20100111

Werner Otto Sirch: Gottes Freundlichkeit und Menschliebe

26.12.2009 - Christfest I Titus 3,4-7

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.


Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Freundlichkeit, Menschenliebe Gottes – welch wunderbare Worte. Das geht in mich rein, spricht zu meinem Herzen. Da kommt mir Gott ganz nahe. Nimmt meine Angst. Angst vor Autoritäten, meine Angst am Ende doch nicht genügen zu können.

Ich möchte Ihnen eine Weihnachtsgeschichte vorlesen, die vielleicht irgendwann und irgendwo so passiert ist. Eine Geschichte, ein Märchen vielleicht, die versucht etwas vom Wesen der Freundlichkeit und Liebe Gottes zu zeigen.

Ein kleiner junge ist stolz darauf, einen Großvater zu haben, der Figuren schnitzen kann. Es ist schon faszinierend zuzusehen, wie aus einem Stück Holz langsam „lebendige“ Gestalten entstehen. Der Junge vertieft sich so in die geschnitzten Krippenfiguren, dass sich seine Gedanken mit der Welt der Figuren vermischen: Er geht mit den Hirten und Königen in den Stall und steht plötzlich vor dem Kind in der Krippe. Da bemerkt er: seine Hände sind leer! Alle haben etwas mitgebracht, nur er nicht. Aufgeregt sagt er schnell: „Ich verspreche dir das Schönste, was ich habe! Ich schenke dir mein neues Fahrrad ﷓ nein, meine elektrische Eisenbahn.“

Das Kind in der Krippe schüttelt lächelnd den Kopf und sagt: „Ich möchte aber gar nicht deine elektrische Eisenbahn. Schenke mir deinen ﷓ letzten Aufsatz!“

„Meinen letzten Aufsatz?“, stammelt der Junge ganz erschrocken, „aber da steht doch .... da steht >ungenügend< drunter!“

„Genau deshalb will ich ihn haben“, antwortet das Jesuskind.

„Du sollst mir immer das geben, was >nicht genügend< ist. Dafür bin ich in die Welt gekommen!“

„Und dann möchte ich noch etwas von dir“, fährt das Kind in der Krippe fort, „ich möchte deinen Milchbecher!“ Jetzt wird der kleine Junge traurig: „Meinen Milchbecher? ﷓ Aber der ist mir doch zerbrochen!“

„Eben deshalb will ich ihn haben“, sagt das Jesuskind liebevoll, „du kannst mir alles bringen, was in deinem Leben zerbricht. Ich will es heil machen!“

„Und noch ein Drittes möchte ich von dir“, hört der kleine Junge wieder die Stimme des Kindes in der Krippe, „ich möchte von dir noch die Antwort haben, die du deiner Mutter gegeben hast, als sie dich fragte, wieso denn der Milchbecher zerbrechen konnte.“

Da weinte der Junge. Schluchzend gesteht er: „Aber da habe ich doch gelogen. Ich habe der Mutter gesagt: >Der Milchbecher ist mir ohne Absicht hingefallen.< Aber in Wirklichkeit habe ich ihn ja vor Wut auf die Erde geworfen.“

„Deshalb möchte ich die Antwort haben“, sagt das Jesuskind bestimmt, „bring mir immer alles, was in deinem Leben böse ist, verlogen, trotzig und gemein. Dafür bin ich in die Welt gekommen, um dir zu verzeihen, um dich an die Hand zu nehmen und dir den Weg zu zeigen ...“ Und das Jesuskind lächelt den Jungen wieder an. Und der schaut und hört und staunt...

Freundlichkeit Gottes. Ganz anders als wir uns das vorstellen können. In eindrucksvoller Weise zeigt uns diese Geschichte das freundliche Gesicht des Jesuskindes. Es ist ein Gesicht, das Menschlichkeit ausstrahlt. Ein Gott der uns nicht fertigmacht und verurteilt, sondern versteht und uns annimmt, mit allen unseren Problemen und Problemchen. Ich weiß nicht welches Bild Sie von Gott haben, liebe Gemeinde. Es wird ein sehr unterschiedliches sein.

Viele sehen in Gott einen, vor dem man Angst und Furcht haben muss, von dem man Strafe erwartet und seinem Zorn ausgeliefert ist. Ein unnahbarer Gott, dem man besser nicht in die Quere kommt.

Unser heutiger Predigttext zeigt aber ein ganz anderes Gottesbild. Der frühere sächsische Landesbischof Werner Krusche hat es so formuliert: „Gott hat mit seiner Menschenliebe eine Gegenbewegung gegen die Unmenschlichkeit in allen ihren Gestalten eingeleitet, so dass wir die Hoffnung auf eine menschliche, brüderliche Welt nicht aufzugeben brauchen und miteinander ein Fest feiern können. Das Fest der Menschlichkeit.“

Wie gut tun uns Menschen, die Menschlichkeit ausstrahlen. Es schafft Vertrauen, man fühlt sich verstanden, angenommen. Und nun erfahren wir im Titusbrief, dass wir so einen menschlichen Gott haben, nicht einen fernen, unnahbaren, dem man nicht trauen kann. An Weihnachten feiern wir diesen menschlichen Gott, der Mensch geworden ist, der seine Macht und Herrlichkeit beiseite gelegt hat und einer von uns geworden ist. Mensch geworden in unwirtlichen Verhältnissen, als uneheliches Kind in einem Stall geboren, nicht im Luxus. Wir feiern ein Fest der Menschlichkeit, wie Krusche es so wohltuend formuliert.

Wie war es denn gestern, am Heiligen Abend und wie ist es heute? War es ein Fest der Menschlichkeit, oder sind wir schon wieder ernüchtert und müssen den Heiligen Abend erst richtig verdauen? Sind wir schon wieder aufgewacht aus einem Traum von Liebe, Freundlichkeit, Nähe, Wärme, Hoffnung, der scheinbar von uns nicht eingelöst werden kann? Wenn Berufsschüler, auf Weihnachten angesprochen, erzählen, dass sie am Heiligen Abend aus ihrer Familie in die Kneipe flüchten und sich betrinken, weil sie das verkrampfte Liebsein und den Streit ihrer Eltern nicht aushalten können, dann habe ich Zweifel ob Gottes Menschlichkeit uns an Weihnachten erreicht.

Auch in der atheistischen alten DDR wurde Weihnachten gefeiert, mit all dem was unserer Weihnachtsfest ausmacht: Tannenbaum, Lichter, Plätzchen, Geschenke, Weihnachtslieder von der Schallplatte, Gansbraten und was zu einem Festessen dazugehört. Ein Fest der Liebe, ein Fest der Familie. Weihnachten, einen Tag verkrampfter Menschlichkeit, ohne Bezug zur Ursache des Festest, der oft genug dann auch gründlich in die Hose ging. An keinem Tag im Jahr wird so viel gestritten, wie ausgerechnet am Heiligen Abend.

Wir erfahren an Weihnachten Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe, so sagt es uns Paulus in seinem Brief an den Bischof Titus. Warum steckt uns das nicht an? Warum müssen wir heute, trotz all der guten Vorsätze, die enttäuschten Erwartungen des Heiligen Abends bewältigen? Wo doch Weihnachten das Fest der Liebe und des Friedens ist und Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe uns auch dann gilt, wenn wir es gar nicht merken.

Wir brauchen dieses Fest – einmal im Jahr – trotz allem. Einmal im Jahr sich Gedanken machen, was dem anderen Freude bereiten könnte. Einmal im Jahr die Überraschung was sich andere für mich ausgedacht haben, einmal im Jahr beschenkt werden, die Lichter, die Lieder, der Gottesdienstbesuch, das Festessen, die feierliche Stimmung – einmal im Jahr – man möchte und kann es nicht missen. Ein Höhepunkt – für manche auch Ort der Trauer, wenn sie an diesem Tag einen geliebten Menschen ganz besonders vermissen.

Wie schnell ist es wieder vorbei, das Fest, auf das wir hingearbeitet hatten, das unsere Gedanken geprägt hat. Wie schnell ist es verrauscht, der Kick vorbei. Auch die festlichen Gottesdienste sind vorbei. Heute erleben wir im Gottesdienst schon fast wieder Alltag. Wenn nicht die Stadtkantorei da wäre, wir würden es fast nicht bemerken, dass wir heute den freudigen und ganz besonderen Tag der Menschlichkeit und der Freundlichkeit Gottes feiern.

Wenn wir Weihnachten nur als das Fest unserer Menschlichkeit feiern, dann sind wir ganz schnell an unserer Grenze angelangt, dann wird dieses Fest der Liebe, der Familie schnell hohl und leer und wie ein schöner Traum verfliegen, der bei manchen einen schalen Geschmack hinterlässt.

Weihnachten ist das Ereignis der Zuwendung Gottes zur Welt. Darin liegt die Kraft und der Sinn von Weihnachten. Gott tut etwas an uns. Gott beschenkt uns, handelt an uns. Etwas das länger anhalten will als nur am 24. Dezember und vielleicht auch noch über die Feiertage hinweg. Gott möchte uns in die Erfahrung einer Erneuerung hineinführen: Es ist etwas anders geworden, Gott ist Mensch geworden. Und die Begegnung mit diesem Mensch gewordenen Gott, die Begegnung mit dem Kind in der Krippe, verändert uns und kann uns erneuern. Wir haben das bei unserer Taufe erlebt: Das Alte wird abgewaschen. Wir werden vor Gott rein, unser bisheriges Leben wird begraben, wir stehen auf zu einem neuen Leben, in dem wir mit Jesus verbunden sind. Jesus das Licht der Welt, das in unsere Herzen scheint.

An diese rettende Erfahrungen erinnert uns Weihnachten. Denn ohne, dass Gott Mensch geworden ist, gäbe es auch nicht die Erlösung, die Jesus für uns am Kreuz vollbracht hat. Rettende Erfahrungen können wir nicht selbst herbeiführen – sie werden geschenkt.
Weihnachten kann solch eine Erfahrung der Erneuerung unseres Lebens sein, weil uns an diesem Tag die Freundlichkeit und Menschlichkeit unseres Gottes trifft und unser Herz bewegt. Wir begegnen einem Gott, der in seiner Liebe zu uns Menschen alles auf sich genommen hat – auch einen schrecklichen Tod am Kreuz.

Darum lasst uns hingehen zur Krippe und sehen was da geschehen ist, was Gott für uns getan hat. Lasst uns hingehen und über Gottes Menschlichkeit und Freundlichkeit staunen. Lasst uns unser Herz öffnen, dass Gottes Menschlichkeit und Freundlichkeit bei uns einziehen kann, so wie Paul Gerhardt das 1653 gedichtet hat:
Eins aber, hoff ich, wirst du mir,
mein Heiland nicht versagen:
dass ich dich möge für und für
in, bei und an mir tragen.
So lass mich doch dein Kripplein sein;
komm, komm und lege bei mir ein
dich und all deine Freuden.
Amen.

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