20100324

Ute Lehnes-de Fallois: "So lange du deine Füße unter meinen Tisch streckst..."

21.3.2010 - Sonntag Judica
Anspieltexte Familiengottesdienst
Ansprache zu Markus 10,41-45


Spielszene 1: Die Hausaufgabenkontrolle

Beteiligte: Erzähler/in (Erwachsene); Mutter (Erwachsene); zwei Kinder;Szene: im Kinderzimmer; zwei Schreibtische; Büchertasche;

Erzähler/in: Es ist Abend. Frau Freudenberg-Müller, seit ihrer Scheidung vor zwei Jahren alleinerziehende Mutter, ist gerade wie an jedem Abend dabei, die Hausaufgaben ihrer Kinder Sven, 8 Jahre und Johanna, 10 Jahre, zu kontrollieren.

Mutter (an Johannas Schreibtisch zu Johanna):
Gab’s heute etwas Besonderes bei dir in der Schule?
Habt ihr die HSK-Probe zurückbekommen?

Johanna (strahlt): Ja, ich hab’ eine Zwei!

Mutter: Na, prima, das freut mich!
Lass mich mal noch kurz deine Hausaufgaben sehen!

Johanna (zückt willig ihre Hefte und reicht sie ihrer Mutter) ----

Mutter (betrachtet die Hefte nacheinander zufrieden):
Gut gemacht, meine Große! Auf dich kann ich mich halt verlassen.

Die Mutter (geht nun zu Svens Schreibtisch):
Na, Sven, was hattest du denn heute auf?

Sven: Lesen und Schreiben.

Mutter: Dann zeig mir mal dein Schreibheft und danach liest du mir dein Lesestück vor.

(Sven kramt umständlich nach seinem Schreibheft. Schließlich findet er es und gibt es der Mutter. Die Mutter schaut die Hausaufgaben an; dabei verfinstert sich ihre Miene etwas).

Mutter: Hast du dir die Sätze selbst ausgedacht?

Sven: Nö, die mussten wir als Hausaufgabe aus dem Buch abschreiben.

Mutter: Und wieso hast du dann so viele Fehler drin?

Sven: Weiß nicht.

Mutter (genervt):
Ich weiß gar nicht, wie oft ich es dir schon gesagt habe. Die Namenwörter schreibt man groß und die Tun – und Wiewörter klein. Sag’s nach.

Sven: die Namenwörter schreibt man groß und die Tun- und Wiewörter schreibt man klein.

Mutter: Richtig! Und warum machst du es dann nicht?
Also so können wir die Hausaufgabe unmöglich lassen.
Das macht einen ganz schlechten Eindruck.
Du schreibst das jetzt noch mal ab – und zwar richtig!

Sven: Bitte nicht! In 10 Minuten fangen die „Simpsons“ an.

Mutter: Darüber brauchen wir jetzt gar nicht zu diskutieren. Du kannst Fernsehen schauen, wenn du den Text richtig abgeschrieben hast, und vorher nicht!

Sven (den Tränen nahe): ich will aber nicht.

Mutter: Also gut, ich setz mich daneben und helf’ dir.

(Sven öffnet missmutig sein Heft und sein Buch und nimmt einen Stift in die Hand) ---

Mutter: Also beginnen wir mit der Überschrift: „Der rosarote Luftballon“.

(Sven beginnt zu schreiben) ---

Mutter: Wieso schreibst du denn „der“ klein?

Sven: Weil man der/die/das immer klein schreibt. Das hab’ sogar ich mir gemerkt!

Mutter. Aber doch nicht am Satzanfang! Am Satzanfang wird immer alles groß geschrieben.

(Sven seufzt und schreibt) ---

Mutter: Und wieso schreibst du jetzt „rosarot“ groß?

Sven: Wenn man bei dir immer alles groß schreiben muß, dann schreib’ ich jetzt eben immer alles groß!

Mutter (wird lauter): Das ist aber falsch. Kapier es endlich: Rosarot ist ein Wiewort – also klein. Wie ist der Ballon? Wie – also klein.

Sven: Dass der Ballon klein ist, steht aber nicht da, nur dass er rosarot ist ....

Mutter: Sven, du treibst mich noch in den Wahnsinn ...

Erzähler/in: Nach einer weiteren Stunde stehen die 5 Sätze endlich richtig im Heft.
Inzwischen ist es halb acht. Die Mutter ist genervt und Sven hat geweint. Na dann, gute Nacht und angenehme Träume.


Ansprache zu Markus 10,41-45
im Rahmen des Familiengottesdienstes „Solange du deine Füße unter meinen Tisch streckst ....“

41 Als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wißt, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;
44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.



Liebe Eltern, liebe Gemeinde!

Im heutigen Evangelium, das uns Sieglinde Schmidt einmal vor den drei Anspielszenen und einmal danach vorgelesen hat, da geht es um zwei unterschiedliche Systeme, oder nennen wir sie Rahmen, innerhalb derer wir und unsere Kinder uns bewegen.

Da ist zum einen dieser erste Rahmen.
(Bilderrahmen mit Text Herrschaft und Macht zeigen:
Frage an die Kinder: könnt ihr es lesen? ...)
Stellt sich die Frage, wer über uns die Herrschaft und die Macht hat.
(Bilderrahmen weglegen).

Im vergangenen Herbst, als Sieglinde Schmidt und ich die Idee hatten, einen Familiengottesdienst in der Passionszeit mit Ihnen, der Gemeinde und unseren Hortfamilien zu feiern, da war einer unserer ersten Gedanken: worunter leiden denn unsere Kinder und worunter leiden auch wir als Erwachsene oft genug.
Was ist denn unsere Passion und unser Leiden?

Und als wir gemeinsam anfingen darüber nachzudenken, da ist uns ziemlich schnell ziemlich viel eingefallen.

Drei Szenen haben wir Ihnen vorgespielt:
Da war als erstes die alleinerziehende Mutter, Frau Freudenberg-Müller mit ihren beiden Kindern Johanna und Sven, Sie erinnern sich?
Sven, der einfach ein Problem mit dem Schreiben hat und auf der anderen Seite die Mutter, die doch einfach nur möchte, dass ihr Junge in diesem Schulsystem, in dem Rahmen, den eben die Schule vorgibt, besteht und die ihren Jungen vor dem Versagen und dem Frust bewahren möchte.
Am Ende unserer kleinen Anspielszene sind sie beide völlig k.o.
Sven weint, weil die Simpsons nun ohne ihn gelaufen sind und die Mutter ist völlig entnervt, weil sie sich Sorgen um die schulische Laufbahn ihres Sohnes. Und eigentlich meint sie es doch nur gut mit ihrem Jungen. Und eigentlich hat Sven ja seine Mama lieb, aber das mit der Groß-und Kleinschreibung versteht er halt einfach nicht!
Kennen sie solche Szenen?
Ich erinnere mich mit Grauen an häusliche Übungsdiktate und Vokabelabfragen mit meinen Buben.
Und meine jüngste Tochter karpft bis heute in Mathe und Betriebswirtschaftsrechnen zwischen vier und fünf. Vorrücken gefährdet – alle Jahre wieder.

Ich stelle noch einmal die Frage:
Wer hat über uns die Herrschaft und die Macht?
Wer oder was bestimmt da eigentlich unseren Alltag?

Im zweiten Anspiel sahen wir eine typische Schulszene.
Die Matheschulaufgabe wird herausgegeben.
Gute Noten, gute Kinder, schlechte Noten, schlechte Kinder ...
Aber ist das wirklich so?
Wie oft werden schlechte Schüler dazu ermahnt, sich mehr anzustrengen!
Nur nützen tut es meistens nichts.
Und am Ende leiden wieder die Kinder und die Eltern sind entnervt.

Und weil die Kinder den Druck dieses Systems spüren, darum wünschen sie sich zum Geburtstag oft nicht mehr alles Gute, Gesundheit, Spaß und Freunde, sondern gute Noten, viel Erfolg und einen guten Job.

Ich beantworte Ihnen die Frage, wer im Alltag oft die Macht über uns und unsere Kinder hat:
Es ist diese Leistungsgesellschaft, in der wir und unsere Kinder bestehen müssen, und nach deren Spielregeln wir spielen müssen, wenn wir ein einigermaßen abgesichertes Leben führen wollen. Es ist diese Leistungsgesellschaft, die auswählt.
Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen!

Wir können es Drehen und Wenden, wie wir wollen, wir werden diesem System von Leistung, Kontrolle und Druck nicht so schnell entkommen, obwohl sich dieses System selbst immer mehr ad absurdum führt.

Jesus sagt:
Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und die Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
Klare Worte.
Solange es um Macht, Karriere und gutes Ansehen für wenige geht, fordert jedes System seine Opfer. Es bringt einige wenige Sieger hervor, aber viele Verlierer.

