Liedpredigt EG 16 Die Nacht ist vorgedrungen
1. Hinführung
Liebe Gemeinde!
Ist Weihnachten ein „süßes“ Fest (Süßer die Glocken,
die klingen ...) oder ein „ernstes“ Fest?
Das Adventslied, über das wir heute in der Predigt
nachdenken wollen ist da im Inhalt und in der Melodie ganz eindeutig. Der
Anlass ist ernst, weil der Inhalt so gewaltig ist.
Und damit ist es ein hoffnungsvolles Lied, auch
wenn es kein freudiges ist – eben kein Tschingel bells oder Felic navidad.
Es ist ein starkes Lied, auch wenn die Schwachheit
und Ängstlichkeit der Menschen hinter allen Versen hervorschaut.
Es ist ein helles Lied, auch wenn die Nacht der
Ausgangspunkt ist. So wie ja oft, in den Adventslieder ist.
[„O
Heiland reißt … V 6: Hier leiden wir die größte Not …“ „Es kommt ein Schiff geladen … V 5: Und wer
dies Kind mit Freuden, umfangen, küssen will, muss vorher mit ihm leiden groß
Pein und Marter viel, V 6: danach mit
ihm auch sterben und geistlich
auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.]
Es ist ein typisches Adventslied, weil es vom Kommen
spricht, von dem, was noch nicht da ist, was noch nicht vollendet ist, von dem,
was aber kommen wird!
Jochen Klepper –
Jahrgang 1903 - hat es 1938 geschrieben Die Melodie stammt von Johannes
Petzold, ein Jahr später 1939 komponiert, in dem Jahr, in dem auch der Weltkrieg II
begann. Es ist das Lied "Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht
mehr fern." Das in unserem Gesangbuch unter der Nummer 16 steht – bitte
aufschlagen.
Der Dichter und
Schriftsteller Jochen Klepper ist eine umstrittene Person unter den Christen.
Verheiratet mit einer Jüdin wurde der Druck und die Ausgrenzung im
Nationalsozialistischen Deutschland für die ganze Familie so groß, dass sie nur
noch einen Ausweg sahen. Nachdem sie erfuhren, dass Frau und Tochter auf der
Liste des nächsten Transportes ins KZ standen, beging die ganze Familie
Selbstmord; fast auf den Tag genau vor 73 Jahren, am 11.Dezember 1942. "Im
Angesicht des Kreuzes endet unser Leben" schreibt Klepper in sein
Tagebuch. Keine Blasphemie, sondern tiefster, gläubiger Ernst. Ein Aufschrei
der Verzweiflung, der uns nicht zu Richtern machen sollte, sondern zu tätigen
Jüngern, die alles daran setzen, um dem braunen Sumpf und allen seinen
Anverwandten den Boden auszutrocknen.
In Nachdenken über
sein Lied, wollen wir besonders an die denken, die die Adventszeit nicht aus
vollem Bauch heraus feiern können, weil Krankheit, Kummer, Not oder Krieg ihr
Leben gefangen nehmen.
EG 16: Die Nacht ist vorgedrungen - Vers 1
Gemeinsam lesen
Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.
"Die Nacht ist
vorgedrungen ... " könnte einen in die Irre führen, denn es klingt so, als
ob es noch tiefer in die Nacht hineinginge. So wie im November, wenn die Nacht
immer früher beginnt und es immer dunkler zu werden scheint. Als ob den ganzen
Tag nur Dunkel wäre.
Aber Klepper ist
schon weiter. Über die Mitte der Nacht hinaus ist die Zeit schon vorgedrungen ‑
Adventszeit ist! „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.“ Der
Morgenstern kündet den neuen Tag an, noch bevor es hell wird, selbst dann, wenn
der Tag trüb und verhangen bleibt.
Und es ist nicht
einfach nur so dahingesagt: "Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh
mit ein" ‑ sondern hier drückt sich aus, was Glaube meint. Ohne dass Angst
und Pein weggeredet werden, werde ich herausgeholt aus der Einsamkeit des
Leidens und dem Loch, in das ich mich in meiner Not verkrochen habe. "Der
Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein."
Das tut gut. Ich
leide nicht alleine. Ich ängstige mich nicht alleine.
"Der
Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein."
Wie kommt es dazu?
Wer ist dieser Morgenstern? Was sollte mich bewegen, froh mit einzustimmen?
Klepper entfaltet
es in den weiteren Strophen seines Liedes, die er damals, an einem Samstag vor
dem vierten Advent im Jahre 1938, entworfen hat.
Vers 2 Dem alle Engel dienen
Die Frauen lesen:
Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht. Gott
selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht. Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde
glaubt.
Eigentlich sind es
unvereinbare Gegensätze, denen wir im Christuskind begegnen.
Dem alle Engel
dienen – welche Größe und Mächtigkeit; der ganze Hofstaat versammelt sich wie
bei der Queen und noch viel Prächtiger – dem alle Engel dienen, der wird nun
ein Kind und Knecht!
Wer schuldig ist
auf Erden und eigentlich nur noch gesenkten Hauptes zu gehen hätte, verhülle
nicht mehr sein Haupt.
Und das alles, wenn
er dem Kinde glaubt.
Ist es nicht eine
Illusion, einem Kind glauben zu wollen? Ist es nicht eine Illusion, in der
Niedrigkeit Gott zu entdecken? ‑ Hat nicht gerade Jochen Klepper erfahren
müssen, wo die Macht sitzt, und wie sie sich an den Schwachen, den Hilflosen,
den vermeintlich Lebensunwerten vergreift? Wie soll da die Rede von der Schwachheit
eine Hilfe sein, ein Trost?
Aber genau dieses
ist das Unbegreifliche und immer wieder Anstößige in unserem Glauben. Gott wird
selbst Knecht und stellt sich auf die Seite des Sünders. Das Recht wird nicht
aufgehoben ‑ doch er stellt sich auf die Seite des Schuldigen, um für seine
Rettung Partei zu ergreifen. Die leidige Verstrickung von Schuld und Lüge und
weiterer Schuld und weiterer Lüge und weiterer .... , weil man ja nicht zugeben
darf, dass man etwas falsch gemacht hat. Diese unheilvolle Verstrickung kann
erst durchbrochen werden, wenn man sich nicht mehr verstecken muss und die Lüge
zur Wahrheit verdrehen.
Gibt es noch etwas großartigeres?
Vers 3 Die Nacht
ist schon im Schwinden
Die
Jugendlichen lesen:
Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle
auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an
verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott
selbst ausersah.
Fast schon mystisch klingt diese dritte Strophe ‑ ähnlich dem alten Adventslied: Es kommt ein Schiff geladen. Der, der dort zur Welt kommt, ist der, der von Anfang an da war und schon vor der Grundlegung der Welt dazu bestimmt und ausersehen ist, Heiland zu sein.
Fast schon mystisch klingt diese dritte Strophe ‑ ähnlich dem alten Adventslied: Es kommt ein Schiff geladen. Der, der dort zur Welt kommt, ist der, der von Anfang an da war und schon vor der Grundlegung der Welt dazu bestimmt und ausersehen ist, Heiland zu sein.
Es bleibt
unbegreiflich, dieses Geschehen, wie dort im Stall der Retter der Welt geboren
werden konnte. Vernünftig und logisch ist es nicht, was da geschehen ist und
dennoch ist es immer wieder eine befreiende Botschaft, die Licht ins Finstere
bringt und Hoffnung in eine trostlose Zeit.
Bewegung ‑ nicht Ruhe ‑ ist die Advents‑ und
Weihnachtszeit; Bewegung und Veränderung. Das fängt bei Josef und Maria an, die
sich aufmachten, um sich zählen zu lassen; dann die Suche nach
der Herberge, die Hirten, die vom Feld aufbrechen und schließlich die
Könige, die von weit her kommen. Auch wir müssen uns aufmachen und aufbrechen,
nicht nur äußerlich mit Lichtern, Plätzchen und Dekoration, auch innerlich,
damit Gott zu uns kommen kann.
Und wir haben es erlebt, wie Gott kommt. Bei
der Adventsfeier in der Gemeinschaftsunterkunft der Asylbewerber. Zunächst gab
es Widerstände, nicht von den Bewohnern, sondern von den Deutschen, die mit der
Kirche und dem Glauben eh so ihre Schwierigkeiten haben. „Wie könnt ihr mit den
Moslems eine Adventsfeier machen.“ Doch was sollten wir denn sonst machen? Wozu
würde uns denn ein Moslem einladen? Er würde doch auch zu „SEINEM“ Fest
einladen und das wäre das Fastenbrechen. Warum also wir nicht zur Adventsfeier?
Und dann uns an diesem Nachmittag Hammad
übersetzt. Mit leuchtenden Augen. Wir haben gemeinsam so schwierige Worte wie
„Adventskranz“ geübt und erklärt, warum die Stadt momentan so anders aussieht.
