeit entstehen die falschen Bilder in meinem Herzen.

Und weil wir nicht nur materiell in einer Wegwerf-Gesellschaft leben, werden wir auch in den Familien zu Opfern dieser Mentalität. Und dann wird ausgemistet. Und der Partner gleich mit. Und ich dann auch, wenn ich´s nicht mehr bringe.

Denn die bösen Tage sind ja nicht nur der andere, sondern die bin ja auch ich.
Da ist der Streit – der unerbitterliche Streit.
Das kann aber auch Krankheit sein – und da geht´s nicht um den Blinddarm, sondern Ereignisse, die eine Beziehung tief belasten können: Depression, Brustkrebs – also Ereignisse, die uns in unserem Miteinander bis hinein in das besonderer der Ehe, die Sexualität, betreffen. Oder der berufliche Misserfolg oder der Erfolg, Arbeitslosigkeit, körperliche Veränderungen, berufliche Veränderungen. Unterschiedliche Aufbruchs- und Veränderungszeiten und –wünsche.
Aber am Schlimmsten ist das alles, wenn die Beziehung hinterfragt wird: gilt es noch? Das ICH & DU. Das WIR. Denn das sind die eigentlich bösen Tage, wo das Fundament hinterfragt wird.
Und wenn dann solche Zeiten kommen, wird oft der Schleier immer dichter, bis nur noch vor unseren innerem Auge steht: Jetzt sind wir am Ende unserer Beziehung angekommen und das bleibt so. Jetzt wird nie mehr etwas anders. Nie mehr etwas besser. Jetzt heißt es nur noch: aushalten!

Einschub: Wir sprechen hier nicht von Gewalt. Von physischer oder psychischer Gewalt, von Sucht oder Dreiecksverhältnissen. Unter dem strikten Dogma: „Bis dass der Tod euch scheidet“ hatten vor allem die Frauen viel zu erleiden. „ … und in bösen Tagen“ ist nicht der Freibrief für die Willkürherrschaft eines Partners über den anderen oder über die ganze Familie.
Aber, meine Damen: Wir Männer müssen jetzt nicht für alles büßen, was die vor uns verbrochen haben.

„… und in bösen Tagen“ verweisen uns eher auf den Zustand davor, der uns hilft, durch die schwierigen Zeiten zu kommen. Denn sie kommen fast unweigerlich oder notwendig, weil wir ZWEI immer noch je einer sind und uns verändern und uns entwickeln und das nicht automatisch im Gleichklang.

Und deshalb ist es gut und wichtig, dass wir unser JA unter Gottes JA stellen und es ernst nehmen, dass ER uns einander anvertraut hat und wir auf sein JA und seinen Segen vertrauen können, wenn WIR gerade nichts mehr sehen.

Denn wie oft segeln wir hinaus bei schönem Wetter, blauäugig, ohne Kenntnis und haben nicht trainiert und geübt, um durch die Stürme hindurch zu navigieren und gehen über Bord, anstatt gemeinsam das Ruder zu halten, in der Erwartung, dass DAHINTER die See wieder ruhiger wird und nach dem Sturm wieder die Sonne scheint – auch wenn es vielleicht eine andere ist, wie davor und wir wo anders anlegen als da, wo wir abgelegt haben. Doch WIR haben es geschafft. Und wir können uns in der Sonne räckeln und das Segel flicken und dann neu setzen, zu unbekannten Ufern.

Denn wenn es stimmt, dass Gott uns einander anvertraut hat, dann weiß ER von einem Land hinter unserem Land und von einer Zeit nach dem Sturm und steht mit in unserem Boot, damit wir hindurch kommen.
Lustig ist das nicht. Und die Hände in den Schoß legen ist in solchen Zeiten auch nicht angesagt – aber eine Perspektive ist da. Wir wollen das gemeinsam schaffen. DU bist mir anvertraut und ICH bin dir anvertraut – und wir wollen achtsam nach dem anderen fragen.
Und die Mühe lohnt sich. Ich spreche bewusst nicht vom „aushalten“, sondern vom sich Mühen:
die Mühe mit sich selbst, die Mühe mit dem anderen, die Mühe mit den Kindern, die Mühe mit den Eltern … mit den Schwiegereltern.

Denn auf dieser Treue liegt eine Verheißung – auch wenn wir das vergessen haben sollten.

Gerade in der Beziehung, in der Familie braucht es ganz andere Bilder und Parameter als in unserer modernen Hochglanz- und Leistungsgesellschaft. Wir brauchen Entwicklungsbilder, Wachstumsbilder, die beides zulassen, die schönen und die anstrengenden Zeiten – das nervige nächtliche Schreien der Babys und die Begeisterung, wenn der Bub das Fahrradfahren lernt. Die Pubertät und die Freude, Opa sein zu dürfen. Und wir müssen wissen, wo wir stehen. Der Enkel muss über den Zaun hüpfen und nicht mehr ich. Und ich muss ihn dafür loben und er strahlt mich dafür an. Wissen wir das noch?

Und deshalb sprechen wir sogar am schönsten Tag des Lebens bewusst von „… und in bösen Tagen“ – weil sie uns den Blick öffnet wollen für die Tage hinter den bösen Tagen, die auf uns warten.

Eine Verheißung liegt auf unserem Bund. Und deshalb lohnt es sich zu kämpfen, zu bestehen, durch zu stehen und sich dabei verändern zu lassen. Was habe ich durch meine Frau gelernt! Was habe ich durch meine Kinder gelernt. Und das waren keine einfachen Prozesse und manches Schmerzhafte war dabei. Und manches Unnötige auch. Aber es hat sich gelohnt.
Oftmals sind die „bösen Tage“ die Übergänge, wo wir uns nicht mehr auf sicherem Terrain bewegen, wo wir aus unseren Meinungen und Haltungen und Prinzipien hinaus müssen ins ungeschützte, weite Land.
Und dann braucht es die Gewissheit: Wir gehen nicht allein. Da gibt es eine Verheißung Gottes über uns, die uns ein MEHR verheißt, als wir sehen können. Eine Entwicklung, ein Wachstum, ein Reifen – das uns noch gar nicht bewusst ist.

Und wie stolz die Paare oft sind, die Goldene Hochzeit feiern in der Kirche – wir haben es geschafft. Und da ist keiner mehr, so wie am Anfang. Aber das wäre auch fatal.

Verabschieden wir uns von diesen trostlosen und erschöpfenden Bildern: Jetzt bleibt alles so, wie es ist. Denn dann lohnt es sich nicht nur, nicht mehr zu kämpfen – sondern dann schreiben wir auch für den anderen fest, dass er sich gar nicht mehr verändern kann.
Doch das Land dahinter ist ein MEHR. Mit seiner eigenen Würde und seinem eigenen Wert. Nur, das müssen wir auch erst entdecken und erleben – doch Gott hält es für uns bereit.

Die bösen Tage sind keine schönen Tage, aber sie sind die notwendigen Tage im Reifen und Wachsen hin zu einem Leben in seiner ganzen Tiefe und Würde und in einem Reichtum, den unsere vordergründige Welt nicht in Hochglanz verpacken kann.
Denn hier darf auch ich Fehler haben und Macken und Defekte und ich bin trotzdem ein Geliebter. Nicht nur von Gott, sondern auch von meinem Gegenüber.

Amen