Verzeihen Sie mir an dieser Stelle ein persönliches Wort zum neuen bayerischen Kinderbildungs- und betreuungsgesetz, das seit dem 1.8.2005 in Kraft ist:
Seitdem dieses Gesetz in Kraft ist, sind uns als Träger vor Ort die Hände gebunden, um nicht zu sagen: wir sind an dieses Gesetz gefesselt. Es muss alles auf Cent und Euro abgerechnet werden, jeder Nachweis ist schriftlich zu führen, der Personalschlüssel muss stimmen, Ausnahmen können nicht mehr gemacht werden, da sonst die öffentlichen Gelder gestrichen werden. Die Leiterinnen der Kindertagesstätten müssen sehr viel Zeit und Energie für die Verwaltungsaufgaben investieren, und die Zeit fehlt dann für das Wichtigste: nämlich für die Kinder!
Und dabei brauchen doch gerade die Kinder die Nähe und Zuneigung, die Fürsorge und Aufmerksamkeit ihrer Erzieherinnen, um den schulischen Druck auch ausgleichen zu können.
Aber für Menschlichkeit und Nächstenliebe hat der Gesetzgeber keine Spalte in der excel-Tabelle vorgesehen. Menschlichkeit und Herzenswärme sind in diesem Abrechnungssystem nicht vorgesehen!

Und Jesus sagt.
Und genau so soll es bei euch eben nicht sein!
Sondern wer groß sein will unter euch,
der soll euer Diener sein; und wer unter euch der erste sein will, der soll aller Diener sein.

Und mit diesen Worten Jesu bin ich schon mitten drin im zweiten Rahmen, im zweiten Bild:
Und mit dem Zweiten sieht man besser!
Und ich habe für Sie und euch in diesen zweiten Rahmen ein Bild gelegt:
(zweites Bild zeigen – Aquarell Kirchgang)
Das Bild heißt der „Kirchgang“
Bei uns in der Kirche, in der Gemeinde, da soll es anders sein. Da soll Platz sein für Menschlichkeit und Nächstenliebe. Dafür gibt es bei uns eine Rubrik,auch wenn es für sie kein Geld gibt. Und diese RUBRIK heißt Liebe!

Es ist die Liebe von Ihnen, den Eltern zu ihren Kindern und die Liebe ihrer Kinder zu Ihnen, die dieses Bild bunt und schön macht. Es ist die gemeinsame Zeit im Schwimmbad, im Kino, beim Spazierengehen, es ist der Gute Nachtkuss und die Umarmung, die das Leben schön machen. Es ist ein gutes Wort, auch nach einer Fünf oder einer Sechs, das die Kinder tröstet. Dass eine Fünf eine schlechte Note ist, das wissen die Kinder schon selbst. Es ist das gemeinsame Leben in der Familie, das gemeinsame Suchen nach Problemlösungen, das die Kinder stark macht. Einzelkämpfer sind die Kinder in der Schule oder wir die Erwachsenen im Beruf oft genug. Es ist das andere, das zweite Programm, das uns das Leben bunter und schöner sehen lässt.

Und für diesen zweiten Rahmen, den Rahmen der Liebe, ist Jesus auf die Welt gekommen und genau für dieses Programm ist er auch gestorben.

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass ER sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Und weil sich Einer schon den Mächtigen dieser Welt geopfert hat, darum brauchen das weder wir noch unsere Kinder zu tun. Wir sind frei, unser Leben zu leben und die Entscheidungen zu treffen, die wir für richtig erachten und die unserem Leben angemessen sind.
Entscheidungen, die vielleicht nicht immer der Karriere dienen, aber dafür der Liebe zu Gott und vor allem der Liebe zu unseren Kindern.

Es ist nicht jeder Viertklässler für’s Gymnasium gestrickt. Und lieber ein fröhlicher Haupt- oder Realschüler als Kinder, die sich dann jahrelang durch’s Gymnasium quälen, denen die Lust und die Freude am Leben verloren gehen, weil sie in diesem Leistungssystem nur noch ums Überleben kämpfen.

Ich will nicht der Faulheit das Wort reden, aber ich möchte Sie, die Eltern, ermutigen, sich selbst und Ihren Kindern die bunte Vielfalt dieses Lebens zu gönnen.

(„Kirchgang“ – zweites Bild zeigen)
Schauen Sie auf das Zweite Bild und sind Sie sich gewiss, dass EINER da ist, der Ihnen und den Kindern den richtigen Weg zeigen wird. Und der mit seiner Liebe für sie und ihre Kinder da ist. Und dann ist eine schlechte Note höchstens ärgerlich, aber kein Weltuntergang. Unterstützen Sie Ihre Kinder mit all Ihrer Liebe, aber gönnen sie ihnen auch die Freiheit und Unbeschwertheit dieses Alters. Amen.

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