20160613

Werner Sirch: Christus ist gekommen

Predigt 2. Sonntag nach Trinitatis
05. Juni 2016

Epheserbrief 2,17-22

17 Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. 18 Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. 19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20 erbaut auf den a Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21 auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. 22 Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

1. Frieden in einer friedlosen Welt

Alle Welt ruft nach Frieden, aber es ist kein Frieden. Kein Frieden unter den Völkern, kein Frieden in den Familien, kein Frieden unter den Religionen. Dabei sehnen wir uns nach Frieden. Können nicht miteinander leben im Hass, mit Mord und Totschlag, Krieg und Terror. Leben ohne Liebe, Leben in Furcht und Angst entstellt uns und gibt uns ein ganz böses Gesicht. Solch ein Leben macht uns körperlich und seelisch krank.

2. Befreit durch Christus

Gott will, dass wir frei sind. Frei von Krieg und Terror, Hass und Zerstörung, Angst und Sorgen. Durch Christus befreite Menschen. Das gilt für die, die Gott fern sind ebenso, wie denen, die schon immer Gott nahe waren. (Heute würden wir sagen: christlich sozialisiert sind.) Durch Christus sind wir befreite Menschen. Frei von Bindungen und Gebundenheiten. Frei davon, uns selbst gerecht zu sprechen. Frei von Bevormundung. Frei von der Macht des Kapitals, vom Egoismus, vom Hass, der Gleichgültigkeit und anderen Mächten die unser Leben bestimmen wollen.

3. Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen

Wir sind nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. Wir gehören dazu. Wir sind Gottes Kinder, die den Vater im Himmel kennen und zu ihm gehören.
Hausgenossen sehnen sich nach Gemeinschaft, leben mit einander, freuen sich und trauern mit einander. Und leiden manchmal auch an einander. Aber sie vertrauen einander.
Mittelpunkt, Zentrum, der Eckstein der alles Zusammenhält ist Christus. Er hat unsere Bindungen, unsere Sünde und Schuld ans Kreuz getragen, damit wir frei sind. Ich denke an das was Paulus im Galatherbrief schreibt. Galather 5,1 „Zur Freiheit hat euch Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen.“ Wir werden keine Gerechtigkeit vor Gott finden durch Gesetzlichkeit, Selbstgerechtigkeit, Hass oder weil wir uns vornehmen ein besserer Mensch zu werden. Im Gegenteil, es nimmt uns die von Christus geschenkte Freiheit. Wir sind Gottes Mitbürger und Hausgenossen, weil uns Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung dazu befreit hat. Liebe Gemeinde, was könnten wir, zu dem was Jesus für uns getan hat, aus eigener Kraft noch hinzufügen?

4. Von Christus geschenkte Freiheit

Die von Christus geschenkte Freiheit ist aber nicht bindungslose Freiheit, die gegenüber niemandem verantwortlich ist und nur für die eigene Lust oder Unlust lebt. Luther schreibt:
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Freiheit, wirkliche Freiheit kann nur in Bindung gelebt werden. Und so sind wir als Christen befreit für ein Leben mit anderen Menschen, in unserer Familie und im großen Haus dieser Welt, wie Martin Luther King es beschrieben hat:
Ein großes Haus der Welt, in dem wir zusammenleben müssen:
Schwarze, Weiße, Morgenländer und Abendländer,
Juden und Nichtjuden
Katholiken und Protestanten.
Eine Familie, die in Ideen, Kultur und Interessen zu Unrecht getrennt ist.
Weil wir niemals wieder getrennt leben können, werden wir lernen müssen, in Frieden miteinander auszukommen.
Alle Bewohner der Erde sind Nachbarn.
Soweit Martin Luther King.

5. Christus ist gekommen

Wir lesen in unserem Predigttext:
17 Christus ist gekommen, um uns Frieden zu verkündigen, denen, die ihn kennen und denen, die fern sind von ihm.
Jesus will das heilen, was in uns zerbrochen ist: Unsere Unmöglichkeit mit uns selbst im Frieden zu leben, mit unserem Nachbarn, mit unserer Familie, mit Gott.
Wir vergeuden soviel Energie und Kraft mit unseren Streitigkeiten, mit unserer Verletzlichkeit, mit unserem Hunger nach Macht und dem Willen andere beherrschen zu wollen. Wir vergeuden Energie und Kraft, weil wir uns der Angst und Vorurteilen hingeben. Kraft, die wir an anderer Stelle dringend brauchen – ganz aktuell, fremden Menschen gegenüber, die sich zu uns flüchten um Verfolgung oder Hunger zu entkommen. Dabei sind wir nicht ganz unschuldig an ihrer Situation. Ohne schlechtem Gewissen haben wir ihre Landwirtschaft ruiniert und sie zu Billigkräften gemacht, um unseren Wohlstand zu mehren. Wir haben glänzende Geschäfte mit Waffen gemacht, vor welchen sie jetzt auf der Flucht sind. Sie haben um Hilfe gerufen, aber unsere Ohren sind taub. Jetzt kommen sie zu uns, weil unsere Hilfe nicht zu ihnen kommt.

6. Aufschrei

Norbert Blüm, Minister im Kabinett Kohl, schreibt in seinem Buch „Aufschrei! Wider die erbarmungslose Geldgesellschaft“, ein Kapitel über „Vorteilssuche als Weltformel“. Er zitiert darin den US-amerikanischen Ökonomen Garry S. Becker: „Der Mensch ist ein Vorteilssucher, sonst nichts.“ Das bringt Blüm zu der Frage, wer uns davor rettet, dass unser ganzes Leben eine Kalkulation von Vorteilen wird.
„Kein Handschlag ohne vorherige Berechnung, welche Vorteile damit verbunden sind. Keine Freundlichkeit, ohne vorher zu überlegen, was sie mir bringt. Selbst Lachen ist nur erwünscht, weil es gesund ist. Nichts gilt, was ‚nichts bringt‘.“ Und er sieht bei uns die hässliche Fratze der Geldgier. „Während in der islamische Welt sich eine Regression (eine Rückentwicklung) zum blutigen Fundamentalismus vollzieht, verflacht der Westen in einem unterhaltsamen oberflächlichen Konsumismus, dessen letztlicher Lebenssinn die Vorteilsnahme ist.“
Blüm weist darauf hin, dass sich keine Gesellschaft dauerhaft auf Vorteilssuche aufbauen lässt. „Ohne Vertrauen bricht die Gesellschaft mit allem, was dazu gehört, zusammen.
Ohne Vertrauen funktioniert selbst die Wirtschaft nicht. Geld verliert über Nacht seinen Wert, wenn die Menschen nicht mehr darauf vertrauen, dass es etwas wert ist. ‚An sich‘ ist Geld eine Null. Denn Geld ist eigentlich ein Vertrag zwischen seinen Benutzern. Ein Vertrag ist jedoch ein Fetzen Papier, wenn die Vertragspartner nicht ein Mindestmaß von gegenseitigem Vertrauen aufbringen."

7. Flüchtlinge was nun

Flüchtlinge was nun? Gibt es für uns einen Vorteil? Wir stehen da und überlegen was wir machen sollen, mit den vielen Menschen aus anderen Ländern. Sind sie nicht auch Geschöpfe Gottes, von ihm geliebt? Wir überlegen was billiger kommt. Zäune bauen und in Kauf nehmen, durch den behinderten Warenverkehr 5% weniger Waren in andere Länder zu verkaufen, oder Flüchtlinge aufzunehmen und bei uns zu integrieren?
Was ist für uns nützlicher?
Ist das der Umgang mit Menschen die Ihrer Heimat beraubt, durch Flucht ihr Leben gerettet haben, den brutalen Kopfabschneidern der IS, den Bomben und Gewehren, dem Hunger und der Perspektivlosigkeit ihres Lebens entronnen sind? Wie können wir die Frage beantworten wo diese Menschen hin sollen? Wo können sie sich sicher fühlen, ohne Hunger und mit menschlicher Würde leben? Oder geht uns das nichts an, weil für uns die Nützlichkeitsberechnungen nicht aufgehen?
Ich überlege, was unsere Angst vor Flüchtlingen wert ist, gegenüber der Angst die diese Menschen erlitten haben und nun ertragen müssen, weil sie zwar ihr Leben gerettet haben, aber niemand sie haben will?
Warum fällt es uns so schwer darauf zu vertrauen, dass sie nicht kommen, um uns als Islamisten zu bedrohen und unsere in christlicher Freiheit lebende Gesellschaft zu zerstören? Dass sie nicht kommen um unseren Sozialstaat zu plündern.

8. Lebendiger Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar.

Meine provokative These: Sie kommen, um sich als Steine in den Bau einer christlich-freiheitlichen Gesellschaft einzufügen. Ich möchte das jedenfalls so glauben. (Bitte verhöhnen Sie mich jetzt nicht als einen der so genannten "Gutmenschen".) Natürlich kommen auch andere, die nichts Gutes vorhaben. Und für die dürfen wir genauso beten. Auch für die Schläfer die auf ihre Chance warten um möglichst großes Unheil anzurichten. Wir haben aber den Vater im Himmel, der über allem steht. Darum müssen wir uns nicht bestimmen lassen von der Angst vor Flüchtlingen und was durch sie geschieht oder geschehen könnte. Und wir haben Christus, der für alle Menschen gestorben und auferstanden ist. In uns lebt der Heilige Geist, der Menschenherzen wenden und den dreieinigen Gott als liebenden und mächtigen Gott zeigen kann – auch denen, die zu uns kommen.

Ich wünsche so sehr, dass Gott unsere Herzen anrührt und aus unseren oft toten und kalten Herzen Edelsteine macht, die nicht nur auf unseren Vorteil und Wohlstand bedacht sind, sondern anfangen zu lieben und achtsam mit denen umzugehen, die zu uns flüchten. Lasst uns zusammen kommen um Gott zu loben und zu preisen. Und lasst uns doch Glauben gegen allen Anschein aufbringen, dass „wir es schaffen werden“, mit der Hilfe unseres Gottes, der uns diese Menschen geschickt und vor die Türe gelegt hat. Wir Schulden es ihnen, dass sie Christus kennen lernen. Amen.

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