20100701

Martin Adel: Beispielhaft leben

27.6.2010 - 4. Sonntag nach Trinitatis
Röm 14,10-13


Liebe Gemeinde,
in einem Fastenkalender standen auf einem Kalenderblatt nur diese zwei Sätze:

Nehmen wir an, es kämen welche und wollten sie verhaften, weil sie ein Christ sind. Fänden sie genug Beweise, um sie zu überführen?

Und eigentlich können wir uns nur wünschen: Hoffentlich finden sie genug Beweise dafür, dass wir Christen sind. Denn eines ist uns ja allen klar, dass es nicht beliebig ist, wie wir als Christen leben. Es muss spürbar und sichtbar sein, äußerlich und innerlich, was uns trägt und hält und was unser Handeln und Denken beeinflusst.

1. Die Kirche als moralische Instanz
Bei Taufgesprächen sagen viele Eltern, wir wollen unser Kind taufen lassen, weil wir die Ziele und die Moral der Kirche gut finden – eine gute Lebensbasis auch für unsere Kinder.
Mir ist das immer ein bisschen zu wenig, weil es ja eher umgekehrt ist. Der Glaube macht uns zu moralischen Menschen und nicht die Moral zu Glaubenden. Aber das ist ein anderes Thema.
Eines ist jedenfalls klar: auch diese Eltern wollen, dass an der Kirche und an den Menschen in ihr sichtbar wird, dass sie Christen sind – und sie wollen sich dazu halten.
Wir müssen nicht perfekt sein, aber für uns muss die Wahrheit wahr bleiben und die Lüge eine Lüge und das Dunkle muss ans Licht kommen und darf nicht vertuscht werden – publicity hin oder her.

Die Zehn Gebote, die Nächstenliebe, die Feindesliebe, die Chance zu Umkehr und Vergebung, die Anforderung moralisch zu handeln – all das will man von uns sehen oder zumindest, dass wir uns darum bemühen und dass sie für uns gelten.

Und deshalb brauchen wir für unser Leben Leitlinien und eine Urteilskraft: Was tue ich? Was lasse ich? Was ist gut? Was ist falsch?
Prüfet alles und das Gute bewahret heißt es 1 Thess 5,21

2. Achtung: Urteilen – nicht aburteilen
Wir brauchen ein Urteil und eine Orientierung. Gerade unsere Jugend muss lernen zu unterscheiden, was ihrem Leben nützt und was ihm schadet. Die Versuchungen sind groß – schon immer gewesen.
Da hilft nicht das Angst machen, sondern das Stärken der Urteilskraft und des Selbstbewusstseins, um auch „Nein“ sagen zu können. Aber mit unserem Urteilen geht leider oft gleichzeitig ein Verurteilen einher und deshalb schreibt Paulus, beeinflusst von den Worten Jesu:
10 Warum verurteilst du dann deinen Bruder oder deine Schwester? Und du, warum verachtest du sie?
Und in der Evangeliumslesung haben wir gehört:
37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. … 41 Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?

Urteilen. Beurteilen. Verurteilen?
Aber wir müssen doch urteilen, um unser Leben ordentlich zu führen. Wir müssen doch Entscheidungen treffen, dass wir den gefunden Geldbeutel beim Fundbüro abgeben und das vergessene Handy nicht einfach mitnehmen.
Und manchmal fällt uns das schwer, das nicht zu tun und andere machen sich gar kein schlechtes Gewissen oder zerstören ihr Leben und unseres womöglich noch mit.
Da müssen wir doch die Hand erheben …
Natürlich müssen wir urteilen, aber: wir sollen uns hüten auch den anderen danach zu beurteilen oder womöglich noch zu verurteilen.

