20110728

Werner Otto Sirch: Ihr seid ...

31.7.2011 - 6.Sonntag nach Trinitatis

Predigt 5. Mose 7,6-12

6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. 7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -, 8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. 9 So sollst du nun wissen, daß der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, 10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen. 11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, daß du danach tust. 12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat.

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,


Botschaften

in diesen Tagen bekomme ich nicht aus dem Kopf, was an dem schwarzen Freitag vor einer Woche in Oslo geschehen ist. Anders Breivik, ein rechtsradikaler, religiöser Fundamentalist, der zuerst im Osloer Regierungsviertel bombt und dabei sieben Menschen tötet, anschließend auf der Ferieninsel Utøya gnadenlos ein Blutbad anrichtet und dabei 69 Menschen, meist Jugendliche, mit sichtbarer Freude erschießt. Sein zynischer Kommentar dazu: „brutal aber es musste sein“. „Brutal, aber es musste sein“, das ist die Botschaft eines Mannes, der sich keiner Schuld bewusst scheint, der nach eigenen Angaben, angeblich nichts anderes wollte als sein Volk und Europa gegen den Islam zu verteidigen.

Ganz anders heute die Botschaft unseres Gottes an uns: „Du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR , dein Gott erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ Welch ein Kontrast!

Du bist eine heiliges Volk, so spricht Gott zu seinem Volk. Das ist die Sprache Gottes: Israel, sein Volk, ein heiliges Volk. Heilig ist was Gott gehört. Israel gehört Gott. Und wir, die Christen, wem gehören wir? Wie spricht Gott über uns?

Erwählt

Vorhin haben wir im Glaubensbekenntnis bekannt: Ich glaube an die heilige, christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen ... Wer sind die Heiligen, an die wir glauben? Wer sind diese besonderen Menschen, von denen wir bekennen, dass sie Heilige sind?

Heilig ist, was Gott gehört. Israel gehört Gott, es ist sein Volk, von ihm erwählt und damit ein heiliges Volk.

Liebe Gemeinde, Gott hat auch uns erwählt. Er hat durch Christus seinen Gnadenbund mit uns aufgerichtet. In der Taufe hat er mit uns einen Bund geschlossen, den Taufbund, den Gnaden-bund. Durch die Taufe auf den dreieinigen Gott gehören wir zum Volk Gottes, zur Gemeinschaft der Heiligen. Wenn ich von der Kanzel nach unten sehe, dann sehe ich Heilige sitzen, alles Menschen die zu Gott gehören. Hier sitzen Menschen, die durch ihre Taufe Gottes Kind geworden sind, ihm gehören, denen Gott zum Vater geworden ist.

Gottes Volk ist ein heiliges Volk, das Volk, das er erwählt hat. Durch Christus hat Gott auch uns zu seinem Volk erwählt. Wir haben uns das nicht verdient. Es ist Gott, der uns dazu berufen hat Teil seines heiligen Volkes zu sein.

Leid an Israel

Israel, das als Volk zum Eigentum Gottes berufen ist, wurde durch Christen, die sich als Erben des Volk Gottes verstehen, viel Leid angetan. Denn diese „Erben“ meinen, aus ihrer Gotteskind-schaft das Recht ableiten zu können, als die wahren Erben des Reiches Gottes, Israel zu verfolgen und ihm böses zu tun. Der Holocaust ist das schrecklichste Beispiel solch christlicher Vermessenheit. Israel ist und bleibt das erwählte Volk Gottes. Wir Christen sind ein eingepfropfter Ast im Stamm des Volkes Gottes und gehören deshalb dazu. Es ist Irrtum zu meinen, dass Israel durch die Ablehnung des Christus seine Erwählung verloren hat, welche dadurch auf das Volk der Christen übergegangen ist. Wie gesagt ein schlimmer Irrtum, der Israel schon viel Leid zugefügt hat.

