20100111

Ute Lehnes-de Fallois: Ein Mensch im Angesicht Gottes

27.12.2009 - 1. Sonntag nach Weihnachten

Liebe Gemeinde!

1. Der Anfang des Briefes

Hier schreibt jemand nicht klar strukturiert,
sondern es klingt ein wenig unsortiert, aufgeregt, atemlos.
So als könne er es gar nicht erwarten, das zu sagen, was er sagen will.
Da überschlagen sich die Gedanken,
und manches schreibt er gleich mehrmals,
so wichtig und so dringend scheint es ihm zu sein.

Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben – vom Wort des Lebens –. Und das Leben ist erschienen und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist, das verkündigen wir euch, damit ihr mit uns Gemeinschaft habt. Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.

Jetzt ist es heraus !
Wie ein Kind, das am Heiligen Abend ein ebenso unvermutetes wie überwältigendes Geschenk in Händen hält, und Papa und Mama am Ärmel zerrt. Damit auch sie endlich dieses Wunderwerk anschauen.
Damit auch sie sehen, wie herrlich es ist,
wie wunderbar.
Wie aufregend.
Wie umwerfend.

Überwältigt, so klingt der Anfang dieses Briefes, den unser Predigttext darstellt.

2. Der Grund des Briefes

Schauen wir etwas nüchterner hin, so erkennen wir:
Der Grund all dieser Aufregung ist die Freude
Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei!

Ich kenne dieses Gefühl -
wenn ich jetzt nicht sofort jemanden anrufe,
ihm eine sms schicke, es beschreiben darf
und es wieder und wieder erzähle, dann platze ich.
Das ist so bei großem Glück, so wie hier,
aber auch in großer Angst.
Auch großer Ärger muss sich so mitteilen.
Die großen Gefühle wollen heraus.
Sie brauchen ihren Ausdruck.
Ich rede mit Händen und Füßen und all den Worten, die mir zur Verfügung stehen.
Und ich brauche ein paar Ohren und ein Herz,
dem ich es anvertrauen kann.

Wenn sich etwas so stark mitteilen will,
dann ist es nichts Banales.
Nein, dann ist es etwas, was unser Herz zutiefst bewegt,
so sehr bewegt, dass sich diese Bewegung Raum schaffen muss.

Es ist das Leben selbst, das sich ausdrücken will,
um das es geht,
das Leben in den Freuden, wie in den Leiden,
das sich hier im ersten Brief des Johannes mitteilen will.

3. In den Freuden

Was von Anfang an war,
was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen,
was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben –
vom Wort des Lebens !

Das ist Weihnachten mit allen Sinnen.

Das ist Weihnachten, an dem es etwas zu hören, zu sehen, zu betrachten und zu spüren gibt.

3.1. Hören: die Weihnachtsgeschichte

Was wir gehört haben, das ist die Weihnachtsgeschichte.
Alle Jahre wieder.
Alle Jahre immer wieder Lukasevangelium Kapitel 2 mit seinem Beginn: „Es begab sich aber zu der Zeit....“
Und es ist gut,- sehr gut sogar-,
dass wir alle Jahre wieder zum Fest diese eine Geschichte von dieser wunderbaren Geburt Jesu in Niedrigkeit hören. Damit wir hören, wie Gott Mensch wird, wahrer Mensch und wirklicher Mensch und uns wahr und wirklich zur Seite steht in allem, was einen Menschen betrifft.
Geboren als kleines Baby mitten hinein in die Abgründe dieser Welt.
Gekommen für alle, die am Abgrund stehen, um sie vor dem Sturz in Nichts zu bewahren.

Dazu haben wir heute im Evangelium gehört, dass Jesus im Tempel „dargestellt“ wurde. Dass seine Eltern für ihren erstgeborenen Sohn Gott im Tempelkult ein kleines Opfer darbringen, so wie es das Gesetz des Mose vorschreibt. Jesus ist ein jüdischer Junge, dessen Eltern, sich an die Riten und religiösen Vorschriften halten, die der Tempel so hat.

Was wir gehört haben.
Es ist gut, jedes Jahr aufs Neue die Botschaft der Engel zu hören: „Fürchtet euch nicht, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren., welcher ist Christus, der HERR in der Stadt Davids.“

Dessen Geschichte ist es, die den Schreiber unseres Briefes so begeistert.
Konkret die Menschlichkeit unseres Heilandes,
die zugleich auch den himmlischen und göttlichen Frieden ausstrahlt und diesen Frieden bis heute zu uns bringt.
Das ist es, was sein Herz so bewegt, dass es einfach raus muss, dass es sich mitteilen will, dass es verkündigt und weitererzählt werden muss, sonst ist die Freude nicht vollkommen.

