20130805

Martin Adel: Wer ist schuld?

21.07.2013 - 8. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext Johannes 9,1-7


Liebe Gemeinde.
Die Begegnung mit Gottes Wort ist immer Menschenschulung. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass sich Jesus gerade mit denen auseinandersetzt, die mit dem Wort Gottes schon fertig sind und immer schon wissen, was sein kann und was nicht sein darf.
So steht es im Johannesevangelium, im 9. Kapitel. Ich verwende die Übersetzung der guten Nachricht. Joh 9,1-2
1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?
Eine typische Frage: Wer ist schuld? Wer hat hier gesündigt? Ist das nicht furchtbar. Es klingt so selbstverständlich, diese Frage. Da muss doch einer schuld sein. Wer hat gesündigt – er oder seine Eltern?
Wir kennen diese Frage auch umgekehrt: Warum gerade ich? Ich habe doch immer alles befolgt. Warum gerade der, der war doch so ein guter Mensch.
Da geht es auch um Schuld.
Aber was bringt dieses Fragen?
Wären wir ein Stück weiter, wenn Jesus sagen würde: Der Blinde hat gesündigt oder seine Eltern, und darum muss er für immer blind bleiben und sein Brot durch Betteln verdienen. Es geschieht ihm doch Recht. Und ich bin aus der Schuld, ihm zu helfen. Geht es darum?
Welch ein bitterer Zynismus, mit dem wir immer wieder das Leben einteilen und zuteilen wollen. Und hoffentlich geschieht uns nicht einmal Recht und wir werden nach diesem Maßstab gemessen und keiner ist da, der mich als Mensch sieht, sondern nur als Sünder und achtlos an mir vorbeigeht.

Joh 9,3-5
3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. 4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.
Jesus spricht hier nicht vom Glauben und auch nicht von der Schuld, sondern er spricht von Gott. Von Gottes Macht und von den Taten Gottes. Der andere ist kein Ding, irgendetwas, reduziert auf seine Schuld, sondern ein Mensch, ein Geschöpft Gottes und darum kommt er in den Blick. Den Sünder kann ich wegschieben, den Menschen nehme ich war. Und er wird mir zum Auftrag und zur Aufgabe: „Solange es Tag ist, müssen wir die Taten Gottes vollbringen“ heißt es in der guten Nachricht. Christus ist das Licht der Welt, und darum ist es unsere Aufgabe, von diesem Licht zu erzählen, das seinen Platz dort hat, wo der Blinde leidet; und zwar nicht so sehr an seinem Blindsein, sondern an seiner Ausgrenzung und Aburteilung.

Und weiter heißt es hier: Joh 9,6-7
6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden.
7 Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Wir wollen uns nicht länger bei diesem Wunder aufhalten – bei dem manche fromme Geister sogar noch meinen, wenn sie es „nachspielen“, könnte Blinden geholfen werden. Der Blinde kann wieder sehen. Das ist das Entscheidende. Er ist gesund. Er ist geheilt. Gott sei Lob und Dank dafür.
Aber was wir nun weiter hören sind die menschlichen Untiefen, in die uns Johannes hineinführt. Wie mit dem Skalpell trennt er es uns heraus – seht, so ist der Mensch: So bist Du! So bin ich! Und hoffentlich erschrecken wir.

Nun kommen die Nachbarn und die Leute: Joh 9,8-14
8 Die Nachbarn nun und die, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sprachen: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? 9 Einige sprachen: Er ist's; andere: Nein, aber er ist ihm ähnlich. Er selbst aber sprach: Ich bin's. 10 Da fragten sie ihn: Wie sind deine Augen aufgetan worden? 11 Er antwortete: Der Mensch, der Jesus heißt, machte einen Brei und strich ihn auf meine Augen und sprach: Geh zum Teich Siloah und wasche dich! Ich ging hin und wusch mich und wurde sehend. 12 Da fragten sie ihn: Wo ist er? Er antwortete: Ich weiß es nicht.
13 Da führten sie ihn, der vorher blind gewesen war, zu den Pharisäern. 14 Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Brei machte und seine Augen öffnete.
Freut sich hier jemand, dass er wieder sehen kann? Nein! Es wird gezweifelt: Ob man denn seinen Augen trauen darf. Es wird genau erforscht, ob es denn auch mit rechten Dingen zugegangen ist. Da muss doch ein Haar in der Suppe sein. Das ist alles suspekt, das müssen die Fachleute entscheiden.
Und schon geht es weiter. Und sehen wir genau hin – hier spielt sich immer wieder auch unsere Geschichte ab: Joh 9,15-23
15 Da fragten ihn auch die Pharisäer, wie er sehend geworden wäre. Er aber sprach zu ihnen: Einen Brei legte er mir auf die Augen, und ich wusch mich und bin nun sehend.
16 Da sprachen einige der Pharisäer: Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sprachen: Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun? Und es entstand Zwietracht unter ihnen. 17 Da sprachen sie wieder zu dem Blinden: Was sagst du von ihm, dass er deine Augen aufgetan hat? Er aber sprach: Er ist ein Prophet.
18 Nun glaubten die Juden nicht von ihm, dass er blind gewesen und sehend geworden war, bis sie die Eltern dessen riefen, der sehend geworden war, 19 und sie fragten sie und sprachen: Ist das euer Sohn, von dem ihr sagt, er sei blind geboren? Wieso ist er nun sehend? 20 Seine Eltern antworteten ihnen und sprachen: Wir wissen, dass dieser unser Sohn ist und dass er blind geboren ist. 21 Aber wieso er nun sehend ist, wissen wir nicht, und wer ihm seine Augen aufgetan hat, wissen wir auch nicht. Fragt ihn, er ist alt genug; lasst ihn für sich selbst reden.
22 Das sagten seine Eltern, denn sie fürchteten sich vor den Juden. Denn die Juden hatten sich schon geeinigt: wenn jemand ihn als den Christus bekenne, der solle aus der Synagoge ausgestoßen werden. 23 Darum sprachen seine Eltern: Er ist alt genug, fragt ihn selbst.

Und noch einmal: Wird da Gott gelobt?
Mißtrauen, Angst und Unentschiedenheit. Das kann nicht sein. Da muss irgendwo Schuld sein. Das war schon immer so. Wir haben die Bibel studiert. Wir wissen es. Schlimm, wenn Glaube Angst macht und sich der andere nichts mehr sagen traut.
Der einzige, der hier frei herausspricht, ist der Schwächste, der Kranke, der Blinde. Der, der geheilt ist: Joh 9,24-33
24 Da riefen sie noch einmal den Menschen, der blind gewesen war, und sprachen zu ihm: Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist. 25 Er antwortete: Ist er ein Sünder? Das weiß ich nicht; eins aber weiß ich: dass ich blind war und bin nun sehend. 26 Da fragten sie ihn: Was hat er mit dir getan? Wie hat er deine Augen aufgetan? 27 Er antwortete ihnen: Ich habe es euch schon gesagt und ihr habt's nicht gehört! Was wollt ihr's abermals hören? Wollt ihr auch seine Jünger werden? 28 Da schmähten sie ihn und sprachen: Du bist sein Jünger; wir aber sind Moses Jünger. 29 Wir wissen, dass Gott mit Mose geredet hat; woher aber dieser ist, wissen wir nicht.
30 Der Mensch antwortete und sprach zu ihnen: Das ist verwunderlich, dass ihr nicht wisst, woher er ist, und er hat meine Augen aufgetan. 31 Wir wissen, dass Gott die Sünder nicht erhört; sondern den, der gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den erhört er. 32 Von Anbeginn der Welt an hat man nicht gehört, dass jemand einem Blindgeborenen die Augen aufgetan habe. 33 Wäre dieser nicht von Gott, er könnte nichts tun.


Vielleicht haben wir es schon geahnt. Den am Schluss steht das, was eigentlich schon vorher klar war: Joh 9,34
34 Sie antworteten und sprachen zu ihm: Du bist ganz in Sünden geboren und lehrst uns? Und sie stießen ihn hinaus.

Warum ist der Mensch so? Warum neigen wir zu so einem Verhalten? Da geschieht etwas wunderbares, und anstatt Freude entsteht Mißtrauen und Mißgunst und Angst. Und es wird solange herumgezerrt, bis wir das wissen, was wir schon vorher wußten. Joh 9,34 „Du bist ja schon von deiner Geburt her ein ausgemachter Sünder, und dann willst du uns belehren?“ Und sie warfen ihn hinaus.

Sind wir wirklich so blind, dass wir in unserer Verbohrtheit nicht mehr wahrnehmen, wo Gott am Werk ist. Welche fromme Anmaßung, Gott vorzuschreiben, wo und wann und wie er sich zu zeigen hat und wo nicht.
Muss sich Gott an unsere Regeln halten oder haben nicht wir von ihm den eigentlichen Rahmen, nämlich seine Ordnungen gesetzt bekommen?
Wer sitzt da im Regiment?

Und Jesus setzt sich dagegen, wenn hier steht: Joh 9,35-41
35 Es kam vor Jesus, dass sie ihn ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn? 36 Er antwortete und sprach: Herr, wer ist's?, dass ich an ihn glaube. 37 Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist's. 38 Er aber sprach: Herr, ich glaube, und betete ihn an.
39 Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. 40 Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn auch blind? 41 Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde.

Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir uns über die Zuteilungen von Schuld und Sünde die Welt und den anderen und uns selbst zurecht erklären wollen. In Schafe und Böcke teilt Gott auf, nicht wir. Und wo wir einst stehen werden, werden wir dann sehen.
Doch solange es noch nicht soweit ist, haben wir noch eine Chance und einen ganz anderen Auftrag: Auch wir müssen die Taten Gottes vollbringen, solange es Tag ist … und damit Gott loben und preisen.
Und das bedeutet:
Der Blinde wird mir zum Nächsten und mir zur Aufgabe. Die Not des anderen geht mich etwas an. Und ich werde mich mitfreuen, wo ein Mensch gesund wird und ich werde mitleiden, wo ein Mensch leidet, selbst dann, wenn er es selbst verschuldet hat.
Unser Auftrag ist nicht die Rache, denn die macht blind. Unser Auftrag ist die Liebe, weil Gott die Liebe ist und Christus das Licht der Welt. Er ist unser Licht und darum stehen wir in seinem Licht. Und darum kann Paulus an die Gemeinde in Ephesus schreiben: Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Amen.


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