Ein Beispiel dazu:
Ich machte in meiner früheren Gemeinde einen Geburtstagsbesuch. Leider gab es auch da viele Menschen, die mit dem Alkohol so ihre Probleme hatten. Und dann klingle ich morgens um 10.30 Uhr an der Tür und will zum 75.Geburtstag gratulieren. Nach nochmaligem Läuten öffnet sich die Tür und eine ältere Frau steht schwankend vor mir und spricht verschwommen ihren Dank aus. Ich werde nicht herein gebeten. Sie können sich vorstellen, was ich mir gedacht hatte.
Ein halbes Jahr später treffe ich dieselbe Frau bei meinen Besuchen im Krankenhaus. Ich Gespräch wird mir bewusst, dass sie schon vor zwei Jahren einen schweren Schlaganfall hatte und ihr Mann sich rührend um sie kümmert.
Sie können sich vorstellen, wie es mir nach diesem Besuch ging. Ich habe mich geschämt.

4. Gott sitzt auf dem Richterstuhl
Wir Menschen neigen dazu, sehr schnell die Welt nach unseren Urteilen aufzuteilen und abzurichten.
Und da schiebt Paulus einen Riegel vor.
Du Mensch, du weißt nicht alles und deshalb sitzt auch nicht du auf dem Richterstuhl, sondern Gott.
Gott sei Dank.
Wir erinnern uns vielleicht noch, wie es damals war:
Wie haben wir die Welt beurteilt, als wir noch 20 waren – in Gut und Schlecht und komischer Weise war man selbst sehr oft auf der Seite der Guten. Und dann waren wir 40 und die ersten Lebenskrisen haben den eigenen Blickwinkel verändert und dann sind wir 70 und sind darüber hoffentlich barmherzig geworden. Nicht beliebig, sondern gnädig.
Wie sagte es Jesus (Lk 6,36): 36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.

5. Beispielhaft leben

Und Paulus schreibt deshalb in seinem Brief an die Römer diese Worte, die unser heutiger Predigttext sind:
10 Warum verurteilst du dann deinen Bruder oder deine Schwester? Und du, warum verachtest du sie? Wir werden alle einmal vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden. 11 In den Heiligen Schriften heißt es ja: »So gewiss ich, der Herr, lebe: Alle werden vor mir auf die Knie fallen, alle werden Gott die Ehre geben.« 12 So wird also jeder Einzelne von uns sich für sein eigenes Tun verantworten müssen. 13 Hören wir also auf, uns gegenseitig zu verurteilen! Seid vielmehr kritisch gegen euch selbst, wenn ihr euch im Glauben stark fühlt, und vermeidet alles, was einem Bruder oder einer Schwester Anstoß bereiten oder sie zu Fall bringen kann.

Paulus richtet unseren Blick auf uns zurück. Betrachte nicht die anderen, sondern sieh auf Dich – das ist verheißungsvoller. Zieh deine Kraft zum Handeln nicht daraus, dass du die anderen schlecht machst, um damit selbst besser dazustehen.
Es reicht, wenn du versuchst selbst ein Beispiel zu geben – durch dein Leben. Kein selbstgefälliges, sondern ein wohlgefälliges. Nicht für dich selbst und dein eigenes Gewissen, sondern für den anderen. Kein scheinheiliges Leben, sondern ein geheiligtes – damit wir die Schwachen nicht vor den Kopf stoßen und damit zu Fall bringen.

Unsere Kritiker und die, die gegen die Kirche ins Feld ziehen werden wir damit nicht überzeugen, aber die, die sich auf den Weg gemacht haben, die Suchenden, weil sie spüren, welchen Reichtum und welch großen Schatz der Glaube birgt, die sollen wir nicht zu Fall bringen.
Auch unsere Konfirmanden brauchen uns als gute Beispiele und Vorbilder, dass sie an uns sehen, was es heißt, mit Christus sein Leben zu meistern. Keine Gemeinde von Saubermänner, sondern aufrechte, redliche Menschen – „die Gemeinde der Sünder“, denen man abspürt, dass sie aus der Barmherzigkeit und der Vergebung Gottes leben. Täglich.
Wenn das gelingt, dann ist schon sehr viel gewonnen.
in einem Fastenkalender standen auf einem Kalenderblatt nur diese zwei Sätze: Nehmen wir an, es kämen welche und wollten sie verhaften, weil sie ein Christ sind. Fänden sie genug Beweise, um sie zu überführen?
Und wir können nur sagen: Hoffentlich.

Amen

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