20130623

Martin Adel: Evangelium gegen die Leistungsreligion

Röm 3,21-28 Reformationsfest 2010
St. Paul Fürth

Wochenspurch: 1 Kor 3,11
Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus

1. Predigttext (Zürcher)

21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, 24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.


Liebe Gemeinde,

wir Theologen verhandeln diesen Text unter der zentralen Botschaft der Rechtfertigungslehre. Der Mensch, gerechtfertigt vor Gott allein aus Gnade. Und Luther hat daraus die Kraft gezogen, um sich gegen die ganze, damalige Kirche zu stellen.
Aber was heißt dieses Wort heute? Was bedeutet es für uns?
Lassen sie mich einen Auslegungsversuch machen.

Wir wissen alle, wie das Leben läuft.
Wer etwas leistet, bekommt auch seinen Lohn. Wer sich anstrengt, der hat auch Erfolg. Und wer Erfolg hat und Lohn, der gehört dazu, denn er kann sich etwas leisten. Und wer sich etwas leisten kann, der hat auch Ansehen. Und wer Anstehen hat, der geht aufgerichteter, aufrechter durchs Leben. Er versteckt sich nicht, sondern hat Selbstbewusstsein. „Ich muss mir nicht alles gefallen lassen, schließlich bin ich auch wer!“

Und wir, wir wissen alle, ein Hauptproblem von Arbeitslosigkeit ist, dass das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen einen Knacks bekommt. Nicht im Sprücheklopfen oder Dumm daher reden, das wird meistens mehr, je mehr jemand unter dem erdrückenden Zustand leidet. Andere verfallen ins Schweigen, weil sie ja eh nichts mehr zu sagen haben.
Das innere, mich stabilisierende Korsett kommt ins Wanken und droht zu zerbrechen. Wer bin ich? Was bin ich dann noch? Was bin ich wert?
Eine Konfirmandin schrieb einmal bei der Konfirmandenanmeldung beim Beruf ihrer Eltern: Arbeitslos. Beide Elternteile hatten einen gelernten Beruf, das wusste ich, doch hier drängte sich in den Vordergrund, was das Leben dieser Familie so gewaltige bestimmte: arbeitslos.
Und Väter verlieren ihr Gesicht vor ihren Frauen, vor ihren Kindern – oder meinen es zumindest.
Und sie können sich vorstellen, wie das Mädchen aufblühte, als der Vater endlich wieder Arbeit gefunden hatte.

Wenn unsere Jugend 30, 40 Bewerbungen schreiben muss und genauso viele Absagen bekommt, dann macht das mich wütend, weil ihnen jeder nur beigebracht hat, du musst fleißig sein und du musst dich bewerben, bewerben und wir haben ihnen oftmals kein Handwerkszeug mitgegeben, wie sie mit den Ablehnungen und Enttäuschungen zu Recht kommen können.

Wir nennen das Leistungsgesellschaft. Eigentlich müsste es heißen: Hochleistungsgesellschaft. Immer volle Konzentration und immer maximale Leistung.
Und unter diesem Alltag, verändert sich unser inneres Ich. Die Bereitschaft zum Nachgeben, zum Verständnis, zur Großzügigkeit, zur Geduld entschwindet uns. Einer wird dem anderen zum Konkurrenten. 3-2-1-meins. Pech gehabt. Glück gehabt. „Bitte nach ihnen“ – kennen wir nicht mehr.

Natürlich bin ich auch ein guter Deutscher. Ich bin auch leistungsorientiert und bringe mein Können voll in meinem Beruf ein. Auch noch bis spät in die Nacht. Und es ist ja auch gut, dass wir fleißig und ordentlich und gewissenhaft arbeiten. Aber müssen wir deshalb schon rücksichtslos, gnadenlos und unbarmherzig werden, in unserem Denken, in unserem Reden, in unserem Tun?
Wenn diese Haltung uns zur alles bestimmenden inneren Überzeugung, ja sogar uns zur Religion wird, dann sind wir auf dem falschen Weg. Weil auf dem Altar der Leistungsgesellschaft und des Leistungsglaubens der Mensch und die Menschlichkeit auf der Strecke bleiben.
„Warum sollte es denen besser gehen, als uns damals“ – sagte mir einmal ein altes Ehepaar Heimatvertriebener. Wir mussten 1945 auch auf Stroh schlafen, da können die Asylbewerber heute auch auf Stroh schlafen.
Im Alten Testament heißt das: Auge um Auge. Zahn um Zahn.
Drei Sätze später erzählten sie mir dann, dass sie sich alle drei Jahre eine neue Couch gönnen – und geben mir am Ende 5 Euro mit für die Armen in der Gemeinde.

