20100222

Ute Lehnes-de Fallois: Christus der Hohepriester

21.2.2010 - Sonntag Invokavit

Hebräer 4, 4-16
4 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so laßt uns festhalten an dem Bekenntnis.
15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.
16 Darum laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.


Liebe Gemeinde !

1. Wir als Sünder

In einem alten Faschingsschlager – da heißt es:
„Wir sind alle kleine Sünderlein, s’war immer so, s’war immer so.
Der Herrgott wird es uns bestimmt verzeih’n, s’war immer, immer so.
Denn warum sollten wir auf Erden schon lauter kleine Englein werden?
Wir sind alle kleine Sünderlein, s’war immer so, s’war immer so:“

Was in diesem Faschingslied so heiter und so harmlos daher kommt,
ist eine traurige Wahrheit unseres Lebens.
Und so möchte ich am Beginn der Passionszeit fragen:
Warum sind wir denn kleine, und manchmal auch große
„Sünderlein“?
Und was ist das eigentlich: Sünde?

Sünde, so werden die theologisch Geschulten antworten, ist alles,
was uns von Gott, unserem Nächsten und uns selbst trennt.
Sünde geschieht dort, wo wir Gottes Gebote brechen: dort, wo wir
lügen, stehlen, ehebrechen, nicht die Wahrheit sagen und eines
anderen Besitz begehren.
Sünde geschieht, wenn wir uns eine Macht anmaßen,
die uns gar nicht zusteht.
Wenn wir überheblich und arrogant werden,
nur an unseren eigenen Vorteil denken
und dabei anderen in den Rücken fallen.
Sünde geschieht dort, wo die Liebe zu Gott und den Menschen fehlt.

Und ich gehe noch einen Schritt weiter:

Was ist, wenn ich vor lauter Ärger, Enttäuschung und Wut über
die eigene Familie, Verwandte, Freunde, Kollegen oder Schüler,
aber keine „Liebe“ mehr empfinden kann...?
Ist das dann auch „Sünde“?
Trennt es mich in der Situation von Gott?
Ich meine JA und möchte Ihnen dafür zwei Beispiele geben.

Ich ärger mich regelmäßig über die Schüler in der 8.Klasse und deren
Verhalten:
zu spät kommen, Buch vergessen, schwätzen, blöde Kommentare
ablassen, Hausaufgabe nicht gemacht. Jeden Montag das Gleiche.
Das macht mich regelmäßig richtig sauer.
Und dann kann es leicht passieren, dass der oder die Falsche die
Strafarbeit kassiert.
Jemand, der in diesem Moment vielleicht gar nichts gemacht hat.
Aber so ist der Schulalltag nun mal.


Oder jemand kommt nach einem stressigen Arbeitstag abends nach
Hause und will eigentlich nur noch seine Ruhe und dann nervt der
Sprössling der Familie, weil er dieses oder jenes zum Abendbrot mal
wieder nicht essen mag.
Und dann wird aus einer Kleinigkeit schnell ein Streit!
Auch das gehört zum Familienalltag und ist nichts besonderes.
Unsere Geduld hat eben ihre Grenzen.

Wie leicht und schnell wir andere damit verletzen,
das machen wir uns dabei meistens nicht klar.

Wir sind eben kleine und große„Sünderlein“.
Und wir können auch gar nicht anders.
Denn unsere Liebe ist eben kein unendlich weites Meer,
aus dem wir beliebig und immer weiter schöpfen könnten.
Manchmal sind die Reserven einfach aufgebraucht.

Dann sind wir uns selbst der Nächste,
ohne Rücksicht auf Verluste.
Auch das ist Sünde.
S’war immer so, s’war immer so ....

Oder wie Luther sagt:
Wir sind Sünder,
wir können der Sünde nicht entfliehen ---

und gleichzeitig, und das ist das Paradoxe,
und das kaum zu Erklärende,
sind wir mit all unserer Sünde auch geliebt von Gott.
Denn Gottes Liebe ist unerschöpflich,
ganz anders als unsere.
Und so sind wir beides:
Sündige Menschen und gleichzeitig auch geliebte Kinder unseres Gottes!
Geliebte Sünderlein!

2. Christus, unser Bruder und der Hohepriester

Und wo finden wir diese Liebe ?
Wir finden sie in den Menschen, die uns trotz und mit all unseren
Schwächen lieben und uns verzeihen
und wir sehen diese Liebe in Jesus Christus.

Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit
leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde!

Jesus, unser Bruder.
ER kennt unsere Gefühle, unsere Ängste, unsere Grenzen,
weil auch ER ihnen ausgesetzt war.
ER leidet mit unserer Schwachheit.
ER weiß um die Versuchungen dieses Lebens.
Und ER hat ihnen widerstanden.
Das unterscheidet IHN von uns.
ER ist versucht worden in allem wie wir,
doch ohne Sünde.

Und darum ist Er unser Hoherpriester.
Dieser Name, diese Bezeichnung lässt aufhorchen.
Als Christus, als Messias, als König ist uns Jesus geläufig,
aber als Hoherpriester?
Waren es doch gerade die Hohenpriester und Schriftgelehrten,
die Jesus nach dem Leben trachteten. Gnadenlos und unbarmherzig.

Warum also verwendet der Hebräerbrief ausgerechnet diesen Titel für
Jesus?

Der Hohepriester war für die Judenchristen ---
und an sie richtete sich dieser Brief als erste ---
die Instanz, die zwischen ihnen und Gott vermittelte.
Der Hohepriester war das Medium, der Mittler,
der Stellvertreter des Volkes,
durch den der Kontakt zum Allerheiligsten hergestellt wurde.

Es war allein dem Hohenpriester vorbehalten,
den Vorhang des Tempels zu öffnen und das Allerheiligste,
das sich dahinter verbarg, mit eigenen Augen zu schauen.

Die Hohenpriester in Israel waren Angehörige besonderer
Familien. Hoherpriester konnte man nicht so einfach werden.
Der Stammbaum musste für dieses Amt passen.

Der Hebräerbrief sieht Jesus als neuen Hohenpriester
und verleiht diesem Amt damit eine neue Qualität.
Denn anders als alle Hohenpriester bisher,
und mochten sie aus noch so angesehenen Familien stammen,
ist Jesus der Einzige,
der ohne Sünde ist.
Wenn der Hebräerbrief Jesus als den Hohenpriester darstellt,
so will er uns damit sagen, dass die Heiligkeit Gottes, nicht mehr
hinter einem Vorhang verborgen liegt, sondern dass wir in Jesus das
Heilige selbst erkennen:
Das wahre Menschsein,
getragen von der Liebe Gottes,
leidend in den Versuchungen,
doch ihnen widerstehend.
Das wahre, ursprüngliche Menschsein ohne Sünde.
Jesus, der neue Hohepriester, der Sohn Gottes, hat die Himmel durchschritten.

Und wer die Himmel durchschritten hat, der hat den Tod überwunden.
Der Vorhang im Tempel zerriss nicht von ungefähr zu der Stunde, als Jesus auf Golgatha starb.
Er zerreißt, weil es nichts mehr zu verhüllen und zu verbergen gibt.
Im Kreuz steht die Heiligkeit unseres Gottes aller Welt vor Augen.

Der, der ohne Sünde ist, stirbt für unsere großen und kleinen Sünden.
Stellvertretend für das Volk – für uns alle.
Das ist das Amt des neuen Hohenpriester.
Und ER durchschreitet die Himmel und kehrt nach drei Tagen wieder,
damit das Leben weiter geht.
Mit einer neuen Qualität.

Mit der Gewissheit des Glaubens.
So gewiss wir Sünder sind und bleiben werden,
so gewiss ist auch die Unerschöpflichkeit der Liebe Gottes zu uns.

Das, liebe Gemeinde, ist kein Freifahrtschein,
dass wir tun und lassen können, was wir wollen.

Nein, im Kreuz erkennen wir ja unser wahres Menschsein, unsere Bestimmung und sehen darin auch unser Scheitern, unsere Sünde und wie weit wir immer wieder und immer noch von unserem wahren Menschsein entfernt sind.

4. Wir haben eine Orientierung

Und gleichzeitig erkennen wir im Kreuz und spüren wir in der Auferstehung Jesu Christi die unendliche Liebe Gottes zu uns,
seine Geduld und seine Treue.

Uns trennt nach wie vor die Sünde von unserer eigenen Bestimmung,
von unserem wahren Menschsein,
und gleichzeitig hat uns Gott einen neuen Raum eröffnet.
Einen Raum, der nicht mehr durch einen Vorhang von uns getrennt ist.
Einen Raum, in dem wir das Heilige sehen und in dem wir Barmherzigkeit empfangen werden.-
Es ist der Raum unserer Kirche,
unserer Kirchen, in dem wir den Gekreuzigten vor Augen haben.

Im Gegenüber zu IHM erkenne ich,
was ich getan und was ich auch nicht getan habe.
Und ich fange an, mich zu schämen -
Vielleicht geht es ihnen da ähnlich.

Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.

Also nicht erst am Ende aller Zeiten, sondern jetzt, heute und hier:
im Bekenntnis unserer Schuld, in der Vergebung und im Abendmahl.
Immer dann, wenn wir es besonders nötig haben.
Und wann hätten wir das nicht?

Gnade vor Gott zu finden, ist ein großartiges Gefühl, das trägt.
Ein unverdientes Geschenk.

Und dieses Geschenk würdigen wir wohl am besten, indem wir auch gnädig mit denen umgehen, die mit uns leben.
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen