14.06,2015
Joseph Haydn, "Die Schöpfung"
Stadtkantorei Leitung: KMD Ingeborg Schilffarth
Liebe Gemeinde,
1. Geschaffen contra
7 Tage
Gott
hat die Welt in 7 Tagen erschaffen. Glauben sie das? Glauben wir das wirklich?
Müssen wir das glauben?
Ich
muss das nicht glauben, dass die Welt in 7
Tagen entstanden ist. Aber, und das ist etwas ganz anderes, ich glaube, dass Gott die Welt geschaffen
hat. Und darauf kommt es an. Die Zahl ist doch nicht das Entscheidende,
sondern das Grundbekenntnis, so wie es Martin Luther in seiner Auslegung zum 1.
Artikel des Glaubensbekenntnisses schreibt: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir
Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben
hat und noch erhält.
Das
ist unser Glaube. Und mit den sieben Tagen kommt eine Ordnung in das Chaos, in
den ehemaligen glühenden Feuerball irgendwo im Universum. Und am Ende der
Entwicklung der Mensch, so wie wir uns auch empfinden, als Krone der Schöpfung,
begabt mit unglaublichen Fähigkeiten „und siehe, es war sehr gut“ und dann, als
Schlusspunkt mit dem siebten Tag, der Ruhetag Gottes, der Sabbat, der Sonntag,
für uns Menschen der erste Tag des Lebens.
Um
diese innere Wahrheit geht es, die mehr ist als Poesie, um diese christliche
Wahrheit sollten wir uns bemühen und sie glauben und leben; dann müssen wir uns
nicht mehr an Zahlen verkämpfen.
2. Weltbildentwicklung
Unser
Verstand weiß es doch schon längst:
Früher
glaubten die Menschen, dass die Erde eine Scheibe sei, danach, dass die Erde
der Mittelpunkt des Kosmos ist, danach, dass die Sonne das Zentrum des Universums
und heute beschreiben wir das, was uns umgibt als Milchstraßen und Galaxien und
sprechen von schwarzen Löchern und verglühenden Sternen und Supernovas und
Quarks und was noch alles und das Hubble-Weltraumteleskop liefert uns
seit 1990 gigantische Eindrücke aus dem Weltall.
Und
wahrscheinlich wissen die Menschen nach uns in 500 Jahren noch etwas ganz
anderes. Und das ist gut so.
Denn
durch diese naturwissenschaftliche Betrachtungen und Erforschungen des Menschen
sind uns viele segensreiche Erfindungen geschenkt worden und der Mensch und die
Welt haben sich entwickelt.
Sicher:
Nicht immer nur zum Besten, aber jeder von uns genießt den Fortschritt, das
Auto (1863/1886 – Carl Benz) oder das Fahrrad (als Draisine seit 1817 auf den
Weg gebracht) die Medizin, das Handy, ja sogar die Orgel, die Musik, den Haydn
oder Viva Voce – Leben ist Entwicklung, Fortschritt egal, wo wir anfangen oder
aufhören. Ob es immer gut ist und gut tut und wann es übertrieben wird und der
Mensch ab-artig wird, das steht auf einer anderen Seite. Aber dass wir uns dafür
verantwortlich fühlen, das hat auch etwas mit der Schöpfung zu tun, weil Gott
uns beauftragt hat zu bebauen und zu bewahren.
3. Du bist gewollt
Ob
sich die Welt in 7 Tagen oder in 7 Millionen Jahren oder in 5 Milliarden Jahre entwickelt
hat, ist für unser naturwissenschaftliches Streben und Entdecken wichtig. Weil
wir nur mit den Gesetzmäßigkeiten und den Ordnungen der Welt rechnen und planen
und forschen und uns entwickeln können.
Aber
für mein persönliches Leben ist das erst einmal nicht wichtig.
Ich
bin. Jetzt. Ich lebe. Hier. Ganz konkret. Und ich brauche einen Sinn, ich
brauche einen Grund, ich brauche einen Halt.
Denn
auch wenn wir heute medizinisch genau wissen, wie menschliches Leben entsteht,
reicht es uns nicht, wenn wir nur ein Produkt
der Verschmelzung von Samenzelle und Eizelle sind oder womöglich produziert
wurden um Reagenzglas. Um seelisch gesund heran zu wachsen und gesund zu
bleiben, brauchen wir das Gefühl, geliebt und gebraucht zu werden. Wir brauchen
Fürsorge und Zuwendung und Sinn.
Wie
tief es uns verletzt, wenn Eltern zu einem sagen: Du bist ein Unfall. Du bist
ein unnützer Esser. Du bist überflüssig. Du bist ein Klotz am Bein.
Aber
in der Schöpfung sagt Gott zu uns Menschen: Du bist gewollt! Du bist kein
Geworfener, kein Zufall, keine Laune der Natur. Das ist Schöpfung. Du bist mein
Geschöpf. Dein Dasein hat in sich Sinn und Würde.
4. Das Staunen über
das geordnete Werden
Und
genau so naiv und einfach, mit kindlichem Vertrauen und Staunen hat es Joseph
Haydn neu nacherzählt und in Musik gekleidet, die Schöpfung, wie sie
aufgeschrieben ist in der biblischen Vorlage im ersten Buch Mose.
Und
er schafft über seinem Staunen ob der Ordnung und der Schönheit der Welt eine
Musik, die es uns miterleben lässt, dieses Staunen über das Werden der Welt und
uns Menschen.
