20110522

Werner Otto Sirch: Die Wüste weint

21.5.2011 - Ansprache beim Beichtgottesdienst zur Konfirmation

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
liebe Eltern und Angehörigen unserer Konfirmandinnen und Konfirmanden
liebe Gäste,
liebe Gemeinde,

eine alte Geschichte aus Nordafrika erzählt von einem Beduinen, der sich immer wieder der Länge nach auf den Boden legt und sein Ohr in den Wüstensand drückt. Stundenlang horcht er in die Erde hinein. Verwundert fragt ihn ein Missionar: „Was machst du da eigentlich auf der Erde?” Der Beduine erhebt sich und antwortet: „Freund, ich horche, wie die Wüste weint, sie möchte so gerne ein Garten sein!”

Wenn wir, wie der Beduine, stille werden, unsere Ohren auftun, nach innen richten, dann können auch wir die Wüste weinen hören. Die Wüste in uns, weil wir ein blühender Garten sein möchten. Die Wüste der Einsamkeit in uns weint, weil wir so gerne ein Garten der Begegnung sein möchten. Die Wüste der Ungeduld weint, weil sie so gerne ein Ort der Ruhe und der Langmut sein möchte. Die Wüste aus Verzweiflung weint, sie möchte so gerne ein Garten der Hoffnung sein. Die Wüste der Schuld weint, sie möchte so gerne ein Garten der Vergebung sein. Die Wüste des Sterbens weint, sie möchte so gerne ein Garten des neuen Lebens sein.

Wenn wir mutig sind, uns trauen hinzuschauen und hinzuhören, dann können wir viel Wüste in uns entdecken. Zeiten, wo wir kein blühender Garten sind, oft nur mit uns selbst beschäftigt. Zeiten, in denen uns nur wenig zu gelingen scheint. Zeiten in denen wir uns innerlich ausgetrocknet fühlen. Diese Wüstenzeiten ängstigen und blockieren uns. Wir leiden, spüren das Trostlose, das Unfruchtbare in uns. Eigentlich möchten wir doch ganz anders sein: Ein bunter blühender Garten, an dem wir und andere sich erfreuen können. Ein fruchtbarer Garten, so wie ihn sein Schöpfer gedacht und wunderbar gemacht hat. Er hat ihn mit so vielen Gaben und Begabungen ausgestattet.

Liebe Konfirmandinnen und liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, liebe Gäste und Gemeindeglieder, ihr seid solch ein wunderbarer, von Gott erdachter Garten. Nein, bestimmt keine Wüste. Ihr habt Begabungen und Fähigkeiten mitbekommen, mit denen ihr wuchern dürft. Und ich denke, dass in euch noch viel mehr an Wunderbarem schlummert, verborgen, unerkannt, jetzt noch gar nicht zu sehen. Vieles, das sich in den nächsten Jahren noch entwickeln wird. Wunderbar seid ihr, von Gott erdacht und gemacht.

Da ist aber auch Wüste in uns, das, was Leben in Gefahr bringt, das, was unser Leben oft so fruchtlos und freudlos macht. Wüste, die uns innerlich verbrennt und vertrocknen lässt und vom Leben wegbringt. Wir fühlen das, es macht uns unruhig und unglücklich, denn eigentlich sehnen wir uns danach ein blühender Garten zu sein, in dem es wächst und gedeiht. Ein blühender Garten, der uns Freude schenkt, der uns die Erfahrung machen lässt, geliebt und angenommen zu sein.

Und so sind wir auf der Suche. Oft ganz unbewusst. Wir suchen, den blühenden Garten: die Ruhe, den Frieden, die Freude, die Anerkennung, das Angenommensein. Kurz gesagt: Das, was meinem Leben Halt und Glück schenkt. Aber wo sollen wir suchen? Es gibt so viele Angebote, die uns locken, die ihre Hände nach uns ausstrecken. - Viele geben auf, weil sie nicht finden, leben so weiter – unglücklich, mit der großer Sehnsucht im Herzen nach dem, den wir Vater nennen dürfen – den Gott mit den vielen Namen. Den Gott, den wir im Konfirmandenunterricht immer wieder miteinander gesucht haben: den Gott der Barmherzigkeit, den liebenden, geduldigen, vergebenden Gott. Den Gott der uns bei unserem Namen gerufen hat und dessen Kind wir durch die Taufe geworden sind. Es ist der Gott, der unsere Lebens-Wüste mit neuem Leben erfüllen kann. Er, der Liebhaber des Lebens, der uns dazu verhelfen will, dass wir leben, richtig leben. Der Gott, der nicht will, dass sich die Wüste in uns ausbreitet und bestimmend wird.

Dieser barmherzige, liebende, geduldige und vergebende Gott lädt uns heute zu sich ein: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Bei ihm dürfen wir die Wüste in uns lassen, damit Fruchtbares wachsen kann.

Wenn es in der Wüste regnet, dann wird daraus ein grünender und blühender Garten. Und so will das, was wir nachher in der Beichte und im Abendmahl mit einander tun, eine Einladung Gottes sein – ein warmer Regenguss in der Wüste. Wasser für eine verdurstende Seele. „Ich will heute bei dir einkehren“, sagt Jesus zum Zöllner Zachäus. Er macht ihm keine Vorwürfe, lehnt ihn nicht ab, trotz allem was er in seinem Leben falsch gemacht und verbrochen hat. Jesus lädt sich bei ihm ein, kommt ihm, dem Sünder, nahe.

Heute lädt sich Jesus auch bei uns ein. In der Beichte und im Heiligen Abendmahl will er bei uns einkehren, damit wir Vergebung erfahren. Wir dürfen das loslassen was uns belastet und quält. Wir dürfen neu anfangen – mit ihm.

„Freund, ich horche, wie die Wüste weint, sie möchte so gerne ein Garten sein!” das war die Antwort des Beduinen. Hören wir doch die Tränen der Wüste in uns – sie möchte so gerne ein Garten sein. Amen.

20110502

Werner Otto Sirch: Kommt, haltet das Mahl

Sonntag Quasimodogeniti - 1. Mai 2011

Johannes 21, 1-14

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

1. In dieser Nacht fingen sie nichts

„In dieser Nacht fingen sie nichts!“ Petrus und einige der Jünger waren nicht in Jerusalem geblieben wie die anderen Jünger, sondern zurück in ihre Heimat gegangen, an den See Tiberias. Dort gingen sie wieder ihrem Beruf als Fischer nach, nachdem die Geschichte mit Jesus vorüber war. Jesus gekreuzigt, gestorben, begraben. Petrus erinnert sich immer wieder daran, wie ihn die Frauen erschreckten. Sie hatten eigenartige Geschichten erzählt, dass das Grab leer sei und ihnen Jesus begegnet war. Schnell war er zum Grab gelaufen und welch ein Schreck: Es war leer. Warum, weshalb, wie konnte das sein – Jesus war doch tot, richtig tot. Die Gedanken drehten sich in seinem Kopf – er konnte nicht verstehen.

Aber Fische fangen, das konnte er noch, das war doch sein Beruf. Und dann das: Die ganze Nacht war er mit den anderen draußen auf dem See und sie hatten keinen einzigen Fisch gefangen. Es erinnerte ihn an damals, als ihm Jesus zum ersten Mal begegnet war. Da war er auch die ganze Nacht auf dem See und hatte nichts gefangen. Die Erinnerung daran schmerzte Petrus. Wenn Jesus jetzt hier wäre, dann könnte es wieder so sein wie damals, als sie, weil ER es gesagt hatte, am helllichten Tag nochmal hinausfuhren, obwohl jeder Fischer weiß: kein Fisch geht da ins Netz. Aber sie fingen so viele Fische, dass die Netze zerrissen. Ja, Jesus müsste da sein. Aber das ist vorbei. Endgültig vorbei – Jesus ist tot und sein Leichnam geklaut oder sonst was.

Hören wir die Geschichte, die unser Predigttext erzählt. Er steht bei Johannes im 21. Kapitel:

2. Text

Jesus offenbarte sich abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. 7 Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.
13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. 14 Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.


2. Habt ihr nichts zu essen?

„Habt ihr nichts zu essen?“ Seltsame Frage des Fremden, der am Ufer steht und sieht, dass sie nichts gefangen haben. Beiläufig und einsilbig ist ihre Antwort, ohne ihn weiter zu beachten: „Nein!“ Sie sind ohne einen einzigen Fisch zurückgekommen. Aber der Fremde lässt sich nicht beirren: „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden.“ Und es wiederholt sich, was Petrus schon einmal erlebt hat – damals: „Da warfen sie das Netz aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische“. Johannes, der Lieblingsjünger Jesu, begreift als erster was hier geschieht und wer der ist, den sie kaum beachtet hatten: „Es ist der Herr!“

3. Es ist der Herr

Liebe Schwestern und Brüder, auch heute ist uns Jesus oft ganz nahe und wir erkennen ihn nicht. Vielleicht sind wir auch zu beiläufig und in gewisser Weise einsilbig. Verwundert und erstaunt denken wir vielleicht an unseren Schutzengel, meinen „Glück gehabt“, können uns nicht erklären was geschehen ist und sprechen vom Zufall. Aber ER war da, er, der Herr!

