20100208

Werner Otto Sirch: Heilendes Wort

7.2.2010 Sonntag Sexagesimae

Hebräer 4, 12-13
Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

bedrohlich wirkt unser heutiger Predigttext in seiner Schärfe. Schärfer als jedes zweischneidige Schwert. Fast möchte man zur Vorsicht rufen: Verletz dich nicht! „Messer, Gabel, Scher und Licht, sind für kleine Kinder nicht!“ Am liebsten möchte man das zweischneidige Schwert auf jeder Seite ein bisschen abschleifen und stumpfer machen, damit es gefälliger wird und nicht gar so gefährlich ist. Sollten wir um der Liebe willen Gottes Wort seine Schärfe nehmen, damit sich niemand daran verletzt?

Ein französischer Pfarrer hat in einem Gebet um wahrhaftige Liebe folgendes formuliert: „Herr, behüte mich davor an die Stelle deines Erbarmens meine Gutmütigkeit, an die Stelle deiner Versöhnung meinen Hang zur Nachgiebigkeit zu setzen. Erhalte dem Salz der Erde seine Schärfe! Dulde nicht diese fade Freundlichkeit, die nur nach dem Mund redet, doch auf keinem Fall befreit. Die wahrhafte Liebe, die deine, ist nicht Salbe, sondern Operation, kein warmer Umschlag, sondern Eingriff, nicht Notlösung, sondern Erlösung!“

Liebe Gemeinde, ich entdecke an mir, dass ich auch lieber Worte der Verheißung predige, als Worte der Ermahnung und des Gerichts. Es fällt mir schwer mit solchen Ermahnungen richtig umzugehen. Wie soll ich es sagen, damit es angenommen werden kann, nicht verletzt und verunsichert, nicht Abwehr auslöst? Bei der Vorbereitung auf diese Predigt habe ich eine Geschichte gefunden, in der nicht der Prediger mit seinen scharfen Worten etwas machen muss – er darf es dem Wort Gottes überlassen. Aber hören Sie, liebe Gemeinde, selber ...

Die Geschichte handelt von einem Gastwirt in England. Ludwig Harms hat sie erzählt. Dieser Gastwirt ging keinen guten Weg und zog seine Gäste mit in seine schlechten Machenschaften hinein. (Sein Lokal hatte einen schlechten Ruf.) Reichlich Alkohol und zweifelhafte Vergnügungen waren der Lebensinhalt des Wirts und seiner Gäste.

Eines Tages stirbt in seiner Verwandtschaft ein naher Angehöriger. Ob er will oder nicht, er muss zur Trauerfeier in die Kirche und die Predigt anhören. Aber in seiner Abneigung gegen Gottes Wort beschließt er, sich während der Predigt beide Ohren zuzuhalten. So sitzt der Gastwirt taub unter den Zuhörern und verschließt sich dem Wort Gottes buchstäblich. Da sticht ihn eine Mücke in die Nase. Gedankenlos nimmt er die Hand vom Ohr und verscheucht die lästige Mücke. In dem kurzen Augenblick hört er den Satz des Predigers: „Bestelle dein Haus, denn du musst sterben.” Schnell hält er sich wieder die Ohren zu und wartet auf das Ende der Feier. Aber das eine Wort geht nun mit ihm nach Hause, und er kann es nicht wieder loswerden. Das Wort steht morgens mit ihm auf, geht abends mit ihm zu Bett, kehrt in seinen Träumen wieder. Der Mann kann es nicht loswerden. Am Ende ergibt er sich Gott, kehrt um und beginnt ein neues Leben. Er bestellt sein Haus und lädt Gott in seinen Lebenshaushalt ein. Aus dem Wirtshaus und dem Ort der Sünde wird eine Herberge und ein Ort der christlichen Gastfreundschaft.

Es ist nicht der Prediger, der dem Gastwirt die Leviten liest, sondern es ist das richtige Wort zur richtigen Zeit. Es ist Gottes Wort, das lebendig und kräftig ist und dem Gastwirt ins Gewissen dringt. Gottes Wort soll nicht Waffe in unserer Hand sein, mit der wir gegen andere kämpfen, sondern es ist das Schwert des „Heiligen Geistes“, das das Leben der Gläubigen trifft – zu seiner Zeit und an seinem Ort.

Die Bibel ist nicht dazu da, dass wir sie uns gegenseitig um die Ohren hauen, den anderen mit den Worten unseres Gottes erschlagen. Wenn Gott durch sein Wort zu uns redet, dann redet er so, dass wir von ihm getroffen sind, es als Wahrheit erkennen. Eine Wahrheit, die keine strafende oder gar tötende Wirkung hat. Sondern dieses lebendige und scharfe Wort dringt in unser Innerstes ein und schneidet das heraus was krank ist. So wie der Arzt mit seinem Skalpell einen bösen Tumor aus uns herausschneidet, so dringt Gottes Wort in Seele und Geist ein und trennt, was sich scheinbar nicht mehr von uns trennen lässt. Und kaum Hoffnung besteht, dass sich bestimmte Dinge in unserem Leben ändern werden.

Gottes Wort kann uns aber verändern. Es kann uns gesunden lassen. Durch seine Kraft können wir uns von falschen Haltungen trennen, und die Erfahrung machen, dass wir nicht so bleiben müssen wie wir sind. Gottes Wort hat Kraft weil es lebendig ist, weil es vom lebendigen Gott in eine bestimmte Situation hineingesprochen wird und in Ewigkeit bleibt. Es ist durchdringender als alle Röntgenstrahlen. Vor ihm liegt alles offen, wie die Organe des Körpers vor dem Messer des Operateurs.

Vor Gottes Augen ist alles aufgedeckt. Das mag uns erschrecken, denn wir wollen nicht bloßgestellt und schutzlos sein. Und doch ist es so, dass es vor Gott kein Heil gibt, wenn ich nicht breit bin, mich vor Gott ohne jegliche Beschönigung zu zeigen, so wie ich wirklich bin, ohne die vielen Selbstrechtfertigungen, die ich im Laufe meines Lebens gelernt habe. Wie soll ich Heil werden, wenn ich nicht all die vielen Versteckspielchen aufgebe und vor Gott nackt und bloß, bis zum äußersten entblößt stehe und ihm dabei zutraue, dass er mich kennt. Gott kennt mich bis auf Mark und Seele, meine geheimsten Regungen und Empfindungen. Er kennt die Entscheidungen des Gewissens, vor allem auch meine unreinen, oft schmuddeligen Gedanken, die mich immer wieder in eine verschwommene Grauzone führen.

Es fällt uns schwer uns so offen hinzustellen, schutzlos zu dem stehen was zu unserem Leben gehört. Wir wollen uns verstecken und nicht zeigen wie wir sind. David, der Beter des 139. Psalm hat es erfahren, mit dem allmächtigen Gott zu rechnen und in seiner Nähe zu leben, nichts zu verstecken. Er betet:
Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.

Vor Gott ist alles aufgedeckt. Sein Wort ist der Richter unserer Gedanken und der Sinne unseres Herzens. An ihm werden wir gemessen, an ihm kommen wir nicht vorüber. Dieses Wort erfordert von uns Antwort.

Wir können uns hinsetzen und so tun als gäbe es Gott nicht. Die Ohren zuhalten, auch das können wir, damit wir ja nicht mit Gott Wort konfrontiert werden. Wir können unsere Bibel weiter im Bücherregal verstauben lassen und uns einreden, dass es ein langweiliges, kraftloses und totes Buch ist. Trotzdem trifft uns Gottes Wort und fordert unsere Antwort – auch wenn wir uns verschließen und seine heilende Kraft für uns ablehnen.

Gottes Wort will uns verändern. Es will uns Heilung schenken. Das geht manchmal nur unter Schmerzen, wenn wir uns auf Gottes Wort einlassen, wenn es uns richtet. Aber Gottes Wort ist ein Wort der Gnade, das uns retten will, auch wenn es uns richtet und Schmerzen bereitet. Es begleitet uns kritisch, korrigierend und ermahnend und will uns zur Ruhe bei Gott führen. Keiner soll zurückbleiben. Wir alle sollen Gottes Ruhe finden. Gottes Wort ist ein Angebot an uns alle. Darum sollten wir die Mahnung ernst nehmen, Gottes Wort reichlich unter uns wohnen zu lassen. Denn im Wort Gottes liegt eine unwiederbringliche Gelegenheit für uns. Martin Luther bringt sie im „Wort an die Ratsherren“ zum Ausdruck, das bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat.:
„Liebe Deutsche, kauft, solange der Markt vor der Tür ist, sammelt ein, solange die Sonne scheint und gutes Wetter ist, macht Gebrauch von Gottes Gnade und Wort, solange es da ist. Denn das sollt ihr wissen: Gottes Wort und Gnade ist ein fahrender Platzregen, der nicht wiederkommt, wo er einmal gewesen ist. Und ihr Deutschen braucht nicht zu denken, dass ihr ihn ewig haben werdet , denn der Undank und die Verachtung wird ihn nicht bleiben lassen. Darum greife zu und halte fest, wer greifen und halten kann!“ Amen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen