20100701

Martin Adel: Wir teilen Sünden zu - Gott rettet den Sünder

20.6.2010 - 3. Sonntag nach Trinitatis

1. Hinführung
Liebe Gemeinde,
lassen sie mich zu Beginn einen Zeitungsausschnitt der Frankfurter Rundschau aus dem Jahre 1986 (FR vom 4.3.86) vorlesen. Unter der Überschrift "Muttermörder wurde Pfarrer" – steht da zu lesen: »Mit überwältigender Mehrheit« haben die Mitglieder zweier schottischer Gemeinden den wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten James Nelson zum Gemeindepfarrer gewählt. 283 stimmten dafür, 76 dagegen. 1970 hatte der damals 24jährige nach Familienstreitigkeiten seine Mutter erschlagen. 9 Jahre nach seiner Verurteilung war er auf Bewährung entlassen worden. Während der Haftjahre hatte er sich auf das Theologiestudium vorbereitet, das er danach aufnahm und erfolgreich abschloss. »Die Kirchenbehörden (so heißt's im Artikel) hatten seine erste Bewerbung als Pfarrer abgelehnt, doch war es Nelson schließlich gelungen, sie davon zu überzeugen, dass er sich trotz seiner Vergangenheit zum Geistlichen berufen fühle.«

Wie hätten sie entschieden? „Muttermörder wurde Pfarrer“. Wäre er es bei uns geworden?
Sicherlich ist das ein extremes Beispiel und unser Leben läuft meistens wesentlich undramatischer ab. Aber das Thema für den heutigen 3. Stg. nach Trinitatis ist „das Wort von der Versöhnung“. Und Paulus nimmt es in den Mund, der Paulus, des zwar kein Muttermörder war, aber ein Christenverfolger.
Viele haben damals skeptisch auf ihn gesehen. Mit Argwohn. Kann so einer ….? Ist das echt ….?

2. Predigttext 1 Tim 1,12-17 (Einheitsübersetzung)
Und so lesen wir in unserm heutigen Predigttext im 1 Brief des Timotheus im ersten Kapitel:
12 Ich danke dem, der mir Kraft gegeben hat: Christus Jesus, unserem Herrn. Er hat mich für treu gehalten und in seinen Dienst genommen, 13 obwohl ich ihn früher lästerte, verfolgte und verhöhnte. Aber ich habe Erbarmen gefunden, denn ich wusste in meinem Unglauben nicht, was ich tat. 14 So übergroß war die Gnade unseres Herrn, die mir in Christus Jesus den Glauben und die Liebe schenkte. 15 Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der Erste. 16 Aber ich habe Erbarmen gefunden, damit Christus Jesus an mir als Erstem seine ganze Langmut beweisen konnte, zum Vorbild für alle, die in Zukunft an ihn glauben, um das ewige Leben zu erlangen. 17 Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen.

3. Gott rettet den Sünder
Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Das ist das Zentrum unseres Predigttextes. Das ist das Zentrum der Lebensgeschichte, ob von Paulus oder von dem schottischen Pfarrer. Beide, der Muttermörder und Paulus bereuen ihre Taten. Sie leiden unter dem, was passiert ist und flüchtet sich zu Jesus, der nicht sagt: Dich soll diese Tat dein Leben lang wie ein Fluch verfolgen. Sondern: "Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten." Solche Worte bräuchte unser Leben und unsere Welt viel öfter. Ein Wort des Erbarmens. Ein Wort der Versöhnung.
Das Geschehene wird dadurch nicht rückgängig gemacht. Auch der Muttermord wird dadurch nicht bagatellisiert und entschuldigt. Das Verbrechen, die Sünde, bleibt in seiner ganzen Härte bestehen, aber Gott will nicht, dass nun darüber noch eines seiner Geschöpfe über dieser Sünde Willen zugrunde geht – nämlich der Mörder. Gott verurteilt die Sünde, aber er schiebt mit seiner Gnade und seinem Erbarmen der Sünde einen Riegel vor, dass der Fluch der Tat nicht noch mehr Menschenleben fordert, nämlich auch das noch das des Sünders. Die Menschheit kennt es doch nur schon zu lange, die Blutrache oder diesen grausamen Satz: "Das werde ich dir nie verzeihen.“
Gott rettet nicht die Sünde, sondern den Sünder.
Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der erste schreibt Paulus, und er bezeichnet sich selbst als Missgeburt, der es nicht wert ist Apostel genannt zu werden, weil er die Kirche Jesu Christe verfolgt hat. (1 Kor 15,8f). Und genau diesem Paulus schenkt Gott Kraft. An ihm beweist er Gott seine Langmut, sein Erbarmen und seine Gnade. Den Unglauben des Paulus verwandelt Christus in Glauben.
Denn am Anfang steht bei Gott nicht die Schuldzuweisung. Am Anfang steht nicht die Strafe. Am Anfang steht das Erbarmen Gottes: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Und Paulus fragt er: „Warum verfolgst du mich?“
Als der verlorene Sohn umkehrt und zurück kommt zu seinem Vater, tunkt er den Sohn nicht noch tiefer in seinen Morast. Nein. Er, der Herr, der sich sonst nur würdig wie ein Herr fortbewegt, läuft ihm sogar entgegen – mit weit ausgebreiteten Armen!

4. Wir teilen Sünde zu
Wir sind es, die schnell bei der Hand sind Sünden zuzuteilen. Wir sind es, die oft so grausam unbarmherzig miteinander umgehen – wie der ältere Bruder. Unverzeihlich. Ewig nachtragend. Da bleiben Eltern von der Hochzeit ihrer Kinder weg. Da wird die Schwiegertochter jahrelang mit Argwohn behandelt. Da wird in den Familien über Generationen hinweg die Feindschaft weitergegeben. Und in Schulen wird manchmal der Stempel dem Kind aufgedrückt, den sich der Vater oder die Mutter 20 Jahr zuvor geschnitzt haben. „Der ist doch genauso wie ...“
Anstatt wahrzunehmen, woran mein Nächster leidet - und Sünde ist immer etwas, worunter wir Menschen leiden - anstatt zu sehen, dass einer an seiner eigenen Person leidet und ihm zu helfen, wieder h e i l zu werden, kommen wir, und setzen noch einen drauf: Schau ihn dir an: der!
Anstatt einander zu tragen sind wir nachtragend. Und wie viel Energie wird dann oft verbraten, nur um ja keinen Fehler selbst eingestehen zu müssen. Ist das die Welt, die wir wollen?
Christus jedenfalls steht für eine andere Welt, weil er wusste, dass so nie Frieden werden kann.

5. Aus der Vergebung leben
So übergroß war die Gnade unseres Herrn, die mir in Christus Jesus den Glauben und die Liebe schenkte.
Das ist das Wort, das wir ausbreiten sollen. Das ist das Wort, dem wir nachleben sollen. Haben wir das vergessen! Wir leben aus der Vergebung, die uns selbst täglich geschenkt wird. Und dann werde ich frei darüber. Muss nicht mehr selbst vertuschen, wo ich gefehlt habe oder fehlbar bin. Wir sind gerechtfertigte Sünder. Und darin liegt die befreiende und freudige Botschaft des Evangeliums. Ich darf mir eingestehen, dass ich das, was ich eigentlich nicht wollte, doch getan habe und darf darum Gott und meinen Nächsten um Vergebung bitten. Und ich muss nicht die Angst haben dabei mein Gesicht zu verlieren.
Endlich muss ich mir und den anderen nicht mehr vormachen, wie unfehlbar, wie makellos, wie toll, wie gut, wie lebensfreudig, wie nächstenliebend, wie glaubenstreu ... ich bin. Sondern ich darf sein. Gerechtfertigt vor Gott werde ich meine Verfehlungen erkennen und kann sie darum verändern. Gerechtfertigt vor Gott weiß ich um mein eigenes Beschenktsein und kann darum barmherzig werden.
Gerechtfertigt vor Gott, kann ich darum in die Schlussworte des Paulus mit einstimmen:
"Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen."

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