Und er ist uns nahe in unserem Nächsten, der allein nicht mehr weiterkommt; Menschen an seiner Seite braucht, die sich seiner annehmen. „Es ist der Herr“, der sich erbarmt und nicht nur zuschaut. „Es ist der Herr“, der unsere Hände braucht als seine Hände, der unsere Liebe und unser Erbarmen braucht, als seine Liebe und sein Erbarmen. „Es ist der Herr“, der uns nahe kommt in einem Menschen, an dem wir nichts mehr menschliches und menschenwürdiges erkennen können. Menschen, vor denen wir uns ekeln, Menschen, die voller Bosheit und Gewalt sind, Menschen, betrunken, voller Gier, getrieben von Sucht, gefangen in ihrem Elend. „Es ist der Herr“, der uns in ihnen begegnet.

4. Das Netz reißt nicht, es hält

Als Petrus klar wird, dass es der Herr ist, den er verleugnet hat, ja geschworen hat, ihn nicht zu kennen, da hält ihn nichts mehr zurück. Er muss hin zu ihm – und zwar so schnell als möglich. Es brennt in seinem Herzen. Er zieht sein faltiges Obergewand an, das umgelegt und mit einem Gürtel zusammengehalten wurde, denn er wollte nicht mit nacktem Oberkörper vor seinen Herrn treten. Dann springt er ins Wasser, obwohl das Schiff schon fast das Land erreicht hatte und watet so schnell es geht ans Ufer zu Jesus. Dort, bei ihm, ist der Ort für sein schlechtes Gewissen, die Not seiner Seele.

Inzwischen ist auch das Boot mit den anderen Jüngern und dem Netz voller großer Fische an Land. Es waren 153. Sie hatten einen reichen Fang gemacht. Welch ein Überfluss, vielleicht aber auch Zeichen, dass noch viele Menschen zum Mahl erwartet werden. Johannes erzählt: „Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht“.

Es sind viele, die den von Jesus in die Welt hinausgesandten Jüngern glauben, durch ihr Wort, durch ihr Zeugnis, zum Glauben an Jesus kommen. Viele in aller Welt. Und diese Vielen zerren ganz schön am Netz des Glaubens, aber das Netz reißt nicht, es hält.

Manchmal machen wir uns Sorgen, ob das Netz des Glaubens an den Auferstandenen auch bei uns hier in Deutschland hält. Nicht einmal ein Drittel der bei uns lebenden Menschen nehmen den Auferstehungsglauben noch für sich in Anspruch. Er ist für viele bedeutungslos geworden und doch ist er das Zentrum unseres Glaubens: „Der Herr ist auferstanden! – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Das Netz reißt nicht, es hält.

Wir machen Erfahrungen von Ermüdung, schwindender Hoffnung, ausbleibenden Missionserfolgen, Streit über Konzepte und Kompetenzen, Entscheidungen für eine bestimmte Seite gegen eine andere u.ä. gehören ebenso zum gegenwärtigen Gemeindealltag, wie Erfahrungen unerwarteter Hilfe, mutmachender Herausforderungen, glaubensstärkender Vielfalt und ökumenischer Einigkeit.

Trotzdem, das Netz reißt nicht, es hält.

5. Kommt, haltet das Mahl – sie wussten, dass es der Herr war.

„Sie wussten, dass es der Herr war!“ „Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot.“ Jesus hatte das Mahl bereitet und aß mit ihnen Brot und Fische. Niemand hatte etwas dazugetan und geholfen. Sie wussten, dass es der Herr war, obwohl ihn niemand gefragt hatte. Die von den Jüngern gefangenen Fische waren nur die Zugabe.

Wie oft meinen wir, dass wir es schaffen müssen Gemeinde zu bauen. Ich weiß nicht, ob wir dabei nicht manchmal unserem Herrn kräftig ins Handwerk pfuschen, weil wir ihn nicht machen lassen. Weil wir vergessen haben, dass er es ist, der Gemeinde baut. „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ , hatte Jesus sehr ernst seinen Jüngern gesagt. Was wir können und tun ist nur Zugabe. Wir dürfen ihn machen lassen und hoffen und glauben, dass er es tut. Glaube wächst, weil Gott durch sein Wort zu uns spricht, weil er zu unserem Herzen und in unser Gewissen hineinspricht. Unsere Aufgabe ist: „Kommt, haltet das Mahl!“ Wir müssen nicht kochen. Jesus hat das Mahl zubereitet – er hat die Menschen zubereitet, dass sie glauben können. „Kommt haltet das Mahl!“ Dort ist zu finden, was der Mensch braucht: Vergebung seiner Schuld, Heilung seiner Gottesferne, Gottes Nähe und Freundlichkeit.

„Kommt haltet das Mahl!“ Wir tun das im Heiligen Abendmahl, das Jesus für uns bereitet hat. Wir tun das aber auch immer wieder, indem wir von Jesus erzählen und andere mit seinem lebendigen Wort stärken und seinem Glauben Nahrung geben, damit dieser wachsen kann und in Jesus festen Halt und Tiefe findet. Amen.