20151214

Martin Adel: Die Nacht ist vorgedrungen

3. Advent 13.12.2015
Liedpredigt EG 16 Die Nacht ist vorgedrungen



1. Hinführung
Liebe Gemeinde!
Ist Weihnachten ein „süßes“ Fest (Süßer die Glocken, die klingen ...) oder ein „ernstes“ Fest?
Das Adventslied, über das wir heute in der Predigt nachdenken wollen ist da im Inhalt und in der Melodie ganz eindeutig. Der Anlass ist ernst, weil der Inhalt so gewaltig ist.
Und damit ist es ein hoffnungsvolles Lied, auch wenn es kein freudiges ist – eben kein Tschingel bells oder Felic navidad.
Es ist ein starkes Lied, auch wenn die Schwachheit und Ängstlichkeit der Menschen hinter allen Versen hervorschaut.
Es ist ein helles Lied, auch wenn die Nacht der Ausgangspunkt ist. So wie ja oft, in den Adventslieder ist.
[„O Heiland reißt … V 6: Hier leiden wir die größte Not …“  „Es kommt ein Schiff geladen … V 5: Und wer dies Kind mit Freuden, umfangen, küssen will, muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel,  V 6: danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.]
Es ist ein typisches Adventslied, weil es vom Kommen spricht, von dem, was noch nicht da ist, was noch nicht vollendet ist, von dem, was aber kommen wird!

Jochen Klepper – Jahrgang 1903 - hat es 1938 geschrieben Die Melodie stammt von Johannes Petzold, ein Jahr später 1939 komponiert, in dem Jahr, in dem auch der Weltkrieg II begann. Es ist das Lied "Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern." Das in unserem Gesangbuch unter der Nummer 16 steht – bitte aufschlagen.

Der Dichter und Schriftsteller Jochen Klepper ist eine umstrittene Person unter den Christen. Verheiratet mit einer Jüdin wurde der Druck und die Ausgrenzung im Nationalsozialistischen Deutschland für die ganze Familie so groß, dass sie nur noch einen Ausweg sahen. Nachdem sie erfuhren, dass Frau und Tochter auf der Liste des nächsten Transportes ins KZ standen, beging die ganze Familie Selbstmord; fast auf den Tag genau vor 73 Jahren, am 11.Dezember 1942. "Im Angesicht des Kreuzes endet unser Leben" schreibt Klepper in sein Tagebuch. Keine Blasphemie, sondern tiefster, gläubiger Ernst. Ein Aufschrei der Verzweiflung, der uns nicht zu Richtern machen sollte, sondern zu tätigen Jüngern, die alles daran setzen, um dem braunen Sumpf und allen seinen Anverwandten den Boden auszutrocknen.

In Nachdenken über sein Lied, wollen wir besonders an die denken, die die Adventszeit nicht aus vollem Bauch heraus feiern können, weil Krankheit, Kummer, Not oder Krieg ihr Leben gefangen nehmen.

EG 16: Die Nacht ist vorgedrungen - Vers 1
Gemeinsam lesen
Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern! So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.

"Die Nacht ist vorgedrungen ... " könnte einen in die Irre führen, denn es klingt so, als ob es noch tiefer in die Nacht hineinginge. So wie im November, wenn die Nacht immer früher beginnt und es immer dunkler zu werden scheint. Als ob den ganzen Tag nur Dunkel wäre.

Aber Klepper ist schon weiter. Über die Mitte der Nacht hinaus ist die Zeit schon vorgedrungen ‑ Adventszeit ist! „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.“ Der Morgenstern kündet den neuen Tag an, noch bevor es hell wird, selbst dann, wenn der Tag trüb und verhangen bleibt.
Und es ist nicht einfach nur so dahingesagt: "Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein" ‑ sondern hier drückt sich aus, was Glaube meint. Ohne dass Angst und Pein weggeredet werden, werde ich herausgeholt aus der Einsamkeit des Leidens und dem Loch, in das ich mich in meiner Not verkrochen habe. "Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein."
Das tut gut. Ich leide nicht alleine. Ich ängstige mich nicht alleine.
"Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein."

Wie kommt es dazu? Wer ist dieser Morgenstern? Was sollte mich bewegen, froh mit einzustimmen?
Klepper entfaltet es in den weiteren Strophen seines Liedes, die er damals, an einem Samstag vor dem vierten Advent im Jahre 1938, entworfen hat.


Vers 2 Dem alle Engel dienen
Die Frauen lesen:
Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht. Gott selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht. Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.

Eigentlich sind es unvereinbare Gegensätze, denen wir im Christuskind begegnen.
Dem alle Engel dienen – welche Größe und Mächtigkeit; der ganze Hofstaat versammelt sich wie bei der Queen und noch viel Prächtiger – dem alle Engel dienen, der wird nun ein Kind und Knecht!
Wer schuldig ist auf Erden und eigentlich nur noch gesenkten Hauptes zu gehen hätte, verhülle nicht mehr sein Haupt.

Und das alles, wenn er dem Kinde glaubt.
Ist es nicht eine Illusion, einem Kind glauben zu wollen? Ist es nicht eine Illusion, in der Niedrigkeit Gott zu entdecken? ‑ Hat nicht gerade Jochen Klepper erfahren müssen, wo die Macht sitzt, und wie sie sich an den Schwachen, den Hilflosen, den vermeintlich Lebensunwerten vergreift? Wie soll da die Rede von der Schwachheit eine Hilfe sein, ein Trost?

Aber genau dieses ist das Unbegreifliche und immer wieder Anstößige in unserem Glauben. Gott wird selbst Knecht und stellt sich auf die Seite des Sünders. Das Recht wird nicht aufgehoben ‑ doch er stellt sich auf die Seite des Schuldigen, um für seine Rettung Partei zu ergreifen. Die leidige Verstrickung von Schuld und Lüge und weiterer Schuld und weiterer Lüge und weiterer .... , weil man ja nicht zugeben darf, dass man etwas falsch gemacht hat. Diese unheilvolle Verstrickung kann erst durchbrochen werden, wenn man sich nicht mehr verstecken muss und die Lüge zur Wahrheit verdrehen.

 "Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt."
Gibt es noch etwas großartigeres?


Vers 3 Die Nacht ist schon im Schwinden
Die Jugendlichen lesen:
Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.

Fast schon mystisch klingt diese dritte Strophe ‑ ähnlich dem alten Adventslied: Es kommt ein Schiff geladen. Der, der dort zur Welt kommt, ist der, der von Anfang an da war und schon vor der Grundlegung der Welt dazu bestimmt und ausersehen ist, Heiland zu sein.
Es bleibt unbegreiflich, dieses Geschehen, wie dort im Stall der Retter der Welt geboren werden konnte. Vernünftig und logisch ist es nicht, was da geschehen ist und dennoch ist es immer wieder eine befreiende Botschaft, die Licht ins Finstere bringt und Hoffnung in eine trostlose Zeit.

Bewegung ‑ nicht Ruhe ‑ ist die Advents‑ und Weihnachtszeit; Bewegung und Veränderung. Das fängt bei Josef und Maria an, die sich aufmachten, um sich zählen zu lassen; dann die Suche nach der Herberge, die Hirten, die vom Feld aufbrechen und schließlich die Könige, die von weit her kommen. Auch wir müssen uns aufmachen und aufbrechen, nicht nur äußerlich mit Lichtern, Plätzchen und Dekoration, auch innerlich, damit Gott zu uns kommen kann.

Und wir haben es erlebt, wie Gott kommt. Bei der Adventsfeier in der Gemeinschaftsunterkunft der Asylbewerber. Zunächst gab es Widerstände, nicht von den Bewohnern, sondern von den Deutschen, die mit der Kirche und dem Glauben eh so ihre Schwierigkeiten haben. „Wie könnt ihr mit den Moslems eine Adventsfeier machen.“ Doch was sollten wir denn sonst machen? Wozu würde uns denn ein Moslem einladen? Er würde doch auch zu „SEINEM“ Fest einladen und das wäre das Fastenbrechen. Warum also wir nicht zur Adventsfeier?

Und dann uns an diesem Nachmittag Hammad übersetzt. Mit leuchtenden Augen. Wir haben gemeinsam so schwierige Worte wie „Adventskranz“ geübt und erklärt, warum die Stadt momentan so anders aussieht. Wir haben anhand der Krippenfiguren erzählt, was der Inhalt unseres Weihnachtsfestes und Glaubens ist – und Hammad hat alles ins Arabische übersetzt, mit Respekt und Achtung – weil er selbst ein glaubender Moslem ist und Achtung und Respekt auch für seinen Glauben erwartet. Und dann wurden die gemeinsam die Lieder geschmettert: O du fröhliche als evangelischer „Schlager“ und Stille Nacht, heilige Nacht als katholischer. Und jeder strengte sich an, die Worte auf den Zetteln irgendwie mitzusingen.
Ein gelungener Nachmittag mit Tee, Kaffee, Lebkuchen und Plätzchen und ich habe mich ein bisschen geschämt, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich auch so selbstverständlich und bereitwillig die Lieder in der Moschee hätte mitsingen können.

Aber ist da nicht schon etwas geschehen von dem, was Jochen Klepper hier meint:
"Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah."

Vers 4 Noch manche Nacht wird fallen
Die Alten lesen:
Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.
 Keine Utopien, keine falschen Illusion, schreibt Klepper  ‑ "Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld." Solange wir leben, bleiben wir in dieser Welt, die bei aller Schönheit und Würde gleichzeitig eine gefallene Welt ist, mit unsagbaren Grausamkeiten und Gräueltaten, mit Unrecht und Hass, mit Gewalt und Vernichtung und Terror. Aber die Angst hat abgewirtschaftet!
Viel zu kleingläubig und ängstlich sind wir doch oftmals. Bedacht auf unsere eigene Sicherheit und geängstet vor dem, was noch kommen mag.

Satt sitzen wir und haben Angst vor dem Hunger. Warm sitzen wir und sinnieren darüber, dass der Ofen kalt bliebe.Worauf haben wir uns eingelassen. Auf ein Geld, von dem wir nicht abbeißen können und unsere Seele darüber verhungert ist.
"Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr. Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her."

 Vers 5 Gott will im Dunkeln wohnen
Die Männer lesen:
Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt. Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht. Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.

Wie ernst es ist, bringt Jochen Klepper im letzten Vers noch einmal zum Ausdruck. Wir werden gerichtet werden für unser Tun und wir kommen nicht am Gericht vorbei. Eigenartig ‑ wie fremd uns dieser Gedanke geworden ist, dabei haben es die vor uns am eigenen Leib erlebt, wenn die Städte brannten und die Söhne und Väter als andere aus dem Krieg zurückkamen; wenn sie überhaupt zurückkamen. Braucht es noch ein anderes Gericht?

Wir müssten es eigentlich eher laut rufen: „Richte uns!“ Im Sinne von repariere uns. Was machen wir denn mit einem Fahrrad, wenn es einen „Achter“ hat. Wir müssen es reparieren, damit es wieder fahrtüchtig ist. Beim Arzt nichts anderes: Wir bitten ihn, dass er mit all seiner Kunst dagegen angeht, was bei uns krank und kaputt ist.

Und so müssten wir rufen: Richte uns zurecht, wenn Hass und Rache und Vergeltung in uns hochkommen und wir dem IS oder wem auch immer zeigen, dass wir den längeren Atem haben und die stärkeren Waffen oder das meiste Geld.

Und dennoch verlässt ER uns nicht. "Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt" schreibt Jochen Klepper und wenn Gott sein "Nein" über Gewalt und Unterdrückung spricht, wenn er seine Gebote uns wie einen Spiegel vor Augen hält, dann dient es uns zum Leben, so paradox uns das auch scheinen mag: "Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt."

Und er lässt uns nicht in Ruhe, sondern fordert von uns, seiner Gemeinde, immer wieder ein, Stellung zu beziehen. "Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht."
Und wir müssten dankbar ausrufen: Gott-sei-Dank lässt du uns nicht in Ruhe. Wir hätten uns schon längst selber ausgerottet, wenn da nicht ein letzter Funke von ... ja, von was wäre? Von Anstand? Von Pietät? Nein – von Glaube wäre. Vom Glauben an die Liebe. Vom Glauben, dass Gott sich durchsetzen wird. Oder warum sollten wir uns sonst der Welt entgegenstellen und ihr predigen vom wahren Weihnachten und wer da zur Welt kommt und warum wir auf Liebe und Gemeinschaft und Versöhnung bauen und nicht auf die Mächte des Bösen und die Last des Dunklen.

Wir haben noch nicht aufgegeben, weil wir schon jetzt immer wieder erleben, was es bedeutet, wenn Klepper im letzten Satz schreibt:
"Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht."


Amen