Erwählung als Verpflichtung

Dass Gott uns als seine Kinder erwählt hat, ist Gottes Liebestat. Gott zeigt uns damit seine Liebe und seine Zuwendung. Diese Erwählung ist aber zugleich auch Verpflichtung. Gott ver-pflichtet sich seinen Bund mit uns unverbrüchlich zu halten. Sein Vaterherz ist nicht so wankelmütig wie unser Herz. Seine Liebe zu uns gilt für alle Zeit. Diese Verpflichtung, die Gott aus Liebe zu uns eingeht, verlangt Antwort. Unsere Antwort auf diese Liebestat Gottes kann wiederum nur Liebe sein. Liebe zu ihm, zu Gott, und Liebe zu den Menschen. Aber auch unsere Verpflichtung zum Halten der Gebote und die Verpflichtung, sich um unsere Beziehung zu Gott zu kümmern. Den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, seinen eigenen Weg gehen und seine Gebote zu ignorieren, ist nicht der Weg, der Gottes Erwählung und die daraus erwachsende Verpflichtung ernst nimmt.

Und noch was: Erwählung kann nicht Anlass zur Überheblichkeit sein. Wir brauchen nicht meinen, dass wir, als die Erwählten und Heiligen Gottes, etwas besseres sind. Gott hat das erwählt was arm und elend ist, nicht sie Stolzen und Hochmütigen. Es ist nicht unsere Aufgabe anderen den rechten und richtigen Glauben abzusprechen. So wie es auch kein Weg ist, im religiösen Fanatismus andere umzubringen, weil wir meinen eine Beleidigung Gottes rächen zu müssen, oder wie in Oslo geschehen, unser Land gegen Andersgläubige mit dem Schießeisen und einem Massenmord verteidigen zu wollen.

Unsere Verpflichtung als Gottes Kinder weist uns auf das, was arm und elend ist. Unsere Liebe zu ihnen ist der Zeigefinger, der auf unseren Gott hinweist. Liebe und Barmherzigkeit ist das erste und letzte Wort unseres Gottes.

Das haben die Menschen in Oslo und in ganz Norwegen begriffen: Das Zusammenstehen der Menschen, die Nähe zu einander, die oft genug in ein gemeinsames Gebet mündet, das ist die heilende Kraft, in solch schrecklicher Stunde und den darauffolgenden Tagen und Wochen der Trauer. 100.000 Menschen sind mit Rosen in Händen zusammengekommen um gemeinsam zu weinen und zu trauern um ihre Lieben. Sie haben sich Nähe und die Gemeinschaft der Trauernden geschenkt. Durch diese Gemeinschaft wissen sich die Menschen verbunden in ihrem Volk, im Streben nach Freiheit und Demokratie und gegen Hass und Rache.

Gottes Volk hat die Kraft in solch unverständlichen und nicht begreifbaren Ereignissen anders reagieren als mit Hass und Rache. Der Hass vergiftet die Seele und Rache schafft nur neue Tränen, die nie enden, weil Rache nach Rache ruft.

Gottes Berufung

Gott hat uns nicht nur zu seinem heiligen Volk berufen, sondern auch dazu, dass wir unseren Feind lieben. Die Rache dürfen wir IHM überlassen. Das oft falsch verstandene "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ist keine Aufforderung, die Dinge in die Hand zu nehmen und dem Täter das Gleiche zu tun. Es ist eine Begrenzung, die uns Jesus mit deutlichen Worten auslegt: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist (2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen« damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“

Noch ist in Norwegen nicht die Zeit des Vergebens. Jetzt ist die Zeit des Trauerns, Zeit der Wut auf den „Verrückten“ und auf Gott, der so etwas zugelassen hat. Es ist die Zeit um zu versuchen zu verstehen, was nicht verstanden werden kann.

Die Zeit zur Vergebung wird kommen. Es wird ein harter Weg sein, ein Weg mit vielen Tränen. Der Glaube, dass Gott seinen Weg auch mit christlichen Fundamentalisten, Rechtsradikalen und Massenmördern geht, wird stark machen. Das Wissen, dass er auch mit solchen Menschen zum Ziel kommt, kann ihm die Rache überlassen.

Wenn Anders Breivik aufwacht

Ich mache mir Gedanken was sein wird, wenn Anders Breivik aus seinem Wahn aufwacht und zu begreifen beginnt, was er an jenem für Norwegen so schwarzen Freitag angerichtet hat. Was wird sein, wenn er sich seiner Schuld bewusst wird? Wenn ihm bewusst wird, dass er das nicht mehr wiedergutmachen kann. Dann wird er Menschen brauchen, die ihm zur Seite sind, damit ihn das nicht umbringt, was er so vielen anderen angetan hat. Er wird die Liebe Gottes brauchen, um wie Kain weiterleben zu können.

Liebe und Barmherzigkeit ist das erste und das letzte Wort Gottes. Amen.

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