20130805

Martin Adel: Welche Beziehung haben wir zum Judentum

04.04.2013 - 10. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext: 4,19-26


Wochenspruch: Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat.

Liebe Gemeinde,
mit dem heutigen Predigttext in Verbindung mit den Worten aus dem Römerbrief wollen wir uns einem Thema nähern, das für uns Christen und noch dazu als Deutsche kein leichtes ist.
Die Frage: Welche Beziehung haben wir zum Judentum.

1. Vorwort
Dass wir Deutschen eine gestörte Beziehung zum Judentum haben, das muss ich nicht näher erwähnen. Nach dem Holocaust mit seiner widermenschlichen Ausrottungssystematik fällt eine normale Begegnung schwer. Das bunte jüdische Leben ist aus unserem Alltag fast komplett verschwunden und die Öffentlichkeit wird dann plötzlich über die scheinheilige Beschneidungsfrage in zwei Lager gespalten unter der Frage: Ob das Judentum und der Islam nicht doch grausam und kinderfeindlich sind. Dass in unserem Land jährlich über 100.000 Kinder abgetrieben werden und ungeborenen behinderten Kinder fast systematisch das nicht Lebensrecht verweigert wird – betrachten wir als Akt der Freiheit und der Selbstbestimmung.
Aber das ist ein anderes Thema.
Mit dem Judentum haben wir so gut wie keine Berührungspunkte. Wir kennen vielleicht noch ein paar Rabiner- oder Judenwitze, wollen endlich mal die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und leiden vielleicht noch an dem anscheinend unlösbaren Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser im Land Israel, dem Existenzkampf zweier Völker um ihren Ort und ihre Heimat.

Der Film: „Wir weigern uns Feinde zu sein“ ist dabei sehenswert, auch wenn er von einer gewissen Parteilichkeit geprägt ist. Doch er zeigt gute Wege zum Verstehen und zur Versöhnung auf.

Wenn wir im Glauben auf das Judentum sehen, dann sollten wir die Politik außen vorlassen. Und wenn wir uns von Christus ansprechen lassen, dann wird uns das zu einem verstehenden und versöhnlichen Umgang, vielleicht sogar mit zu einem familiären Umgang mit dem Judentum führen in christlicher Freiheit.

2. Das Heil ist von den Juden
Es ist kein Zufall, dass Christus Jude ist. Dem Volk Israel ist die Verheißung für den Messias gegeben. Und deshalb kommt er als Messias für das Volk Israel - Gottes Volk. Und er ist dabei die Verheißung des Heils für die ganze Welt. Und hier wird sie geboren. Diese Verheißung. In Bethlehem. In Jesus von Nazareth, dem Christus. Und deshalb sind wir in tiefer Weise mit dem Judentum verbunden, auch wenn uns das oft schwer fällt. Und im Blick auf die Geschichte haben sich die Christen im Umgang mit den Juden nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Paulus schreibt: Wir sind hineingepfropft auf den Stamm und in die Wurzel, die schon vor uns bestand.
Röm 11,16-24 (Gute Nachricht)
Das Bild vom Ölbaum – eine Warnung an Christen
16 Wenn das erste Brot von der neuen Ernte Gott geweiht worden ist, gilt alles Brot von dieser Ernte als geweiht. Wenn die Wurzeln des Baumes Gott geweiht sind, sind es auch die Zweige. 17 Nun sind einige Zweige an dem edlen Ölbaum ausgebrochen worden, und unter die übrigen wurdet ihr als neue Zweige eingepfropft. Obwohl ihr von einem wilden Ölbaum stammt, habt ihr jetzt Anteil an den guten Säften des edlen Ölbaums. 18 Darum überhebt euch nicht über die Zweige, die ausgebrochen wurden. Ihr habt keinen Grund, euch etwas einzubilden! Nicht ihr tragt die Wurzel, sondern die Wurzel trägt euch.
19 Ihr werdet vielleicht sagen: »Die Zweige sind ausgebrochen worden, um uns Platz zu machen!« 20 Gewiss, aber sie wurden ausgebrochen, weil sie nicht glaubten. Und ihr gehört nur dazu, weil ihr glaubt – und wenn ihr im Glauben beharrt. Seid also nicht überheblich, sondern bedenkt, mit wem ihr es zu tun habt! 21 Wenn Gott schon die Juden nicht verschont hat, obwohl sie die natürlichen Zweige sind, dann wird er euch bestimmt nicht verschonen.
22 Ihr seht hier die Güte und zugleich die Strenge Gottes. Streng ist er zu denen, die sich von ihm abwenden. Gütig ist er zu euch – wenn ihr euch nur bewusst bleibt, dass ihr allein von seiner Güte lebt; sonst werdet ihr auch ausgehauen. 23 Aber auch die Juden werden wieder eingepfropft, wenn sie die Einladung zum Glauben nicht länger abweisen. Gott hat sehr wohl die Macht dazu. 24 Er hat euch als Zweige eines wilden Ölbaums ganz gegen die natürliche Ordnung in den edlen Ölbaum eingepfropft. Dann kann er erst recht die Juden als die natürlichen Zweige wieder in ihren eigenen Baum einpfropfen.


Natürlich deuten wir das Alte Testament anders und Gott ist für uns nur als dreieiniger-Gott vorzustellen. Aber es war Gottes Wille und er hat sich dabei etwas gedacht, sich aus dem Judentum heraus zu zeigen und sich über die Grundlage der Thora verstehbar zu machen. Als Messias für Israel tritt Jesus ins Leben, auch wenn er nur von wenigen Juden erkannt wurde. Doch die Männer und Frauen um ihn waren Menschen jüdischen Glaubens. Und von ihrem jüdischen Glauben her, haben sie Jesus als Messias, als den Christus erkannt und bekannt. Sie verstehen und begreifen, was Gott im Alten Testament verheißen hat und sehen nun die Erfüllung dieser Verheißungen: „Frieden und Gerechtigkeit. Die Besiegung von Krankheit und Tod. Nicht für alle, aber sichtbar, punktuell schon gelebt und erlebt. Aller Gewalt und Vernichtung zum Trotz.“
Die Liebe Gottes spüren sie, die sie aufrichtet und ausrichtet und sie zu Zeugen macht vom bereits angebrochenen Reich Gottes für die kommende Welt. Dass sich daraus ihre Haltungen, ihre Lebensgebräuche, ihre religiösen Traditionen, ihre Gottesdienste verändert haben, ist eigentlich nur konsequent und logisch. So wie sich ja auch unsere Lebenshaltungen und religiösen Traditionen unterscheiden von den Menschen, die einen anderen Glauben pflegen oder keinen Glauben haben.
Doch wir müssen uns fragen lassen, ob das für uns eine Mühsal oder ob es für uns eine Freude ist, dass wir mit dem Judentum gemeinsam eine Wurzel haben und wir uns sogar das Alte Testament oder das 1. Testament miteinander teilen.

In unserem Predigttext von der Frau am Jakobsbrunnen wird es dann heißten: Das Heil ist von den Juden. Und das bedeutet für uns: Wenn wir uns unserer jüdischen Wurzeln beschneiden, vertrocknen wir, denn hier ist bereits angelegt, was Gott dann für uns vollendet. Der Anspruch Gottes im Alten Testament ist bereits global und universal. Die ganze Welt. Der ganze Kosmos. Von Gott geschaffen. Nicht nur für die Juden, sondern für uns alle. Gott, der Herr der Welt.

