20130924

Martin Adel: Leben im fluss

22.09.2013
17. Sonntag nach Trinitatis - Kirchweihsonntag - Jubelkonfirmation
Wochenspruch: 1. Joh 5,4 Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
Predigt zu Joh 9,35-41

Liebe Gemeinde,
um den Predigttext verstehen zu können, müssen wir kurz die ganze Szenerie vor Augen halten, in der unser Predigtwort zur Sprache kommt.
Da ist einer blind geboren. Der Blindgeborene wird von Jesus angerührt und geheilt. Doch die Frommen und Pharisäer glauben dieses Wunder nicht. Sie befragen die Eltern, ob es wirklich ihr Sohn ist und ob er wirklich blind geboren war. Und zum Schluss, weil sie nichts finden, ereifern sie sich daran, dass Jesus am Sabbat geheilt hat.
Und weil sich der Geheilte trotz eindringlicher Befragung zu Jesus bekennt, wird er als bornierter Sünder ausgestoßen. An dieser Stelle setzt unser heutiger Predigttext ein:
35 Es kam vor Jesus, dass sie ihn (den Blindgeborenen) ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn?
36 Er antwortete und sprach: Herr, wer ist's?, dass ich an ihn glaube.
37 Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist's. 38 Er aber sprach: Herr, ich glaube, und betete ihn an.
39 Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. 40 Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn auch blind? 41 Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde.


Und dieses Wort zur Jubelkonfirmation. Als ob die Kirche nach 25, 50, 60, 70 Jahren immer noch nichts anderes zu verkünden hat.

Tja, liebe Jubelkonfirmanden: Wie ist das denn mit der Altersweisheit?
Gott sei Dank sortieren sich im Alter manche Dinge. Manche werden ruhiger. Ich bin impulsiver geworden. Aber manches ist mir auch klarer geworden.
Im Rückblick merkt man so manches: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Da habe ich Ideen, Hoffnungen und Träume umgeworfen oder aufgegeben. Dort sind neue dazu gekommen.
Im Innehalten merke ich: So geht es nicht mehr weiter. Da muss sich, da muss ich etwas verändern.
Viele scheuen sich vor so einer Zeit, einer Zeit der notwendigen Veränderungen. Wir drücken uns vor der Realität. Das geht schon noch. Das war schon immer so. Das passt schon … Das muss so bleiben.

Doch unser biblisches Ereignis spricht eine andere Sprache. Veränderung ist angesagt: Der Blinde wird sehend. UND! Die, die immer alles schon besser wissen und alles schon kennen, die stöbert Jesus auf. Sie meinen zu sehen, aber sie sehen nur das, was sie sehen wollen. Das ist so und das bleibt so. Nichts darf sich verändern. Und was dabei herauskommt ist Unbarmherzigkeit. Der Geheilte wird ausgestoßen. Doch Jesus spricht zu den bewährten Traditionshütern:
41 Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde.
…. Weil ihr es wissentlich tut – heißt das. Mit Absicht. Sie könnten es besser wissen, aber sie sind stur. DAS verurteilt Jesus an diesen Menschen, die sich doch so redlich um ein frommes und gottwohlgefälliges Leben mühen? Er verurteilt ihre Borniertheit und ihre Unbarmherzigkeit. Denn genau mit dieser Hartherzigkeit werden sie später Christus verurteilen, weil das Unmögliche nicht möglich sein darf.
Ein Mensch kann nicht Gottes Sohn sein und Tote können nicht auferstehen. Blind ist blind. ODER es steckt irgendwie ein Packt mit dem Teufel dahinter.
Keine Veränderung! Denn Veränderung bringt Unsicherheit. Veränderung ist unbequem. Veränderung ist ungerecht. Veränderung macht Angst.

Viele Silberkonfirmanden finden den Weg in die Kirche am Tag ihrer Jubelkonfirmation nicht nur aus Zeitgründen, sondern aus Enttäuschung oder aus Scham, weil sich ihr Leben ganz anders entwickelt hat, als sie sich vielleicht gewünscht oder erhofft hatten. Träume sind zerplatzt und das Leben wird als hart und ungerecht erlebt oder die Kirche als rückständig und veraltet.
„Wir wissen, wie das Leben tickt. Ihr habt ja keine Ahnung!“
Doch das haben die Pharisäer auch gesagt. Sie hatten ein klares Bild, das keinen Platz lies für das Wunder des Sehens.
Und nun kommt dieser Mensch aus Nazareth. Und über seinem Handeln klingt der alter Ruf des Täufers Johannes bis zu uns herüber: Tut Buße und kehrt um und glaubt an das Evangelium.
Denn das Evangelium macht wahrhaftig und öffnet das Herz zur Vergebung und zur Liebe. Und unser Leben bleibt im Fluss.

Der einzige, der in unserem Predigttext die Veränderung zulässt ist der Blindgeborene. Er wird sehend und dafür von den anderen ausgestoßen.
Und so ist das oft, wenn sich bei uns Veränderungen anbahnen. Unverständnis macht sich breit oder Vorwürfe:
Jetzt, auf deine alten Tage brauchst du auch nicht mehr fromm werden. Jetzt brauchst du auch nicht mehr damit ankommen. Die Verletzungen sitzen zu tief und die Angst ist groß, dass uns etwas heimgezahlt werden könnte. Und wir antworten: Ich hab mir nichts vorzuwerfen.
Doch das alles interessiert nicht. Der Blindgeborene wird gefragt von Jesus: Glaubst du an den Menschensohn?
Denn das heißt: Glaubst du, dass sich dein Blick noch verändern kann? Glaubst du, dass du zu einer Weisheit gelangen kannst, in der sich ein tiefer Friede in dir ausbreitet? Ein Blick auf das Leben, ein Blick auf dein Leben, der dich aus mancher Verhärtung befreit und dich versöhnt mit deinem Leben? Glaubst du, dass das noch möglich ist? Und er sagt: Ja.
Deshalb fordert Jesus zu dieser Blickveränderung auf. Weil das Blinde in uns dadurch sehend wird.
Passt schon, ist manchmal einfach zu wenig. Die Väter, die in ihrer vermeintlichen Erziehungshärte keinen neuen Weg zu ihren Söhnen finden. Die Mütter, die das falsche Wort zur falschen Zeit nicht überwinden können und keinen neuen Anfang wagen.
Zerbrochenes verfolgt einen manchmal ein Leben lang.
Auch, wenn man es nicht mehr reparieren kann, kann Friede in uns darüber werden, indem wir uns ansprechen lassen, wie der Blinde. Und wir sagen: Ja.
Wir müssen nicht fromm werden im Alter, aber wir dürfen immer wieder lernen und begreifen, dass das JA GOTTES von damals über meinem Kopf etwas mit dem JA von heute zu tun hat – mit der grünen Aue und dem finsteren Tal, doch DEIN Stecken und Stab trösten mich.
So brüchig mein JA auch sein mag, mit diesem JA kommen wir weiter, weil wir dann neu erkunden können, welche Bedeutung mein Leben hat und welche Aufgabe ich habe und was ich noch verändern kann. Was für ein Geschenk. Bis auf den heutigen Tag.
Zurückdrehen kann man nichts. Aber man kann sich vergeben lassen und dann neu beginnen. Immer.
Gott ist so umfassend groß, dass wir gerade auch dort, wo nur noch die Lebensversicherung auf uns wartet und die Erben die Hand aufhalten, dass dort Gott zu uns sagen will: Herzlich willkommen. Und WIR leben. Was für Vorgeschmack bereits auf das ewige Leben. Amen