20150629

Martin Adel: Das Staunen üner das Werden - Gottes Schöpfung heute (noch) glauben können

2. Sonntag nach Trinitatis
14.06,2015
Joseph Haydn, "Die Schöpfung"
Stadtkantorei Leitung: KMD Ingeborg Schilffarth

Liebe Gemeinde,

1. Geschaffen contra 7 Tage
Gott hat die Welt in 7 Tagen erschaffen. Glauben sie das? Glauben wir das wirklich? Müssen wir das glauben?

Ich muss das nicht glauben, dass die Welt in 7 Tagen entstanden ist. Aber, und das ist etwas ganz anderes, ich glaube, dass Gott die Welt geschaffen hat. Und darauf kommt es an. Die Zahl ist doch nicht das Entscheidende, sondern das Grundbekenntnis, so wie es Martin Luther in seiner Auslegung zum 1. Artikel des Glaubensbekenntnisses schreibt: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält.
Das ist unser Glaube. Und mit den sieben Tagen kommt eine Ordnung in das Chaos, in den ehemaligen glühenden Feuerball irgendwo im Universum. Und am Ende der Entwicklung der Mensch, so wie wir uns auch empfinden, als Krone der Schöpfung, begabt mit unglaublichen Fähigkeiten „und siehe, es war sehr gut“ und dann, als Schlusspunkt mit dem siebten Tag, der Ruhetag Gottes, der Sabbat, der Sonntag, für uns Menschen der erste Tag des Lebens.
Um diese innere Wahrheit geht es, die mehr ist als Poesie, um diese christliche Wahrheit sollten wir uns bemühen und sie glauben und leben; dann müssen wir uns nicht mehr an Zahlen verkämpfen.

2. Weltbildentwicklung
Unser Verstand weiß es doch schon längst:
Früher glaubten die Menschen, dass die Erde eine Scheibe sei, danach, dass die Erde der Mittelpunkt des Kosmos ist, danach, dass die Sonne das Zentrum des Universums und heute beschreiben wir das, was uns umgibt als Milchstraßen und Galaxien und sprechen von schwarzen Löchern und verglühenden Sternen und Supernovas und Quarks und was noch alles und das Hubble-Weltraumteleskop liefert uns seit 1990 gigantische Eindrücke aus dem Weltall.
Und wahrscheinlich wissen die Menschen nach uns in 500 Jahren noch etwas ganz anderes. Und das ist gut so.
Denn durch diese naturwissenschaftliche Betrachtungen und Erforschungen des Menschen sind uns viele segensreiche Erfindungen geschenkt worden und der Mensch und die Welt haben sich entwickelt.
Sicher: Nicht immer nur zum Besten, aber jeder von uns genießt den Fortschritt, das Auto (1863/1886 – Carl Benz) oder das Fahrrad (als Draisine seit 1817 auf den Weg gebracht) die Medizin, das Handy, ja sogar die Orgel, die Musik, den Haydn oder Viva Voce – Leben ist Entwicklung, Fortschritt egal, wo wir anfangen oder aufhören. Ob es immer gut ist und gut tut und wann es übertrieben wird und der Mensch ab-artig wird, das steht auf einer anderen Seite. Aber dass wir uns dafür verantwortlich fühlen, das hat auch etwas mit der Schöpfung zu tun, weil Gott uns beauftragt hat zu bebauen und zu bewahren.

3. Du bist gewollt
Ob sich die Welt in 7 Tagen oder in 7 Millionen Jahren oder in 5 Milliarden Jahre entwickelt hat, ist für unser naturwissenschaftliches Streben und Entdecken wichtig. Weil wir nur mit den Gesetzmäßigkeiten und den Ordnungen der Welt rechnen und planen und forschen und uns entwickeln können.
Aber für mein persönliches Leben ist das erst einmal nicht wichtig.
Ich bin. Jetzt. Ich lebe. Hier. Ganz konkret. Und ich brauche einen Sinn, ich brauche einen Grund, ich brauche einen Halt.
Denn auch wenn wir heute medizinisch genau wissen, wie menschliches Leben entsteht, reicht es uns nicht, wenn wir nur ein Produkt der Verschmelzung von Samenzelle und Eizelle sind oder womöglich produziert wurden um Reagenzglas. Um seelisch gesund heran zu wachsen und gesund zu bleiben, brauchen wir das Gefühl, geliebt und gebraucht zu werden. Wir brauchen Fürsorge und Zuwendung und Sinn.

Wie tief es uns verletzt, wenn Eltern zu einem sagen: Du bist ein Unfall. Du bist ein unnützer Esser. Du bist überflüssig. Du bist ein Klotz am Bein.

Aber in der Schöpfung sagt Gott zu uns Menschen: Du bist gewollt! Du bist kein Geworfener, kein Zufall, keine Laune der Natur. Das ist Schöpfung. Du bist mein Geschöpf. Dein Dasein hat in sich Sinn und Würde.

4. Das Staunen über das geordnete Werden
Und genau so naiv und einfach, mit kindlichem Vertrauen und Staunen hat es Joseph Haydn neu nacherzählt und in Musik gekleidet, die Schöpfung, wie sie aufgeschrieben ist in der biblischen Vorlage im ersten Buch Mose.
Und er schafft über seinem Staunen ob der Ordnung und der Schönheit der Welt eine Musik, die es uns miterleben lässt, dieses Staunen über das Werden der Welt und uns Menschen.
Nicht Zufall, sondern gewollt sind wir. Geordnet. Hineingestellt in die richtige Nähe und Distanz zur Sonne, auf einer Umlaufbahn, die im Lauf von Millionen und Milliarden Jahren im „Chaos des Kosmos“ abkühlt und eine Atmosphäre entwickelt, die das lebensfeindliche Weltall von der Erde abschirmt. Als sich die Lava abkühlt finden Wasser und Land ihren Platz, und die Umlaufbahn hat einen perfekten Wechsel von Tag und Nacht und Sommer und Winter, so dass in den unterschiedlichsten Klimazonen unterschiedliches Leben entstehen und Leben kann. Nahrung ist da und ein Ökosystem entwickelt sich, das von den Bienen über die Ameisen bis hin zu den kleinsten Mikroben zunehmend mehr Sinn macht, je länger wir es erforschen. Und es war längst, bevor wir es entdeckt haben. Weil es gewollt ist und Sinn macht. Von Gott gewollt. Das meint: Schöpfung.
Enthoben der Alltäglichkeit, der eigenen Mühe und Plage, des Verzagens und Haderns, dem Sorgen, dem Gram und dem Kampf komme ich zurück in ein kindliches Staunen und Betrachten und Entdecken, voller Dankbarkeit und Ehrfurcht und Respekt.

Joseph Haydn führt uns in seiner Schöpfung am sechsten Tag in humoristischer Untermalung das Entstehen des Löwe, Tiger, Hirsch, Pferd, Rind, Schaf, Insekten und Würmer, vor Augen, um dann den Erzengel Raphael in seiner Arie erzählen zu lassen:
Nr. 22 (22) Nun scheint in vollem Glanze der Himmel
Doch war noch alles nicht vollbracht
Dem Ganzen fehlte das Geschöpf
Das Gottes Werke dankbar seh'n
Des Herren Güte preisen soll.
Und dann schuf Gott den Menschen. Nr. 23 (23) Und Gott schuf den Menschen

Von Astronauten gibt es viele Bespiele, wie sie nach ihrer Rückkunft aus dem All verwandelt, fast fürsorglich auf unsere Erde blicken, ob der Erhabenheit und Schönheit unseres blauen Planeten und aus der Distanz Länder, Grenzen und Kontinente bedeutungslos werden zu einem „Unsere Erde“.
Als ob Haydn selbst dort oben gewesen wäre, beendet er seinen zweiten Teil mit dem gewaltigen Chorsatz: Nr. 26 (26a) Vollendet ist das große Werk

5. Das Danken – gegen alle Selbstüberschätzung
Schaffen wir das noch zu sagen: Vollendet ist das große Werk
Oder sind wir nur ängstlich Getriebene vor dem Ozonloch und dem Fuchsbandwurm und dem Zeckenbiss, Mäkelnd und Besserwissend nach jedem Orkan oder Tsunami, dass wir es besser gemacht hätten.
Und merken gar nicht mehr – vielleicht weil ich selbst frustriert die Nacht vor dem Bildschirm verbracht habe - wie auch FÜR MICH am Morgen die Sonne aufgeht und die Vögel das Morgenlied anstimmen und der Regen FÜR MICH die Blütenpollen aus der Luft wäscht und die Bienen ihr Tagwerk vollbringen, damit wir alle mehr als reichlich zum Essen haben. An seiner Selbstüberschätzung scheitert der Mensch, an seiner Eitelkeit und Arroganz, an seiner Anmaßung, alles selbst regeln, bestimmen und kontrollieren zu können.

Vielleicht lässt deshalb Haydn nun seinen Adam und seine Eva zuerst ein Dankgebet sprechen – übrigens der längste Satz im ganzen Werk, aufgeteilt in drei Teile: Nr. 30 (28) Von deiner Güt', o Herr und Gott, ist Erd' und Himmel voll. Die Welt, so groß, so wunderbar, ist deiner Hände Werk.

In Wikipedia heißt es über den Komponisten:
Die Arbeit am Oratorium dauerte vom Oktober 1796 bis zum April 1798. Haydn fand sein Thema inspirativ, und seiner eigenen Aussage nach war die Komposition für ihn eine grundlegende religiöse Erfahrung. Er arbeitete an dem Projekt bis zur Erschöpfung, und tatsächlich erkrankte er nach der Uraufführung für längere Zeit.
Gott ruhte am siebten Tag. Wir vergessen das gerne und werden dann krank nach großen Anstrengungen. Dann muss es halt so sein.
Aber es war geschafft. Großartig geschafft. Bis heute gehört sein Werk zur Welt-Literatur der Musik.
Und dann ist es egal, ob in 7 Tagen oder in 7 Monaten oder in 7 Jahren, weil es nicht um die Zahlen geht, sondern um die Musik dahinter und das Staunen und Hören und Fühlen, wie es lebt, so wie wir leben und unser Herz tapfer seiner Arbeit nachgeht, weil Gott es so gewollt hat und er sogar uns noch will, wenn er uns dann einmal seinen Lebensodem wieder entzieht wird.

Amen

Kantorei: II,28 Vollendet ist das große Werk

26 Chor: Vollendet ist das große Werk, der Schöpfer sieht´s und freuet sich. Auch unsre Freud´erschalle laut, des Herren Lob sei unser Lied!