3.2. Sehen: das Krippenspiel

Was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen.
Alle Jahre wieder sehen wir es wieder.
Alle Jahre wieder verwandelt sich unser Altarraum am Heiligen Nachmittag in eine Bühne, auf der wir diese Geschichte von der Geburt Jesu nachspielen.
Alle Jahre wieder, Maria und Josef, die Herberge, die Engel, die Hirten, die Krippe und der Stern von Bethlehem. Alle Jahre wieder die Kerzen, der Baumduft und Lichtschein, mystisches Dunkel und Erleuchtung für die Herzen. Alle Jahre wieder spielen wir diese Geschichte für die Kinder unserer Gemeinde nach, damit sie sie hören sehen, riechen, spüren und erleben.
Freilich – wir könnten auch einmal ein modernes Weihnachtsstück spielen, „ein Tannenbaum erzählt“ oder „Hilfe, die Herdmanns kommen“, da gibt es nette Sachen und doch entscheiden wir uns jedes Jahr wieder für eben diese klassische Fassung. Weil es wichtig ist, dass sich diese Geschichte, so wie sie uns Lukas erzählt, den Kindern einprägt.
In diesem Jahr haben dann sogar vier Engel gepredigt.
Drei ehemalige Konfirmandinnen, die Jacqueline, die Vanessa, die Tamara und eines unserer Hortkinder, die Alexandra. Und ich hoffe alle, die bei unserem Krippenspiel mitgemacht haben, werden die Geschichte in ihrem Herzen behalten. Weil es eben etwas Besonderes ist, dieses Krippenspiel nicht nur zu sehen, das auch, sondern in ihm auch eine Rolle zu übernehmen.

3.3. Betrachten: die Krippenausstellung

Was wir gehört, was wir gesehen und was wir mit unseren Augen betrachtet haben.

Über 30 Krippen waren in diesem Jahr am 2.Advent in unserer Kirche zu betrachten, anzuschauen, zu bestaunen. Betrachter kamen miteinander ins Gespräch, Menschen, die sich zuvor gar nicht kannten, die sich vielleicht auch so schnell nicht mehr wieder sehen werden. Doch an diesem Nachmittag hat sie das gemeinsame Betrachten verbunden. Das Betrachten und das Reden über die Krippen, über weihnachtliche Erfahrungen und über manch persönlichen Lebensweg.

Denn im Betrachten der Krippen und ihres weihnachtlichen Szenarios wird schnell auch mein Leben und Szenario sichtbar. Mein persönlicher Lebensweg als Hirte, als König, als Ochs im Stall, als Esel vor dem Jesuskind.
Und so wurde in manchen Gesprächen dann auch der gemeinsame Glaube und der einander verbindende Grund dieses Glaubens offenbar: die Geschichte vom Leben, vom Leiden und vom Auferstehen Jesu Christi.
Das ist unsere gemeinsame christliche Tradition.
Sie verbindet die Jungen mit den Alten, die Katholiken mit den Protestanten, die Christen weltweit. Eine Krippe aus Peru sieht anders aus als eine aus Südtirol, eine aus Afrika anders als eine aus Franken, eine Playmokrippe, die ein Kind gebaut hat sieht anders aus als eine die ganz aus Stoffen und Wolle gewirkt ist. Und doch erzählen sie alle das gleiche, wollen uns alle das gleiche vor Augen stellen und in unser Herz eindringen lassen:

JA – „Gottes Sohn ist Mensch geborn, ist Mensch geborn,
hat versöhnt des Vaters Zorn, des Vaters Zorn.“
Und der liturgische Chor wird jetzt dieses Weihnachtslied, das wir in der Christnacht gesungen haben, für uns anstimmen:

Liturgischer Chor: mit EG 29 (Quempas)

3.4. Betasten : Kann man Gott betasten ?

Was wir gehört haben, was wir gesehen und betrachtet haben und unsere Hände betastet haben ....

Können wir das ?
Gott betasten? Gott anfassen?
Und wenn JA, wie geht das ?

Der alte Simeon, von dem unser Sonntagsevangelium erzählt, hat sich da schon leichter getan. Als er Maria und Josef im Tempel sieht, da nimmt er das Jesuskind auf seinen Arm, lobt Gott und spricht:
„Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben den Heiland gesehen.“
Und mit dem „gesehen“ meint er „berührt“.
Ganz bestimmt und ohne jeden Zweifel nimmt Simeon Jesus auf den Arm. Und er ist sich gewiss: das ist der Heiland, der Retter meines Lebens und nun kann ich in Frieden sterben.

Und wir, die wir nicht Zeitzeugen des irdischen Jesus sind –
können wir Jesus berühren, Gott betasten, ihn auf unserer Haut spüren, ihm nahe sein?

Eine solche Berührung, bei der Gott seinerseits uns nahe kommt und uns berührt, geschieht im Abendmahl.
Da halte ich den Leib Christi in meinen Händen und ich umgreife den Kelch und trinke daraus. Christi Leib, für dich gegeben, Christi Blut für dich vergossen.
Und dieses Berühren, dieses Betasten mit den Händen ist sogar eigentlich die dichteste der beschriebenen Sinneswahrnehmungen.

Wobei ich dazusage und zugebe, dass jeder Mensch die Berührung mit Gott oder auch das Greifen nach Gott anders empfindet und erlebt.
Und darum ist es schwierig, etwas allgemein gültiges darüber zu sagen. Weil es eben jeder Mensch ganz eigen erlebt.

Ein neu geborenes Kind auf dem Arm zu halten, das ist wahrscheinlich für viele Menschen so etwas wie das Betasten Gottes – da ist neues Leben auf die Welt gekommen, ein neues Ebenbild, ein neues Geschöpf. Da schaut mich ein Bild Gottes an und wenn ich Glück habe, dann lächelt es mich sogar noch an.
Der alte Simeon sagt daraufhin: „und nun kann ich in Frieden fahren.“
Vielleicht sind wir nach 2000 Jahren in unserem Betasten Gottes in einem neugeborenen Kind da gar nicht so weit vom alten Simeon weg.

3.5. Riechen

Weihnachten mit allen Sinnen –
Hören, sehen, betrachten, betasten, schmecken mit dabei wie im Abendmahl.
Das Riechen fehlt noch, das womöglich Anrüchige, an das man beim Kind in der Krippe nicht denken mag, aber bei jedem Neugeborenen nicht „überriechen“ kann, wenn die Windel ihren Dienst getan hat.

Wir machen in der Kirche selten deutlich, wie wichtig es ist, sich hier zu riechen und auch riechen zu können.
Gehe ich bei Gelegenheit in eine fremde Kirche, dann rieche ich es.
Und ich habe schnell ein Gespür dafür, ob ich dazu gehören mag oder lieber schnell wieder gehe. Über andere die Nase rümpfen ist wohl der vergleichbare Vorgang, nur als Abgrenzung verstanden.
Wie kommt es, dass man sich in einer Gemeinde und in der Kirche und im Gottesdienst riechen kann und da bleibt?
Und wäre es möglich, noch ein bisschen mehr Wohlgeruch zu verbreiten, der andere atmosphärisch anzieht und einlädt, mit dabei zu sein?

4. In der Angst

Das ist Weihnachten mit allen Sinnen.

Das ist es, was unseren Briefschreiber, nennen wir ihn mit der Tradition Johannes, so begeistert.
Weil Gott uns in Jesus Christus zum Anfassen nahe kommt,
indem Christus unser Bruder geworden ist, ein Bruder zum Umarmen.

Dieses Menschsein Jesu, das ist es, was Johannes so begeistert und darum beginnt er seinen Brief so voller Überschwang und Freude, weil er genau das Weitersagen will an die nächste Generation.
Weil er diese junge christliche Tradition bewahren will.
Weil er dieses Geschenk Gottes im Gesamtpaket behalten möchte,
weil ihm an dieser Geschichte Jesu alles wichtig ist vom Anfang bis zum Ende und dann nach dem Ende am Kreuz der neue Anfang an Ostern:
Vom Wort des Lebens, so nennt er das Evangelium.
Und alles davon sollen wir behalten als verbindenden Ursprung und Grund unserer Kirchen.
Und nicht die Teile entsorgen, die dem Zeitgeist nicht entsprechen.

Johannes hat seinen Brief am Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben und ihn treibt auch die Angst um. Die Angst, dass der Hellenismus siegt und dass Jesus nur noch als eine göttliche Idee betrachtet wird und nicht mehr als Mensch aus Fleisch und Blut,
nicht mehr als unser Bruder,
nicht mehr als einer, der unser Leben gelebt hat, der unseren Tod gestorben ist und der auferstanden als Mensch für uns.

Darum sprudelt es so aus ihm heraus,
weil er bewahren möchte,
was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen und betastet haben mit unseren Händen.
Obwohl Johannes selbst schon einer der nachfolgenden Generationen angehört hat, will er die Bilder, die Worte, die Empfindungen der Tradition, dessen, was von Anfang an war, bewahren.

Weil diese Geschichte eben so wunderbar,
so aufregend, so umwerfend, so überwältigend ist,
so alt und doch auch immer wieder so ganz neu.
Eine Geschichte für alle Sinne.
Wort des Lebens,
Wort des lebendigen Gottes.

Anrede auch an uns, zu hören, zu sehen, zu betrachten, zu schmecken, zu riechen. Und bei alledem unseren Sinn und Geschmack für das Unendliche zu erproben, damit wir spüren, dass an Weihnachten nicht nur Gott Mensch geworden ist, sondern dass auch wir selbst durch Weihnachten immer wieder neu Mensch werden.
Ein Mensch im Angesicht Gottes,
Bruder und Schwester unseres Heilandes.
Amen.

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