Wir spüren gar nicht mehr, wie wir, die wir oft nicht unerheblich unter dem permanenten Leistungsdruck leiden, selbst dann Täter dieser Leistungsreligion geworden sind, verachtend und verletzend gegenüber meinem Nächsten. Und die Abfälligkeiten, mit denen wir über den anderen Urteilen, verkehren sich sehr schnell gegen einen selbst, wenn man einmal nicht mehr zu den Gewinnern, zu den Leistungsträgern, zu den Gesunden und Gebrauchten gehört und selbst geopfert werden auf dem Altar der Hochleistungsreligion.

Doch Gott stellt sich in Jesus Christus gegen dieses gnadenlose und unbarmherzige Verhalten. Im Leistungsglauben wird der Mensch verheizt. Er hat nur noch seinen Wert und seine Würde, wenn er etwas bringt. Wenn er etwas leistet – dann gehört er dazu. Und dagegen spricht Gott sein Nein.
Und deshalb heißt es in unserem Predigttext:
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt – allein - durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.
In einem solchen Glauben bin ich etwas wert, auch wenn mir andere permanent sagen oder mir zeigen, dass ich nicht dazu gehöre – und ich es womöglich selbst schon zu glauben anfange.
In einem solchen Glauben müssen nicht mehr nur wir für die Hartz IV – Empfänger vor der Lorenzkirche stehen, sondern die, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, stehen selber dafür ein, weil sie sich nicht mehr verstecken müssen, ängstlich wartend, dass sie bei der nächsten Bewerbung sofort k.o. zu Boden gehen, wenn es da heißt: Sie waren ja schon einmal im Gefängnis. Mit diesen Zähnen können wir sie nicht gebrauchen. Da ist eine Lücke in ihrem Lebenslauf. Bei ihrem Alter und ihrer gesundheitlichen Vorgeschichte können wir uns nicht erlauben …
In unserem Predigtwort heißt es:
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
In einem solchen Glauben müssen wir nicht mehr mundtot werden, reduziert auf meine Schwächen, auf meine Fehler, auf meine Vorgeschichte, auf mein Alter.
Die 30igste Bewerbung schlägt mir dann zwar immer noch gewaltig auf´s Gemüt, aber ich erlaube der Absage nicht mehr, dass sie meine ganze Person, mein ganzes Denken und Fühlen bestimmt und mich erdrückt.
Die Psychologie ist das eine. Und die Freunde, die Familie, die zu mir Halten, sind ebenfalls unbezahlbar wertvoll.
Aber das ist zu wenig, wenn die Selbstzweifel über mich herein brechen. Dann braucht es ein noch mächtigeres Wort, das alle diese Zweifel niederringt. Dann braucht es den festen Glauben und die Gewissheit, dass dieses Wort gilt, unausweichlich gilt … und werde ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

Dadurch ist noch kein Cent mehr in meinem Geldbeutel und meine Vorgeschichte bleibt meine Vorgeschichte, aber innerlich wächst in mir eine Haltung heran, die mich wieder aufrichtet und ausrichtet und ich muss mich nicht mehr abseits fühlen, sondern ich gehöre vollwertig und gleichwertig dazu – allein aus Glaube.
Das ist das Evangelium, wenn es zum Schluss heißt:
Gott hat Jesus Christus für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht – und aufrichtet - den, der da lebt aus dem Glauben – nicht an sich selbst, sondern - an Jesus.
Amen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen