20170212

Martin Adel: Der sinkende Petrus - Christus hat gerettet

29.01.2017 - Matthäus 14,22-33

Predigttext

22 Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe.
23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein.
24 Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer.
26 Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht.
27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!
28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.
29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich!
31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
32 Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich.
33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

Liebe Gemeinde

1. Gott hat versagt
Gott hat versagt!
Mit diesem Schild vor der Brust laufen heute viele Menschen herum.
Gott hat versagt! Und wehe dem, wir erzählen etwas anderes, sprechen von Bewahrung, von Schutz, von Heilung, dann wird die Meute eher noch angestachelt.
Wo zeigt sich denn dein Gott?
Schau doch an die Welt und das Leid und das Elend?
Gott hat versagt!
Und dann werden sie aufgezählt: der Holocaust und die Kriege und das persönliche Schicksal. Denn da fängt es an – bei den eigenen, zerbrochenen Hoffnungen und Sehnsüchten. Und dann kommt die Wut, die in dem Ausspruch mündet:
Gott hat versagt!
Die Mutter ist viel zu früh gestorben, die Familie ist darüber zerbrochen. Die Ehe ist gescheitert. Die Arbeitslosigkeit hat einen an den Rand gebracht. Meine Kinder haben mich im Stich gelassen.
Gott hat versagt!

Und gar nicht selten überkommen uns ja selbst solche Gedanken: Wo ist Gott? Wo bleibt er? Warum zeigt er sich nicht? Der Allmächtige! Der Barmherzige!
Frére Roger Schütz – der Begründer von Taizé wird im hohen Alter beim Abendgebet von einer psychisch kranken Frau mit dem Messer erstochen. Martin Luther King wird im gewaltlosen Kampf gegen die Apartheid von einem Gegner erschossen. Dietrich Bonhoeffer wird in den letzten Kriegstagen gehängt.

Nicht einmal das eigene Personal kann Gott schützen.
Stephanus wird gesteinigt. Der große Völkerapostel Paulus wird als Gefangener nach Rom abgeführt und vermutlich durch das Schwert hingerichtet (das ist nicht ganz sicher). Und dieser Simon Petrus, der Fels, wie er mit Beinamen genannt wird, der in unserem Predigttext von Jesus auf dem Wasser gerettet wird, der findet schließlich in Rom einen gewaltsamen Tod. Er wir kopfunter gekreuzigt.

Gott hat versagt!

Und müsste man, wenn man um dieses Ende weiß, nicht unseren heutigen Predigttext aus der Bibel streichen. Denn die Rettung des Petrus ist das eine, aber am Ende ist Gott dann doch zu schwach und Petrus wird hingerichtet wie ein Schwerverbrecher.

Und manchmal überfällt es mich selbst, wenn ich wieder an einem jungen Grab stehe und ich hätte gerne die Hand ausgestreckt, wie Jesus auf dem Wasser dem sinkenden Petrus oder den Verstorbenen aus dem Grab herausgerufen, wie Jesus den Lazarus.
Doch es geschieht nicht. Der andere ist ertrunken und tot bleibt tot.

Hat Gott versagt?


2. Rettungs- und Bewahrungserfahrungen
Für viele hat Gott versagt, aber für Petrus nicht!
Und deshalb müssen wir bei dieser Rettung auf dem See anfangen.
Petrus wird hier gerettet. Was ihn auch immer hinunterzieht – Jesus streckt ihm die Hand entgegen. Und Petrus ist sich nicht zu schade zu rufen: Herr, hilf mir! Und er ist auch nicht so borniert und sagt: Das schaff ich schon allein. Sondern er ergreift die Hand und wird gerettet.

Und halten wir uns nicht erst lange bei dem Wunder auf, ob das überhaupt geht: Auf dem Wasser gehen. Oder lustige Witze reißen: Man muss halt nur wissen, wo die Steine liegen.

Es gibt, weiß Gott, genug Untiefen in unserem Leben und Erfahrungen, wo auch unser Lebensschiffchen ins Wanken kommt und man zu ersaufen droht. Da muss man nicht erst über´s Wasser gehen, um zu verstehen, was die Bibel hier meint. Doch Petrus wird gerettet.

Meine Familie und ich, wir hatten erst am vergangenen Wochenende eine ganze Herde an Schutzengeln, als wir auf der Autobahn am Stauende stehen und ein nachfolgender Autofahrer nicht mehr abbremsen kann und uns mit voller Wucht hinten auffährt. Aber alle Beteiligten steigen fast unversehrt aus ihren Auto´s.
Bewahrung – mitten auf der Autobahn. Und wir können nach einer Stunde weiterfahren zur Taufe unseres dritten Enkelchens.
Gilt das?
Und gilt das auch, wenn wir in der Zeitung von Unfällen lesen, bei denen ganze Familien zwischen zwei Lastern ausgelöscht werden.
Oder gilt diese Bewahrung weniger als die Nicht-Bewahrung der anderen?

3. Bewertungen – welche Rettung gilt am Schluss?
Und ich werde nachdenklich.
Gilt die Rettung des Petrus auf dem See weniger als sein Ende?
Ist seine Kreuzigung kopfunter der Beweis, dass zum Schluss doch das Böse siegt und Gott zu schwach ist?
Und wie oft muss Gott beweisen, dass er uns rettet. Einmal? Zweimal? Zehnmal? 100x?
Oder wie oft muss Gott zeigen, dass er an meiner Seite steht, damit es auch gilt? Oder gilt es immer nur, wenn es gut ausgeht und dann nicht mehr, wenn es schlecht ausgeht?
Und gilt die Rettung aus Gefahr oder aus einer Krise oder aus einer Not weniger als eine Rettung aus großer Gefahr, aus einer großen Krise oder aus einer großen Not?

Und wie oft muss Gott uns bewahren, um eine Nicht-Bewahrung bei uns gut zu haben?

Wie oft habe ich in meinem Leben versagt und es ist trotzdem noch einmal gut geworden?
Und wie oft darf Gott versagen, damit es von mir wieder gut zu ihm wird?

Wir dürfen so etwas wahrscheinlich gar nicht sagen oder denken, denn so darf man nicht von Gott reden.
Aber tun – tun wir es schon.


4. Christus hat gerettet
Und da sind wir meines Erachtens genau im Zentrum angekommen.
Denn für Petrus ist die Sache nicht mehr unentschieden. Gilt es – oder gilt es nicht. Sondern es gilt: Christus hat ihn gerettet.
Dieses Mal und dann für immer und ewig.
Nicht, dass der Petrus immer ein Fels in der Brandung war. Denn genauso schnell, wie er als erster der Jünger zu Jesus sagen kann: Du bist der Christus. Gottes Sohn (Mk 8,29). Will er Jesus einbremsen, als der von seinem Leiden erzählt und Jesus sagt: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
So nahe liegen unser Bekenntnis und unsere Angst oft beieinander.
Und während er noch im Garten Gethsemane mit dem Schwert seinen Jesus verteidigt, verleugnet er ihn wenige Stunden später im Innenhof des Palastes des Herodes.
Und dennoch setzt ihn Jesus als der Auferstandene wieder ein, nachdem er ihn fragt: Petrus, hast du mich lieb? Weide meine Schafe.

In der Begegnung mit diesem Christus wächst in ihm diese Gewissheit der Errettung in diesem Leben und weit darüber hinaus.
Die Rettung auf dem See wird ihm zum Grunderlebnis. Hier sind es nur ein paar Schritte auf dem stürmischen Wasser des Lebens, bis ihn die Angst und der Zweifel packen. Doch mit der Zeit tragen die Schritte weiter.
Und das ist ja auch bei uns so. Es ringt in uns, was denn gilt und was zum Schluss gilt. Und manchmal flutet es an und manchmal flaut es wieder ab.
Und die Frage ist eher: Ab wann machen wir Ernst mit unserem Vertrauen und der Erfahrung, dass wir gerettet sind – und dadurch unser ganzes Leben eine neue Bewertung erhält.

Aber ab wann wird unsere Unentschiedenheit zur Entschiedenheit – dass Gottes Rettung auch für mich gilt.
Und wann gewinnt diese Erfahrung in uns so viel Kraft und Gewicht, dass die Rettung auch gilt, wenn wir verloren gehen oder ersaufen?

Petrus geht nicht mehr verloren! ER IST GERETTET!
Dieser Hilferuf vom See wird ihm zur inneren Gewissheit. Gott muss es nicht mehr beweisen. Er hat es bereits bewiesen und dann kann er auch bekennen, gegen alle Widerstände und Anfeindungen, gegen Spott, Hass, Verleumdung ….
Du bist der Christus.
Und dieser Trost wird ihm zur Ruhe und zum Mut für sein ganzes Leben. Und es wird ein Weg zwischen Kampf und Kontemplation, zwischen Widerstand und Ergebung.
Aber es ist ein Leben vom Himmel her!
Und dann gilt diese Rettung am See als grundlegende Rettung. Und das Leid danach, bleibt Leid, aber es stellt Gott nicht mehr in Frage, sondern in seinem Leid gründet er sich auf IHN. Er geht seinen Weg mit Gott und sucht nach seinem Weg, nach seinem Auftrag – so wie jeder von uns nach seinem Weg und nach seinem Auftrag sucht, um seine Aufgaben zu erfüllen. Doch die existentiellen Dinge machen ihm keine heillose Angst mehr. Die Entscheidung ist gefallen.
DU MEIN GOTT. Denn DU hast mich gerettet. Damals im Wasser und dann für immer und ewig. Und diese Gewissheit kann auch eine Kreuzigung am Ende nicht mehr auflösen, weil sie für immer gilt.

Amen


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