Wir haben anhand der Krippenfiguren erzählt, was der Inhalt unseres
Weihnachtsfestes und Glaubens ist – und Hammad hat alles ins Arabische
übersetzt, mit Respekt und Achtung – weil er selbst ein glaubender Moslem ist
und Achtung und Respekt auch für seinen Glauben erwartet. Und dann wurden die
gemeinsam die Lieder geschmettert: O du fröhliche als evangelischer „Schlager“
und Stille Nacht, heilige Nacht als katholischer. Und jeder strengte sich an,
die Worte auf den Zetteln irgendwie mitzusingen.
Ein gelungener Nachmittag mit Tee, Kaffee,
Lebkuchen und Plätzchen und ich habe mich ein bisschen geschämt, weil ich mir
nicht sicher bin, ob ich auch so selbstverständlich und bereitwillig die Lieder
in der Moschee hätte mitsingen können.
Aber ist da nicht schon etwas geschehen von
dem, was Jochen Klepper hier meint:
"Die Nacht ist
schon im Schwinden, macht euch zum
Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von
Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den
Gott selbst ausersah."
Vers 4 Noch manche Nacht wird fallen
Die
Alten lesen:
Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und
-schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von
seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die
Rettung her.
Viel zu
kleingläubig und ängstlich sind wir doch oftmals. Bedacht auf unsere eigene
Sicherheit und geängstet vor dem, was noch kommen mag.
Satt sitzen wir und haben Angst vor dem Hunger. Warm
sitzen wir und sinnieren darüber, dass der Ofen kalt bliebe.Worauf haben wir
uns eingelassen. Auf ein Geld, von dem wir nicht abbeißen können und unsere
Seele darüber verhungert ist.
"Beglänzt von
seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr. Von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her."
Die
Männer lesen:
Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Als
wollte er belohnen, so richtet er die Welt. Der sich den Erdkreis baute, der
lässt den Sünder nicht. Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem
Gericht.
Wie ernst es ist, bringt Jochen Klepper im letzten Vers noch einmal zum Ausdruck. Wir werden gerichtet werden für unser Tun und wir kommen nicht am Gericht vorbei. Eigenartig ‑ wie fremd uns dieser Gedanke geworden ist, dabei haben es die vor uns am eigenen Leib erlebt, wenn die Städte brannten und die Söhne und Väter als andere aus dem Krieg zurückkamen; wenn sie überhaupt zurückkamen. Braucht es noch ein anderes Gericht?
Wir müssten es
eigentlich eher laut rufen: „Richte uns!“ Im Sinne von repariere uns. Was
machen wir denn mit einem Fahrrad, wenn es einen „Achter“ hat. Wir müssen es
reparieren, damit es wieder fahrtüchtig ist. Beim Arzt nichts anderes: Wir
bitten ihn, dass er mit all seiner Kunst dagegen angeht, was bei uns krank und
kaputt ist.
Und so müssten wir
rufen: Richte uns zurecht, wenn Hass und Rache und Vergeltung in uns hochkommen
und wir dem IS oder wem auch immer zeigen, dass wir den längeren Atem haben und
die stärkeren Waffen oder das meiste Geld.
Und dennoch
verlässt ER uns nicht. "Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch
erhellt" schreibt Jochen Klepper und wenn Gott sein "Nein" über
Gewalt und Unterdrückung spricht, wenn er seine Gebote uns wie einen Spiegel
vor Augen hält, dann dient es uns zum Leben, so paradox uns das auch scheinen
mag: "Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt."
Und er lässt uns
nicht in Ruhe, sondern fordert von uns, seiner Gemeinde, immer wieder ein, Stellung
zu beziehen. "Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder
nicht."
Und wir müssten
dankbar ausrufen: Gott-sei-Dank lässt du uns nicht in Ruhe. Wir hätten uns
schon längst selber ausgerottet, wenn da nicht ein letzter Funke von ... ja,
von was wäre? Von Anstand? Von Pietät? Nein – von Glaube wäre. Vom Glauben an die Liebe. Vom Glauben, dass Gott
sich durchsetzen wird. Oder warum sollten wir uns sonst der Welt
entgegenstellen und ihr predigen vom wahren Weihnachten und wer da zur Welt
kommt und warum wir auf Liebe und Gemeinschaft und Versöhnung bauen und nicht
auf die Mächte des Bösen und die Last des Dunklen.
Wir haben noch
nicht aufgegeben, weil wir schon jetzt immer wieder erleben, was es bedeutet,
wenn Klepper im letzten Satz schreibt:
"Wer hier dem
Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht."
Amen