20150126

Martin Adel: Lichtzeiten einatmen

Predigt 25.01.2015 - Letzter Sonntag nach Epiphanias
Predigttext: Johannes 12,32-36


32 Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen. 33 Das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde.
34 Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?
35 Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht. 36 Glaubt an das Licht, solange ihr's habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.

Liebe Gemeinde,
1. Ein interessanter Satz
Viele Themen wäre heute möglich zum Predigen, aber ich glaube, das ist der wichtigste Satz in unserem heutigen Predigtwort. In der Luther-Übersetzung ist er deshalb auch fett gedruckt. 36 Glaubt an das Licht, solange ihr's habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.
Jesus weiß, dass es nicht nur Lichte-Zeiten gibt. Auch in unserem Leben gibt es dunkle Zeiten, finstere Tage, manchmal sogar Wochen oder ganze Jahre. Und für diese Zeiten bietet Gott uns seine Hilfe an.

2. Alles ist machbar?
Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir in unserem Land das vergessen haben. Die Friedenszeiten, der Fortschritt, die Technik haben uns sehr weit gebracht. Die Medizin vollbringt wahre Wunder. Mit Skype können wir umsonst in die entlegensten Teile der Welt Kontakt halten und demnächst werden die ersten Zivilpersonen in den Weltraum reisen.
Alles ist machbar – könnte der Slogan heißen.
Und dann treffen sie uns doch, die finsteren Zeiten des Lebens. Die Tochter meines Patenonkels ist letztes Jahr mit 32 Jahren an einer Hirnblutung ganz plötzlich verstorben. Eine Frau ist schwanger und bekommt die Diagnose, dass ihr schwer behindertes Kind, das sie austrägt, nur ein paar Tage leben wird. Der Schulfreund hat plötzlich Depressionen und wird mit 55 in den Vorruhestand geschickt.
Es ist eben nicht alles machbar, obwohl viel machbar ist. Und für die Situationen, die nicht machbar sind, haben wir oft keine Antworten mehr und keine Strategie. Und was übrig bleibt ist dann Frust und Tristes und Sorge und ein Kreislauf, der uns nach unten zieht.

3. Training für die dunklen Zeiten
Jesus sagt:
36 Glaubt an das Licht, solange ihr's habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.
Er meint: Übt euch im Glauben ein, solange ihr ihn habt, denn indem ihr euch im Glauben übt, passiert etwas mit euch. Ihr verändert euch. In euch wächst etwas, so dass ihr Kinder des Lichts werdet, das euch zurüstet für die schwierigen Passagen des Lebens.
Das ist wie bei einem Bergsteiger. Nur wenn er trainiert, kann er auch die schwierigen Situationen im Berg meistern. Ja im Gegenteil, wenn er sich mit dem Bergsteigen auseinander setzt, dann wird er Ehrfurcht vor dem Berg bekommen und erst dann kann er auch die Risiken richtig einschätzen und sich auch auf das Unvorhergesehene vorbereiten. Und seine Ausrüstung wird er nun anders einpacken, bzw. er wird nicht mit den Stöckelschuhen auf der Zugspitze ankommen. Weil er sich vorbereitet hat.
Und ich frage: Warum sollte das im Glauben anders sein. 36 Glaubt an das Licht, solange ihr's habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Im übrigen Leben sagen wir ja auch: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Und oft genug stimmt es leider.