Nicht
Zufall, sondern gewollt sind wir. Geordnet. Hineingestellt in die richtige Nähe
und Distanz zur Sonne, auf einer Umlaufbahn, die im Lauf von Millionen und
Milliarden Jahren im „Chaos des Kosmos“ abkühlt und eine Atmosphäre entwickelt,
die das lebensfeindliche Weltall von der Erde abschirmt. Als sich die Lava abkühlt
finden Wasser und Land ihren Platz, und die Umlaufbahn hat einen perfekten
Wechsel von Tag und Nacht und Sommer und Winter, so dass in den
unterschiedlichsten Klimazonen unterschiedliches Leben entstehen und Leben
kann. Nahrung ist da und ein Ökosystem entwickelt sich, das von den Bienen über
die Ameisen bis hin zu den kleinsten Mikroben zunehmend mehr Sinn macht, je
länger wir es erforschen. Und es war längst, bevor wir es entdeckt haben. Weil
es gewollt ist und Sinn macht. Von Gott gewollt. Das meint: Schöpfung.
Enthoben
der Alltäglichkeit, der eigenen Mühe und Plage, des Verzagens und Haderns, dem
Sorgen, dem Gram und dem Kampf komme ich zurück in ein kindliches Staunen und
Betrachten und Entdecken, voller Dankbarkeit und Ehrfurcht und Respekt.
Joseph
Haydn führt uns in seiner Schöpfung am sechsten Tag in humoristischer
Untermalung das Entstehen des Löwe, Tiger, Hirsch, Pferd, Rind, Schaf, Insekten und Würmer, vor Augen, um dann
den Erzengel Raphael in seiner Arie erzählen zu lassen:
Nr.
22 (22) Nun scheint in vollem
Glanze der Himmel
Doch
war noch alles nicht vollbracht
Dem Ganzen fehlte das Geschöpf
Das Gottes Werke dankbar seh'n
Des Herren Güte preisen soll.
Dem Ganzen fehlte das Geschöpf
Das Gottes Werke dankbar seh'n
Des Herren Güte preisen soll.
Und
dann schuf Gott den Menschen. Nr. 23 (23) Und Gott schuf den Menschen
Von Astronauten gibt es viele Bespiele, wie sie
nach ihrer Rückkunft aus dem All verwandelt, fast fürsorglich auf unsere Erde
blicken, ob der Erhabenheit und Schönheit unseres blauen Planeten und aus der
Distanz Länder, Grenzen und Kontinente bedeutungslos werden zu einem „Unsere
Erde“.
Als
ob Haydn selbst dort oben gewesen wäre, beendet er seinen zweiten Teil mit dem
gewaltigen Chorsatz: Nr. 26 (26a) Vollendet
ist das große Werk
5. Das Danken – gegen
alle Selbstüberschätzung
Schaffen
wir das noch zu sagen: Vollendet ist
das große Werk
Oder
sind wir nur ängstlich Getriebene vor dem Ozonloch und dem Fuchsbandwurm und
dem Zeckenbiss, Mäkelnd und Besserwissend nach jedem Orkan oder Tsunami, dass
wir es besser gemacht hätten.
Und
merken gar nicht mehr – vielleicht weil ich selbst frustriert die Nacht vor dem
Bildschirm verbracht habe - wie auch FÜR MICH am Morgen die Sonne aufgeht und die
Vögel das Morgenlied anstimmen und der Regen FÜR MICH die Blütenpollen aus der
Luft wäscht und die Bienen ihr Tagwerk vollbringen, damit wir alle mehr als reichlich
zum Essen haben. An seiner Selbstüberschätzung scheitert der Mensch, an seiner
Eitelkeit und Arroganz, an seiner Anmaßung, alles selbst regeln, bestimmen und
kontrollieren zu können.
Vielleicht
lässt deshalb Haydn nun seinen Adam und seine Eva zuerst ein Dankgebet sprechen
– übrigens der längste Satz im ganzen Werk, aufgeteilt in drei Teile: Nr. 30
(28) Von deiner Güt', o Herr und Gott,
ist Erd' und Himmel voll. Die Welt, so groß, so wunderbar, ist deiner Hände
Werk.
In
Wikipedia heißt es über den Komponisten:
Die
Arbeit am Oratorium dauerte vom Oktober 1796 bis zum April 1798. Haydn fand
sein Thema inspirativ, und seiner eigenen Aussage nach war die Komposition für
ihn eine grundlegende religiöse
Erfahrung. Er arbeitete an dem Projekt bis zur Erschöpfung, und tatsächlich
erkrankte er nach der Uraufführung für längere Zeit.
Gott
ruhte am siebten Tag. Wir vergessen das gerne und werden dann krank nach großen
Anstrengungen. Dann muss es halt so sein.
Aber
es war geschafft. Großartig geschafft. Bis heute gehört sein Werk zur
Welt-Literatur der Musik.
Und
dann ist es egal, ob in 7 Tagen oder in 7 Monaten oder in 7 Jahren, weil es
nicht um die Zahlen geht, sondern um die Musik dahinter und das Staunen und
Hören und Fühlen, wie es lebt, so wie wir leben und unser Herz tapfer seiner
Arbeit nachgeht, weil Gott es so gewollt hat und er sogar uns noch will, wenn
er uns dann einmal seinen Lebensodem wieder entzieht wird.
Amen
Kantorei: II,28 Vollendet ist das große Werk
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Chor: Vollendet ist das große Werk, der Schöpfer sieht´s und freuet sich. Auch
unsre Freud´erschalle laut, des Herren Lob sei unser Lied!
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