Und in Jesus Christus befreit er dieses Wort von konkreten Orten und klein kariertem Denken. In Christus führt uns Gott in seine universale Freiheit, wenn wir den Predigttext hören:

Predigttext – Johannes 4, 19-26 (Gute Nachricht)
19 »Herr, ich sehe, du bist ein Prophet«, sagte die Frau.
20 »Unsere Vorfahren verehrten Gott auf diesem Berg. Ihr Juden dagegen behauptet, dass Jerusalem der Ort ist, an dem Gott verehrt werden will.«
21 Jesus sagte zu ihr: »Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, da werdet ihr den Vater weder auf diesem Berg noch in Jerusalem anbeten. 22 Ihr Samariter betet zu Gott, aber ihr kennt ihn nicht; doch wir kennen ihn, denn die Rettung für alle Menschen ist von den Juden. 23-24 Aber die Stunde kommt, ja sie ist schon gekommen, da wird der Heilige Geist, der Gottes Wahrheit enthüllt, Menschen befähigen, den Vater an jedem Ort anzubeten. Gott ist ganz anders als diese Welt, er ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein. Von solchen Menschen will der Vater angebetet werden.«
25 Die Frau sagte zu ihm: »Ich weiß, dass der Messias kommen wird, der versprochene Retter. Wenn er kommt, wird er uns alles sagen.«
26 Jesus antwortete: »Er spricht mit dir; ich bin es.«


Die Messiaserwartung am Ende der Tage ist geklärt.
Ich bin es.
Mit diesen Worten endet unsere Perikope.
Ich bin der Messias.
Und was das bedeutet, können wir bereits an seinem Leben sehen. In seinem Reden und Tun sehen wir, wie das Reich Gottes ist.

a. Er spricht mit einer Frau
Für einen orthdoxen Juden gehört sich das nicht, eine fremde Frau anzusprechen und dann auch noch eine „Ungläubige“ – eine aus Samaria.
In der Mittagshitze hat sie sich an Brunnen gewagt, weil wahrscheinlich in der Dorfgemeinschaft einen ausgegrenzten Status hatte: Fünfmal war sie bereits verheiratet – und nun lebt sie in wilder Ehe mit einem Mann zusammen.

b. Doch Jesus begegnet ihr auf Augenhöhe.
Er bittet sie um Wasser und ihre Fragen nimmt er ernst. Und wir merken schon: Ich werde nicht nach meiner Nase selig werden, sondern geleitet und geführt durch sein Wort und durch seinen Geist kommt uns das Heil entgegen.

c. Und dann stellt sie die Frage:
20 »Unsere Vorfahren verehrten Gott auf diesem Berg. Ihr Juden dagegen behauptet, dass Jerusalem der Ort ist, an dem Gott verehrt werden will.«

Und wieder ist ER es, der unsere Begrenztheiten durchbricht und auflöst:
21 Jesus sagte zu ihr: »Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, da werdet ihr den Vater weder auf diesem Berg noch in Jerusalem anbeten. 22 Ihr Samariter betet zu Gott, aber ihr kennt ihn nicht; doch wir kennen ihn, denn die Rettung für alle Menschen ist von den Juden. 23-24 Aber die Stunde kommt, ja sie ist schon gekommen, da wird der Heilige Geist, der Gottes Wahrheit enthüllt, Menschen befähigen, den Vater an jedem Ort anzubeten. Gott ist ganz anders als diese Welt, er ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein. Von solchen Menschen will der Vater angebetet werden.«

Hier spricht der Messias und er lebt es vor. Der Ort ist nicht das Entscheidende. Orte sind gut und wichtig. Und es ist gut, dass wir unsere Paulskirche haben, in der wir Gottesdienst feiern können. Ein sakraler, heiliger Ort – doch wenn er im Krieg vorübergehend zum Möbellager für ausgebombte Familien wurde, dann ist er damit nicht entweiht, sondern bestätigt nur seine heilsame Aufgabe.
Jesus wendet unseren Blick weg vom Äußeren Hin zum Inneren. Und so befreit er den Gottesdienst von einem zentralen Kultus in Jerusalem und übergibt ihn in die Hände seiner Gemeinde, in die Familien, in die Synagogen, in die Wohnzimmer, in die Gemeindehäuser und Kirchen. Der konkret Ort und unsere Kirchen sind nicht gering zu achten, aber wichtig ist und bleibt dabei die innere Ausrichtung:
23-24 Aber die Stunde kommt, ja sie ist schon gekommen, da wird der Heilige Geist, der Gottes Wahrheit enthüllt, Menschen befähigen, den Vater an jedem Ort anzubeten. Gott ist ganz anders als diese Welt, er ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein. Von solchen Menschen will der Vater angebetet werden.

Und Martin Luther schreibt in seiner Torgauer Schlosspredigt nichts anderes für seine reformatorischen Gemeinden in Not:
(Broschüre S.19) „So uns der Sabbat oder der Sonntag nicht gefällt, mögen wir den Montag oder einen anderen Tag in der Woche nehmen und einen Sonntag daraus machen … Kann es nicht geschehen unterm Dach oder in der Kirche, so geschehe es auf einem Platz, unter dem Himmel oder wo Raum dazu ist.“


Die äußere Form ist bisweilen wichtig, aber sie kann die innere Haltung nicht ersetzen. Und das haben die Menschen in Jesu Nachfolge gesehen. Die, die sich seinem Wort aussetzen kommen zu einer Freiheit der Kinder Gottes, die in einer großen Offenheit und Versöhnung mündet. Und Paulus schreibt deshalb: Hier ist weder Jude noch Grieche, weder Freier von Sklave, denn wir sind alle eins in Christus.

Doch bis heute haben wir damit große Schwierigkeiten. Nicht nur die Juden. Auch wir Christen. Bis heute gibt es ja auch in unseren Gemeinden die großen, zweifelnden Fragen: Ob es den gilt. Und wer uns den beweist, dass dieser Jesus der Christus ist.
Wir trauen dem punktuellen und einzelnen Erleben nicht zu, dass es bereits sichtbar von dem Verkündet, was einst für alle gelten wird. „Blinde sehen, lahme gehen und Armen wird das Evangelium verkündigt.“ Doch die Jünger und die Frauen um Jesus, seine Gemeinde, haben in IHM gesehen, dass es gilt. Schon jetzt. Und sie wollten selbst in der Nachfolge ein Zeichen setzen von der Lebensveränderung, die sie in der Begegnung mit dem Messias erlebt haben. Sie wurden von Wartenden zu Empfangenden. Und während die Frau zu ihm sagt:
»Ich weiß, dass der Messias kommen wird, der versprochene Retter. Wenn er kommt, wird er uns alles sagen.« 26 Jesus antwortete: »Er spricht mit dir; ich bin es.«

Der Israelsonntag führt uns zurück in die große innere Nähe, die wir mit dem Judentum haben. In unseren Wurzeln sind wir miteinander verbunden. Wir können den erwarteten Messias nur vom Alten Testament her verstehen. Und erkennen in dem gekommenen Christus, dass Gott sein Wort erfüllt hat.

Auf dieser Grundlage wird uns dann noch einmal der schmerzhafte Verlust jüdischen Lebens in unserer Mitte deutlich und die große Schuld unserer Vergangenheit bewusst.
Doch als mit Gott versöhnte dürfen wir den Neuanfang wagen und das Gespräch suchen. Behutsam wartend, wo uns die Hand gereicht wird und verstehend, wenn das Misstrauen noch überwiegt.
Und hoffentlich sind wir neugierig, was wir, die wir nachträglich auf die gute Wurzel gepfropft wurden, in der Begegnung mit dem Judentum von ihrem Verstehen des Wortes Gottes lernen können.

Amen

Broschüre: Das Heil ist von den Juden – Begegnung von Christen und Juden in Bayern (BCJ.Bayern) u.a. Volker Haarmann und Ursula Rudnick Arbeitshilfe zum Israelsonntag 2013

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