4. Lichtzeiten nutzen
Wenn wir im Licht stehen, dann müssen wir üben für die finsteren Zeiten. In der Finsternis brauchen wir oft unsere ganze Kraft, um in der Finsternis nicht völlig unter zu gehen.
Im Urlaub erholen wir uns und tanken auf für die Belastungen des Berufsalltags. In der Freizeit sammeln wir Eindrücke, besuchen ein Museum oder ein Konzert, um die bunten, belebenden, inspirierenden Gedanken mit in den Alltag zu nehmen, neue Ideen zu bekommen und um etwas zum Erzählen zu haben. Lichtzeiten zum Aufatmen
In der Seelsorge, aber auch bei den Beerdigungsgesprächen steht am Anfang oft die Krise, das Problem, der Verlust, die Trauer, die Schrecken der Krankheit im Vordergrund. Sie sind das bestimmende Thema. Und das ist auch richtig so. Das muss raus, bevor wir selbst daran ersticken oder darin unter gehen.
Doch wenn es gelingt, im Verlauf des Gesprächs die Lichtzeiten des Lebens wieder in Erinnerung zu bringen, den inneren Raum für die eigenen Lichterfahrungen zu öffnen, dann beginnt oftmals ein Heilungsweg für unsere Seele. Und das Leben kommt wieder in Fluss, weil es nicht mehr eingeengt ist auf dieses Schwere, sondern in seiner ganzen Breite sichtbar wird, eben auch mit den guten Zeiten, die erfolgreichen, die kreativen Momente, die lebendigen Augenblicke. Und die beflügeln!
Die Finsternis drängt sich gern in den Vordergrund, vor allem, je älter wir werden, und sie lehrt uns das Fürchten und will dann allein über uns bestimmen. Und welche Kraft das Dunkle hat, da können viele von uns ein Lied davon singen. Und deshalb sagt Jesus: 36 Glaubt an das Licht, solange ihr's habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.

5. Gottes liebevoller Blick
Liebe Gemeinde,
wir müssen die Lichtzeiten nutzen, und dazu gehören auch unsere Gottesdienste, damit wir Kraft haben für die dunklen Zeiten. Gott hat da einen liebevollen Blick auf uns. Und der ist mehr als nur gesund oder krank, jung oder alt, frisch oder müde, reich oder arm, Arbeit oder Freizeit – die Facetten sind viel reicher und Gottes Wege viel breiter, als wir uns vorstellen können. Doch wir müssen uns auch auf den Weg machen. Und nicht, damit Gott auch immer gut zu uns ist, sondern weil Gott liebevoll auf uns achtet und uns helfen möchte, auch in der Finsternis zu bestehen.
Und das können wir üben. Noch ein Beispiel: Wenn man frisch umgezogen ist, dann findet man am Anfang noch nicht einmal die Lichtschalter. Und im Dunkeln findet man sich gar nicht zurecht. Mit der Zeit aber hat man sich eingewohnt und wenn man abends ins Zimmer tritt geht die Hand von alleine an die richtige Stelle und sucht in der richtigen Höhe. Und wenn wir noch länger am gleichen Ort wohnen, dann benötigt man schon gar kein Licht mehr, wenn man z.B. nachts aufs Klo muss. Dann findet man den Weg sogar im Dunkeln, auch ohne Licht.

Und wir stellen das ja fest bei den Besuchen oder im Pflegeheim, wenn die Altersvergesslichkeit wächst oder die Demenz uns zunehmend entrückt. Plötzlich wird in aller Unruhe der Mensch ruhig oder kommt ins Weinen, wenn man zum Abschluss das Vaterunser betet oder eine bekannte Liedstrophe singt. Als ob tief ins uns etwas andocken würde an ganz frühe Zeiten und uns hineinwebt in das große Ganze Gottes.

6. Gottes Fürsorge im Gebot
Aus Fürsorge zu uns spricht Jesus diese Worte:
Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.
Wir sind eben keine Maschinen. Wir sind Menschen. Und Menschen leben vom Vertrauten und von dem, mit dem sie sich vertraut gemacht haben. Und deshalb ist es gut, dass wir dieses Wort hören, am Ende der Weihnachtszeit, weil es ein gutes Predigtwort für uns ist. Die Christbäume stehen noch, die Krippe leuchtet noch. Erinnerungen an das Licht Gottes unter uns.
Und Jesus verbindet absichtliche das Licht und die Finsternis, die Gemeinschaft mit ihm und der Hinweis auf die Erhöhung, auf den Abschied am Kreuz. Nutzen wir ihn im Lied, in der Musik, im Gebet, in der Bibellese, in dem lebendigen Kontakt mit ihm, in der Begegnung und Stärkung im Abendmahl.
Wir haben immer viel zu viel Angst vor Gott, dass er uns verändern könnte oder wir uns verbiegen müssten, damit er uns mag. Dabei weiß Gott, was wir brauchen.
Lassen wir ihn an uns wirken, damit er uns wandelt hin zu einem zufriedenen, hin zu einem gelingenden Leben, hin zu einem Leben in seinem Licht. Oder wie es hier heißt:
32 Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.
Das gilt auch schon im Hier und Jetzt.

Amen